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EINMAL ALLES!

Filmkenner denken bei diesem Satz an Sebastian Schippers Debüt „Absolute Giganten“ aus dem Jahr 1999. Dort lautet die Bestellung der Protagonisten Floyd, Ricco und Walter bei einer bekannten Fast Food Kette nämlich so: „Dreimal alles“! Was das mit Oldenburger Kultur zu tun hat? Oder mit dem Carl von Ossietzky Preis? Auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten schon mehr. Was genau - das erklären wir hier.


Unterwegs in Ossietzkys Geburtsstadt Hamburg: Die drei Freunde Ricco, Floyd und Walter mit Telsa (Bild: X-Films)

Nein, wir wollen hier nicht viel über den diesjährigen Preisträger Igor Levit schreiben. Das haben wir nämlich schon getan. Auch über die Auftragskomposition müssen wir nicht mehr viele Worte verlieren. Das haben wir nämlich schon getan. Mit der langjährigen Organisatorin Gerda Grebe zu sprechen, können wir uns ebenfalls sparen. Auch das haben wir nämlich schon getan.


Hier geht es um etwas anderes. Nämlich darum, den Preis besser greifen zu können, und zwar in aller Kürze. Was genau verleiht die Stadt Oldenburg da eigentlich? Worum geht es, was hat das mit Ossietzky zu tun - und was wiederum hat Ossietzky mit Oldenburg zu tun? Berechtigte Fragen, die wir hier zu klären versuchen.


 


VERLEIHUNG DES CARL VON OSSIETZKY PREISES FÜR ZEITGESCHICHTE UND POLITIK


PREISTRÄGER: IGOR LEVIT

FREITAG, 9. DEZEMBER, 18 UHR (TICKETS)


KULTURZENTRUM PFL PETERSTRAßE 3

26121 OLDENBURG EINE AUFZEICHNUNG DER PREISVERLEIHUNG GIBT ES AUF YOUTUBE

 

Kapitel 1: Carl von Ossietzky


Fangen wir mal mit dem auffälligsten an: Dem Namen. Bei Carl von Ossietzky denken die meisten heutzutage automatische an die Universität. Damit geht häufig die Annahme einher, Ossietzky werde schon irgendwas mit der Stadt zu tun gehabt haben.

Carl von Ossietzky in jungen Jahren, lange vor den Torturen der Gefangenschaft (Bild: Carl von Ossietzky Universität)

Aber: Das hat er nicht. Genauer gesagt hat Ossietzky Zeit seines Lebens nie einen Fuß nach Oldenburg gesetzt. Vielmehr war er in den Metropolen Hamburg und vor allem Berlin zuhause. Wie kam es dennoch zur Namengebung?


Das ist leider eine leidvolle, aber deswegen umso wichtigere Geschichte. Ossietzky war als Journalist für die „Weltbühne“ ein leidenschaftlicher Pazifist. Damit stand er im diametralen Gegensatz zur Ideologie der Nationalsozialisten, denen Ossitzky mehr als nur ein Dorn im Auge war. Im Februar 1933 wurde er in „Schutzhaft“ genommen. Als prominentester politischer Häftling jeder Zeit wurde ihm im Jahr 1936 der Friedensnobelpreis verliehen, doch das half ihm nicht: Ossietzky wurde in verschiedenen Konzentrationslagern interniert, unter anderem im KZ Esterwegen - das gerade mal 50 Kilometer von Oldenburg entfernt lag. Am 4. Mai 1938 erlag er in Berlin den Folgen der Misshandlungen.

Unser Tipp: Fahrt mal zur Gedenkstätte, am besten an einem trüben Herbsttag, wenn die Kraft der Sonne schon langsam schwindet - ein unheimliche Erfahrung. Dieser Ort hat auch heute noch eine düstere Magie.

Diesen Umstand hat man in unserer Region als eine historische Verpflichtung interpretiert, anfänglich - auch in Zusammenhang mit der Namensgebung der Universität - auch gegen Widerstände. Heutzutage aber ist es Konsens, dass es sich bei der Benennung der Hochschule und beim Preis der Stadt Oldenburg um zwei angemessene und aussagekräftige, vielleicht aber auch notwendige Formen der Ehrung handelt.


Denn mit dem Carl von Ossietzky Preis für Zeitgeschichte und Politik werden Persönlichkeiten geehrt, die sich im Sinne von Ossietzky eingesetzt haben: für Frieden, Versöhnung und Pazifismus, für eine Annäherung zwischen Ost und West, für ein friedvolles Zusammenleben der Nationen und Völker. Diese Persönlichkeiten zeichnen sich durch ein Engagement aus, das wie über das übliche Maß hinausgeht, für dass sie teilweise kritisiert und angefeindet werden und das in manchen Fällen sogar gefährlich ist.



