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IMMER ERSTE REIHE

Wer die Oldenburger Kulturszene in den letzten beiden Jahren auch nur mit halber Aufmerksamkeit verfolgt hat, dürfte die LOGE nicht übersehen haben. In einer Phase, die sich vor allem durch ihre Unmöglichkeiten ausgezeichnet hat, wurde sie zu einem Aktivposten, der die jeweiligen Umstände reflektierte und thematisierte. Wie das Kollektiv entstand, was es bewegt und was wir in Zukunft von ihm erwarten können, hört ihr in unserem Podcast - oder lest ihr hier in vier epischen Kapiteln.


Ein kaputter Sessel in einem heruntergekommenen Zimmer
Einsamkeit, Abwesenheit, Verlust: Die LOGE interessiert sich auch bzw. vor allem für "schwierige" Themen. (Bild: Stephan Walzl)

Die LOGE, das sind Mathilda Kochan, Regisseurin am Oldenburgischen Staatstheater und Clara Kaiser, freischaffende Szenographin. Sie haben – wenn wir das Klischee einmal bemühen wollen – die Not zur Tugend gemacht. Die vielen Veränderungen durch die Pandemie verursachten bei ihnen zwar Frustration, aber eben auch Inspiration. Sie interpretierten die widrigen Umstände in erster Linie als Möglichkeit.


Portrait von Clara Kaiser und Mathilda Kochan
Eigentlich ganz harmlos: Clara Kaiser und Mathilda Kochan sind Die LOGE. (Bild: Felix Wenzel)

Wir erwischen die beiden inmitten der Proben zur Wiederaufnahme von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, die momentan ihre gesamte Zeit in Anspruch nimmt. „Ich sitze schon ab halb neun morgens am Schreibtisch und bereite mich auf die Probe vor“, erzählt Mathilda. „Ich inszeniere die ganzen Szenen, das sind insgesamt sechzehn Stunden Musik“.


Clara ist ebenfalls beteiligt, aber mit anderem Schwerpunkt: „Ich beschäftige mich mit vielen Dingen, die hinter den Kulissen passieren“, beschreibt sie ihren Part. „Bühnenbild, Kostümproben und so weiter. Bei einem so aufwändigen Projekt wie dem ‚Ring‘ gibt es unendlich viel zu besprechen und abzustimmen.“ Die Tagesabläufe werden bestimmt durch die Proben: Sie laufen von 10 bis 14 Uhr und von 18 bis 22 Uhr. Dazwischen: Planungen, Organisation, Schnacks.


Trotz allem scheint es so, als seien die beiden mit diesen komplexen Jobs noch nicht ganz ausgelastet und müssten sich noch auf anderem Weg austoben. Schließlich haben sie vor zwei Jahren das Projekt „Die LOGE“ gestartet. Beim Staatstheater stehen Mathilda und Clara nicht selbst auf der Bühne, hier setzen sie eigene künstlerische Akzente und ihre eigenen Ideen um. Das tun sie mit großer Leidenschaft, viel Liebe zum Detail – und einer besonderen Spezialität, wie sie uns erzählt haben.



 


KAPITEL 1: KILLING LONELINESS


Ein Tänzer liegt in einem Meer aus Rosenblüten
Erschöpfung im Rosenmeer: Tänzer Francesco Fasano auf der kleinen Bühne der Loge. (Bild: Felix Wenzel)

Mit dem Thema Corona wird allgemein nicht viel Gutes assoziiert, für die LOGE war die Pandemie aber dennoch der Erweckungsmoment: Sie ist aus einer spontanen Regung während des allerersten Lockdowns im Frühjahr 2020 entstanden. „Damals stand der ‚Ring‘ schon in den Startlöchern – und am Tag vor dem Probebeginn kam der Lockdown“, erinnert sich Clara zurück. „Wir hatten zu dem Zeitpunkt extrem viel Energie und die musste irgendwo hin.“ Auch Frust war dabei, weil plötzlich alles verboten schien. Die beiden waren aber überzeugt: Theater muss doch möglich sein. War es auch, wie sich herausstellen sollte.


