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WELTSTAR DER NISCHE

Das Internationale Filmfest Oldenburg findet in diesem Jahr zum 29. Mal statt. Viel hat sich verändert seit den Anfängen in den frühen Neunzigern. Das Festival ist professioneller geworden, ein wenig vernünftiger und vielleicht sogar etwas angepasster. Eines ist aber geblieben: Die einzigartige Fähigkeit, vermeintliche Widersprüche aufzulösen. Zum Beispiel jenen zwischen anspruchsvollem und unterhaltsamem Kino. Oder jenen zwischen der glamourösen Filmwelt und dem norddeutschen Oldenburg.


Widrige Umstände: Manche Erfolgsgeschichten sind eigentlich unrealistisch. Aber sie passieren doch. (Bild: Shutterstock)

Am Anfang war da eine Idee. Sie wuchs dort, wo sie niemand erwartet hat, in einer Nische ohne günstige Bedingungen, im Schatten des globalen Alltags. Doch trotz dieser schwierigen Ausgangslage gedieh dieses zarte Pflänzchen, bis zunehmend mehr Menschen seinen Reiz entdeckten. Für andere blieb es zwar Unkraut und sie hätten es gern gejätet. Doch inzwischen gilt es als wertvolle heimische Flora, gerade weil es nicht ordentlich neben allen anderen wächst, sondern an seinem ungewöhnlichen Ort verbleibt: trotzig, selbstbewusst, unangepasst.



Zugegeben: diese kleine Geschichte klingt nicht nach Hollywood oder ganz großem Kino. Es ist vielmehr die Story eines Außenseiters, der sich gegen Widrigkeiten durchsetzt. Doch damit sind wir schon beim Thema – nämlich bei der wunderbaren Kohärenz des Internationalen Filmfestes Oldenburg. Denn es begann als dieses Pflänzchen, das sich seit mittlerweile 29 Jahren gegen allerlei Ungunst durchzusetzen wusste. Und es hatte dabei genau jene Attitüde und jenes Image, das auch die Filme haben, die dort gezeigt werden: sie sind authentisch und unabhängig, kompromisslos und in-your-face.


Cat Content: Filmfestkatze Lily taucht auch auf den offiziellen Plakaten auf. (Bild: Filmfest Oldenburg)

Kein Wunder: Bei Independent-Filmen ist das Budget immer knapp, deshalb zählen Ideen und Spontanität. Die Ergebnisse sind manchmal gewöhnungsbedürftig, doch wer sich auf sie einlässt, wird meist mit einem Erlebnis belohnt. Und was hier nun für die Filme steht, lässt sich unverändert auf das Fest übertragen. Wie gesagt: wunderbar kohärent.



Pillen, Mett und Zelluloid


Wie treffen Festivalleiter Torsten Neumann im neuen Filmfest-Büro mitten in der Oldenburger Innenstadt. Nach Ratsapotheke und Edelmetzgerei residiert am Markt 18 nun also das Kino. Nicht gerade eine erwartbare Reihenfolge - aber eine, mit der sich wunderbar spielen lässt, denn alle drei Generationen der Nutzung sind in den Räumlichkeiten noch klar zu erkennen. Quasi: Ein Mashup aus Pillen, Mett und Zelluloid.


Das ist ein Umfeld, in dem sich der 56-jährige Festivaldirektor sichtlich wohl wühlt. Er liebt es, mit solchen Gegensätzen zu spielen. Zum Beispiel mit jenem, die internationalen Gäste in luxuriösen Limousinen durch die Stadt zu kutschieren - um sie dann zu einer Party in einem abbruchreifen Haus abzusetzen. Glamour und Abgrund liegen beim Filmfest immer nah beinander, auch hier in der neuen Bleibe.




