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INSIDE FILMFEST (OR NOT)

  • Thorsten Lange
  • 16. Sept.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Okt.

Der rote Teppich ist eingerollt, die Limousinen weggeparkt, die VIP-Bändchen entsorgt: Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg ist Geschichte. Während die einen trauern, weil das Ereignis der Jahres nun vorbei ist, zucken andere mit den Schultern. War da was? Wir haben uns gefragt, warum das Festival die Stadt in zwei Lager trennt, wieso die einen es abgöttisch lieben während die anderen vollkommen kalt bleiben. Und wir haben auch Antworten gefunden.



Aus und vorbei: Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg hinterlässt nach seinem Ende bei den einen eine große Leere, bei anderen hingegen lässt es gar nichts aus. (Bild: Kulturschnack)
Aus und vorbei: Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg hinterlässt nach seinem Ende bei den einen eine große Leere, bei anderen hingegen lässt es gar nichts aus. (Bild: Kulturschnack)

Am Abend des 14. September fiel der letzte Vorhang. Preise wurde verliehen, bejubelt und begossen, unzählige Fotos geschossen und Reels gefilmt sowie eine letzte Party gefeiert. Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg hat es zum Abschluss nochmal richtig krachen lassen. Und danach? Folgte die große Stille auf den lauten Knall und Oldenburg befand sich wieder im Alltag.


So war es zumindest für jene 13.000 Menschen, die nachweislich dabei waren. Der Rest der Bevölkerung - und es ist der größere Teil - hat von alledem entweder nichts erfahren, keine Notiz genommen oder es bewusst ignoriert. Denn was die Wahrnehmung des Filmfestes angeht, läuft eine Schneise durch Oldenburg, die klar zwischen Fans und Desinteressierten trennt. Und die Frage ist: Warum? Schließlich können Orte wie Park City, Utah - Heimat des berühmten Sundance Festivals - ihr Glück kaum fassen und feiern ihr Aushängeschild, wo es nur geht. Ist Oldenburg so anders? Oder täuscht die Wahrnehmung?




Red Carpet Moments: Die bewusste Inszenierung gehört zur Grundausstattung von Filmfestivals. (Bild: Kulturschnack
Red Carpet Moments: Die bewusste Inszenierung gehört zur Grundausstattung von Filmfestivals. (Bild: Kulturschnack

Ein Fest für Eingeweihte?


Zunächst einmal muss man feststellen, dass diese Schneise gar nicht so ungewöhnlich ist. Am besten kann man es vielleicht anhand eines universellen Prinzips erklärten: Je näher man an eine Sache heranrückt, desto besser erkennt man ihren Reiz. Je tiefer man in eine Materie eintaucht, desto besser versteht man sie und desto mehr kann man wertschätzen, was geboten wird. Dies Prinzip betrifft beinahe alle Spielarten der Festivalkultur wie etwa die Internationalen Tanztage, Ein außergewöhnliches Ereignis oder die Internationalen Keramiktage. Auch sie sind für die Eingeweihten ein Fest, für die Außenstehenden dagegen ein großes Rätsel.


Doch eines steht fest: Etwas müssen diese Veranstaltungen haben, das fesselt und begeistert, das aber nicht von allen dechiffriert werden kann. Sonst gäbe es all die Hardcore-Fans nicht, die manchmal über Wochen oder sogar Monate auf das Ereignis hinfiebern und anschließend mit leuchtenden Augen davon erzählen. Wie nur, fragt man sich, schafft man den entscheidenden Schritt - von der/dem irritierten Beobachter:in zum begeisterten Insider?



Begegnungen: Beim 32. Internatioanlen Filmfest Oldenburg sprachen wir unter anderem mit Brandon Daley, Yun Xie und Erkan Acar. (Bilder: Kulturschnack)


Unsere Erkenntnis: Dabei helfen vor allem Begegnungen. Diese Erfahrungen hat Thorsten bei seinen vielen unterschiedlichen Missionen fürs Filmfest schon vielfach gemacht, sie hat sich aber auch beim 32. Internationalen Filmfest Oldenburg wiederholt. Obwohl bereits klar war, dass wir vom Festival berichten würden, hatte sich bis kurz vor dem Beginn der Puls noch nicht erhöht. Das änderte sich aber schlagartig, als es schließlich losging.


Die ersten Momente auf der Dachterrasse des Festivalcenters, die ersten Begegnungen im Blitzlichtgewitter der Eröffnung, die ersten Gespräche mit den Festivalgästen: Sofort spürte man, dass man es mit außerordentlich kreativen, interessierten und freundlichen Menschen zu hat, die liebend gerne von der faszinierenden Arbeit des Filmemachens erzählen. Das erzeugt eine ganz eigene Stimmung und kitschig veranlagte Menschen würden gar von Magie sprechen. Wir bezeichnen es aber lieber als einen Sog, der alle in Reichweite in sich hineinzieht.


