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ZWEIFACH EINMALIG

Man muss ja immer vorsichtig sein, wenn man etwas als einzigartig deklariert, das meiste ist irgendwie schon mal da gewesen. Eine doppelte Einmaligkeit dürfte dementsprechend extrem selten sein. Und es gibt sie doch: Nämlich am Freitag, den 18. November im Wilhelm13. Dann werden vier wunderbar filigrane Kunstwerke des Künstlers (und studierten Bühnenbildners) Lars Unger durch verschiedene Ensembles live vertont - in einer Mischung aus Hip Hop, Neuer Musik und Elektro. Wie das geht? Wie das klingt? Darüber haben wir uns mit dem Künstler unterhalten.


Gegenstände erzählen Geschichten: Lars Ungers Kunstwerke sind kleine Welten (Bild: Stephan Walzl)

Am Anfang steht eine große Frage: Wie beschreibt man die Werke von Lars Unger? Wer erstmals vor ihnen steht, sucht nach den richtigen Worten - aber keine scheinen so richtig zu passen. Die Installationen sind vielschichtig und hintergründig, irrlichternd und irritierend, mal monoton, mal knallbunt, aber stets mit dem Versprechen - und der Verlockung - einer Entdeckung. Sie erzählen Geschichten in einer verschlüsselten Sprache, manches legen sie offen, anderes verschweigen sie, vieles kommt uns bekannt vor, einiges bleibt unverständlich. Manchmal scheinen sie regelrecht auf eine Antwort der Betrachter:innen zu warten. Aber wie gesagt, das ist nicht so einfach. Immerhin eines ist von Anfang an klar: Da ist mehr, als man auf den ersten Blick sieht.


Das allein, diese kleinen theatralischen Kunstwelten, sind bereits spannend genug. Man kann sich tatsächlich eine Weile in den Werken des 42-jährigen Oldenburgers verlieren und entdeckt immer neue Elemente oder neue Perspektiven. Vielleicht denkt man sich sogar eine Geschichte dazu aus - oder entschlüsselt jene, die der Künstler bei der Entstehung im Kopf hatte. So war es auch bei “Fürchtet euch nicht“, wo Lars zwei Altare zur begehbaren Installation der „Loge“ beisteuerte - und so war es auch bei der „Arcade“-Installation des Duos BOSMOS, das Lars zusammen mit dem Niederländer Wilco Alkema gegründet hat. Und genau das ist es doch, was Kunst mit uns tun soll: zu Gedanken provozieren.


 

LARS UNGER „IN TOKIO IST ES STILL“

MIT: HCL ENSEMBLE, WILSON&JEFFREY, FELIX PÄTZOLD DUO, WILCO ALKEMA

FREITAG, 18. NOVEMBER, 19 UHR WILHELM13

26121 OLDENBURG RESERVIERUNG

 

Da geht noch mehr


Doch damit nicht genug. Lars hat sich entschlossen, seine künstlerischen Entwürfe auch musikalisch vertonen zu lassen. Dafür bekam er die Unterstützung des städtischen Mach|Werk-Fonds, der noch vor keinem Experiment zurückscheute - und mit dem Wilhelm13 fand er einen Ort, wer Klangexperimente eine Heimat haben. Und ein wenig experimentell dürfte es tatsächlich werden, denn Lars hat talentierte Musiker:innen um sich geschart, die alle Grenzen und Gesetzmäßigkeit der Popmusik gekonnt ignorieren.


In voller Pracht: So sieht das Tokio-Werk in voller Größe aus. (Bild: Stephan Walzl)

Eine Mischung aus Hip Hop, Neuer Musik und Elektro wird es am Ende werden. Und was sich zunächst ein wenig waghalsig anhört, wird live zu einem spektakulären Klangerlebnis. Die Kombination des visuellen Eindrucks und der akustischen Interpretation sorgt jedenfalls dafür, dass die Besucher:innen doppelt getriggert werden. Beziehungsweise: Sogar dreifach. Denn neben Kunstwerk und Musik steht ja auch noch die Interaktion von beidem. Man darf sich fragen: Erkenne ich ebenfalls, was die Musiker:innen sehen?


Wie man auf so ausgefallene und ambitionierte Ideen kommt, fragt ihr euch? Das hat viel mit Lars Selbstverständnis zu tun, „Ich sehe mich als bildender Künstler“, stellt er klar. Das habe aber zwei Ebenen: „Einerseits arbeite ich im Atelier und produziere im klassischen Sinne für Ausstellungen. Andererseits initiiere ich aber auch selber Projekte, zu denen ich andere Künstler*innen einlade.“ Und er tut das in der Gewissheit, dass solche Kollaborationen der ideale Nährboden für neue Ideen sind.


