Nennen wir das Kind mal beim Namen: Die Welt geht unter. „Leider“ tut sie das aber nicht plötzlich und unerwartet, sondern ganz langsam und mit Ansage. Warum wir trotzdem nichts tun? Weil uns die Dramatik fehlt. Wir sind nicht in der Lage, die Dringlichkeit zu erfassen. Trotz aller Appelle und Alarme bleibt deshalb das meiste, wie es immer war. Vielleicht braucht es mal einen ganz anderen Ansatz als Daten und Fakten, Skalen und Statistiken, um uns unsere Lage bewusst zu machen. Zum Beispiel: Theater!
Diese Gedanken dürften auch beim Oldenburger Universitätstheater (OUT) gespielt haben, als man sich für die Realisierung des Stücks „Vor mir die Sintflut“ entschieden hat. Zwar hat Theater schon immer den Finger am Puls der Zeit gehabt. Es ist unser Seismograph, unser Spiegel, und manchmal unser Korrektiv. Auch das Thema Nachhaltigkeit findet immer wieder seinen Weg auf die Spielpläne oder wird Gegenstand der einen oder anderen Ausstellung.
Das OUT komprimiert die Klimakrise nun aber auf einen KlimaTheaterabend, in dem informiert und analysiert, aber auch postuliert und fabuliert wird. Dabei handelt das OUT nicht allein. Es kooperiert mit dem Fachdienst Klimaschutz der Stadt Oldenburg, der sich ansonsten eher nicht durch große Theatralik auszeichnet. Eine ungewöhnliche - aber durchaus vielversprechende - Zusammenarbeit.
Zeit für Panik
Tagtäglich strömen Meldungen auf uns ein, die in großer Unterschiedlichkeit letztlich alle nur dasselbe sagen: Stop! So geht's nicht weiter! Das allerdings tun diese Meldungen im Grunde schon seit 1972, als der Club of Rome die Grenzen des Wachstums unmissverständlich darstellte. So klar die Fakten zur Kliamkrise auch sind, sie scheinen uns nicht genug aufzurütteln.
Selbst Feuer und Fluten sorgen nur kurzfristig für Amplituden der Aufmerksamkeit - bevor wir uns wieder von unseren Gewohnheiten einlullen lassen.
Wie kommt man da raus? Das OUT zeigt einen Weg. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht die reinen Informationen. Wir wissen ja sowieso alle Bescheid. Deshalb geht das Ensemble direkt zum Kern des Problems: Unsere Emotionen - oder der Mangel daran. Zwar erhebt hier niemand den moralischen Zeigefinger, doch die Zielrichtung ist klar: Das Publikum soll zum (Um-)Denken bewegt werden. Ein durchaus ambitionierteres Vorhaben in einer Welt, die sich nicht einmal von einer der besten Reden zu diesem Thema nachhaltig berühren lässt.
Zum Glück hat das Theater andere Mittel als die Wissenschaft. Wo dort akribisch auf Methodik und Validität geachtet werden muss, ist das Schauspiel viel freier und agiler, hat Raum zur Intervention und Provokation. Das zahlt sich aus. Denn so bleibt das Problem nicht abstrakt, es kommt uns ganz nah, es berührt uns, ob wir wollen oder der nicht.
„VOR MIR DIE SINTFLUT“ KLIMATHEATER
FREITAG, 17. JUNI 2022, 20:30 UHR
SAMSTAG, 18. JUNI 2022, 20:30 UHR
SONNTAG, 26. JUNI 2022, 20:30 UHR
MONTAG, 27. JUNI 2022, 19:00 UHR
BUNDESBAHNWEG
26122 OLDENBURG
MONTAG, 20. JUNI 2022, 19:30 UHR
RE:CLAIM KULTURFESTIVAL ACHTERNSTRASSE 15/16 26122 OLDENBURG
EINTRITT FREI!
City statt Campus
Das gilt auch für die Fragen, die sich das Ensemble stellt. Die kommen uns nämlich nicht nur emotional, sondern auch geografisch ganz nah: Wird Oldenburg zum sonnigen Küstenstädtchen? Wird die Arche Noah II am Yachthafen festmachen? Oder werden hier irgendwann Eisbären heimisch? Und über allem die Frage: Wir blickt man auf Dinge, die man noch nicht sehen kann? Antworten gibt es gleich fünf Mal in den kommenden Tagen, und das stets bei freiem Eintritt.
Dabei bleibt das OUT nicht etwa auf dem Campus, sondern kommt in die City. Zwar ist und bleibt die Heimat des OUT das Unikum, die studentische Bühne am Campus Haarentor. Es ist aber klar erkennbar, dass der Rest der Stadt zunehmend in den Fokus rückt. Gut so, denn auf diese Weise erfahren noch mehr Menschen von den Produktionen der engagierten Truppe - und haben noch mehr Gelegenheiten, sie auch zu sehen.
Zumal „Vor uns die Sintflut“ mit dem GleisPark und dem Re:Claim Festival gleich zwei der angesagtesten Spots der Stadt im Sortiment hat. In ersterem dockt es zudem an die National Geographic-Ausstellung „Planet or Plastic“ an und setzt das Thema Nachhaltigkeit mit anderen künstlerischen Mitteln fort. Well played.
Das Ende der Klimakrise
Und was überwiegt nun bei „Vor mir die Sintflut“? Unterhaltung? Aufklärung? Emotionalisierung? Am ehesten ist es eine Mischung aus alledem, weil sämtliche Effekte eng miteinander verzahnt sind. Das Ende der Klimakrise werden wir auch nach den Aufführungen nicht ausrufen können. Schade. Aber wir dürfen uns darauf freuen, auf andere Weise von diesem Thema getriggert zu werden als durch komplexe Excel Sheets. Wenn die/der eine oder andere danach etwas mehr von der Dramatik und Dringlichkeit dieses Themas spürt, dann hätte sich das KlimaTheater vollends gelohnt.
Und ganz nebenbei wurde man auch noch bestens unterhalten. Das können keine Daten und Fakten, keine Skalen und Statistiken. Das kann nur Theater!
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