DRAG = KULTUR
- kulturschnack
- vor 3 Tagen
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Hinter jeder Menge Glitzer und Glamour, verbirgt sich Kultur in all ihren schönsten Facetten: kreativ, überraschend, eindrucksvoll sowie mit jeder Menge Humor und Haltung ausgestattet, fügt sich das Genre nahtlos und bereichernd in Kunst- und Ausstellungskontexte, wie hier in Oldenburg bereits zu erleben war. Nun steht die nächste Gelegenheit bereits unmittelbar vor der Tür. Was es zu erleben gibt, das lest ihr hier bei uns.

Mehr Kultur geht nicht! Laut einer Legende schrieb William Shakespeare, eine der berühmtesten und bedeutendsten Figuren der Theaterwelt, an den Rand seiner Bühnenanweisungen immer dann den Begriff Drag, wenn ein Mann als Frau verkleidet auftreten sollte. Wir hätten es in diesem Fall also gar nicht mit einer Referenz an das englische "to drag", sondern mit einem Akronym zu tun, bei dem jeder Buchstabe für ein eigenes Wort steht: "Dressed Resembling A Girl". Ob diese Legende nun am Ende der Wahrheit entspricht, können wir an dieser Stelle natürlich nicht mit letztgültiger Gewissheit bestätigen - Herr Shakespeare stand für Rückfragen aktuell nicht zur Verfügung - doch passen würde sie ganz wunderbar.

Denn Kultur und Drag, das geht Hand in Hand. "Für mich ist es sehr wichtig, klarzustellen, dass es dabei weder um die sexuelle Orientierung, noch um Geschlechterfragen geht: Drag ist eine Art der Performance, die von jedem Menschen praktiziert werden kann", erzählt uns hierzu Timo Willen vom White Rabbit Kollektiv, das bereits 2023 mit dem vom Mach:Werk geförderten Projekt "Dress:Code" (wir berichteten) Drag Elemente völlig selbstverständlich in einen Mix aus Kunst, Performance und Fashion integrierte. "Wir konstruierten [unter anderem] eine Runway-Show rund um die Themen Kleidung, Geschlecht und Identität. Themen, die auch Teil der Drag-Szene sind. Einige Zeit zuvor hatte mein bester Freund Deeon damit begonnen, in Berlin zu performen und das junge Drag-Kollektiv Duct Tape gegründet. So schien es uns nur logisch, für diese Show zu kooperieren und wir luden Deeon und Magda von Pfeffer, ebenfalls Teil von Duct Tape, zu uns nach Oldenburg ein."
Präsenz zeigen
Das Oldenburger Publikum reagierte auf das Projekt und im speziellen die Kooperation mit spürbarem Interesse, weshalb sich das Kollektiv bereits im Folgejahr dazu motiviert sah, eine eigenständige und womöglich eine der ersten wirklichen Drag-Shows in Oldenburg mit dem Titel "MASQUEERADE" auf die Beine zu stellen - erneut in Kooperation mit dem Berliner Team von Duct Tape. Zwar gebe es seiner Wahrnehmung nach im Bremer Umland (womöglich also je näher man sich den jeweiligen Metropolregionen des Landes nähert), tendenziell mehr Anlaufstellen und Präsenzorte als in Oldenburg, so Timo. Dennoch habe auch Oldenburg seine lokalen Queens und feste Instanzen, wie beispielsweise die Oldenburger Sektion der weltweit existierenden "Sisters of Perpetual Indulgence", die mit der Hilfe von Drag- und Satire-Elementen sowie kirchlicher Symbolik für eine offene, diverse Gesellschaft einstehen und sich in der HIV- und AIDS-Prävention und weiteren Projekten engagieren. Aber auch in der jungen, queeren Szene gebe es Kollektive und Einzelpersonen, die sich der Förderung von Drag-Culture verschreiben.

