Sie ist unter vielen Namen bekannt, aber trotz allem ein Geheimtipp: Die Alte Maschinenhalle bzw. Kulturhalle am Pferdemarkt bzw. bau_werk-Halle bzw. Mohrmann-Halle. Doch egal, wie man sie nennt, eines bleibt immer dasselbe: ihr rustikaler Industrie-Charme, der in jeder Metropole bestehen könnte. Dennoch naht jetzt etwas Unvermeidbares: ein Abschied auf Zeit!
Kultur? Nein, daran hat gewiss niemand gedacht, als die Halle am Pferdemarkt im Jahr 1898 fertiggestellt wurde. Errichtet wurde sie nämlich als Maschinenschlosserei für das Ausbesserungswerk der Deutschen Bahn, später diente sie als Teppichlager und Papiergroßhandel. Bei all diesen Nutzungen war sie stets nur wenig mehr als eine Gebäudehülle, die Schutz vor der Witterung bot. Extravaganzen irgendwelcher Art? Gab es nicht. Der Standort ist geradezu symbolisch: In der zweiten Reihe, am Rand.
Und dennoch versprüht die Halle einen eigentümlichen Charme, dem man sich heute - genau 125 Jahre nach der Inbetriebnahme - nicht entziehen kann. Es ist nicht nur das Alter allein, das dabei eine Rolle spielt. Es sind die angenehme Zurückhaltung, und die reine Zweckmäßigkeit, die einen Atelier-Charakter verströmen, der auf viele Menschen inspirierend wirkt. Das Gebäude selbst steht nicht im Mittelpunkt, es rückt seine Nutzer:innen dorthin. Deswegen ist die Nutzung der Halle für kulturelle Zwecke heute - anders als 1898 - vollkommen verständlich. Doch damit ist es jetzt (vorerst) vorbei.
DANKE, HALLE!
ABSCHLUSSFEST DER BAU-WERK-SAISON 2023 UND DANKESFEST FÜR DIE HALLE VOR DER SANIERUNG
MIT LICHTKUNST, 3D-VIDEO-MAPPING, DJ-SET, GRAFFITI-MÖBELKUNST, LECKERES VON DEN BUDDELJUNGS UND ORTO
SAMSTAG, 7. OKTOBER
AB 19 UHR
ALTE MASCHINENHALLE
26121 OLDENBURG
EINTRITT FREI!
Schließung auf Zeit
Nach dieser Sommer-Saison schließt die Halle für ein Jahr ihre Pforten: Die Bauverwaltung plant eine Sanierung des alten Gemäuers. Sie ist nötig geworden, da es an einigen Stellen durch das Dach regnet. Zudem reduzierte die fehlende Wärmedämmung die Nutzung auf die Monate außerhalb der Heizperiode. Diese Missstände sollen nun behoben werden - was eine mindestens einjährige Schließung zufolge hat. Auf was wir deshalb verzichten müssen? Darüber haben wir uns mit Felix Freitag, Dr. Frank-Egon Pantel, Katharina Semling und Sebastian von Zeberg unterhalten.
Die Schließung betrifft vor allem die älteste und treuste Nutzergruppe, nämlich den bau_werk-Verein, der in der Halle bereits seit 2006 eine Heimat hat. „Wir sehen uns als Plattform für baukulturelle Veranstaltungen“, beschreibt Vorstandsmitglied Dr. Frank-Egon Pantel die inhaltliche Ausrichtung. Ziel sei es, die lokale Diskussion über Stadtgestaltung zu befördern oder überhaupt erst möglich zu machen. „Wir haben in den letzten siebzehn Jahren alle möglichen Themen aufgerufen“, berichtet er. „Es gab immer ein Leitthema und dazu Vorträge, Diskussionen und Ausstellungen.“
In diesem Jahr sei es unter dem Titel „Stadtraum am Wendepunkt“ um den öffentlichen Raum gegangen. „Mit vielen Beispielen aus aller Welt, aber auch aus europäischen Nachbarländern und aus Deutschland haben wir das Thema diskutiert und auf Oldenburg bezogen“, berichtet der ehemalige Oldenburger Stadtbaurat, dem anzumerken, dass seine Leidenschaft für das Thema geblieben ist.
Wahnsinniges Glück
Der bau_werk-Verein hat seinerzeit den Anfang gemacht, was die Nutzung des brachliegeneden Industriebaus angeht, allein blieb er dabei aber nicht. Ihm folgten viele weitere Nutzer:innen aus dem Kultursektor, die nun ebenfalls von der Schließung betroffen sind. „Für die Kultur ist das natürlich ein kleines Drama“, erklärt stellvertretend Katharina Semling. Die Innenarchitektin ist eine umtriebige Akteurin in der Oldenburger Szene. Mit beeindruckendem Engagement - und einem exzellenten Netzwerk - gelang es ihr in den letzten Jahren immer wieder, aus dem Nichts kleine und große Kulturveranstaltungen zu organisieren. Favorisierter Ort? Na klar, die Halle am Pferdemarkt.
