Es ist kein Geheimnis: In Ausstellungen geht es nicht immer nur um Kunst. Das zeigt insbesondere der Dauerbrenner World Press Photo-Exhibition. Das zeigt nun aber auch „Protest.bewegt.Uni“ im Gebäude des Staatlichen Baumanagements. Die Ausstellung verrät uns nicht nur etwas über die 50-jährige Geschichte der Universität - sondern auch über Oldenburg und über uns.
Die Carl von Ossietzky Universität feiert in diesem Jahr ihr fünfzigjähriges Bestehen. Das ist ziemlich jung, etwa im Vergleich zur Rijksuniversiteit in unserer Partnerstadt Groningen, die im Jahr 1614 ihre Pforten öffnete. Doch erstens reichen ihre Wurzeln - in Form des Lehrerseminars - zurück bis ins Jahr 1793, was schon etwas stattlicher klingt als 1973. Und zweitens ist es dennoch beachtlich, welchen Weg sie im letzten halben Jahrhundert gegangen ist.
Dieser Weg war nämlich nicht der einfachste. Anders als manche altehrwürdige Lehranstalt, die seinerzeit einfach auf Befehl des jeweiligen Regenten eingerichtet wurde, gab es Forderungen zu artikulieren, Widerstände zu überwinden und Protest zu organisieren. Das fing bereits mit der Gründung selbst an und hörte bei der Namensgebung längst noch nicht auf. Alles über dieses spannende halbe Jahrhundert erfahrt ihr nun in einer Ausstellung.
PROTEST BEWEGT UNI
50 JAHRE PROTESTKULTUREN AN DER UNI OLDENBURG
10. MÄRZ BIS 5. MAI 2024
MI, FR 10 BIS 17 UHR
DO 12 BIS 20 UHR
SA, SO 11 BIS 18 UHR
AULA IM EHEM. LEHRERSEMINAR
(HEUTE: STAATLICHES BAUMANAGEMENT)
26121 OLDENBURG
Zusammen in die Zukunft
Wenn es ein Gefühl gibt, das sich beim Gang durch die Ausstellung wiederholt, dann ist es: ungläubiges Staunen. Im Kontext zur Geschichte des Hochschulwesens sind 50 Jahre bestenfalls ein Wimpernschlag. Was in dieser kurzen Phase aber an Protest in Oldenburg geschah, ist bemerkenswert. Die Ausstellung erzählt eine Geschichte des Zusammenhalts, der Selbstermächtigung und der Zukunftsorientierung. All diese Dinge waren nötig, um der jeweiligen Bewegung die nötige Wucht zu verleihen - ebenso wie das Instrumentarium, das vom sachlichen Dialog über bissige Kommentare bis zu wütenden Demonstrationen reichte.
Aber wie kommt man überhaupt darauf, sich im Jubiläumsjahr ausgerechnet dem Protest zu widmen? „Wir haben uns überlegt: Was kann man Spannendes machen? Einfach die Uni Geschichte runterzurattern, war uns zu langweilig“, erzählt Jennifer Kynast, die in Oldenburg „Museum und Ausstellung“ studiert und einer der zehn Köpfe hinter der Ausstellung ist - mit tatkräftiger Unterstützung vom Stadtmuseum Oldenburg und der Universitätsbibliothek. „Dabei ist uns aufgefallen, dass die Uni besonders protestfreudig ist - und dass sie von diesen Protesten in ihrer Entwicklung stark beeinflusst wurde.“
Die Angst vor der Kaderschmiede
Das begann sogar schon vor ihrer Gründung. In Hannover sah man Mitte des 20. Jahrhunderts keine große Notwendigkeit, den Nordwesten Niedersachens hochschulisch zu versorgen. Städte wie Oldenburg und Osnabrück mussten dafür kämpfen, den jungen Menschen neue Bildungschancen vor Ort zu eröffnen. Gleichzeitig befürchtete man, dass die neuen Reform-Universitäten zu „Kaderschmieden“ der extremen Linken werden würden. Es dürfte kein Zufall sein, dass im Jahr 1972 zunächst die Bereitschaftspolizei Oldenburg an der Bloherfelder Straße eingerichtet wurde - und dass der Weg zum Campus Haarentor von dort in fünf Minuten zu bewältigen ist,
Das Alte Lehrerseminar in der Peterstraße war 1793 die Keimzelle der Universität. Die Ausstellung findet in der historischen Aula statt. Wegen des Denkmalschutzes musste beim Aufbau vorsichtig agiert werden. (Bilder: Kulturschnack)
Trotz aller Widerstände gelang am 5. Dezember 1973 die formelle Gründung und im Jahr darauf die Aufnahme des Studienbetriebs. Ein Happy End war das aber noch lange nicht, denn Proteste sollten die junge Universität noch eine Weile beschäftigen: „Es ging zunächst viel um die Universität selbst, etwa weil keine Mensa gebaut wurde“, erklärt Luise Rathke, die ebenfalls ihren Master im Studiengang „Museum und Ausstellung“ macht und für das Projekt die Öffentlichkeitsarbeit übernimmt. Später habe sich die Protestkultur in Friedens- und Anti-Atomkraft-Demos fortgesetzt.
