NEUES AUS DER MACH|WERKSTATT
- kulturschnack
- 1. Sept.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Okt.
Zwischen Gehversuch und Geniestreich: MACH|WERK ist der Fonds für innovative Kulturprojekte. Hier bekommen (vor allem, aber nicht ausschließlich) junge Kulturschaffende die Chance, Projekte umzusetzen, die wagemutig, waghalsig oder wunderbar wild sind. Das Ergebnis: Jedes Jahr spannende Kulturinnovationen zwischen Sinn und Spektakel. Nun wurde die Auswahl für 2025 bekanntgegeben.

In den vergangenen Jahren sind in Oldenburg Dinge passiert, die in dieser Form für eine Stadt dieser Größe nicht zu erwarten waren. Es gab spektakuläre kreative Zwischennutzungen, es gab kulturelle Fahrradrallyes und individuelle Theaterformate für jeweils eine einzige Person. Es gab innovative Filmprojekte, internationale Austauschformate, gigantische Graffiti-Events und sogar ein mehrtägiges Indoor-Festival.
Was das alles miteinander zu tun hat? Erstmal nichts. Über die Jahre verstreut fanden diese Ereignisse statt, ohne dass sich eine Verbindung herstellen ließe. Dennoch gibt es eine: All das wurde nämlich möglich gemacht durch MACH|WERK, dem städtischen Fonds für innovative Kulturprojekte. Er war mal der Impuls, der Steine ins Rollen brachte, mal der entscheidende Anstoß, eine lang durchdachte Idee endlich umzusetzen und mal das fehlende Puzzlestück in der Finanzierung. Unter dem Strich also: ein Möglichmacher. Und Oldenburg profitiert davon.
MACH|WERK
OLDENBURGS FONDS FÜR INNOVATIVE KULTURPROJEKTE
DURCHGÄNGE: 8
BUDGET P.A.: 50.000 EURO
GEFÖRDERTE PROJEKTE: 59
FÖRDERSUMME: 430.000 EURO
WERT: UNBEZAHLBAR
Neue Kulturimpulse
Nein, großes Tamtam und Trara gibt es nicht. Die Entscheidung darüber, welche Projekte mit dem MACH|WERK-Fonds realisiert werden können, fällt vergleichsweise unspektakulär: Im nichtöffentlichen Teil der September-Sitzung des Kulturausschusses wird über die Anträge abgestimmt. Dabei entwickeln sich immer mal wieder lebhafte Diskussionen über die Projekte - genauso aber über das Umfeld, das sie brauchen, um zu gelingen.

In diesem Jahr betraf dies etwa den Zeitpunkt der Ausschreibung, der erstmals vollständig in den Sommerferien lag. Ein Fehler? Womöglich, denn die Resonanz war mit acht Anträgen so gering wie nie, weit entfernt vom letzten Jahr (13) oder gar vom Rekordjahr 2021 (27). Zudem sind in diesem Jahr zwei Antragsteller dabei gewesen, die auch im letzten Jahr erfolgreich waren. Das Mach|Werk-Biotop könnte aktuell also eine gewisse Auffrischung vertragen. Daran - so viel ist sicher - wird im Kulturbüro gearbeitet werden. Bis dahin darf sich Oldenburg über sechs starke Kulturimpulse freuen, die es ohne Mach|Werk nicht gegeben hätte. Über welche genau? Das lest ihr hier:
ANNE KAMMER-EVERSBUSCH SHAKESPEARE OHNE RAUM
Obwohl schon fast sechzig Projekte bei Mach|Werk gefördert wurden, hat Theater bisher bestensfalls eine Nebenrolle eingenommen. Umso schöner, dass nun Anne Kammer-Eversbusch, Leiterin der Oldenburger Schauspielwerkstatt, einen Akzente in diesem Bereich setzt.