„Ich bin mit der Halle so extrem verwachsen, dass ich immer sage, sie ist mein zweites Wohnzimmer“, lacht Katharina. „Wenn man sich einfach nur diesen Boden mit alle seinen Mustern und Spuren anguckt, wenn der sprechen könnte, dann würde er von unzähligen Messen, Ausstellungen, Aktionen und Events erzählen, die im Laufe der Zeit hier waren", schwärmt sie. Die große Schar an Nutzer:innen ergibt beinahe schon eine Art Hall of Fame der freien Oldenburger Kulturszene.
„Die Halle ist im Laufe der Zeit unfassbar aktiv, bunt und spannend geworden. Es macht mich wahnsinnig glücklich, dass das so gekommen ist.“
So sah es im August aus: LUCA ist ein spektakuläres Projekt - gefördert von MACH|WERK.
Perfekt unperfekt
Auf die Frage nach den Qualitäten der Halle müssen die Beteiligten nicht lange nach Antworten suchen. „Es liegt an der Unperfektion, an diesem Werkstattcharakter“, ist Frank-Egon überzeugt. Wenn man sich umschaue, dann sei eben nicht alles abschließend architektonisch behandelt, sondern biete stattdessen große Möglichkeiten. Ein Beispiel dafür seien die Symposien für Bildhauerei, bei denen über eine Woche mit großer Inspiration gearbeitet wurde: „Der Raum überträgt wahrscheinlich künstlerische Energie auf die Meißel“, schmunzelt der Bauexperte. Das Unfertige und Robuste sei eben etwas ganz Besonderes.
„Die Halle ist - und bleibt hoffentlich - ein Freiraum, der manchen Knuff verträgt. Das ist das Geheimnis.“
Dem kann auch Felix Freitag nur zustimmen. Der junge Videokünstler ist nach einer Zeit in Berlin nach Oldenburg zurückgekehrt und hat die betagte Halle für sich neu entdeckt. „Diesen Charme des Industriellen und Urbanen haben wir auch in Berlin oft gesucht“, erinnert er sich, ausgerechnet in Oldenburg hat er ihn gefunden. „Es geht um städtische Freiräume, die von aktiven Menschen genutzt und gestaltet und immer wieder verändert werden können.“ Dadurch entstehe Abwechslung und Vielfalt - und letztlich Spannung. Felix ist sicher, dass die Alte Maschinenhalle in ihrer jetzigen Form auch in Neukölln oder Kreuzberg funktionieren würde. „Es ist einfach schön zu sehen, dass man so alte Räume wieder zum Leben erweckt, das macht für alle Beteiligten Spaß, für die Akteur:innen genauso wie fürs Publikum.“
Das attraktive Äußere
Felix schätzt die Halle aber nicht nur von Innen, sondern auch von außen. Im August konnte er nämlich gemeinsam mit Eastsidelights Media - dank einer MACH|WERK-Förderung - eine Videomapping-Projektion namens “LUCA“ an der Außenmauer des Gebäudes zeigen. Wer diese Veranstaltung damals verpasst hat, sollte unbedingt am 7. Oktober dabei sein, dort wird sie als Teil der Abschlussfeier nämlich nochmals gezeigt. Wer das verpasst, verpasst was!
„Am Anfang stand natürlich die Frage: Wo kann man sowas machen?“, erinnert sich Felix zurück. Bei seiner Suche in Oldenburg stand er irgendwann vor der Halle am Pferdemarkt - und erkannte die Qualitäten der rustikalen Oberfläche: „Dieser alte Backstein lässt sich gut bespielen. Das hat einen ganz eigenen Charme, wenn man nur so ein bisschen Farben darüber laufen lässt“, beschreibt er den Effekt. Ideal sei auch der offene Platz davor, der insbesondere im Sommer große Aufenthaltsqualitäten habe. Deshalb wundere es ihn, dass dieser besondere Ort nicht noch stärker frequentiert ist.