„Es gab damals eine große Diskussion in den Medien, ob es sich überhaupt noch zu spielen lohnt, wenn wegen Corona-Beschränkungen nur zwanzig Leute im Publikum sitzen“, erinnert sich Mathilda. Ja? Nein? Auch aus Protest überspitzten Clara und Mathilda ihre Antwort und entwarfen in der Kurwickstraße einen winzigen „Theatersaal“ für nur eine Person. „Daher kommt auch der Name: wir hatten einen einzigen roten Stuhl in den kleinen Zuschauerraum gestellt.“



Eine Bühne, drei Performances: Killing Loneliness. (Bilder: Felix Wenzel)


Es entstand also ein Theater aus dem nichts. Das benötigte neben einem Raum auch ein Ensemble - und das mitten in einer Pandemie. Wie plant man das? Wie geht man da vor? „Es passierte eigentlich alles zeitgleich“, erinnert sich Clara. „Mathilda war schon in Gesprächen mit Michael Hagemeister, der damals mit Raum auf Zeit an den Start ging. Wir waren seine ersten Klienten.“ Gleichzeitig haben die beiden ihre vielen Kontakte am Theater genutzt: „Wir haben viel rumtelefoniert, mit Darsteller:innen aller Sparten, und haben gefragt: Wer hat Bock?“, schildert Mathilda das Verfahren. „Die Resonanz war großartig, weil alle in derselben Situation waren und ratlos zuhause saßen.“


Das Format war nicht nur für das Publikum spannend, sondern auch für die Beteiligten. Jeder Akteur konnte sich ein Programm zwischen drei und sieben Minuten überlegen. Darüber hinaus gab es nur eine große Regel: „Wir wollten sicher sein, dass es unter allen Umständen möglich ist, zu öffnen“, erklärt Clara die Prämisse. Daher war der „Saal“ von der Bühne durch eine Scheibe getrennt. Dass jemand vom Kulturschnack schon mal in einer Peepshow war, ist nur ein Gerücht. Aber wenn es so gewesen wäre, hätte man sich vielleicht daran erinnert gefühlt. Der Vorteil: es konnte keine Situation geben, in der dieses Format untersagt worden wäre. Alleinsein war immer erlaubt.



Clara Kaiser und Mathilda Kochan auf Stühlen sitzend


Wer die drei Projekte der LOGE besucht hat – oder auch nur über sie liest – erkennt als zentrales Thema die Vereinzelung des Publikums. Bei allen Projekten bleibt man mit seinen Empfindungen weitgehend allein, die Kulturerfahrung wird zum Selbstexperiment. „Ich habe schon während des Studiums an dem Thema gearbeitet“, blickt Clara zurück. „In meiner Bachelorarbeit habe ich das ausprobiert, damals aber noch mit zwei Personen.“ Danach lag das Thema zwar einige Jahre brach, unterschwellig war es aber immer präsent. Corona gab dann schließlich den entscheidenden Impuls.

„Gemeinsam haben die Projekte auch die Wahrnehmungsveränderung“, berichtet Mathilda. „Mich interessiert, wie die Menschen, die skeptisch in eines unserer Projekte gehen, danach wieder rauskommen.“ Achtung, Spoiler: In der Regel hat sich etwas verändert. „Im Grunde ist es immer so, dass man alleine konfrontiert ist mit einer Situation, die man sonst teilt“, fasst Clara das Prinzip zusammen.


„Dazu gehörten auch immer ein paar Unklarheiten und Unsicherheiten. Man hat sich nie ganz sicher gefühlt. Man wusste nie: was passiert hier? Muss ich mitmachen? Das ist vielleicht die größte Angst der Menschheit.“

Ein großartiges Experiment, das eine bewusste Selbsterfahrung ermöglicht, die sich sonst nicht bietet. Man bekommt die Gelegenheit, grundsätzliche Fragen zu stellen – über sich selbst und die eigene Rolle, das eigene Verhalten. Man hat die Möglichkeit, vermeintlich alltägliche Dinge anders zu senken und anders wahrzunehmen und die Frage zu stellen: Warum fühle ich so, warum agiere ich so? Das kann Kultur – und das kann der Alltag nicht. Dankbar sind die beiden in diesem Zusammenhang für die Förderung aus dem städtischen MachWerk Fonds. „Durch diese Finanzierung kann die Kunst unabhängig und frei sein und kann sogar konträr zu dem agieren, was sich gerade gut verkauft, wie Mathilda erklärt. Die Projekte der LOGE reißen ihre Besucher:innen aus dem Alltag und entkoppeln sie von dem, was draußen vor der Tür geschieht. So entsteht Raum für Gedanken und Gefühle, die wir normalerweise nicht zulassen: „Wir wünschen uns alle die große Freiheit, aber wir nehmen sie uns nicht“, resümierte Mathilda. In der Regel nicht mal die kleine. Doch dafür gibt es nun die LOGE.



