Als im Februar letzten Jahres erste Nachrichten vom Überfall Russlands auf die Ukraine bei uns ankamen, hätten viele nicht damit gerechnet, dass uns dieser Krieg noch mehr als ein Jahr später beschäftigen würde. Und "uns" meint in diesem Fall auch die Kultur. Als Seismograph und Brennglas hat sie sich früh, wiederholt und intensiv mit den Geschehnissen auseinandergesetzt und dabei neue Blickwinkel freigelegt, uns berührt und betroffen gemacht. Was für ein Gewinn! Und da kommt noch mehr.
Dieses Mal geht es allerdings nicht um eine theatralische Inszenierung oder eine andere künstlerische Konfrontation mit den Geschehnisse im Osten. Im Rahmen der Reihe "Oldenburg und Europa" veranstaltet das Oldenburger Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) zusammen mit der Stadt Oldenburg und der Carl von Ossietzky Universität ein Podiumsgespräch mit prominenter Besetzung und einer interessanten inhaltlichen Konstellation.
Es geht in diesem Fall nämlich nicht nur um eine politisch-diplomatische oder militärisch-strategische Dimension. Es geht also nicht nur um die rein faktische Frage, wie man den Konflikt "technisch" und "organisatorisch" lösen bzw. beenden könnte. Nein, in diesem Fall spielen auch ethisch-moralische Fragen eine Rolle - mitsamt der damit einhergehenden Implikationen.
PODIUMSGESPRÄCH
KRIEG GEGEN DIE UKRAINE -
WEGE ZUM FRIEDEN?
MIT NOBELPREISTRÄGERIN DR. IRINA SHERBAKOWA
MITTWOCH, 12. APRIL 2023, 19.30 UHR
KULTURZENTRUM PFL PETERSTRAßE 3
26121 OLDENBURG FLYER
Die ultimative Lösung?
Klar: Die Aussicht auf ein abendliches Podiumsgespräch reißt nicht jeden Kulturfan sofort von den Sitzen. Der Begriff wirkt zunächst etwas träge und unbeweglich, intuitiv könnte man diese Attribute auch auf die Veranstaltung selbst übertragen. Doch weit gefehlt! Ein Gespräch unter Menschen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf ein Thema schauen, die dabei etwas Substanzielles zu sagen haben und ihre Botschaften auch zu formulieren wissen, kann eine Kunst für sich sein. Denn all die Erfahrungen, Einsichten und Erwartungen ergeben letztlich eine Art Kaleidoskop, das auch ohne große Inszenierung sehens- und hörenswert ist.
Was also kann man von dieser Veranstaltung erwarten? Eine fesselnde, bewegende Darstellung der Situation im Krisengebiet? Nein, das wird im PFL keine größere Rolle spielen, dafür muss man in die Exhalle. Aber bietet sie vielleicht die ultimative Lösung für den Krieg in der Ukraine? „Nein, das wäre wohl etwas viel verlangt“, antwortet Prof. Dr. Matthias Weber, Direktor des BKGE, etwas nachdenklich. „Nur Putin, der den Krieg begonnen hat, könnte ihn sofort beenden“, Sowieso zerbrächen sich zahllose Fachleute seit vierzehn Monaten den Kopf über diese Frage; ihnen wird man an einem Mittwochabend in Oldenburg kaum zeigen können, wie es wirklich geht.
DER ZEIT VORAUS!? Den Carl von Ossietzky Preis haben wir schon vielfach thematisiert. Hier zum Beispiel, hier oder auch hier. Welch besondere Auszeichnung Oldenburg mit ihm besitzt, zeigt sich am besten aber nicht anhand vieler Worte, sondern an einer Entwicklung. Im Jahr 2014 verlieht die Stadt ihren Preis für Zeitgeschichte und Politik nämlich an Dr. Irina Sherbakowa. Sie würdigte damit ihren unermüdlichen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte. Genau acht Jahre später, nämlich 2022, erhielt Irina Sherbakowa einen anderen Preis, dessen Bekanntheit und Bedeutung noch leicht oberhalb des Ossietzky-Preises anzusiedeln ist, nämlich den Friedensnobelpreis. Die Auszeichnung ging zwar genauer gesagt an die Organisation „Memorial International“, die aber ist von ihrer Gründerin Sherbakova nicht zu trennen. „Seit ihrer Auszeichnung hat Irina Sherbakowa einen besonderen Bezug zu Oldenburg“, erklärt Matthias Weber. „Schon damals war sie beim BKGE zu Gast und hat mit uns diskutiert. Seitdem gab es immer wieder Kontakte, erst vor wenigen Wochen hat sie auf einer unserer Tagungen in Berlin gesprochen.“ Als sie nun wieder nach Oldenburg eingeladen wurde, habe sie gleich zugesagt. „Offenbar fühlt sie sich hier willkommen - und das spricht ja ganz für Oldenburg“, freut sich Weber. Natürlich kann man nicht behaupten, dass der Ossietzky-Preis in igendeiner Form "besser" ist als der Nobelpreis, weil er Shervakova früher auszeichnete. Der Umstand verdeutlicht aber, dass die Kriterien der Oldenburger Auszeichnung dem globalen Vergleich standhalten - und dass man gut daran tut, den Ossietzky-Preis aufmerksam zu beobachten. Denn manchmal ist er der Zeit voraus.