Forschungslücke Protestkultur
„Mir war gar nicht bewusst, dass Oldenburg so proteststark ist“, gibt Luise zu. Die Bremerin habe die Nachbarstadt immer als ruhig und beschaulich wahrgenommen. Erst durch die Arbeit an der Ausstellung sei ihr diese andere Seite der Huntestadt aufgefallen. Eine Erfahrung, die auch viele Besucher:innen machen dürften.
Jennifer freut sich ebenfalls, dass die Ausstellung einige Wissenslücken schließen kann: „Die Bedeutung von Protesten für die Uni-Geschichte war bislang kaum erforscht. Wir haben jetzt verschiedene Perspektiven darauf bekommen, weil die Zeitzeug:innen noch greifbar waren.“ Wie war das damals, was habt ihr gemacht und wer war mit beteiligt? Diese Fragen habe man nun noch stellen können - und zwar an alle Beteiligte. Ob dafür oder dagegen, bei „Protest.bewegt.Uni“ kommen erfreulicherweise alle zu Wort.
MEHR KONTEXT DAS RAHMENPROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG Neben den umfangreichen Öffnungszeiten haben die Studierenden auch ein Rahmenprogramm konzipiert, das zusätztliche Hintergünde und Informationen bietet. Merkt euch am besten gleich folgende Termine vor: FREITAG, 15. MÄRZ, 18-21 UHR PODIUMSDISKUSSION An Universitäten wird ebenso wie an Museen häufig der Anspruch von politischer Neutralität gestellt. Inwieweit sind innerhalb dieser Räume Protest und Aktivismus möglich? Über diese und weitere Fragen wird im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen der Universität und der Oldenburger Museumslandschaft diskutiert. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Voranmeldung möglich
SAMSTAG, 23. MÄRZ, 15 BIS 17 UHR
PLAKATWORKSHOP
Wofür möchte ich protestieren und wie kann ich Protest gestalterisch sichtbar machen? In dem Workshop werden eigene Plakate gestaltet. Die Materialien werden vor Ort zur Verfügung gestellt. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Voranmeldung möglich. Treffpunkt ist um 15 Uhr in der Ausstellung.
JEDEN SONNTAG, 15 UHR
ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN
Jeden Sonntag führt eine der Kuratorinnen durch die Ausstellung. Treffpunkt dafür ist um 15 Uhr im Ausstellungsraum in der Peterstraße 42. Die Führung dauert etwa eine Stunde. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Voranmeldung möglich.
|
Generationsüberstreitender Kampf
Einem größeren Kreis bekannt sein dürfte dagegen der Streit um die Namensgebung der Universität. Unvergessen ist die ungenehmigte Anbringung des Carl von Ossietzky-Schriftzugs an der Universitäts-Fassade, von der einige ikonische Fotos existieren. Der lange Weg zum Namen spielt natürlich auch in der Ausstellung eine Rolle: „Es gab sehr viele Argumente von verschiedenen Seiten“, berichtet Jennifer von den Gesprächen mit Zeitzeug:innen. Dadurch sei nachvollziehbar geworden, warum man sich so stark dafür eingesetzt habe.
Letztlich sollte der Prozess achtzehn Jahre andauern und erst 1991 gelöst werden - er lief also auch über Studierenden-Generationen hinweg. „Die Bewegung hätte erlahmen oder plötzlich ein anderer Name hätte ins Spiel gebracht werden können“, gibt Luise zu bedenken. Es sei bemerkenswert, dass trotzdem an den Zielen festgehalten wurde. „Das hatte viel mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zu tun“, weiß Jennifer. Das sei in jener Zeit sehr wichtig gewesen - und das gelte auch heute noch. „Generell herrschte damals die Überzeugung, dass man was tun muss, um was zu bewegen. Und das hat sich dann immer wieder zugespitzt“, erklärt Luise. In der Regel: Zum Vorteil der Universität.
Passend dazu kann man in der Ausstellung selbst aktiv werden. Der Fokus liegt zwar auf dem starken Bildmaterial, informativen Texten und den Audio-Mitschnitten der Zeitzeug:innen-Gespräche. Man kann aber auch selbst Buttons kreieren oder am Plakatworkshop teilnehmen - damit man für den nächsten Protest bestens vorbereitet ist.
Konstruktiv statt destruktiv
Wobei man den Begriff durchaus in verschiedenen Schattierungen verstehen kann - und sollte. „Es stellt sich immer die Frage: was ist Protest, was kann Protest sein?“, betont Jennifer. Das sei auch den Zeitzeug:innen wichtig gewesen. „Proteste richten sich nicht nur gegen etwas, sie setzen ich auch für etwas ein: für die eigene Uni, für die eigenen Rechte.“ In Oldenburg seien die Proteste definitiv etwas gewesen, was die Hochschule weitergebracht habe. „Das wollten wir auch im Titel ausdrücken“, ergänzt Luise. „Damit zeigen wir, dass Protest eben sehr positiv sein und etwas bewirken kann.“.