Auch für die beteiligten Künstler:innen war die Loge eine intime Erfahrung. Zwar gab es besagte Scheibe, sie sahen jedoch durchaus das Augenpaar des Gastes - ohne zu wissen, zu wem es gehört. Ein Unterschied zu den ansonsten großen, bisweilen anonymen Mengen in den Theaterhäusern.


Insgesamt lockte dieses Format über tausend Personen in den kleinen Raum in der Kurwickstraße. Was in diesem Fall nicht nur gleichbedeutend ist mit tausend Aufführungen, sondern auch mit tausend verschiedenen Stücken: „Nie war etwas gleich. Alles wurde immer variiert“, erklärt Mathilda. „Das heißt: Keine zwei Personen haben dasselbe Stück gesehen, es konnte keinen Austausch über das Gesehene geben, nur über die Erfahrung.“ Das war sozusagen die Steigerung bzw. Spitze der Vereinzelung: Das Erlebnis geschah nicht nur allein, es war auch einmalig.


Gruppenbild von der Premiere aus der Vogelperspektive
Gruppenbild mit Schnacker: Nach der Premiere sollten hunderte Vorstellungen folgen. (Bild: Felix Wenzel)

Auf klassische Werbung hat die LOGE übrigens verzichtet, die Menschen wurden direkt vor dem Saal angesprochen. Keine leichte Aufgabe in der „Konsummaschine Innenstadt“. Doch die Idee setzte sich durch, viele kamen sogar mehrmals, um verschiedene Künstler:innen zu sehen - oder auch mehrfach dieselben, aber mit anderen Performances. „Viele waren dankbar und in gewisser Weise sogar transformiert, weil sie nach der ersten Überwindung die Kultur in der City als große Bereicherung wahrgenommen haben“, beschreibt Mathilda die Reaktionen des Publikums. Was das angeht, hat Clara sogar einen Traum:


„Ob ich in der Stadt ein T-Shirt kaufe oder eine Kulturveranstaltung besuche, das sollte die gleiche kleine Hemmschwelle und die gleiche Selbstverständlichkeit haben. Beides sollte gleich einfach, ohne größere Vorbereitung möglich sein.“

So war es zumindest bei „Killing Loneliness“: Man musste nichts wissen und nichts mitbringen, sondern sich einfach nur drei Minuten darauf einlassen, anstatt auf seinen üblichen Pfaden zu bleiben. „Eine reine Kopfsache“, weiß Clara. Bei der spontanen Begegnung mit Kultur sollte es okay sein, kein Vorwissen zu haben und eventuell auch kein Verständnis für die Materie. Die Begegnung allein sei schon wertvoll, egal wie die Meinung am Ende ausfällt. Und dafür ist die Innenstadt – also der öffentliche Raum - ein idealer Ort, die LOGE gleich bei ihrer Premiere zeigte.



 


KAPITEL 2: FÜRCHTET EUCH NICHT!


Szene aus "Fürchtet euch nicht!": Countertenor Nicholas Tamagna
Atmosphärisch, bewegend, beklemmend: der Countertenor Nicholas Tamagna in vollem Ornat. (Bild: Stephan Walzl)

Auch das zweite Projekt der LOGE fand in der Fußgängerzone statt, genauer gesagt in der Baumgartenstraße. Dort war alles eine Nummer größer als bei „Killing Loneliness“, denn es handelte sich dieses Mal nicht um einen Miniatur-Theatersaal, sondern um eine begehbare Installation. „Dort gab es zwar auch einzelne Stationen mit Performances“, beschreibt Clara den Aufbau. „Die Leute konnten dieses Mal aber durch die Tür gehen und den Raum selbst erkunden.“ Was auch nötig war, um die Installation in ihrer gesamten Wirkung zu erfassen. Aber dazu gleich mehr.


Zunächst stand das Duo hier vor einem ähnlichen Problem wie in der Kurwickstraße. Auch die Baumgartenstraße gehört nicht zu den 1A-Lagen, wie es Makler:innen formulieren würden. „Es ist eine Durchgangsstraße. Es kommen zwar Menschen vorbei, aber sie schauen kaum nach Links oder Rechts und wollen eigentlich nur schnell ans andere Ende des „Tunnels“, beschreibt Clara den Effekt. Die Aufgabe war auch hier, die Menschen aus ihren Spuren zu reißen und in die Ausstellung zu locken. Der Erfolg variierte. Diejenigen, die sich schließlich darauf eingelassen haben, hätten das aber nie bereut. Eigentlich seien alle geläutert herausgekommen, erinnert sich Mathilda zurück.