Und es geht gleich um einen ganz Großen: „Shakespeare ohne Raum“ lautet der Titel des Projekts - und den darf man durchaus wörtlich nehmen. Mit Oldenburger Bürger:innen will die Theaterexpertin nämlich Stoffe des berühmten englischen Dichters (1564-1616) inszenieren - allerdings ohne einen festen Proberaum. Es wird also auch darum gehen, sich auf verändernde Gegebenheiten einzustellen.
Doch Anne hatte bei ihrer Idee noch mehr im Sinn. Einerseits sieht sie das Projekt als eine Form des „Empowerments“ und des Mutmachens, sich mit klassischen Stoffen auseinanderzusetzen. Etwaige Hemmschwellen sollen abgebaut werden, zumal Passierende zuschauen oder oder sogar spontan mitmachen dürfen. Einfacher geht es nicht! Es gibt aber eine weitere Deutungsebene: Die diplomierte Schauspielerin möchte mit ihrem Projekt auf die Raumknappheit für künstlerische Projekte aufmerksam machen und gleichzeitig einen kreativen Umgang damit anregen. Durch eine filmische Aufbereitung mitsamt Veröffentlichung auf YouTube dürften auch genügend Menschen davon erfahren.
OLIVER GODOW
A CHANCE - EINE FOTO-SKULPTUR FÜR DAS 91ER-GELÄNDE
„Die üblichen Verdächtigen“ ist ein ein Thriller von Bryan Singer aus dem Jahr 1995. Ganz so alt ist Mach|Werk nicht, aber gäbe es auch hier einen Kreis an typischen Kandidat:innen, dann könnte man Oliver Godow sicher dazuzählen. Mehrfach war er in den vergangenen Jahren schon dabei - und hat auch dieses Jahr ein Projekt eingereicht.

Sein Metier ist dabei die Fotografie und sie steht auch hier wieder im Mittelpunkt. Entstehen soll eine temporäre Fotoskulptur für die Freizeitfläche an der 91er Straße, wo bis vor einigen Jahren das Finanzamt stand. Der fest auf einen Sockel montierte Quader soll mit einer Höhe von 180 cm und einer Breite von 40 cm in etwa so groß sein wie ein Mensch. An seinen Seiten soll eine Fotocollage zu sehen sein, bei der eigens erstellte Bilder aus den beiden Partnerstädten Kingston upon Thames und Cholet in Dialog mit Motiven aus Oldenburg treten. „Städtepartnerschaften stehen für ein gemeinsames Europa und damit für Chancen“, findet Oliver. Darüber hinaus will der Fotograf mit seinem Werk aber auch einen Impuls für den neuen Stadtraum geben und eine Schnittstelle für das Zusammenleben schaffen. Denn: „Das 91er-Gelände ist eine Chance für Oldenburg.“
MAIKE JEBENS & MARIE-LOUISE GUNST
BROT & LOSE KUNST
Einen gänzlich neuen Ansatz verfolgen die beiden Schauspielerinnen Maike Jebens und Marie-Louise Gunst. Im Foyer des Theater Hof/19 plant das Duo ein innovatives Veranstaltungsformat, in dem die Kunst zur Impulsgeberin für persönliche Gespräche wird. Der Bezug zur Nahrung im TItel ist dabei kein Zufall: Neben einer Verbindung aus Konzert, Lesung und szenischer Intervention gibt es nämlich auch ein gemeinsames Mahl. Gereicht wird handwerklich gebackenes Brot von der Orto Bistro Bakery mit Öl, Salz und Wasser - einfache und ehrliche Lebensmittel, die als symbolischer wie realer Auftakt zum gemeinsamen Erleben wirken.

