Schluss, Aus, Ende! Wer sich fest vorgenommen hatte, das MEMUR Urban Art Festival zu besuchen, am Wochenende dann aber doch lieber am See war, hat unser Verständnis, aber definitiv was verpasst. Den Künstler:innen bei ihrer Arbeit und den Werken beim Entstehen zusehen zu können, war ein Erlebnis. Das ist unwiederbringlich vorbei, doch ein Trost bleibt: Oldenburg hat eine neue Open Air Urban Art Galerie!
Eine eigene Ästhetik: Die Kunst aus der Dose (Video: Kulturschnack)
Als wir unseren Vorbericht zum MEMUR Festival mit „Drei Tage Metropole“ betitelten, gab es auch Kritik. Oldenburg solle sich nicht so klein machen, hieß es. Wir seien doch viel öfter bzw. länger Metropole als nur an drei Tagen im August. So sehr wir diese Äußerung verstehen und so sehr wir die Haltung dahinter auch begrüßen: Der Titel war genau richtig. Denn damit machen wir nichts klein, damit machen wir nur etwas groß. Und das zu Recht, wie sich herausstellen sollte.
Plötzlich woanders
Wer etwa am 14. August in den Bundesbahnweg unweit des Hauptbahnhofs einbog, tauchte ein in eine andere Welt. Ringsum sommerferienleere Hauptverkehrsstraßen, ein hitzeverschlafenes Oldenburg, in dem nur noch umherrollende Präriegrasballen fehlten, um die Stille zu dokumentieren. Und dann, wie aus dem Nichts, ein knallbunter Gegensatz dazu: Großdimensionale Wandbilder in allen denkbaren Entstehungsphasen - und überall der Soundtrack der Straßenkunst. Nein, nicht der Hip Hop, auch wenn der natürlich auch zu hören war. Im Vordergrund aber: Das Klickern der Metallkugel in den Spraydosen und das Zischen der Düse beim Sprayen selbst.
Dazu gesellte sich ein Stimmengewirr aus Englisch, Portugiesisch und Norddeutsch in sämtlichen Schattierungen, eine Mischung aus fachlichem Geplänkel und laienhaftem Rätselraten, und durchweg: gute Laune, entspannte Stimmung und viel erstaunte Faszination. Überraschend war zudem die Durchmischung des Publikums. Es war keineswegs so, dass sich nur das Who-is-who der Oldenburger Subkultur getroffen hätte. Im Gegenteil: aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen waren Menschen vor Ort. Mal ganz bewusst, mal rein zufällig, aber immer beeindruckt. Warum? Das seht ihr hier:
Nicht in Worte zu fassen: Das MEMUR Urban Art Festival 2022 (Bilder: Kulturschnack)
Die Bilder zeigen übrigens nicht nur das Urban Art Festival selbst, sondern auch eine Veranstaltung weiterer Graffiti-Künstler:innen auf der gegenüberliegenden Seite des Bahndamms. Dort, an der „Hall am Pferdemarkt“, wurden vor allem Tags gesprüht, die sich genauso sehen lassen können wie die bildlicheren Motive am Bundesbahnweg. Das ist doch der Wahnsinn: Oldenburg hat plötzlich nicht nur eine Fläche mit Hall/Wall of Fame-Charakter - sondern zwei!
Ganz am Ende seht ihr übrigens zwei Bilder von den Graffiti Workshops, die vor allem bei den Kids mega ankamen. Es kann also durchaus sein, dass an diesen drei Tagen im August nicht nur der Grundstein für eine dauerhafte Galerie gelegt wurde, sondern auch für die nächste Künstler:innen-Generation.
Das Auge des Betrachters
Klar: Graffiti, Street und Urban Art sind Bereiche der Kultur, die nicht alle sofort als Kunst erkennen. Sie bleiben rau, unangepasst, provokant und das soll auch so sein. Dank der Open Air Galerie am Bundesbahnweg werden aber noch mehr Menschen begreifen, dass die Attitüde längst nicht alles ist und dass es hier sehr wohl um Kunst geht, die für alle faszinierend sein kann, nicht nur für Eingeweihte.
Sowieso ist Urban Art gekommen, um zu bleiben. Überall auf der Welt wird sie als Bereicherung begriffen, manchmal leider auch im Rahmen groß angelegter Gentrifizierungs-Prozesse. Denn die Kultur wertet in vielen Metropolen industrielle Areale auf, bevor sie dadurch zu teuer für die Künstler:innen selbst werden. Doch das spielt in Oldenburg keine Rolle, zumindest nicht am Bundesbahnweg. Hier kann man ohne schlechtes Gewissen in die Welt der Urban Art eintauchen hin und die neu entstandenen Kunstwerke genießen - und zwar auf Dauer. Insofern stimmt die Kritik an unserem Titel irgendwo doch: Weil die Werke bleiben, fühlt sich Oldenburg tatsächlich länger als nur drei Tage wie eine Metropole an.
Allerdings mit Abstrichen. Denn vorbei ist die Chance, live dabei zu sein, wenn eine Betonwand zum Kunstwerk wird. Was das angeht. heißt es: Schluss, Aus, Ende! Aber wer weiß? Vielleicht heißt es auch bald: Fortsetzung folgt. Dann titeln wir einfach wieder: Drei Tage Metropole. Weil es sich genau so anfühlt.
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