Neun Bilder, eine Stimmungslage: Fürchtet euch nicht! (Bilder: Stephan Walzl)


Kein Wunder: es war eine intensive Erfahrung. Das Gebäude gehört zu den ältesten der Stadt und überstand sogar den großen Brand von 1676. Im Gegensatz zum Degodehaus am Rathaus genießt es allerdings keinerlei Aufmerksamkeit. Im doppelten Sinne: weder kennen die Menschen dieses alte Haus, noch wird es besonders gepflegt. Im Gegenteil: Es wirkt, als könne es jederzeit über den Besucher:innen zusammenbrechen können, so schief sind die alten Wände inzwischen. Der Vorteil daran: Die Gemäuer wurden nicht zuletzt wegen ihrer Beschaffenheit zu elementaren Bestandteilen der Installation. So konnte die LOGE mit „Fürchtet euch nicht!“ Site Specific Art erschaffen – also Kunst, die in einem direkten, engen Bezug zur Umgebung steht, sie aufnimmt, integriert, thematisiert.


„Das Konzept war eigentlich vor dem Raum da“, denkt Clara zurück. „Geplant war ursprünglich ein richtig trashiger Weihnachtsmarkt namens LAMETTA, als Reaktion darauf, dass keiner stattfinden konnte.“ An dieser Stelle wird wieder einmal klar: Die LOGE lässt sich so schnell nichts verbieten. Wenn es was nicht möglich erscheint, dann machen Clara und Mathilda es trotzdem – oder erst recht!


Dennoch verschob sich das Projekt aus verschiedenen Gründen bis in den Juni. Kein guter Zeitpunkt für Weihnachtswahnsinn. Doch schon zuvor hatte sich das Programm immer weiter verändert, nachdem die LOGE das Gebäude entdeckt hatte. Der Trash-Gedanke blieb zwar irgendwo im Hinterkopf verankert, das Ergebnis sollte letztlich aber vollkommen anders aussehen. „Der Prozess ist etwas schwierig zu erklären“, gibt Mathilda zu. „Der Spaß-Faktor blieb, als hätten wir etwas ganz Banales gemacht. Inhaltlich wurde die Ausstellung aber meditativer, sakraler, philosophischer.“


Installation aus "Fürchtet euch nicht" mit zerbrochenen Spiegeln
Meta-Ebenen: Gespiegelte Spiegel - und der Rest der Welt ganz nah dran. (Bild: Stephan Walzl)

Wer das Gebäude kennt, ahnt bereits, dass diese Veränderung damit zu tun hat. „Wir haben gewissermaßen mit der Atmosphäre des alten Hauses gespielt“, erklärt die Regisseurin.


„Das ist ein uraltes Fachwerkhaus, es roch sehr modrig, im Keller gibt es sogar ein Gewölbe. Irgendwann haben wir etwas Kirchliches damit verbunden.“

Die Räume boten die Inspiration zu verschiedenen künstlerischen Experimenten, die allesamt das Sein, die Vergänglichkeit und den Tod zum Thema hatten: Ein Countertenor als Priester verkleidet, der sphärisch durch die Räume wandelt. Ein Meer aus gebrochenen Spiegeln im Kellergewölbe. Absurde, abstrakte Improvisationen eines alten Harmoniums. Ein entfremdet bemalter Beichtstuhl, in dem die Betrachter:innen selbst zu Beichtvätern (oder -müttern) wurden. Im Obergeschoss ein alter Sessel, der symbolisch für Abwesenheit, Verlust und Tod steht.


„Das war schon heavy“, ist sich Mathilda bewusst. „Trotzdem hatten wir immer das Gefühl, dass die Begehung die Leute belebt.“ Und tatsächlich: Die LOGE hat mit „Fürchtet euch nicht!“ eine Welt für sich geschaffen, die ihre Besucher:innen bewegte. „Es gab kaum Leute, die nur kurz in der Ausstellung waren. Alle haben sich sehr intensiv damit beschäftigt“, erinnert sich Clara. „Viele haben sich richtig reinziehen lassen.“ Eine solche begehbare Installation irgendwo auf der Welt? Klasse! Aber in jenem betagten Gemäuer, umgeben vom Konsumtempel Innenstadt, mitten im Hochsommer? Genial, fantastisch, begeisternd.