Die Ausstellung könne durchaus dazu beitragen, die Wahrnehmung von Protesten zu verändern, findet Jennifer. „Wenn man Leute darüber sprechen hört, warum sie protestieren und wie sie versuchen, ihr Anliegen rüberzubringen, dann ist das alles andere als destruktiv.“ Bei den Zeitzeug:innen habe oft der Wunsch eine Rolle gespielt, sich miteinander zu unterhalten. „Es ging darum zu sagen: Das stört uns, das wollen wir gerne, lasst uns drüber reden, vielleicht können wir was ändern.“
Macht kaputt, was euch kaputt macht?
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wessen Geschichte wird hier erzäht? Vordergründig ist es jene der Universität und ihrer Studierenden. Doch ein Blick auf die Bilder reicht aus, um zu erahnen, dass es um mehr geht. Wir tauchen ein in eine andere Zeit, in ein anderes Deutschland. Nämlich jenes der Bonner Republik, die sich in einem Spannungsfeld befand zwischen Erzkonservativen in Machtpositionen und dem Widerstand gegen diese Krusten, der sich in der RAF manifestierte.
Parallel dazu verliefen große gesellschaftliche Veränderungen: Die sexuelle Revolution, die Anfänge der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die Entkriminalisierung von Homosexualität. Deutschland befand sich an einer Schnittstelle - zwischen der an Stillstand grenzenden Stabilität und dem Wunsch nach Freiheit. Dass diese Konstellation ein Nährboden für Protest war? Ist alles andere als ein Wunder.
Ein Satz der Band Ton Steine Scherben wurde dabei zum Slogan, in dem sich schon 1970 der Spirit des Widerstands manifestiere: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Genau so muss sich die Situation für viele Protestierende angefühlt haben: Als etwas, das schwer auszuhalten ist. Und das betraf eben auch Themen wie das Fehlen einer Hochschule im Nordwesten - und nach ihrer Gründung der angemessener Name.
Heute gibt es andere Themen, auserzählt ist die Geschichte deswegen aber keineswegs. „Das Thema Protest ist ja total aktuell“, ordnet Luise ein. „Gerade durch die Demos gegen Rechts, die jetzt in ganz Deutschland präsent sind, fühlen sich viele Menschen davon angesprochen, weil sie ganz verschiedene Generationen zusammengebracht haben.“ So dürfte die Protestkultur auf dem Campus und jenseits davon noch viele weitere Kapitel erhalten.
Nicht zuletzt deshalb ist es ein Gewinn, dass junge Menschen auf eine fünfzigjährige Geschichte zurückblicken, die - wie Jennifer und Luise - selbst erst 24 Jahre alt sind. Gerade weil sie keine biographischen Bezüge zur Materie besaß, war die Gruppe junger Studierender eine Idealbesetzung für die Aufgabe. Die damit verbundene Neutralität ist genau die richtige Voraussetzung für ein emotionales Thema wie Protest.
Protest.bewegt.uns
„Protest.bewegt.Uni“ ist eine Zeitreise in die jüngste Vergangenheit. Das ist vor allem deshalb spannend, weil sie weit weniger thematisiert wird als frühere Epochen. Dabei sind viele wichtige Weichenstellungen - vor allem, was die Aufgeklärtheit unserer Gesellschaft angeht - erst dreißig, vierzig oder eben fünfzig Jahre her. Das Team um Jennifer und Luise hat einen Bereich freigelegt, der eine hohe gesellschaftliche Bedeutung besitzt, aber dennoch weitgehend unerforscht ist: A sweet spot of science.
Es ist gerade die Überschaubarkeit der zeitlichen Dimension, die „Protest.bewegt.Uni“ zu einem starken Erlebnis macht. Dass Oldenburg, Niedersachsen, Deutschland vor rund einem halben Jahrhundert noch so viel anders waren als heute, dass man damals - und danach - noch um viel Grundsätzliches kämpfen musste und dass es für viele Forderungen nicht mal Ansätze eines Verständnisses gab: das unterscheidet sich doch sehr von heute. Deshalb eignet sich die Ausstellung auch für Menschen, die in ihrem Leben noch nie einen Campus betreten haben.
Zudem zeigt sich hier sehr deutlich, dass Protest sich keineswegs immer gegen etwas richten muss. Er kann konstruktiv statt destruktiv sein. Vielleicht ist das etwas, dass man als stärkstes Learning aus der Ausstellung mitnehmen kann: Dass es sinnvoll ist, sich für etwas einzusetzen, das man erreichen oder bewahren möchte - weil es allen zugute kommt. Begreift man Protest in dieser Form, dann kann man nur sagen: Viva la revolución!
Kommentare