Doch alle, die eine solche Show noch nie selbst besucht haben, schrecken vielleicht vor dem entscheidenden Schritt zurück dem Genre eine Chance zu geben, weil ihnen ein konkretes Bild dessen fehlt, was sie letztlich wirklich bei einem solchen Happening erwarten wird. Natürlich gebe es da die augenscheinlich als essenziell angesehenen Elemente, wie das Make-Up, die Perücken, den klassischen "Lip-Sync" oder auch die allgemeine "Over-the-Top"-Ästhetik, doch für Timo Willen persönlich sei es am Ende vor allem die Authentizität, die mehr zähle als das ganze Drumherum. Er selbst stand bei der Masqueerade sogar zum ersten mal selbst als Drag Queen Betty Bloop auf einer Bühne. "Die vier Queens haben mich direkt in die Familie aufgenommen und auch die Atmosphäre als ich Backstage 'zurechtgetüdelt' wurde war sehr ermutigend und entspannend. [...] Ich kann jedem empfehlen, mal mit Drag Queens zu arbeiten. (lacht)"
Für Timo geht es viel weniger darum, nach einer Verbindung von Drag und Kunst zu fragen, sondern die Kunstform selbst zu etablieren - so wie in der Vergangenheit jede neue Kunstform oder Strömung zunächst mit hochgezogener Augenbraue betrachtet wurde. Nur durch die Präsenz im Mainstream der Gesellschaft könne man solche Vorurteile, die meist aus fehlendem Kontakt zur Szene entstehen, letztlich brechen. Mit der Masqueerade sei das bereits gut gelungen.
Drag im Kulturzentrum PFL
Dafür ist es umso wichtiger, dass auch in Zukunft innerhalb Oldenburgs immer wieder solche Veranstaltungen stattfinden und vorherrschende Klischees tatsächlich gebrochen werden können. Und schon bald, kurz vor Weihnachten, steht die nächste Gelegenheit vor der Tür, sich selbst einen Ruck zu geben und sich dem Kosmos Drag zu öffnen. Denn vom anderen Ende Deutschlands, aus München, verwandelt Vicky Voyage für einen Abend das Kulturzentrum PFL mit ihrer "Shit Show" in einen "sanitären Safe Space", bei dem die Besucherinnen und Besucher lachen, sich ertappt fühlen, nachdenken und am Ende sagen sollen: "Wow, das habe ich so noch nicht gesehen", wie Vicky Voyage selbst erzählt.
Auch hier wird schnell klar, dass es um deutlich mehr als reines Varieté, sondern ebenso sehr um eine klare Haltung geht. Fake News und blindem Hass wird hier der Kampf angesagt und - im metaphorischen Sinne - die Toilette hinunter gespült. Denn "in den letzten Jahren ist das politisch viel drängender geworden. Der Rechtsruck, Fake News, Hetze — das alles ist real und ich kann nicht so tun, als wäre meine Glitzerblase davon unberührt. Deshalb nehme ich diese Themen mit in die „Shit Show“, aber immer so, dass das Publikum nicht gelangweilt wird, sondern mitlachen und nachdenken kann. Das ist Aktivismus, ja — aber mit Herz und einem Schmunzeln, nicht mit der Moralkeule", so Voyage. Auch bei der Wahl des Veranstaltungsortes, fiel die Wahl nicht ohne Grund auf das Kulturzentrum PFL, mitten im Herzen der Stadt, weil der Ort eben nicht das Klischee des klassischen Clubs erfüllt, sondern raus zu den Menschen geht. Das Schönste an Rückmeldung passiere dann eigentlich meist nach der Show im Foyer. "Da kommen Leute auf mich zu [...] und sagen Dinge wie 'Das hat dieser Stadt gefehlt' oder 'Danke, dass du hier ein bisschen Farbe reinbringst.' [...] Menschen, die sagen: 'Ich wusste nicht, was mich erwartet, aber ich hatte einen richtig tollen Abend.' Das sind Momente, in denen ich spüre, dass Drag auch im Kleinen etwas verändert - manchmal reicht ein Farbenklecks, der hängen bleibt", so Voyage.
Da können wir nichts als zustimmen!



