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LEIDER WAHR, TROTZDEM WITZIG

  • kulturschnack
  • vor 7 Stunden
  • 9 Min. Lesezeit

Das Oldenburger Kulturjahr ist noch keine zwei Wochen alt, wenn der erste große Höhepunkt ansteht: Am 13. Januar beginnen die 31. Oldenburger Kabarett-Tage - und treffen auf Menschen, die kaum noch glauben können, welch Wahnsinn gerade in der Welt passiert. Das Motto lautet deshalb: „Leider wahr". Welche Künstler:innen kommen, was Kabarett von Comedy und Poetry Slam unterscheidet und warum Fans aller Genres voll auf ihre Kosten kommen? Verraten wir hier.


Das Plakatmotiv der 31. Oldenburger Kabarett-Tage
Das kann doch nicht...: Für viele Nachrichten gilt das Prinzip: Leider wahr. (Bild: Studierendenwerk Oldenburg)

Was ist eigentlich Kabarett? Einfache Frage, komplizierte Antwort. Denn viele Erklärungsansätze ähneln letztlich der Beschreibung von Comedy - und provozieren damit natürlich die Frage, wo überhaupt der Unterschied liegt. Dass beides komisch ist, liegt auf der Hand. Wenn man nach Unterschieden suchen möchte, dann findet man vielleicht jenen, dass Kabarett etwas politischer, inhaltsschwerer, niveauvoller, gesellschaftsrelevanter oder „missionarischer“ ist. Das Kabarett sucht nicht unentwegt nach der nächsten Pointe, sondern geht auch mal den Umweg über eine Erklärung und Einordnung. Klingt umständlich, ist aber ein echtes Plus!


Ein Haken an der Sache war allerdings lange, dass Kabarett noch ein wenig Altherrencharme und einen Hauch Besserwisserei mit sich trägt. Das rührte aus früheren Tagen, als sich die ersten Kabarettisten (das Maskulinum ist hier kein Zufall) ihre Nische erst erkämpfen mussten - was in der Regel erst gelang, als sie die Pubertät schon eine Weile hinter sich hatten. Das Kabarett von heute ist aber jung, aktuell, intelligent, ironisch und frech. Genau deswegen grenzt es an die Comedy, ist aber trotzdem nicht deckungsgleich. Das Prinzip heißt: Weglachen mit Niveau - und das ist eine Kunst für sich!



31. OLDENBURGER KABARETT-TAGE:

LEIDER WAHR


DI 13. JANUAR CHRISTL SITTENAUER (TICKETS)

DO 22. JANUAR LARA ERMER (TICKETS)

DO 19. FEBRUAR PHILIPP SCHARRENBERG (TICKETS)

DI 24. FEBRUAR TERESA REICHL (TICKETS)


THEATER UNIKUM CAMPUS UHLHORNSWEG 

26129 OLDENBURG



DO 15. JANUAR ALEX STOLDT (TICKETS)

DO 5. FEBRUAR ABDELKARIM (TICKETS)

SA 14. FEBRUAR SIMON & JAN (TICKETS)

SA 28. FEBRUAR SUCHTPOTENZIAL (TICKETS)


KULTURETAGE

26122 OLDENBURG

VOLLES PROGRAMM ALS PDF: HIER


Eine Kunst für sich


Die Keimzelle der Kabarett-Tage liegt passenderweise in der Universität. Dort, genauer gesagt: an der studentischen Bühne Unikum, entstanden sie vor drei Jahrzehnten. Sie waren so erfolgreich, dass der kleine Saal für 120 Personen irgendwann nicht mehr ausreichte und das Studierendenwerk als Organisatorin eine Kooperation mit der Kulturetage einging. Heute werden je vier Shows an jedem Standort gespielt - gebucht jeweils von einem Akteur vor Ort. Im Falle der Kulturetage ist das Uwe Schwettmann, für das Studentenwerk übernimmt das Jürgen Boese. Mit ihm haben wir uns unterhalten.



Das Theater Unikum, die studentische Bühne der Universität Oldenburg
Ein Ort des Geschehens - und der Treffpunkt mit Jürgen: Das Unikum am Campus Haarentor (Bild: Kulturschnack)

Für Jürgen sind es bereits die elften Kabarett-Tage, inzwischen darf man ihn als Kenner der Materie bezeichnen. Das war aber nicht immer so: „Ich hab damals einen echten Cross-Einstieg hingelegt“, erzählt der Kulturreferent. „Vorher war ich nicht in der Szene aktiv, ich hab mich da aber schnell reingearbeitet.“ Wie läuft sowas ab, fragt ihr euch? Heutzutage leider nicht mehr, indem man quer durch die Republik von Bühne zu Bühne fährt, um die Newcomer live zu erleben, sondern per YouTube-Scouting. „Klar, da schaut man sich viel an“, verrät Jürgen. „Im Auge behalten muss man aber auch die vielen Kleinkunst-Preise.“ Sie seien ein guter Seismograph für Qualität.


