top of page

OLDENBURG ANDERS DENKEN

Aufgepasst, Huntestadt! Wenn sich Studierende der Jade Hochschule mit den Kreativköpfen vom Hidden Art Project und den kulturellen Aktivposten Raum auf Zeit und Stadtmuseum Oldenburg verbünden, um gemeinsam die Stadt ihre Gesetzmäßigkeiten zu hinterfragen, dann ist Vorsicht angesagt. Schließlich besteht die reale Gefahr, dass unsere gewohnte Umgebung ganz neu gedacht wird - und ein veritables Update bekommt! Nicht auszudenken! ...oder?


Die Alte Maschinenhalle am Pferdemarkt in Oldenburg
Grau zu bunt: Die Fläche vor Exerzier- und Maschinenhalle taugt als gutes Symbol, wie viel besser Städte aussehen könnten - wenn man sie anders denkt. (Bild: Kulturschnack)

Am Anfang stand eine Begegnung: Im vergangenen Mai besuchte Carola Schede das „re:claim“-Festival des Hidden Art Projects, das in einem großen Leerstand in der Oldenburger Achternstraße stattfand. Dort moderierte die Dozentin im Fachbereich Management, Information, Technologie an der Jade Hochschule eine Podiumsdiskussion zur Stadterneuerung. Sofort war sie angetan von der Vielfalt der dort ausgestellten oder live performten Kunst - und von dem Gedanken, urbane Orte mit diesen Elementen neu zu erfinden. Ein echter Eye-Opener.


Deshalb blieb es nicht bei der Betrachtung. „Ich wünschte mir viel mehr Orte, an denen man Oldenburg so erleben kann, wie in der Zeit des re:claim-Festivals“, erklärt Diplom-Politologin Schede. “So urban, so kreativ, so vielfältig.“ Und so rief sie an der Jade Hochschule ein entsprechendes Projekt ins Leben: 17 Studierende des Studiengangs Medienwirtschaft und Journalismus machten sie an die Aufgabe, eine Austellung zu konzipieren, die sich genau damit beschäftigt. „Was für eine Chance - selber einen Raum zu bespielen!“, schwärmt die Dozentin. Dabei bekamen die Studierenden aber kompetente Unterstützung: Die Zwischennutzungs-Agentur Raum auf Zeit und das Stadtmuseum Oldenburg kooperierten ebenso mit ihnen wie das Hidden Art Project.


 

RE:CLAIM OLDENBURG


EIN PROJEKT VON JADE HOCHSCHULE, RAUM AUF ZEIT, STADTMUSEUM OLDENBURG, THE HIDDEN ART PROJECT FREITAG, 9. DEZEMBER, 14 BIS 20 UHR

SAMSTAG, 10. DEZEMBER, 10 BIS 20 UHR


RAUM AUF ZEIT

26122 OLDENBURG

 

Mehr Freiheit wagen


„Die Studierenden haben sich ihren ganz eigenen Zugang zum Thema re:claim erarbeitet“ erklärt Carola Schede. „Wir leihen aber natürlich auch Kunstwerke. Immerhin ist unser Hauptaugenmerk bei allem, das zu verstärken, was es in Oldenburg bereits an re:claim Kräften gibt - und da ist das Hidden Art Projekt ganz vorne mit dabei.“ Gerade werden die letzten Videos fertig: Interviews mit Stadtgestalter:innen aus der kreativen Szene. „Sie haben noch viele Ideen für ihre Stadt - für mehr Begegnung, Austausch, neue Formen des Zusammenseins.“

Neue Farbgestaltung für die Pferdeplastik am Pferdemarkt in Oldenburg.
Pferdemarkt mal anders? Schon allein der Gedanke ist ein Gewinn. (Bild: Jade Hochschule)

Die Ergebnisse werden jetzt in einer Ausstellung der Öffentlichkeit passiert. Die Art und Weise steht dabei in direkter Verbindung mit dem Grundgedanken der Projektarbeit. Zum einen handelt es sich bei dem Ort Staustraße 16 um eine Zwischennutzung im besten Sinne. Was früher als Photo Dose dem Konsum diente, wurde inzwischen schon mehrfach erfolgreich für Ausstellungen genutzt. Und die zweitägige Dauer hat genau den Pop-up-Charakter, den auch viele alternative oder experimentelle Projekte in den deutschen Innenstädten haben.


Noch, möchte man beinahe ergänzen. Denn wenn man die Ideen anschaut und sich umhört, wie die fachliche Meinung zur diesem Thema ist, dann kann man nur hoffen, dass mehr Kreativität und mehr Freiheiten in die Stadtgestaltung einziehen. Die funktionalen Nutzungen bilden zwar den formalen Rahmen einer Stadt. Deshalb will auch niemand Häuser und Straßen wegnehmen. Doch was auf und zwischen ihnen passiert, ist das tatsächliche Leben der Stadt. In ihren Andern fließt nicht etwas der Verkehr, der verstopft sie eher. Es sind die Menschen und ihre Ideen, die einen Ort am Leben erhalten, die also vital sind für seine Existenz.