Definiert wird das Festival aber in erster Linie durch sein Programm. Und was das betrifft, besitzt es ein klares Profil: „Wir zeigen hier Filme, die sich ein bisschen was trauen“, erklärt Torsten. „Das Kino, das wir beim Filmfest feiern wollen, ist ein Kino, das es auf dem Markt schwer hat. Und das liegt blöderweise - oder interessanterweise - nicht daran, dass es besser oder schlechter oder nicht so zugänglich ist. Das liegt einfach daran, dass es sich nicht in die üblichen Kategorien oder Schablonen des Films begeben hat.“


Mashup: Das Filmfest-Büro ist eine kunterbunte Welt aus Kitsch und Kino (Bild: Filmfest Oldenburg)

Bei den meist amerikanischen Filmemacher:innen handele sich um Menschen, die unbedingt ihre Geschichte erzählen wollten und all ihre Leidenschaft in ihre Projekte investierten. Das Ergebnis sei dabei keineswegs immer sperrig oder schwierig, räumt Torsten ein Vorurteil aus: „Ehrlich gesagt sind das manchmal Filme, die viel mehr Spaß machen und viel unterhaltsamer sind als das, was uns das übliche Blockbuster-Kino oder das Fernsehen bieten können.“


In der Tat liefen beim Filmfest bereits Beiträge wie „Tangerine“ von Sean Baker, die zwar komplett auf einem iPhone gedreht wurden, die aber geradezu mitreißend waren. Solche Limitierungen haben den entscheidenden Vorteil, dass die Regisseur:innen besonders kreativ werden und ihre Geschichten ein wenig anders erzählen als üblich. Als Zuschauer:in muss man vielleicht ein Stück weit mit Sehgewohnheiten brechen, die man von teuren Produktionen gewohnt ist. Aber dafür erfährt man viele andere Reize. Und genau das macht diesen Indie Spirit aus: mit weniger mehr zu erreichen. Torsten:„Es geht um die Menschen, nicht um Special Effects und CGI und irgendwelche Explosionen oder so was. Menschen sind der Kern des Geschichtenerzählens.“ Und dafür braucht man nicht zwangsläufig große Budgets.



Ausnahmezustand: Als 2016 Nicolas Cage nach Oldenburg kam, stand die Stadt Kopf. Auch Keira Knightley gehörte schon zu den Gästen. (Bilder: Filmfest Oldenburg)



Der Störenfried


Nun gibt es Menschen in Oldenburg – und manche sagen, es seien nicht wenige – die soliden Durchschnitt mögen, gewissermaßen das lebensphilosophische Äquivalent zur Mittelspur auf der Autobahn. Dagegen ist nichts einzuwenden, kommt man so doch einigermaßen unbeschadet durchs Leben. Gleichzeitig muss man sich jedoch eingestehen: Außergewöhnliches erreicht man mit dieser Haltung eher selten. Und vielleicht eckt das Filmfest auch deswegen gelegentlich an oder wird missverstanden: Weil es immer auf die Überholspur will - und damit an der norddeutschen Beschaulichkeit rüttelt.


Keine Frage: Das Internationale Filmfest Oldenburg polarisiert. Gar nicht so sehr wegen der ambitionierten Filmauswahl, sondern eher wegen seiner Attitüde. Unvergessen sind die politischen Scharmützel um Kürzungen und Erhöhungen der städtischen Zuschüsse, in deren Verlauf eine enorme Bandbreite an Einschätzungen zum Filmfest geäußert wurden – nicht immer mit profundem Sachverstand. Im Gegenzug verkürzte das Team um Torsten Neumann komplexe politische Entscheidungen auf die Frage: Was will Oldenburg, Froschteich oder Filmfest?



Für die einen ist der Filmfest-Tross mit Blitzlichtgewitter, VIP-Bändchen und Limousinen befremdlich, für andere faszinierend. Einige stellen sich die Frage: Warum Oldenburg? Wie passt das hierher? Andere fragen zurück: Warum nicht? Denn die richtige Frage ist ja: Muss etwas zum Standort passen, um ein Gewinn zu sein? Dann würden wir heute noch um Jagdhornbläser und Shanty-Chöre kreisen. Kann nicht im Gegenteil etwas eine Bereicherung sein, das eben nicht die bestehende Geschichte weitererzählt, sondern einen neuen Handlungsstrang aufmacht und andere Facetten freilegt? Unsere Antwort ist klar: Ja, und ob. Das Filmfest ist nicht das einzige, aber ein sehr gutes Beispiel dafür.