Who is who: Die Tafel der bisherigen Preisträger:innen ist imposant - auch wenn uns nicht jeder Name geläufig sein mag. (Montage: Kulturschnack)

Kapitel 2: Zeitgeschichte und Politik


Der Untertitel des Preises hat es durchaus in sich. Die Formulierung „Zeitgeschichte und Politik“ mag zwar erstmal nicht aufregend klingen. Zumindest zählen die meisten Menschen diese Themen nicht zu ihren leidenschaftlichsten Interessen. Aber: Das liegt weniger an ihnen als vielmehr an einer Fehlinterpretation.


Pianist oder Poliaktivist? Klare Antwort: Igor Levit ist beides! (Bild: Felix Broede)

Zeitgeschichte und Politik sind keine abstrakten Fachgebiete, bei denen man idealerweise einschlägig studiert haben sollten, um einen Bezug herstellen zu können. Ganz im Gegenteil: Zeitgeschichte und Politik passieren jetzt, immer und überall. Sie bestimmen unser tagtägliches Leben, definieren unsere Möglichkeiten und Grenzen. Was ihr in Newsportalen anklickt, was ihr in der Zeitung lest, was ihr mit euren Freund:innen besprecht - das ist alles Zeitgeschichte und Politik. Diese Themen haben einen hohen Aktualitätsbezug und außerdem eine enorme Bedeutung.


Das erkennt man ja auch beim diesjährigen Preisträger Igor Levit. Es handelt sich - anders als früher - nicht um einen fachlichen Spezialisten, der weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit seiner wichtigen Tätigkeit nachgeht. Nein, es handelt sich um einen weltberühmten Pianisten, der seine Prominenz nutzt, um sich - den Idealen Ossietzkys folgend - für Frieden, Verständnis und Versöhnung einzusetzen. Der aber auch Anfeindungen riskiert, weil er sich bei heiklen Themen klar positioniert.

​Unser Tipp: Folgt Igor Levit auf Instagram (seinen Twitter-Account hat er natürlich gelöscht, schöne Grüße an Elon Musk!) und achtet auch auf seine Äußerungen in Interviews oder in anderen Gesprächsformaten. Der Mann hat eine klare Haltung, einen funktionierenden Kompass und eine wichtige Mission. Und nebenbei spielt er auch ganz gut Klavier.

Es mag im Moment und im Detail nicht so wirken, aber: Das ist Zeitgeschichte, das ist Politik. Denn Igor Levit nimmt damit Einfluss auf die öffentliche Debatte, sorgt für wichtige inhaltliche Akzente - und nutzt dabei seine große Reichweite. Er müsste all das gar nicht tun, er braucht weder Ruhm noch Geld, beides dürfte er zu Genüge haben. Er tut das, weil er es will, weil es ihm wichtig ist und weil er gar nicht anders kann. Auch das: eine Parallele zu Ossietzky.



Kapitel 3: Carl von Ossietzky Preis für Zeitgeschichte und Politik


Im Ergebnis wurden bei der Auszeichnung der Stadt Oldenburg also die Ideale und die Verdienste einer großen historischen Persönlichkeit in die Gegenwart übertragen. Und genau dort gehören sie auch hin. Frieden ist vielleicht die höchste zivilisatorische Errungenschaft, denn ohne ihn nutzt alles andere nichts. Ihn zu bewahren sollte ein Ziel für uns alle sein.



Ossietzy-Plastik in den Oldenburger Wallanlagen (Bild: Wikipedia)

Dass man dafür Zeitgeschichte und Politik beeinflussen oder sogar prägen muss, leuchtet ein. Sie bestimmen unsere Wahrnehmung der Gegenwart, definieren Narrative und Framings. Sie sind also nicht weniger als dasjenige Feld, auf dem sich entscheidet, ob wir den Frieden erhalten oder nicht. Deshalb gebührt ihnen unsere große Aufmerksamkeit.

​Unser Tipp: Der Film „Absolute Giganten“ hat rein gar nichts mit Carl von Ossietzky oder Oldenburg zu tun. Aber schaut ihn euch trotzdem an, er ist auch 23 Jahre nach der Verröffentlichung noch hervorragend.

Wenn man sich all die Facetten dieses Preises vergegenwärtig, stellt man tatsächlich fest, dass er zeitgemäßer und bedeutender kaum sein könnte und dass er weit mehr wichtige und positive Eigenschaften auf sich vereint als man zunächst vermutet. Ein wenig scheint es so, als hätten die Initiator:innen bei der Konzeption des Preises laut gedacht: "Einmal alles!“. Und auch wir haben diesen Ruf gehört und deshalb den fünften Artikel zum Ossietzky Preis geliefert. Verdient ist verdient - aber jetzt ist Schluss.



 

Hört auch auch unseren Podcast mit Gerda Grebe an, die sich seit vielen Jahren um die Vorbereitung und Organisation des Carl von Ossietzky Preises kümmert.



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