Angefangen habe er als Bühnenbildner, erzählt Lars weiter, so würde er sich aber heute nicht mehr bezeichnen. Seine Vorliebe für das genre- und medienübergreifendes Arbeiten stamme aber durchaus noch aus seiner Theaterzeit. „In Tokio ist es still“ bildet all das ab und kreiert dabei etwas vollkommen Neues. Was Lars selbst von diesem Abend erwartet? Und wie er überhaupt auf diese Idee kam? Das hat er uns im Interview verraten.



 

Lars, Bühnenbilder sind für viele Menschen rein funktional und Teil der Ausstattung. Du gehst aber einen Schritt weiter und machst – sozusagen - die Kulisse zum Kunstwerk. Sind Bühnenbilder als kreative Ausdrucksform unterschätzt?


Das Bühnenbild bzw. die gesamte Ausstattung ist ein essenzielles Element jeder Inszenierung. Es bestimmt das Setting und verortet die Handlung. Von daher spielt es eine wahnsinnig große Rolle und ist im Idealfall ein Mitspieler, genauso wie Darsteller*innen, Musik, Licht oder andere Elemente. Ich glaube schon, dass das im Allgemeinen auch wahrgenommen wird. Die Zeit, in der Kulissen bloße Illustrationen sind, ist im zeitgenössischen Theater ja lange vorbei.


Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von bekannten Beispielen für Inszenierungen, in denen der Raum / die Bühne die Hauptrolle spielt, ohne dass noch ein Mensch auftritt. Tatsache ist, dass man auch allein über den Raum etwas erzählen kann, ohne dass man auf Texte, Sprache oder Personen zurückgreifen muss. Das erweitert die erzählerischen Möglichkeiten des Theaters insgesamt, das ist großartig.


WER IST LARS UNGER?


Lars Unger studierte Bühnenbild und Freie Kunst an der Academie Minerva Groningen (NL) und an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Seine künstlerische Arbeit umfasst Installationen, Performances, Assemblagen und Objekte.


Portrait des Oldenburger Künstlers Lars Unger
Voller Vorfreude? Der Oldenburger Künstler Lars Unger hat gute Laune. (Bild: Lars Unger)

Als Bühnenbildner wirkte er an Tanz- und Theaterproduktionen sowie an diversen experimentellen Formaten im In- und Ausland mit. Er war u.a. tätig an der Deutschen Oper Berlin, auf Kampnagel Hamburg und bei Cirkus Cirkör in Stockholm.


Er ist Gründer der deutsch-niederländischen Künstlergruppe BOSMOS, die seit 2008 Aufführungen und Ausstellungen an den Schnittstellen von Bildender Kunst, Popkonzert und Musiktheater entwickelt. Dieses Konzept kommt ohne Darsteller aus und stellt stattdessen Raum, Objekte, Licht und Musik in den Mittelpunkt.


Ihre Bühnenarbeit „The Black Performance“ wurde im Frühjahr 2020 am Oldenburgischen Staatstheater uraufgeführt. 2021 ist "Carousel" entstanden, ein begehbares Objekttheater mit Licht- und Soundobjekten, 2022 folgte „Arcade“, eine Videogame-inspirierte Installation im Teepavillon des Schlossgartens.


Ungers freie Arbeiten sind in Gruppen- und Einzelausstellungen zu sehen.


Jetzt gehst du einen Schritt weiter: Die Bühnenbilder werden vertont. Wie kam es zu dieser Idee?


Ich wollte ganz einfach den herkömmlichen Produktionsprozess des Theaters umkehren. Für gewöhnlich beginnt die Arbeit an einer Inszenierung ja mit einem bereits geschriebenen Stück oder einer schon komponierten Musik. Dann folgt ein Regiekonzept und dann irgendwann ein Bühnenbild-Entwurf. Ich wollte schauen, ob es auch anders herum geht. Dass man also erstmal das Bühnenbild entwirft und sich dann fragt, was für ein Stück oder was für eine Musik darin gespielt werden könnte. Im ersten Schritt habe ich jetzt zunächst einmal verschiedene Kompositionen zu vier Bühnenbild-Modellen in Auftrag gegeben, um von da aus zu schauen, wie es weitergehen kann.


Natürlich geht es auch darum, mit Konventionen im Theaterbetrieb zu brechen, wo in den allermeisten Fällen das Regiekonzept über allem steht. Dabei gäbe es so viele interessante und ungewohnte Herangehensweisen.


Frontansicht des Wilhelm13, Kulturort in der Stadt Oldenburg
Idyllisch, aber experimentell: Im Wilhelm13 sind Grenzgänge möglich. (Bild: Stadt Oldenburg)

Was erwartet das Publikum? Mäandernde Klänge, auf der Suche nach einer Melodie? Oder durchaus massenkompatiblen Sound?