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Stimmen der Betroffenen
Aber was bringt so ein Format dann? „Oft wurde - auch in Oldenburg – über Wege zum Frieden gesprochen, ohne dass die Perspektive der am meisten Betroffenen, die Menschen in der Ukraine, ausreichend einbezogen wird“, erläutert Weber. Das sei aber wichtig. Schließlich sei es ein großer Unterschied, ob man zum Beispiel über das Thema „Waffenlieferungen“ von hier aus spricht oder ob die russischen Kanonen direkt auf das eigene Haus zielen wo die eigenen Kinder wohnen.
„Auch diejenigen Russinnen und Russen, die geflohen sind und aus dem Exil Widerstand leisten, und die Russland von innen aus eigener Erfahrung kennen, haben uns viel zu sagen, was wir nicht wissen“, erinnert der Direktor. Beim Pdiumsgespräch kämen ganz unterschiedliche Stimmen zusammen, auch die unterschiedlichen Meinungen über „Wege zum Frieden“ bei uns. „Auf jeden Fall wollen wir, dass von dieser Veranstaltung auch ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine ausgeht“, betont Weber.
Es gilt das gesprochene Wort
Es werden also Menschen diskutieren, die aus unterschiedlichen Perspektiven, mit fachlicher Expertise, biographischen Bezügen oder ethischen/religiösen Überzeugungen auf eines der größten Themen unserer Zeit blicken. Sie werden gedanklich und semantisch eine Kunstfertigkeit an den Tag legen, die bei allem Lehr- und Mehrwerten tatsächlich auch eine Art Genuss ist - selbst wenn dies bei diesem Thema natürlich nur eine untergeordnete Rolle spielt. Zentral ist die gemeinsame Hoffnung auf Frieden. Aber um sie wird es ja ebenfalls gehen.
Natürlich besteht nach vierzehn Monaten Krieg die Gefahr einer Übersättigung. Gibt es tatsächlich noch Gedanken, die nicht bereits gedacht wurden? Lösungsansätze, die nicht schon durchdekliniert wurden? Hoffnungen, die sich nicht längst zerschlagen haben? Wahrscheinlich nur wenige. Was aber auch heißt: die wenigen gibt es doch! Und es braucht einfach eine Unermüdlichkeit, um den Weg zu einem Frieden zu Ende zu gehen.
EBENFALLS EMPFEHLENSWERT:
14 TAGE KRIEG - EINE MOMENTAUFNAHME
26. APRIL, 20 UHR (KARTEN)
29. APRIL, 20 UHR (KARTEN)
5. MAI, 20 UHR (KARTEN) EXHALLE AM PFERDEMARKT JOHANNISSTRAßE 6 26122 OLDENBURG MEHR DAZU: HIER UND HIER.
Und siehe da: Nicht selten haben solche Veranstaltungen eine eigene Dramaturgie und Choregraphie, eine beinahe kunstvolle Kompositionen, die zu gleichen Teilen aus geplanten Entwürfen und zufälligen Entwicklungen besteht. Und das wiederum klingt doch sehr nach... Kultur!
Zwar nicht im Sinne einer performativ-kreativen Aufarbeitung, auf Gänshautmomente wartet man wohl vergeblich. Kultur ist das aber sehr wohl im Sinne der kognitiven Auseinandersetzung mit der Welt, die uns umgibt - und mit einer mal rationalen, mal emotionalen Reaktion darauf. Der gegenseitige Austausch und die gemeinsame Suche nach Lösungen ist durchaus etwas, das uns auch kulturell bereichern kann. Denn letztlich ist all das eine Art Gedankenkunst. Und sie betrifft: uns alle.
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