„Es wäre cool, wenn in dieser Ecke insgesamt noch ein bisschen mehr los wäre.“
Dem würde Sebastian zustimmen. Mit seinem Oh, Pardon-Kollektiv nutzt er die Halle seit vier Jahren und stellt fest: „Viele Leute kennen diese Halle immer noch nicht. Das könnte sich vielleicht in Zukunft mal ändern, dass man sie ein bisschen einfacher auffindbar macht.“ Darüber hinaus erhoffe er - wie alle anderen - dass der Charme der Halle erhalten bleibe. „Für unsere Zwecke, für unsere Art zu arbeiten, war es hier immer ideal.“
Zwischen Hoffen und Bangen
Egal, ob drinnen oder draußen: Die Nutzung der Halle wird bis auf weiteres nicht mehr möglich sein. Der Start der Sanierung ist seitens der Nutzerschaft mit Hoffnungen, aber auch mit gewissen Befürchtungen verbunden. Schließlich überzeugt die Halle gerade dadurch, dass sie eben nicht den gängigen Standards und Normen entspricht. Eine energetische Sanierung ist dementsprechend ein Drahtseilakt zwischen Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit. „Wir haben hier nur einfache Ziegelwände, die natürlich nicht den technischen Voraussetzungen von heute entsprechen“, weiß Frank-Egon. Das Material erschwere die Sanierung, aber dennoch überwiege der Optimismus:
„Wir wissen von den Architekten, dass sie sehr vorsichtig damit umgehen und dass sie begriffen haben, wie sensibel dieser Ort ist.“
Das ist umso wichtiger, weil Alternativen rar sind. „Mit der Jahn-Halle an der Alexanderstraße hätte es eine gegeben“, weiß Katharina. Doch die Halle sei unnötigerweise abgerissen worden. Auch einige andere charakterstarke bzw. historische Orte seien zuletzt entfernt worden und würden nun spürbar fehlen. Man werde sich eben auf eine Suche begeben müssen. „Es gibt durchaus ein paar interessanten Orte, die vielleicht auch eine Transformation erwarten oder die sich mitten in einer interessanten Situation befinden“, hat Frank-Egon gewisse Hoffnungen. „Wir könnten uns inspirieren lassen von diesen Orten und vielleicht auch dort Themen finden.“
Richtig krachen lassen
Bevor nun aber die Tore der Halle für (voraussichtlich) ein Jahr geschlossen werden, steht erstmal eine zünftige Abschlussfeier an. Der Titel „Danke, Halle“ deutet an, dass man dem alten Gemäuer beinahe schon eine eigene Persönlichkeit attestiert. „Ich liebe diese Halle einfach“, lacht Katharina - und diese emotionale Bindung spürt man auch beim Blick auf das Programm.
Das Kernstück bietet ab 20 Uhr - wenn es ausreichend dunkel ist - das 3D-Videomapping-Projekt „LUCA“. Katharina ist dem Werk bei seiner ersten Aufführung im Sommer zufällig begegnet, als sie abends an der Halle vorbeifuhr - und war hin und weg. „Ich wurde komplett reingezogen in diese wunderschöne Lichtkunst“, beschreibt sie den Effekt. „Das gesamte Projekt war genau auf die Halle zugeschnitten, sie hat sich immer wieder aufgelöst und verändert.“ Zusätzlich habe es eine Lasershow, passende Musik und sogar Nebelschwaden gegeben, die zusammen ein Gesamtkunstwerk ergeben hätten, dem man sich kaum habe entziehen können.
„Ich dachte nur: In welchem Wunderland bist du denn hier jetzt gerade?“
Das sei aber längst nicht alles. Daneben gibt es im Inneren der Halle ein DJ-Set von Eastside Lights Media / Felix Freitag sowie eine Ausstellung der Graffiti-Künstler von Oh, Pardon um Sebastian von Zeberg, Jannik Eilers und Jan Rosenthal. Sie haben sie in der Halle mit der Spühdose Möbel gestaltet und dabei aus biederen Einrichtungs-Gegenständen wirkungsstarke Kunstwerke gemacht. „Es wäre natürlich schön, wenn möglichst viele Menschen sich noch anschauen, was wir in den letzten vier Jahren - oder auch jetzt am Wochenende - gearbeitet haben“, hofft Sebastian auf große Resonanz. Und er ergänzt: „Man kann fast alle Möbelstücke auch kaufen; sprecht uns einfach an!“
Das passende Catering gibt es auch: Die lokalen Lieblinge von der Orto Bakery und den Buddeljungs sorgen dafür, dass am 7. Oktober tatsächlich alle Sinne bestens bedient werden. „Es ist umsonst, drinnen und draußen, es ist für Speis und Trank gesorgt“ bringt Katharina gute Argumente, den Samstagabend vor und in der Alten Maschinenhalle zu verbringen. „Wir stellen aber auch ein paar Spendendosen auf. Wir wären nämlich dankbar, wenn wir am Ende plus minus Null rauskommen. Selber verdienen tun wir nix dran.“
Danke, Halle!
Tatsächlich spricht alles dafür, sich dem Dank an diese besondere Halle anzuschließen. Zum einen, weil sie tatsächlich ein einzigartiger Ort ist, der Oldenburg auf vielfältige Weise bereichert - und den wir im kommenden Jahr sicher oft vermissen werden. Zum anderen aber auch, weil das Programm es mehr als verdient hat, gesehen und genossen zu werden. Draußen darf man das 3D-Mapping einfach nicht verpassen - und drinnen sind die Weichen für einen besonderen Abend gestellt.
Kultur? Daran mag früher tatsächlich niemand gedacht haben, wenn es um die Alte Maschinenhalle ging. Heute ist sie jedoch beinahe ein Synonym dafür - weil sie der Ort ist, an dem unkompliziert kreative Konzepte, Formate und Experimente stattfinden können. Das wird auch am 7. Oktober so sein - das letzte Mal für lange Zeit. Deshalb kommt in unsere Oldenburger „Hall of Fame“, nehmt Teil an dieser besonderen Abschiedsfeier - und genießt den rustikalen Industrie-Charme, der in jeder Metropole bestehen könnte.
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