Erhöhter Puls: Spätestens als man auf der Dachterrasse des Festivascenters die ersten Gäste traf, war man tief drin im Sog des Filmfestes. (Bild: Kulturschnack)
Erhöhter Puls: Spätestens als man auf der Dachterrasse des Festivascenters die ersten Gäste traf, war man tief drin im Sog des Filmfestes. (Bild: Kulturschnack)

Vergleichbar ist all das vielleicht mit einer Urlaubsreise, bei der ihr in eine Local Bar eintaucht und den ganzen Abend mit furchtbar netten Einheimischen quatscht, die euch interessante und inspirierende Geschichten aus ihrem Leben erzählen und euch damit zum Teil ihrer Gemeinschaft machen. Das Filmfest bietet im Prinzip dasselbe wie dieser ewige Reisetraum - mit dem Unterschied, dass ihr nicht einmal die Stadt verlassen müsst. Für die internationalen Gäste ist es aber genau so wie gerade beschrieben, denn die Oldenburger:innen sind ja auch für ihre Freundlichkeit bekannt.


TIEFER EINBLICK WIE FÜHLT SICH DAS FILMFEST AN? Vor allem Thorsten begeleitet das Filmfest in unterschiedlichen Rollen schon eine ganz Weile. Sohnemann Arjan war im Alter von vier Wochen (!) der jüngste jemals akkreditierte Pressevertreter. In zwei Beiträgen zum 29. Internationalen Filmfest Oldenburg hat er aufgeschrieben, was die Faszination ausmacht.

Mauerblümchen? Nein, das Filmfest ist alles andere als das. (Bild: Shutterstock/Kulturschnack)
Mauerblümchen? Nein, das Filmfest ist alles andere als das. (Bild: Shutterstock/Kulturschnack)

Im großen Portrait „Weltstar der Nische“ erfahrt ihr vieles über die Geschichte und Hintergründe, vor allem aber über die Philosophie des Filmfestes Oldenburg. Überschriften wie „Pillen, Mett und Zelluloid“ oder „Besser als Berlin“ deuten an, dass das Image des Filmfestes zwischen Selbstironie und Selbstbewusstsein oszilliert.

Psst, it's a secret: Das Filmfest ist längst kein Geheimtipp mehr, einige Partys allerdings schon. (Bild: Kulturschnack)
Psst, it's a secret: Das Filmfest ist längst kein Geheimtipp mehr, einige Partys allerdings schon. (Bild: Kulturschnack)

Im Erfahrungsbericht „Typisch Filmfest!“ beschreibt Thorsten, wie es sich anfühlt, wenn man drei völlig unterschiedliche Filme hintereinander schaut und danach noch auf die legendäre Secret Party am Filmfest-Freitag geht. Auch wenn dieser Abend ein Einzelfall ist, steht er doch repräsentativ für die Erlebnisse und bleibenden Eindrücke beim Filmfest. 



Anleitung zum Glücklichsein


Doch wie gerät man nun in diesen Sog? Wie gelingen Begegnungen und Momente wie wir sie inzwischen vielfach erlebt haben, ohne dass man ein akkreditierter Medienvertreter ist? Die schlechte Nachricht zuerst: Dafür braucht es ein kleines bisschen Mühe. Es gibt aber auch eine gute: Man hart es durchaus selbst in der Hand. Hier kommen fünf einfache Tipps, mit denen der Einstieg gelingen kann.


  1. Geht unbedingt zur alljährlichen Trailershow, die etwa zehn Tage vor dem Festival stattfindet! Den Namen darf man wörtlich nehmen: Es werden Trailer zu den Filmen gezeigt, die beim Festival laufen werden. Dazu gibt es noch etwas Rahmenprogramm, Gewinnspiele und so weiter. Insgesamt: Eine runde Geschichte, die den Einstieg deutlich einfacher macht!


  2. Vergesst, dass es beim Filmfest um Independent-Filme geht! Es macht gar nichts, wenn ihr euch damit nicht auskennt. Dass die Filme unabhängig finanziert sind und deswegen kleinere Budgets haben, führt vor allem zu einem: mehr Kreativität. Im Ergebnis sind die Filme hier und da etwas weniger einfach zu schauen und oft nicht so glattgebügelt wie man es von gängigen Blockbustern kennt. Aber gerade diese Ecken und Kanten machen sie zu etwas Besonderem. Das mündet nicht immer im ultimativen Filmgenuss, aber erstaunlich oft.


    Erste Eindrücke: Die Trailer sind der beste Einstieg in das jeweils kommende Filmfest. (Bild: Kulturschnack)
    Erste Eindrücke: Die Trailer sind der beste Einstieg in das jeweils kommende Filmfest. (Bild: Kulturschnack)

  3. Schaut euch das Programmheft ganz genau an! Es ist - wenn man so will - der Dreh- und Angelpunkt fürs Festival. Dort wird zwar gelegentlich in opulent formulierten Sätzen von den Filmen geschwärmt, die selbst Hobby-Germanistiker:innen vor Herausforderungen stellen. Aber: Man bekommt noch mehr Gespür für sie. Zudem weiß man nun, wann was läuft, denn der Timetable im Mittelteil ist so eine Art Pinup-Poster für Filmfestfans. Wer einmal vom Virus infiziert ist, bekommt beim Anblick feuchte Hände. Denn das ist das Signal: Jetzt geht's los!