 


KAPITEL 3: DIE TANZSTELLE


Eine ehemalige Tankstelle als Einpersonendisco.
Erst Autoteile, dann Tanzbeine: Hier entlang ging's zur Tanzfläche für eine Person. (Bild: Die LOGE)

Das dritte Projekt ließ danach nicht lange auf sich warten. An einem langen Wochenende im September realisierte die LOGE die „Tanzstelle“ in der Kaiserstraße. Dabei ist schon das Wortspiel im Titel genial: Denn bei diesem Projekt verwandelten Clara und Mathilda eine ehemalige Avia-Tankstelle, die längst aufgegeben wurde, in eine Diskothek für eine Person: Eingang durch die ehemalige Waschstraße, Abtanzen in den alten Verkaufsräumen. Dabei war alles stilecht mit viel Liebe zum Detail ausgestattet: Coole Beleuchtung, dicker Sound und – natürlich – gute DJs.


„Es war strikt verboten, zu zweit zu tanzen“, erklärt Mathilda, um dann lachend zu ergänzen: „Höchstens nach 22 Uhr. Da sind dann irgendwann die Hemmschwellen gefallen.“ Hier gab es eine leichte Abwandlung der bisherigen Versuchsanordnung. Bei den ersten beiden Projekten ging es darum, ein Kulturereignis allein zu erleben, ohne sich direkt auszutauschen zu können. Bei der Tanzstelle hingegen wurde ein Ereignis, das sonst ein sehr kollektives Erlebnis ist und stark von der Gemeinschaft lebt, auf eine Person beschränkt und damit seines Wesenskerns beraubt.


Beim Tanzen ist man zusammen, sieht sich an, berührt sich vielleicht, manche verlieben sich sogar. Hier ist das Alleinsein ein maximaler Kontrast zu unseren Gewohnheiten. Clara sieht zwar durchaus Parallelen zu „Killing Loneliness“, da man normalerweise auch im Theatersaal mit vielen anderen Personen zusammensitzt. Doch die Tanzstelle sollte den Gedanken noch auf die Spitze treiben.


Stimmungsvoll: Nicht zuletzt die Beleuchtung machte aus dem Zweckbau einen Club. (Bilder: Die LOGE)


Tatsächlich reagierten die Menschen höchst unterschiedlich auf diese Isolation. Manche feierten sich und die Gelegenheit nach Herzenslust ab und wollten die Einpersonendisco gar nicht wieder verlassen. Schließlich hatten die Clubs zu diesem Zeitpunkt seit Ewigkeiten geschlossen (und das sollte auch noch monatelang so leiben). Anderen wiederum fehlte der Kontakt zu Gleichgesinnten total. Sie konnten das Abtanzen allein nicht so genießen wie erhofft und waren vergleichsweise schnell wieder draußen. Aber Enttäuschung? War ihnen nicht anzusehen. Alle waren glücklich, bei diesem Experiment dabeizusein und zu erfahren, wie sich das anfühlt: endlich wieder tanzen zu können!


Aber was treibt Clara und Mathilda an, dass sie all den Aufwand in Kauf nehmen, der in Projekten wie der Tanzstelle steckt? „Wir bekommen natürlich eine kleine Gage“, erklärt Mathilda. Der Beweggrund sei das aber nicht, wie sie schmunzelnd ergänzt:


„Wir bezahlen uns nicht besonders gut. Es gibt im Prozess nämlich immer wieder weitere Ideen, die man unbedingt umsetzen will. Die Kosten dafür ziehen wir bei uns ab.“

Bei den beiden ist eine hohe intrinsische Motivation zu spüren, eine große Lust, Ideen wahr werden zu lassen. „Mir reicht es aus, dass ich das machen kann, ohne dass ich gleichzeitig noch was anderes machen muss“, erklärt Clara ihre Haltung dazu. Es geht also um Möglichkeiten statt Moneten. Dazu passt eine Definition für Künstler:innen, die besagt: das sind Menschen, die das machen müssen. Aus tiefster innerer Überzeugung. Mit Blick auf Clara und Mathilda muss man eindeutig sagen: Absolut zutreffend.



