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DREI TAGE METROPOLE

Klare Sache: Urban Art ist ein großes Ding. Wer durch die großen Metropolen dieser Welt schlendert, entdeckt sie beinahe überall - mal winzig klein, mal gigantisch groß, immer spannend und bereichernd, manchmal provozierend. Aber was ist eigentlich mit kleineren Städten? Werden sie zur subkulturellen Diaspora? Oder ist es ganz anders?


Urbaner wird's nicht: Der Bahndamm am Bundesbahnweg ist perfekt für diesen Anlass (Bild: IfV e.V.)

„Ich mache einfach einen Fashion Blog und laufe dann mit meiner Spiegelreflex durch Friedrichshain und mache Fotos von Street Art und interessanten Leuten, Hauptsache hier in Berlin!“

Vor ein paar Jahren haben Kraftklub die Urban / Street Art noch eindeutig in der Haupstadt verortet, und das vollkommen zurecht. Inzwischen hat sich jedoch einiges verändert: Street Art ist zu einem landesweiten Phänomen geworden. Sie ist auch in der vermeintlichen Provinz angekommen, sogar in „Böblingen bei Stuttgart (uncool!)“. Trotzdem muss man feststellen, dass die Metropolen in Sachen Qualität und Quantität weiterhin die Nase vorn haben. Oder?



Keine Frage der Größe


Nicht unbedingt. Klar ist dort das Reservoir an talentierten Street Art Künstler:innen in Berlin größer als in Cloppenburg oder Soltau-Fallingsbostel. Das schlägt sich auch in Anzahl und Gestaltung der Werke nieder. Dass man als eine kleinere Großstadt aber durchaus Akzente setzen kann, die auch einer Hauptstadt würdig wären, zeigt sich im August in Oldenburg: mit dem MEMUR Urban Art Festival.


 


12. BIS 14. AUGUST 10 BIS 20 UHR

UMSONST & DRAUSSEN LIVE URBAN ART, WORKSHOPS, VORTRÄGE, STREET PHOTOGRAPHY, STREET FOOD

BUNDESBAHNWEG / KULTURHALLE AM PFERDEMARKT 26122 OLDENBURG


 

Dafür haben sich die Veranstalter:innen vom Institut für Verknüpfung e.V. eines der urbansten Areale Oldenburgs ausgesucht - das gleichzeitig vollkommen unbekannt und unbeachtet war, also ein wahrer „Hidden Treasure“. Es handelt sich um den Bundesbahnweg, dessen zweckmäßiger Name seine bisherige Nutzung gut widerspiegelt: Es ist ein funktionaler Weg entlang des Bahndamms vom Pferdemarkt zum Hauptbahnhof - noch dazu auf der rückwärtigen Seite eines großes Bürokomplexes. Man könnte sagen: unschön. Oder: urban. Denn in Sachen Zentralität ist er genauso wenig zu schlagen wir in Sachen Zukunftsperspektive. Denn hier befinden sich 250 Meter Betonwand - eine ideale Grundlage für eine Wall of Fame.

WALL OF FAME


Dabei handelt es sich um eine Wand, die nicht einfach mit jedem x-beleibighen Tag bemalt werden darf. Sie ist inoffiziell reserviert für aufwändigere Kunstwerke. Die haben zwar auch ein Verfallsdatum, so wie es bei fast allen Spielarten der Urban Art der Fall ist. Die Vergänglichkeit ist Teil des Prinzips. Jedoch gibt es die ungeschriebene Regel, dass man ein bestehendes Werk nicht mit etwas übermalen darf, dass nur geringeren Ansprüchen genügt. Sonst gibt's Beef!


Mehr zum Graffiti-Slang, zur Urban Art in Oldenburg und natürlich zum Festival selbst hört ihr in unserer neuen Podcast-Folge mit Renke Harms und Sebastian von Zeberg vom Institut für Verknüpfung.