Wieso man im Alltag eine andere Wahrnehmung hat? Wieso Beton und Blech dominieren und überbordende, mutige, freie Kreativität eher die Ausnahme bleibt? Berechtigte Fragen, denen wir uns vollkommen neu annähern müssen. Schließlich kann man aktuell Probleme nicht mit herkömmlichen Mitteln lösen - sonst wären sie gar nicht erst entstanden.


WAS IST RE:CLAIM?


Bei der „Reclaim"-Bewegung handelt es sich leider nicht um eine Oldenburger Idee. Im deutschen Sprachraum entwickelte sie sich - wie sollte es anders sein? - vor allem in Berliner Kiezen. Dort gibt es schon seit vielen Jahren Veranstaltungen unter diesem Titel, oft in Zusammenhang mit Street Art.


Der Grundgedanke ist es, die existierende Verteilung des Stadtraums kritisch zu hinterfragen und neu zu bewerten. Schließlich wurde die bestehende Ordnung von früheren Generationen hergestellt, die anderen zeitlichen Kontexten unterlagen. Über allem steht die Frage: Was ist gesetzt, was lässt sich verändern?


Ein wichtiger Faktor war auch Tobias Morawskis subversive Fibel „Reclaim your City" aus dem Jahr 2014. Der Autor betrachtete die Berliner Protestbewegungen und legte dar, welche legalen, halblegalen oder sogar illegalen Möglichkeiten es gibt, sich Stadtraum anzueignen. Das klingt interessant? Dann haben wir gute Nachrichten: Sein Buch gibt es hier als freien PDF-Download!


Über diese Thema haben wir übrigens auch in Folge 8 unseres Podcasts mit Sven und Hauke von The Hidden Art Project gesprochen. Was dabei herauskam, hört ihr hier:


Mehr Fragen wagen


Natürlich kann man den Begriff „re:claim“ als eine Provokation verstehen, Schließlich ist er nicht höflich-bittender Natur, sondern hat durchaus fordernden Charakter. Aber wie wir schon an anderer Stelle feststellten, ist Höflichkeit für Veränderungen manchmal hinderlich. Wobei hier niemals die Pfade gepflegter Umgangsformen verlassen werden - und sich bisher auch noch niemand irgendwo festgeklebt hat. Die vermeintliche Provokation besteht darin, Gesetzmäßigkeiten in Frage zu stellen. Dabei muss die Feststellung erlaubt sein, dass dafür meist Menschen verantwortlich waren, die aus einem anderen Zeitalter stammten - und die häufig nur jene Klientele bedienten, denen sie selbst entstammten.


Es ist höchste Zeit, die Nutzung der Stadträume anders zu denken, so wie es die Studierenden der Jade Hochschule getan haben. Das bedeutet freilich nicht, dass ab morgen alles anders zu laufen hat. Das bedeutet aber sehr wohl, dass wir unsere Framings und Dogmen hinter uns lassen müssen. Je freier und unverstellter wir die Stadt sehen, desto näher kommen wir gerechten und guten Ergebnissen.


Fängt den Spirit hinter der Reclaim-Idee sehr gut ein: Ein Portrait von Stadtgestalterin Pia Wienholt von Raum auf Zeit (Video: Jade Hochschule)


Das zeigt sich auch in dieser Ausstellung. Es mag nicht alles von noch nie dagewesene Einzigartigkeit sein, aber darum geht es an dieser Stelle nicht., Wichtiger ist es, Denkkrusten aufzubrechen - und damit sind die Studierenden durchaus erfolgreich. Schaut euch die Werke deshalb an und lasst euch inspirieren. Veränderung beginnt bei uns selbst - und sie entsteht nicht nur Schweigen. Seid aktiv und bringt euch an. Es ist auch euer Oldenburg!



Mehr Veränderung wagen


Das Prinzip „Oldenburg anders denken“ ist wunderbar doppeldeutig. Denn einerseits soll er Bestand anders gedacht wird, also nach alternativen Ideen und Visionen Ausschau gehalten werden, die im Kontrast zum Hier und Jetzt steht.

Subversiv? Der imperative Charakter des „Reclaim“-Begriffs spielt auf jeden Fall damit - wie hier in Berlin.

Dabei soll aber auch auf andere Weise gedacht werden, also mit neuen Mitteln und Methoden. Beides erscheint nötig, wenn man große Würfe umsetzten möchte. Und die werden mittelfristig sicher nötig sein - wenn wir nur allein an das Megathema Klima denken.


Was Kunst und Kultur dabei leisten können? Genau das: Anders denken. Denn sie setzen andere Schwerpunkte, sie nehmen andere Blickwinkel und sie wählen völlig andere Methoden. In einer Zeit, in der wir auf Fragen der Gegenwart mit den Mitteln der Vergagenheit keine Antworten mehr finden, werden diese Dinge immer wichtiger.


Nur eines wird immer unverändert bleiben: Die Bedeutung persönlicher Begegnungen - wie jene von Carola Schede und der Hidden Art. Lasst euch die Ausstellung also nicht entgehen. Wer weiß, was danach passiert?


bottom of page