Der Ort ist ebenfalls kein Zufall: Viele Oldenburger:innen werden Maike und Marie-Louise von ihren Engagements bzw. Gastspielen am Theater Hof/19 kennen. Nun gibt es die Gelegenheit, sie in einem neuen Rahmen zu erleben. Dabei widmet sich jeder Abend einem akuellen oder zeitlosen Thema, für das es künstlerische Impulse gibt, die gemeinsam weitergedacht werden. Nicht zuletzt sind das Zusammenkommen vor Ort und das Gespräch auf Augenhöhe ein Zeichen gegen Einsamkeit als eines unserer drängendnsten, aber auch am häufigsten übersehenen sozialen Probleme.
BEKANNTE NAMEN MACH|WERK HALL OF FAME Wie eingangs angedeutet, passieren in Oldenburg viele Dinge, ohne dass man sie miteinander verbinden könnte. Wie viele Veranstaltungen aber die Förderung durch MACH|WERK gemeinsam haben, zeigt die folgende Liste. Sie ist längst nicht vollständig, bietet aber einen guten Eindruck davon, wie viel der Fonds möglich macht. ANNIKA LISA RICHTER - FRAUENSACHE (2021) DIE LOGE - KILLING LONELINESS (2020) DIE LOGE - NEUGESTALTUNG DER FRIEDENSSÄULE (2024) EIKE WEINREICH - IM SCHATTEN DER STADT (2021) FELIX FREITAG - LUCA (2022) GESINE GEPPERT - ALTERNATIVE KUNST-KULTUR-KARTE (2021) HIDDEN ART PROJEKT - POPUP GALLERIES (2019) HIDDEN ART PROJEKT - KUNST.STADT.KOMMERZ (2020) JANUSZ KENDEL - PARKLATERNE L20 (2023) JUGENDKULTURARBEIT - CLARA S. (2019) JUGENDKULTURARBEIT - FREISCHÜTZ (2020) KUNSTKOMPLEX - MISSION MARS (2023) LARS UNGER - IN TOKIO IST ES STILL (2021) MADLENE OEPPING - PELLE, DER SPÄTI (2022) MARIANNA MARTENS - METROPOLY FESTIVAL (2021) MENSO VON EHRENSTEIN - KULTURELLI (2020) MENSO VON EHRENSTEIN - KULTURELLI RACING (2024) METRO CLUB - 40 JAHRE METRO (2023) MORITZ GRENZ - AUDIO POESY - MOVES (2019) OLDENBOOK KOLLEKTIV - READING PARTY (2024) OLDENBURGER KUNSTSCHULE - STADT-UTOPIST*INNEN (2019) PERMANENT AKTIV - LICHTUNG (2020) RENKE HARMS - MEMUR (2020) SCHWARZSEHER - STADT GESTALTEN (2018) TAKE OLDENBURG - TAKE THE SCREEN FILMFESTIVAL (2022) THE WHITE RABBIT - DRESS:CODE (2022) TIM PFÖRTNER - KLEISTER-KONZERTE (2018, 2019) ULRIKE LISSNER - LOLDENBURG OPEN MIC COMEDY (2023) VASUDEVA - DER OLDENBURG FILM (2018) WIEBKE HEEREN - VISIBLE CITIES (2022)
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HELENE VON OLDENBURG
ZUKUNFT_OL+50
Einen außergewöhnlich großen Zeithorizont deckt das Projekt von Helene von Oldenburg ab. „Was wäre, wenn wir heute fünfzig Jahre in die Zukunft schauen können?“, fragt sie sich - und wird natürlich noch konkreter.