ZWISCHEN NETFLIX UND NACKEDEIS


Für alle, die noch (viel) mehr über das Internationale Filmfest Oldenburg von Mastermind Torsten himself erfahren möchten, haben wir hier die perfekte Gelegenheit. In Folge 12 unseres Podcasts sprachen wir mit ihm über die Geschichte und das Profil des Filmfestes - aber auch über Kinokultur in Zeiten des Streaming, über das aktuelle Filmfest und über Nackedei-Streifen der Siebziger. Interessiert? Dann hier entlang:




Ihr braucht eher visuelle Reize? Auch kein Problem: Es gibt ja die Trailer fürs Filmfest. Sie haben selbst Indie-Spirit: Die Idee muss sitzen, großes Budget gibt es nicht. Das Ergebnis sind immer wieder clevere, oft ironische oder provokante Kurzfilme, auf die sich viele Fans schon lange freuen. In diesem Jahr verwendete man aber anders als sonst bestehendes Material: Der Trailer setzt sich zusammen aus Szenen des dokumentarischen Films „Zoo Lock Down“ von Andreas Horvath, der auch im regulären Programm läuft. Der Song wird euch zum Ende des Beitrags übrigens nochmal begegnen. Aber seht selbst:




Besser als Berlin


Torsten Neumann hat an Oldenburg sowieso nie gezweifelt. Für ihn war die Stadt immer der ideale Standort für das Internationale Filmfest, obwohl er zum Zeitpunkt der Gründung noch in Berlin studierte, das für viele eine näherliegende Wahl gewesen wäre. „Oldenburg ist eine super Stadt für ein Filmfestival“, ist sich der Filmexperte bewusst. „Eigentlich viel besser als Berlin, weil es schon groß genug ist, um international was zu bieten – aber klein genug, um sich nicht aus den Augen zu verlieren.“ Alles sei nah genug zusammen und gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. „Es gibt so einen engen Zusammenhalt in den Hotels, Kinos, Restaurants, Locations für Partys. Das ist in einer Großstadt gar nicht so leicht zu erreichen. Das ist immer ein Vorteil.“


Legendär: Zum Festival de Cannes kreiert das Filmfest alljährlich eine mehrteilige Plakatkampagne, die jedes Mal mit Spannung erwartet wird. (Bilder: Filmfest Oldenburg)


Für die bekannteren Gäste ist Oldenburg eine willkommene Abwechslung zu Metropolen wie Los Angeles oder New York. Torsten erinnert sich an die mehrfachen Besuche von Matthew Modine zurück: „Für ihn war Oldenburg komplette Freiheit. Da konnte er durch die Gegend radeln und mit Leuten reden.“ Die Oldenburger:innen seien ja ein höfliches Volk, nordisch zurückhaltend, deshalb habe Modine die Gespräche als sehr angenehm empfunden. „Nur bei Nicolas Cage sind ein paar Dämme gebrochen. Da musste das Team dann etwas besser aufpassen als üblich“, schmunzelt der Festivalleiter.


Walk of Fame: Auch Matthew Modine hat einen Stern (Bild: Filmfest Oldenburg)

Insgesamt seien die Kontakte zwischen Gästen und Publikum aber sehr erwünscht und durchweg angenehm. “Diejenigen, die das Festival ein paar Mal mitgemacht haben als Zuschauer, die wissen das auch. Das sind ganz niedrige Schwellen hier“, nennt Torsten einen großen Vorzug des Oldenburger Filmfestes. „Selbst Nicolas Cage ist hier durch die Stadt gelaufen und bei der Brückenwirtin eingekehrt. Der hat ne Menge Leute kennengelernt und ist auch bei uns in die Gäste Lounge gekommen und hat sich mit den anderen Filmemacher:innen unterhalten. Für die war das natürlich das allergrößte.“