  4. Stellt euch eure persönliche Festivaltour zusammen! Das meiste Blitzlicht & Brimborium gibt es bei den speziellen Events, also bei der Eröffnung, der Filmfest-Gala im Staatstheater und der Closing Night mit den Preisverleihungen. Aber auch sonst lohnt es sich, an einem Abend gleich in mehrere Kinos einzutauchen, um zwischendurch ein bisschen vom Vibe aufzunehmen. Kleiner Tipp: Wo das Wörtchen „Premiere“ auftaucht, sind höchstwahrscheinlich gleich mehrere Gäste dabei, die viel zum Film und seiner Entstehung erzählen können und den Kinobesuch dadurch zu einem ganz besonderen Erlebnis machen. Bleibt nach dem Screening also sitzen und wartet ab, was passiert.


  5. Bleibt neugierig und sucht das Gespräch! Dafür ist das Q&A nach dem Film ein sehr guter Moment, denn ihr dürft dort alles fragen, was ihr auf dem Herzen habt. Nichts ist zu blöd, alles wird freundlich beantwortet. Die allermeisten Filmemacher:innen lieben es, über ihre Projekte zu sprechen und Geschichten „from behind the scenes“ auszuplaudern. Das gilt in der Regel sogar auch außerhalb des Saals. Ihr habt euch beim Q&A nicht getraut, seht die Regisseurin danach aber vor dem Kino? Sprecht sie ruhig an! Sie freut sich!



Kreative Menschen: Es ist etwas Besonderes, mit den Filmemacher:innen ins Gespräch zu kommen. Und dafür braucht ihr keine Akkreditierung, das könnt ihr auch! (Bild: Ghost Bastard Movie)
Kreative Menschen: Es ist etwas Besonderes, mit den Filmemacher:innen ins Gespräch zu kommen. Und dafür braucht ihr keine Akkreditierung, das könnt ihr auch! (Bild: Ghost Bastard Movie)


Genießen was geht


Natürlich ist all das nur eine Annäherung. Es bedeutet nicht, dass man dadurch in den Inner Circle der geladenen Gäste gelangt (was allerdings durchaus mal passieren kann). Auch wir waren in diesem Jahr nur ganz nah dran, nicht wirklich mittendrin. Schließlich waren wir zum Arbeiten da, mussten an Videos rumschnibbeln und Interviews transkribieren. Zwangsläufig konnten wir deshlab nicht ganz so tief eintauchen wie wir es gern getan hätten. Deshalb fühlen wir den Schmerz der Außenstehenden, auch wenn wir näher am Epizentrum waren. Doch die Frage ist: Sollte man deswegen Frust schieben? Sollte man Jammern angesichts dessen, was man verpasst hat oder was verwehrt blieb? Unsere Antwort lautet: Nein! Wir haben uns gerne in die Kinowelt gestürzt, haben jeden Moment mit den Filmemacher:innen genossen und hätten an liebsten noch mehr Interviews geführt, hätte die Zeit das zugelassen.


Klar: Die dicken Limousinen und die VIP-Kultur polarisieren. Auch hat man bei verschiedenen Partys keine Chance reinzukommen, wenn man nicht auf der Gästeliste steht oder gute Connections hat. Diese Dinge signalisieren natürlich, dass es hier um einen kleinen Kreis geht, der priveligiert ist. Volles Verständnis für alle, die sich davon abschrecken lassen, schließlich wird niemand gern ausgeschlossen. Gleichzeitig sollte man sich aber immer die Frge stellen, ob es nicht in allen Bereichen des Lebens ähnlich ist. In bestimmte Kreise dringen eben nur diejenigen vor, die besonders viel beizutragen haben - und das ist beim Filmfest nicht anders. Deshalb sollte man die Befindlichkeiten über Bord werfen und einfach genießen was geht. Das lohnt sich - denn auch am Rande des Sogs ist das Filmfest schon sehr faszinierend.





A Love/Love-Relationship


Nein, Sorgen muss man sich keineswegs machen. Das Filmfest hat zwar seine Ecken und Kanten und ist insgesamt ein wilder Zirkus, der Oldenburg einige Tage im September kräftig durchwirbelt. Doch viele Menschen lieben das Spektakel und sind gerne Teil des Festivals. 13.000 Besucher:innen sind jedenfalls eine enorme Zahl in einer Stadt mit 175.000 Einwohner:innen.


Und doch ist Luft nach oben, eben weil es immer noch diejenigen gibt, die den Zugag nicht finden oder gar nicht erst suchen. Das ist angesichts der bewussten Inszenierung des Filmfestes als ein Promi-Event durchaus verständlich. Doch es beraubt eben jene Menschen, die sich abkehren, einer ziemlich wundervollen Erfahrung. Unser Rat lautet deshalb: Werft die Vorurteile über Bord, seht über das hinweg, was manchmal etwas abgehoben wirkt. Denn letztlich sind dieser bewusst extrovertierten Elemente das Salz in der Suppe und machen das Festival erst zu diesem wilden Wirbelwind, der es seit 32 Jahren ist. Noch nicht für alle. Aber das kann ja noch werden!


 
 
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