Jürgen Boese, Kulturreferent der Uni Oldenburg
Auch selbst oft am Mikrofon: Jürgen Böse (Bild: Die Farbschmiede)

Dass es die Kabarett-Tage bei seinem Amtsantritt schon lange gab, empfand Jürgen als Glücksfall. Das erfolgreiche Format passt einfach in dass Umfeld einer Universität: „Bildung kann auch auf der Bühne passieren“, weiß Jürgen, der selbst oft als Schauspieler, Musiker und Moderator im Rampenlicht steht. „Mit den Kabarett-Tagen können wir politisch und kulturell bilden und Augen öffnen.“ Dass dabei der Spaß alles andere als zu kurz kommt, macht die Erfahrung umso intensiver und - man kann es so salopp sagen - besser.


Trotz allem gab es für den Kulturreferenten in den letzten Jahren einiges zu tun. Die Kabarett-Tage waren zwar grundsolide, aber nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Sie lebten von einem treuen Stammpublikum, sprachen die jüngere Generation - sprich: die Studierenden - aber nur noch bedingt an. „Genau das wollten wir ändern. Genau das haben wir auch geschafft“, ist Jürgen stolz auf die Bilanz der letzten Jahre. Und tatsächlich: Den Kabarett-Tagen ist es gelungen, jünger, diversifizierter und weiblicher zu werden. Und genau diese Veränderungen macht auch das Publikum durch. „Es ist alles wieder studentischer - aber ohne die alten Fans zu vergraulen“, betont Jürgen. Im Jahre 2025 ist soigar erstmal eine Parität erreicht: Es sind jeweils vier weibliche und vier Männliche Acts in Oldenburg zu Gast. „Das war kein. ausdrückliches Ziel, das wir unbedingt erreichen wollten. Es hat sich so ergeben - was es fast noch schöner macht!“


 EINFACH MAL ANGUCKEN


Ihr habt durch das Programm gescrollt und außer Abdelkarim keinen Namen gefunden, den ihr kennt? Macht nichts! Dann wagt einfach das Experiment und entdeckt das Unbekannte. Das kann nämlich ungeahnte Folgen haben.




So war es bei Sarah Bosetti. Die kennt ihr nämlich höchstwahrscheinlich doch, weil sie in den letzten Jahren eine formidable Karriere hingelegt hat. Insbesondere mit ihrem Format „Bosetti will reden!“ auf dem ZDF hat sie enorme Bekanntheit erlangt und spielt bei ihren Solotouren meist in ausverkauften Hallen.


Aber: Vor sechs Jahren war noch alles anders. Am 18. Februar 2020 war Bosetti nämlich zu Gast bei den 25. Oldenburger Kabarett-Tagen. Aus allernächster Nähe konnte man sie damals im Unikum erleben, kurz danach begann der steile Aufstieg. Genau das kann - und wird - auch in Zukunft wieder passieren. Vielleicht sogar mit einem Gast aus diesen Jahr? Darum gilt: Hingehen, ansehen - und die Stars von morgen schon heute sehen.

  


Leider wahr


Ein roter Faden der Kabarett-Tage sind auch die klugen Titel. Oft wirken sie betont plakativ, nur um beim näheren Nachdenken eine große Hintergründigkeit zu offenbaren. So ist es auch dieses Mal: Anfang der 2010er Jahre gab''s es mal eine Floskel, die damals extrem überstrapaziert wurde, nicht zuletzt weil Deichkind einen geradezu ikonischen Soundtrack zu dem Spruch abgeliefert hatten: Leider geil. Anstelle dieses hedonistisch-ironischen Statements sind inzwischen andere Dinge gerückt. In der Welt passieren so viele irrtierende, verstörende Dinge, die man besser nicht mit „leider geil“ kommentiert, sondern mit „leider wahr“.