 


KAPITEL 4: GEPLANT SPONTAN


Ein Auge ist durch ein Loch in einem unbekannten Objekt zu sehen
Gespannter Blick in die Zukunft: Bei der LOGE geht es auch im Jahr 2022 weiter. (Bild: Stephan Walzl)

Die bisherigen Projekte der LOGE waren experimentell, gewagt, provokant - und trotzdem (oder gerade deswegen) sehr erfolgreich. Ein großes Problem gab es aber immer und gibt es weiterhin: die Zeit. Die ersten Projekte fanden während der Corona-Lockdowns statt. Zwar gab es im Staatstheater damals durchaus einen gewissen Betrieb, die Freiräume waren aber größer als sonst. Dadurch entstanden Gelegenheiten, Projektideen zu ersinnen und zu entwickeln. Das sieht während der Probephase für den „Ring des Nibelungen“ deutlich anders aus. Der Normalbetrieb am Staatstheater ist natürlich ein Segen, doch er nimmt Freiräume für die LOGE.


Doch zum Glück waren Clara und Mathilda vorausschauend: Rechtzeitig vor dem „Ring“ – Ende letzten Jahres – wurde ein neues Projekt für den Spätsommer entwickelt und die entsprechenden Förderanträge gestellt. Das heißt: wir dürfen uns auf das vierte Kapitel der LOGE freuen und auf einige bekannte Elemente: „Die Reduzierung auf eine Person, die Site Specific Art in einem Gebäude, die Wahrnehmungs-Veränderung bei den Zuschauer:innen – das sind die Geschichten, die uns interessieren. Das ist uns ganz klar geworden“, weiß Mathilda um die Stärken ihres Ansatzes. „Das wird wieder auftauchen.“


Auf- oder Umbauarbeiten mit Clara Kaiser und Mathilda Kochan
Immer was zu tun: Clara und Mathilda. (Bild: Felix Wenzel)

Es gibt eine konkrete Idee, die Suche nach Räumen wird in den kommenden Monaten aber weitergehen. „Es soll alles ganz spontan sein“, blickt Clara voraus. In der Baumgartenstraße gab es einen sehr langen Aufbau, jetzt soll das Gegenteil der Fall sein: „Wenn sich ein Leerstand anbietet, sollen die Projekte ad hoc entwickelt werden, als Reaktion auf die jeweilige Umgebung.“ Eine künstlerische Sackgasse befürchten die beiden dabei nicht. „Wir sehen das gar nicht so streng. Niemand sagt uns, dass wir das so machen müssen“, erklärt Clara. „Wir haben weiterhin alles Freiheiten und brechen das jetzt schon hier und da auf.“


Ein One-Trick-Pony ist die LOGE also keineswegs. „Uns interessiert das Thema Vereinzelung einfach“, ergänzt Mathilda. „Deshalb machen wir das, nicht weil es erwartet wird.“ Die beiden genießen - und nutzen - die Freiheiten, die man zum Beispiel im Staatstheater nicht haben kann:


„Wir produzieren nichts im Vorfeld, wir arbeiten vor Ort. Wir schreiben keine fertigen Stücke, alles entsteht im Prozess.“

Diese Arbeitsweise kommt auch Clara entgegen. „Das Bühnenbild bei einer Oper muss eigentlich ein Jahr vor der Premiere fertig sein. Da hat alles einen großen Vorlauf“, vergleicht sie. „Eigentlich bin ich aber chaotisch und arbeiten gerne im Moment. Unsere Projekte mit der LOGE machen das möglich.“


Gut ist, dass es beides gibt: Das eher Formale der Institution und das Unkonventionelle des Projekts. Und wo wir schon beim Thema sind: Gut, dass es die LOGE gibt. Sie ist eine klare Bereicherung für Oldenburg – und vor allem: für die Oldenburger:innen. Es geht bei ihren Projekten nicht nur um Kulturgenuss, sondern auch um die Selbstreflexion und Horizonterweiterung. Dass sich beides derart gelungen kombinieren lässt, dass man also eine Form des Genusses hat, gleichzeitig aber sich selbst in den Kontexten neu einordnet und hinterfragt, das ist eine herausragende Qualität der LOGE. Zwar ist dieses Prinzip generell tief in der Kultur verankert. Die Projekte von Clara Kaiser und Mathilda Kochan treiben aber vieles auf die Spitze und machen die Erfahrung umso intensiver. Im Spätsommer geht es weiter. Seid unbedingt dabei – immer in der ersten Reihe!




* Bilder, sowie nicht anders gekennzeichnet: Die LOGE



 


Jeder Podcast-Gast darf bei uns einen Song zu unserer Playlist Die Mische beisteuern. Mathilda hat sich „Veridis Quo“ von Darf Punkt ausgesucht, Clara „So Says I“ von The Shins. Wie die Songs klingen? Hört ihr hier:






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