„Wie wird Oldenburg im Jahr 2075 aussehen? Wie geht es der Demokratie? Wie steht es um die Mobilität, die Wohnsituation, die Freizeitgestaltung, die Bildung, die Nahrungsherstellung, die medizinische Versorgung, die Politik? Wie werden sich die Landschaften verändert haben? Die oldenburgische Stadtlandschaft? Die soziale Landschaft? Die politische Landschaft?“ Und die Antworten darauf - geben wir alle.
Dafür hat Helene einen Open Call gestartet, also einen Aufruf bei ihrem Projekt mitzumachen. Ausgehend von der Fragestellung, was in fünfzig Jahren sein wird, lädt Helene alle dazu ein, ihre Vorstellungen, Erfindungen, Hoffnungen, Wünschen und Befürchtungen Ausdruck zu geben und sie mit anderen zu teilen. Auf welchem Weg ihr das tut, bleibt euch überlassen: Bilder, Skizzen, Fotos, Filme, Objekte, Texte, Sounds und Töne - alles ist erlaubt. Präsentiert werden die Ergebnisse dieser spannenden Mischung aus Kunstprojekt und Forschungsvorhaben im Landesmuseum Kunst + Kultur. Also: Im Schloss. Zweifellos ein angemessener Rahmen für Oldenburgs Zukunft.
MERLE SMALLA
DIE ORAKEL-REVUE
Man hat keine Wahl: Wer nur den allerersten Satz von Merle Smallas Projektbeschreibung liest, muss einfach neugierig werden: „Die Orakel-Revue soll eine mobile Spielbühne werden, die Figuren- und Objekttheater, bildende Kunst und Wahrsagerei im öffentlichen Raum miteinander verbindet.“ Noch stärker wird dieser Effekt, wenn man beim letzten Projekt der freischaffenden Künstlerin zu Gast war - nämlich bei „Mitternacht 24/7“, das sich in den historischen Gemäuern des Baumgartenstraße irgendwo zwischen begehbarer Installation, szenischer Intervention und Figurentheater bewegte.

Nicht weniger als zehn Figuren, die vom Zirkus inspiriert sind, baut Merle für ihr kleines Theater und das Publikum bringt diese selbst ins Spiel. Pro Vorstellung kann eine Person mittels einer Tarotkarte entscheiden, um welche Figur sich das drei- bis fünf-minütige Stück drehen wird. Dialoge oder eine lineare Handlung im engeren Sinne gibt es zwar nicht, aber dafür Musik und jede Menge Assoziationen und Atmosphäre. Merle besitzt nämlich ein ausgeprägtes Gespür dafür, wie man Stimmungen entstehen lässt. Letztlich ist die „Orakel-Revue“ eine Einladung in einer andere Welt, in der Mensch und Figuren einander ganz nah kommen können. Was man draus macht? Hat man selbst in der Hand - und im Kopf.
EIKE WEINREICH
DER CLOWN UND DIE ZIRKUSREITERIN
Das neue Kurzfilm-Projekt von Regisseur und Drehbuchautor Eike Weinreich, der regelmäßig auch für das lineare Fernsehen arbeitet, klingt zunächst nach fantasievollem Erzählkino. Doch wer Eike kennt, hat sofort eine gewisse Vorahnung, dass es ganz anders sein muss. Und so ist es auch: Hinter dem Titel verbirgt sich die wahre Geschichte der Jüdin Irene Bento, die in Zeiten des Zweiten Weltkriegs Zuflucht im Zirkus Althoff fand und dort als Clownesse auftrat.

Das passt zur thematischen und sozialen Prägung von Eikes Filmen: Bei früheren Projekten hat er bereits mit Obdachlosen, Bewohnerinnen von Frauenhäusern und Mitgliedern der Anonymen Alkoholiker zusammengearbeitet und sie aktiv am Entstehungsprozess teilhaben lassen. Und so entwickelt er auch dieses Projekt nicht im stillen Kämmerlein, sondern zusammen mit Jugendlichen aus Oldenburg, die von Mobbing oder Ausgrenzung betroffen waren bzw. sind. Denn auch bei Irene Bento waren die Anfänge zunächst nur Sticheleien. Drehort für die Szenen in Oldenburg wird die Freizeitstätte Bürgerfelde sein.
Der entstehende Film wird schließlich als ein Teaser fungieren, um daraufhin - in Zusammenarbeit mit u.a. Max Giermann und dem Zirkus Roncalli - auch einen vollständigen Spielfilm zu diesem Thema zu produzieren. Die Premiere des Teasers wird natürlich in Oldenburg stattfinden.