Schlüsselwort Kontext


Fest steht: Das Filmfest lässt sich nicht ad hoc erfassen, es braucht Zeit. Das betrifft einerseits den Schwerpunkt Independent-Kino, das betrifft andererseits aber auch das Festival selbst. Was passiert wann und wo? Darf ich da hin und wie verhalte ich mich dann? All das bedeutet gewisse Unsicherheiten. Doch wer sich die Zeit nimmt, wird auch belohnt. Sowohl mit den Filmen, die manche positive Überraschung bieten, wenn man sich an sie herantraut - aber auch bei den Veranstaltungen, bei denen man mit den internationalen Gästen erstaunlich einfach ins Gespräch kommt. Wann und wo sich Treffpunkte ergeben, kann man auch dem Programmheft entnehmen, das eigentlich überall ausliegt, das man aber auch hier runterladen kann.


Wichtiger Kontext: Die Gespräche über die Filme eröffnen zusätzliiche Ebenen (Bild: Filmfest Oldenburg)

So sehr Veranstaltungen auch zum Festival gehören, das Rückgrat bilden die Filme selbst. Würde ihre Qualität nicht stimmen, wäre alles andere obsolet. Zwar gehen die Meinungen in den Einzelfällen durchaus auseinander. Was für die einen Kunst ist, werten die anderen als Trash. Wo die einen Referenzen an Kinoklassiker erkennen, sehen andere nur cineastische Irrlichterei. Das aber ist keineswegs ein Manko, sondern Kernprinzip von Filmen, die nicht aus kapitalistischen Kalkül produziert wurden: Sie wollen gar nicht von allen gemocht werden, sondern idealerweise von den einen geliebt, von den anderen gehasst. Eben: alles andere als Mittelmaß.



Wichtig ist aber auch die persönliche Präsenz der Filmemacher:innen. Der Schlüsselbegriff ist hierbei: Kontext. Wie in beinahe allen Lebensbereichen helfen auch bei Filmen Informationen und Erzählungen über die Entstehung bei der Einordnung und beim Verständnis. Oft erscheint dadurch das Ergebnis sogar in einem ganz neuen Licht, Aha-Effekte gehören schließlich zu den intensivsten kognitiven Erfahrungen. Und genau das ist ein Kernprinzip des Filmfestes: Nicht nur die Filme müssen hierher, auch die Filmemacher:innen. Sie nehmen uns mit hinter die Kulissen. Durch oft humorvolle, manchmal unglaubliche, aber immer interessante Einblicke sehen und verstehen wir viel mehr als sonst.


Einzigartig: Nach wie vor ist das Filmfest das einzige der Welt, das Filme in einem Gefängnis zeigt. Das ist auch für Top-Stars wie Butch Walker (rechts) spannend, der in der JVA sogar ein legendäres Akustik-Set spielte. (Bilder: Filmfest Oldenburg)



No risk, no fun


Für das Filmfest braucht man also das richtige Mindset aus Offenheit, Neugier und Unerschrockenheit. Bringt man es mit, sitzt man plötzlich in einen kasachischen Film mit englischen Untertiteln, etwas das man sich im linearen Fernsehen niemals anschauen würde, und ist trotzdem hin und weg. Beziehungsweise: gerade deswegen. Denn auch wenn der Zugang manchmal schwieriger wird, erhöht gerade diese nötige Konzentration das Filmerlebnis.


„Für Außenstehende ist es wirklich spannend, dass aus allen möglichen Ländern exzellente Filme kommen. Kasachstan, Iran, oder Mongolei: hochwertiges Kino wird überall gemacht", weiß Torsten. Es gehöre zu den spannendsten Entdeckungen, wenn man feststellt, dass einem Kino aus diesen cineastisch eher unbekannten Ländern gefalle. Das verändere in den Köpfen häufig mehr als Weltspiegel und Auslandsjournal.