Urban Art Allstars


Die Idee zu diesem Projekt tragen die Macher:innen - Renke Harms, Pia Wienholt und Sebastian von Zeberg - schon länger mit sich herum. „Bestimmt schon seit 2018“, erinnert sich Renke. Doch wer etwas in so einer Größenordnung realisieren will, braucht neben der nötigen Kreativität auch Willensstärke, Ausdauer - und Geld. So wurde bereits 2020 über den städtischen MACH|WERK-Fonds die Konzeption gefördert. Durch die Pandemie verschob sich die Realisierung jedoch bis in diesen Sommer, Ein Nebenprodukt der Verzögerung: Das Konzert wurde immer ausgefeilter, die Gäste immer internationaler.


„Wir haben Leute aus den USA, Brasilien und Australien dabei, auch aus Belgien und Bulgarien“, fasst Sebastian das Line-up zusammen. Und ergänzt: „Daneben sind aber auch Leute aus Berlin dabei und viele regionale Künstler:innen. Das ist die perfekte Mischung!“ Und die Künstlerinnen verewigen sich jetzt alle an der neuen Wall of Fame aka Bundesbahnweg? „Ja, genau. Alle haben sich auf Basis unserer Vorgaben Gedanken zum Motiv gemacht - und das setzen sie dann live hier in Oldenburg um“, erzählt Renke. Die Besucher:innen sind also live dabei, wenn die Expertinnen zur Spraydose - oder zum Mittel der Wahl - greifen. Aber Moment Mal: Vorgaben? Gedanken zum Motiv? Was hat es denn damit auf sich?


DAS EINZIGARTIGE #1


Schon das Vorhandensein einer Wall of Fame ist für eine Stadt der Größe Oldenburgs alles andere als selbstverständlich. In so zentraler Lage wie am Bundesbahnweg erst Recht. Aber es kommt sogar noch etwas dazu: Ein roter Faden beim Inhalt.


Blick zurück: Es war einiges los! (Montage: IfV e.V.)

Anders als üblich gestalten die Künstler:innen ihr Werk nicht völlig unabhängig nach eigenen Vorstellungen, sondern anhand eines Leitthemas: Gegenstand der Kunstwerke sollen Ereignisse sein, die in den letzten zwölf Monaten stattgefunden haben. Ob Weltpolitik oder regionale Geschehnisse, ob grausam oder wunderschön - das ist zweitrangig. Hauptsache, das Thema hatte einen Neuigkeitswert und genießt eine gewisse Bekanntheit.


Wie waren die Reaktionen darauf? „Großartig“, fasst Sebastian zusammen. „Einzelne wollten sich nicht unbedingt einschränken lassen, aber die meisten fanden es total spannend und haben sofort Ideen entwickelt. Da haben wir richtig was getriggert.“


Der Effekt dieses Formats: Wir können Zeitgeschichte aus einem künstlerischen Blickwinkel erneut erleben. Wir können uns zurückerinnern, wir können uns neu positionieren, wir können aber auch Facetten entdecken, die uns vorher gar nicht aufgefallen sind. Die Open Air Galerie wird so zu einem Open Air Museum für Zeitgeschichte - passenderweise mit den Mitteln der Gegenwart. Man könnte auch sagen: eine ziemlich coole Erweiterung des benachbarten Stadtmuseums. Auf jeden Fall: Urban Art at ist best.


It's a Festival!


Mal ehrlich: Live dabei zu sein, wenn internationale Szenegrößen ihre neusten Werke an eine kolossal große Wand sprühen, und zwar nicht irgendwo auf der Welt, sondern mitten in Oldenburg: Das klingt schon spektakulär gut. Schließlich ist Urban Art längst zu einer kulturellen - aber auch touristischen - Attraktion geworden, die Großstädte auf eine überaus spannende Art ergänzt und bereichert.

Aber das ist längt nicht alles. Denn Festival bedeutet: Festival! Und das wiederum bringt ein (Rahmen-)Programm mit sich, das sich sehen lassen kann. Zwar gibt es bei MEMUR keine Bühnen - aber dafür wird der Bundesbahnweg selbst zu einer einzigen großen Bühne.


Das kommt Vorfreude auf: Werke der beteiligten Künstler:innen (Bilder: IfV e.V.)