Es wird eine musikalische Vernissage. D.h. die vier Bühnenbild-Modelle werden ausgestellt sein, zudem werden die vier Kompositionen live aufgeführt. Wie genau das klingt, das werde ich selbst auch erst am 18. November ganz genau wissen. Bisher habe ich nur wenige Ausschnitte der Musik gehört. Ich habe aber bewusst vier ganz unterschiedliche Ensembles bzw. Musiker eingeladen, mitzuarbeiten. Es geht von Jazz über Hip Hop bis hinzu Neuer Musik und elektronischen Klängen. Dadurch wollte ich einerseits eine große musikalische Bandbreite untersuchen als auch den unterschiedlichen Umgang mit der Vorlage beobachten.


Meine einzige Vorgabe an die Ensembles war, dass sie sich in ihrer Komposition von dem Bühnenbild-Modell leiten lassen sollen. Zu welchen Klängen inspiriert uns das Modell? Wie klingt dieser Ort?


Was versprichst du dir von dem Zusammenspiel? Kann man den Klang im Kunstwerk suchen - und umgekehrt?


Genau darauf bin ich gespannt. Ob man den visuellen Eindruck der bildnerischen Vorlage in irgendeiner Form im Klang wiederfindet und inwiefern Musik und Bühnenbild eine Verbindung miteinander eingehen. Ich lasse mich überraschen.


Eigene Ästhetik: Lars Werke sind klar designed, bergen aber immer Überraschungen (Bilder: Stephan Walzl, Lars Unger)


Was hat denn Japan mit alledem zu tun?


Der Titel ist entstanden, als ich bei Wilson & Jeffrey im Proberaum war, um das Modell zu präsentieren. Es wurde sofort gebrainstormed und einen der Rapper hat die Arbeit offenbar an Tokio erinnert. Er sagte diesen Satz: „Tokio ist still“. Im Grunde passierte in dem Moment schon genau das, was ich mir für das Projekt gewünscht hatte, nämlich dass die Bühnenbild-Modelle Bilder und Assoziationen wecken, mit denen man musikalisch arbeiten kann. Ich selbst bin nie in Tokio gewesen, aber wenn man an so eine Mega-City denkt, hat man ja automatisch Bilder im Kopf, auch wenn die möglicherweise nicht mit der Realität übereinstimmen. Eine Inspiration für dieses Projekt war das Buch „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino. Darin erzählt Marco Polo dem alternden Kublai Khan von seinen Reisen und beschreibt in sehr kurzen Kapiteln die (fiktiven) Städte, die er besucht hat. Diese Idee habe ich aufgegriffen.


Ich habe den Ort visuell entworfen und jemand anders soll mir nun erzählen, wie er klingt.


Dein Projekt wurde von Mach|Werk gefördert. Ist so ein Förderformat für Innovation wichtig, um Experimente zu wagen?


Definitiv! Mein Projekt bewegt sich zwischen den Sparten und ist weder eine Theateraufführung noch ein Konzert im herkömmlichen Sinne, sondern eine Ausstellung mit Livemusik. Aber auch das trifft es nicht ganz. Von daher wäre es schwer, ein solches Projekt an einer bestehenden Institution (Theater, Galerie, Konzertsaal) unterzubringen. Also muss man selber ran und dafür braucht man Geld. Ich finde es großartig, dass MachWerk einem solche Experimente ermöglicht. Und in der experimentellen Reihe „Gehörgänge“, die regelmäßig im Wilhelm13 stattfindet, habe ich zudem einen passenden Kooperationspartner gefunden.


 

Angenehm unklar


Es gibt Kulturveranstaltungen, das weiß man, was man bekommt. In der Oper oder beim Kirchenchor ist man vor großen Überraschung weitgehend sicher. „In Tokio ist es still“ scheint das Gegenteil davon zu sein. Abgesehen vom Setting im Wilhelm13 bleibt auch nach unserem Gespärch vieles angenehm unklar. Das liegt aber nicht daran, dass Lars - anders als uns - die Worte fehlen würden - sondern daran, dass diese Offenheit Bestandteil des Kunstwerks ist. Erst live vor Ort wird klar werden, was sich aus der Versuchsanordnung ergibt. Das ist spannend und aufregend, deshalb sollte man sich das nicht entgehen lassen.


Natürlich sollte man weiterhin vorsichtig sein, wenn es darum geht, etwas als einzigartig zu beschreiben. Aber bei Lars Unger und seinen Projekten darf man diese Vokabel durchaus bemühen. Denn immer wieder findet er - oft gemeinsam mit anderen - Nischen, die bisher unentdeckt waren oder Pfade, die noch niemand gegangen ist. Das Ergebnis ist vielleicht nicht immer intuitiv zugänglich oder es macht eine treffende Beschreibung zur unlösbaren Aufgabe. Aber es provoziert uns zu Gedanken und Gefühlen; und das ist ja das, was Kunst tun soll. Und wenn - wie in diesem Fall - Lars' Kunst auf eigens kreierte Musik trifft, dann ist das tatsächlich: Zweifach einmalig.




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