Überhaupt gibt Torsten Entwarnung für fremdsprachige Produktionen: „Wenn ein Film englischsprachig ist, können wir eigentlich alles bis zu einem gewissen Grad verstehen. Und ein guter Film erlaubt es uns auch, dass wir mit 80 Prozent wunderbar durchkommen.“ Wie das? Ganz einfach: Weil gute Filme viele Dinge nicht nur durch die Sprache erzählen, sondern auch visuell. “Man muss nur die Schwelle überwinden, irgendwo reinzugehen, wo man am Anfang vielleicht noch denkt ‘Oh Gott, ich weiß gar nicht, ob ich genug verstehe‘. Tut man am Ende nämlich doch. Das schafft Film, das schafft Kino“, freut sich Torsten über diese Qualitäten.


Feste Bestandteile: Die Partys - wie hier im Marvin's - gehören zur Filmfest-DNA. In manche kommt man auch als Zaungast rein, in andere nicht. (Bilder: Filmfest Oldenburg)



Das gleiche Prinzip gelte auch für Filme in einer Drittsprache, beispielsweise Kasachisch, die englisch untertitelt werden. „Das ist sogar noch viel einfacher, als Englisch nur in der Sprache zu verstehen. Das darf man durchaus versuchen und das soll man auch versuchen.“



Die Zukunft des Kinos


Aber ist es nicht anachronistisch, gerade jetzt - in diesen Zeiten - ins Kino zu gehen? Immerhin wächst die Zahl der Streaming-Anbieter kontinuierlich und mit ihnen die Zahl der produzierten und jederzeit verfügbaren Serien und Filme. Chips und Couch sind harte Konkurrenz für Popcorn und Loge. Ist das Kino also in Gefahr?


Nicht unbedingt, Und vielleicht muss man sogar sagen: keineswegs. Denn wir leben nicht nur in Zeiten des Streaming, wie leben auch in Zeiten dessen Grenzen. Erste Anzeichen einer Marktsättigung sind vorhanden, vielleicht liegt es an der Binge-Überdosis während der Pandemie, vielleicht am Überangebot in den Portalen, vielleicht sind wir grundlegend mit dem ständigen Rauschen um uns überfordert.


Wie auch immer: Das Filmerlebnis in einem abgedunkelten Raum, ohne Second Screen, ohne Gang zum Kühlschrank, ohne Bügeln nebenher – das ist nicht am Ende, das ist vielleicht sogar an einem Neuanfang. Erst Recht, wenn drumherum eine Geschichte erzählt wird. Schlüsselwort: Kontext. Dann nämlich, wenn Regisseur:innen und Schauspielerr:innen Hintergründe erzählen oder wenn sie uns Einblicke in ihre Arbeit geben - dann wird der Film wieder das, was er ursprünglich immer sein sollte: ein Erlebnis, das uns aus dem Alltag holt und anschließend bereichert wieder in ihn entlässt.


Große Momente: Preise sind auch für das Filmfest wichtig - selbst wenn sie undotiert sind. (Bild: Filmfest Oldenburg)

Torsten sieht sich und sein Festival letztlich auch in der Pflicht. „Wir Menschen sind ja per se eine träge Masse und man möchte gerne bedudelt werden. Und manchmal möchte ich das auch“, gibt er zu. Man brauche aber hin und wieder Stupser zum Aufwachen. Für die werde er sich immer sein einsetzen.


„Manchmal ist ein sperriger Genrefilm, der einen so richtig erschreckt, deswegen wichtig: Eben weil er mich erschreckt und weil ich reagiere und nicht einfach im wohligen Wattebausch-Dämmerzustand bleibe.“ Kino als Erweckungsmoment? Vielleicht ein hoher Anspruch, aber warum nicht? Immerhin provoziert es uns zu neuen Gedanken und Reaktionen auf Themen, die wir sonst vielleicht vermeiden hätten.