„Wir haben natürlich Street Food Stände dabei, man kann also entspannt essen und trinken, während man zuschaut, wie die Werke wachsen“, berichtet Renke. „Außerdem haben wir natürlich Workshops im Angebot. Wer über sechs Jahre alt ist, kann unter Anleitung selbst zur Dose greifen.“ Und sich direkt von den ganz Großen was abgucken. Wer weiß: Vielleicht ist schon jemand dabei, der irgendwann selbst etwas zur Wall of Fame beiträgt?


Nahtlos ist der Übergang von der Urban Art zur Street Photography. Sie ist entweder selbst eine urbane Kunst oder sie bildet diese in der ihr eigenen Bildsprache ab. Denn aufgepasst: Street Photography ist sehr viel mehr als Fotografie auf der Straße. Was genau, kann man ebenfalls im Rahmen des MEMUR Festivals erleben, denn es wird dazu eine große Ausstellung geben. Und zwar nicht von irgendwem, sondern von einer Legende.


DAS EINZIGARTIGE #2



Absolute Expertinnen: Martha Cooper und Nika Kramer (Bild: IfV e.V.)

Wer irgendwann mal irgendwo Bilder aus dem New York der 80er Jahre gesehen hat, die uns von der Entstehung der Graffiti- und Hip Hop Kultur erzählen oder einfach nur das Street Life in Harlem und Co abbilden, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Bilder von Martha Cooper gesehen.


Die Fotografin ist eine lebende Legende, was Street Photography angeht. Sie war Chronistin einer der größten Kultur-Bewegungen aller Zeiten. Dass klingt vielleicht übertrieben, aber es ist durchaus angemessen - denn weder Graffiti noch Hip Hop sind aus der Gegenwart wegzudenken. Beides ist gekommen, um zu bleiben. Und Martha war hautnah dabei. Ihre Fotografien bilden dabei längst nicht nur Künstler:innen und ihre Werke ab. Sie erzählen Geschichten über People, Neighborhoods, Communitys, Bouroughs. Martha Cooper bildet das Leben ab, wie es war, bevor es wurde, wie es ist. Und zwar: In kleinen, echten, authentischen Szenen, nicht in großen Schwüngen.


Dass es dem Institut für Verknüpfung gelungen ist, sie nach Oldenburg zu holen, ist - gelinde gesagt - der Hammer. Eine wichtige Rolle spielte dabei Nika Kramer, in Deutschland selbst eine große Bekanntheit innerhalb der Street Photography Szene. Ihre Werke sind ebenso sehenswert wie jene von Cooper, auch wenn - oder gerade weil! - sie von anderen Zeiten und Orten erzählen. Versäumt es nicht, die Ausstellung anzusehen - und vor allem, ihren Vortrag anzuhören. Mehr Street Cred geht nicht!


Unbedingt hingehen!


Ob Urban Art-Enthusiast oder nicht, ob Experte oder Novize, ob jung oder nicht mehr ganz so jung: spielt alles keine Rolle, am Wochenende vom 12. bis 14. August ist der Bundesbahnweg der Place to be. Taucht ein in die spannende Welt der Straßenkunst und entdeckt, warum sie in aller Welt so angesagt ist.


Auch in Oldenburg längst angekommen: Urban Art. Hier das Mural „Puppy Love“ von OKUDA, das in Zusammenhang zum Internationalen Filmfest 2020 entstand (Bild: Nika Kramer)

Zwar könnte ihr in Oldenburg auch danach die Kunstwerke bewundern und die neue Open Air Galerie 24/7 durchqueren. Aber glaubt uns: Mit dem Kontext des Entstehens ist die Erfahrung in Zukunft viel mehr wert. Denn nur so wird dass Sehen zum Erleben.


Es ist zwar richtig, dass Urban Art nicht mehr nur in den großen Metropolen stattfindet und dass sie angekommen ist in Böblingen bei Stuttgart (uncool!) und in Oldenburg. Und das ist gut so! Aber: Dabei zu sein, wenn ein Kunstwerk dieser Größe entsteht, mit einem so starken Line-up an internationalen Künstler:innen und einem so starken Rahmenprogramm - das gibt es in einer Stadt wie Oldenburg (vorerst) nur einmal! Deshalb: Unbedingt hingehen!


 

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