Diese beiden Wort drücken einerseits das Störgefühl aus, dass man inzwischen nicht nur täglich, sondern an vielen Tagen auch stündlich in sich spürt. Viele alte Gewisseheiten haben ihre Gültigkeit verloren, wir scheinen geradewegs auf eine Idiocracy zuzusteuern. Was bis vor kurzem noch unvorstellbar war, ist nun die neue Normalität - und das schreit geradezu nach kabarettistischer Aufarbeitung. Gleichzeitig ist der Shift von „geil“ zu „wahr“ auch ein Ausdruck einer atmosphärischen Zeitwende. Wie leicht wirkt die Zeit der frühen 2010er im Vergleich zu heute? Damals gab es noch kein Corona, keinen Ukraine-Krieg, nicht mal einen Trump im Weißen Haus. Aber deswegen resignieren? Nein! Herzhaft drüber lachen, ist die deutlich bessere Alternative - und dazu habt ihr jetzt Gelegenheit!



Alte Bekannte: Einige Acts der 31. Oldenburger Kabarett-Tage - wie Alex Stoldt, Lara Ermer oder Teresa Reichl - waren beim mega-angesagten Format „Falsch, aber lustig“ zu Gast. Schaut unbedingt mal rein!


Traditioneller Ticket-Alarm


Die typischen Stärken des Programms zeigen sich in diesem Jahr ausgerechnet anhand zweier bittersüßer Nachrichten, denn zwei der acht Vorstellungen sind bereits im Vorfeld der Kabarett-Tage beinahe ausverkauft. Das betrifft zum einen am 15. Januar einen Shooting Star der Szene: Alex Stoldt. Er ist mit seinem neuen Programm in der Kulturetage zu Gast und der begleitende Pressetext ist so gut auf den Punkt gebracht, dass wir ihn hier vollständig wiedergeben: „Das neue Solo von Alex Stoldt heißt „QUASI NICHTS“ und der Titel verspricht auf jeden Fall nicht zu viel!“ Das war's, mehr Infos gibt es nicht! Zweifellos ein Bold Move für jemanden, der noch gar nicht so lange dabei ist. Aber das zeigt: Hier kommt jemand mit großer Chuzpe - und das hat Alex zu Recht, weil er schlicht und einfach ein starker Künstler ist, den man nicht verpassen sollte. (TICKETS)





Ebenfalls fast ausverkauft ist die Show von zwei Künstlerinnen, die schon etwas länger dabei sind und die sich in den letzten zwölf Jahren einen legendären Ruf erspielt haben: Julia Gámez Martin und Ariane Müller aka Suchtpotenzial. Die beiden sind genauso sehr Liedermacherinnen wie Comediennes und wissen in beiden Rollen aufzufallen. Einerseits durch charmante Songtitel wie „Genauso scheiße“ oder „Ficken für den Frieden“, andererseits - und vor allem - durch ihre unglaubliche Bühnenpräsenz. Kein Wunder, dass ihre Show bei den 29. Kabarett-Tagen restlos ausverkauft war und ein ebenso restlos begeistertes Publikum hinterließt - ebenso übrigens wie an vielen anderen Orten der Republik. Beeilt euch, damit ihr am 28. Februar bei diesem musikalischen Comedy-Spektakel dabei sein könnt! (TICKETS)




Der dritte im Bunde jener, die höchstwahrscheinlich vor einer vollen Kulturetage spielen, ist ein alter Bekannter aus unzähligen TV-Formaten und ein Urgestein der deutschen Comedyszene. Keine Frage: Mit Abdelkarim haben die Kabarett-Tage einen der bekanntesten und erfolgreichsten Künstler verpflichtet. So bekannt und erfolgreich, dass wir ihn und sein Programm „Plan Z“ hier gar nicht mehr groß bewerben müssen - zumal er kürzlich mit dem Deutschen Kleinkunstpreis 2026 ausgezeichnet wurde. (TICKETS) Große Promotion haben auch zwei weitere Künstler kaum nötig, denn sie sind die Lokalmatadoren im diesjährigen Programm. An Simon & Jan kommt man in Oldenburg kaum vorbei - aber sie sind keineswegs bloß Helden der Heimat und nur wegen des Lokalbonus im Line-up. Nein, im gesamten deutschsprachigen Raum werden sie von vielen Fans verehrt und gefeiert. Umso schöner, dass sie am 14. Februar mal wieder in Oldenburg zu Gast sind und uns zeigen, dass sie nichts verlernt haben. (TICKETS)



Entdeckungen im Unikum


Traditionell etwas unbekannter - und wir behauopten: deswegen besonders aufregend - sind die Künstler:innen, die das Unikum bspielen, also die Keimzelle der Kabarett-Tage. Dort treffen sich die etwas jüngeren, noch etwas unbekannteren Acts - mit der Betonung auf „noch“. Denn gemeinsam haben sie alle eines: Sie sind auf dem Weg nach oben und stehen am Anfang großer Karrieren. Wenn man so will, blickt man im Unikum, in die Zukunft der nationalen Comedy-Szene. Und manchmal ist es sogar so, dass ein Künstler -Grüße gehen raus an Alex Stoldt - zwischen seiner Verpflichtung und dem Auftritt so berühmt wird, dass er in die Kulturetage wechseln muss.