Keine Midlifecrisis


Nun also das 29. Internationale Filmfest Oldenburg. Ist nach so langer Zeit eigentlich alles Routine und läuft vollkommen entspannt ab? Immerhin biegt man mit fast 30 ja auf die Landstraße des Lebens ein, wo alles etwas gesitteter und vernünftiger abläuft. Torsten muss schmunzeln, als er darüber nachdenkt. Denn das Filmfest sitzt immer noch dort, wo es zwar unbequem ist, wo es sich aber am wohlsten fühlt: Zwischen den Stühlen. „Dieses Festival erzeugt eine Atmosphäre in diesen fünf Tagen, die man auf anderen Festivals nicht kennt“, ist sich der Cineast bewusst. Das habe Oldenburg weltweit bekannt, beliebt und bedeutend gemacht. Es wurde gewissermaßen zu einem Weltstar der Nische. „Trotzdem machen wir nach wie vor unser eigenes Ding“, betont Torsten. „Wir sind sind und bleiben unabhängig.“


Im Laufe der Jahre hat sich das Internationale Filmfest Oldenburg also ein Standing erarbeitet, das vieles einfacher macht. Dennoch ist man weit davon entfernt, dass überall rote Teppiche ausgerollt würden, sobald man sich ankündigt: „Wir müssen immer wieder die Leute dafür begeistern, hierher zu kommen oder uns zu unterstützen“, berichtet Torsten. „Anfangs hat man mal gedacht, das wird sich irgendwann mal verfestigen. Aber nach jetzt 29 Jahren kann man sagen: Das ist Träumerei. Man muss sich das immer wieder neu erkämpfen. Alles.“ Ohne dass er es ausspricht, ist in diesem Moment völlig klar: Das ist genau das, was er weiterhin vor hat.



Ein Muss für jedes Festival: Der rote Teppich (Bild: Filmfest Oldenburg)

Prädikat: Besonders wertvoll


Was ist nun das Filmfest? Ein Störenfried für die Oldenburger Gemütlichkeit? Ein Gernegroß, der sich bedeutender fühlt als er ist? Oder tatsächlich ein Zentrum des unabhängigen Kinos, das Filme, Erlebnisse und Menschen in unsere Stadt holt, die wir sonst mit Sicherheit verpasst hätten? Wer es ganz neutral betrachtet und persönliche Sehgewohnheiten beiseite lässt, kann eigentlich nur zu einem Urteil kommen: Es ist eine Bereicherung für die Stadt. Eben weil es nonkonform und unbequem ist und weil dort Dinge geschehen, die nicht jeder sofort versteht oder goutiert. Denn das sind häufig diejenigen, die uns am meisten weiterbringen.



Die Stadt Oldenburg fördert das Filmfest pro Jahr mit etwa 100.000 Euro. Das ist nicht übertrieben viel für so ein Festival, aber dennoch ein klares Bekenntnis: Wir wollen das! Politik und Verwaltung haben sich also längst entschieden. Und die Bevölkerung? Etwa 15.000 Besucher:innen kommen Jahr für Jahr, womit das Filmfest auch zu den größten Kulturveranstaltungen in Oldenburg gehört. Beinahe fragt man sich: Warum muss es dann immer noch um Anerkennung kämpfen? Doch dann fällt es einem wieder ein: Es ist und bleibt – ganz bewusst und gewollt – ein Mauerblümchen und ein Schattengewächs. Und das ist für die einen eben ein Kleinod, für die anderen aber Unkraut.


Doch eines wissen wir: Das vergeht nicht.


 

Jeder Podcast-Gast darf sich am Ende des Gesprächs einen Song für unsere „Die Mische“-Playlist wünschen. So entsteht nach und nach eine Collage des Musikgeschmacks der Oldenburger Kulturszene. Torsten hat sich den Titelsong des aktuellen Trailers ausgesucht: „Don't fence me in“ von Bing Crosby. Gemünzt war er zunächst auf die Tiere in Andreas Horvaths Dokumentation „Zoo Lock Down“. Er steht aber natürlich auch für den freigeistigen Indie-Spirit, für Kreativität und Unangepasstheit. Echtes Filmfest-Material also.




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