Am 13. Januar reicht für Christl Sittenauer hoffentlich noch das Unikum, doch wer weiß, wie lange das noch gilt? Die bayerische Comedy-Urgewalt reist aus München an und erklärt uns bestimmt, was es mit dem Titel ihres Programms „Frauen sind keine Menschen“ auf sich hat. Ist das nur eine billige Provokation? Oder steckt sehr viel mehr dahinter? Das erfahrt ihr nur, wenn ihr euch Christl live anschaut- und garantiert herzlich über die Antwort lacht! (TICKETS)





Ebenfalls im Süden zuhause ist Teresa Reichl, die übrigens auch mit Christl Sittenauer schon gemeinsame Programme gespielt hat. Woran es wohl liegt, dass so viele aktuelle Acts südlich des Mains zuhause sind? Wahrscheinlich ist der Alltag im ländlichen Bayern so erzkonservativ, dass Kabarett beinahe schon eine natürliche Abwehrhaltung ist. Anyway: Teresa gehört zu jenen Comediennes, die kein Blatt vor den Mund nehmen und bei denen man sicher auch am 24. Februar im Unikum häufig denkt: „Das hat sie doch jetzt nicht gesagt!?“ Ihre Auftritte sind ein wahres Fest für alle, denen wir viel zu viel Small Talk machen oder die das Gefühl haben, dass wir die wichtigsten Dinge gar nicht erst aussprechen - vor allem die intimen und persönlichen. (TICKETS)





Wagt das Experiment


Das Programm komplettieren zwei weitere junge Künstler:innen, die jeweils eine eigene Nische in der Comedy-Welt gefunden haben, die sie mit zunahmenden Erfolg bespielen. Da wäre zum einen die studierte Psychologin Lara Ermer, die am 22. Januar ihr Programm „Leicht entflammbar“ spielen wird. Die Endzwanzigerin hat sich nach ihrem Studium gegen einen Alöltag in der Praxis entschieden und beweist inzwischen auch auf größeren Bühnen, dass sie genau dorthin gehört. Bei den 31. Kabarett-Tagen dürft ih sie nochmal im kleinen Unikum sehen. Wir gehgen aber davon aus, dass ihr nächter Besuch in der Kulturetage stattfinden wird, denn Lara gehört eindeutig zu jenen, deren Weg steil nach oben geht. (TICKETS)





Die Nische von Newcomer Philipp Sharrenberg ist eine andere als die von Lara. Zwar haben auch die „Mindfucks“ in seinem Programm „Verwirren ist menschlich“ eine psychologische Ebene, bei ihm spielt aber auch Musik eine große Rolle, die man so wie bei ihm sicher noch nirgendwo gehört hat. Sagen wir mal: Ein begnadeter Sänger ist er eigentlich gar nicht, aber die Songs funktionieren trotzdem. Oder gerade deswegen? Egal, ihr könnt es am 19. Februar live rausfinden. Fest steht: Als Zwangsneurotiker weiß Philipp, wie die Gesellschaft tickt und welche Knöpfe er drücken muss, um sie zappeln zu lassen. Mit viel Witz und Herz und vollem Körpereinsatz erforscht er ihre seelischen Ab- und Beweggründe, um Klarheit zu stiften, wo Wirrnis im Hirn is’. (TICKETS)





Was wirklich zählt


Was ist was? Diese Frage ist entweder für Kinder und Jugendliche auf der Bilderbuch-Entdeckungstour durch unsere Welt - oder ganz egal. Denn darauf kommt es nicht an, solange man intelligent unterhalten wird. Die Unterscheidung „Comedians machen den Job wegen dem Geld, Kabarettisten wegen des Geldes“ bleibt daher eine bewusste Provokation - mit einem Funken Wahrheit.


Für das Oldenburger Publikum zählt letztlich aber nur eines: Mit den Kabarett-Tagen bekommt es eine wunderbar vielfältige Mischung aus den Genzbereichen von Comedy, Poetry Slam, Satire und - nun ja - Kabarett. Das ist, wie oben beschrieben, inzwischen ungeheuer vielfältig, hat aber eine große Gemeinsamkeit: Was ihr an den acht Kabarett-Abenden im Unikum und in der Kulturetage zu hören bekommt, ist zwar alles leider wahr - aber trotzdem witzig!

 
 
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