DIE WOLLEN DOCH NUR SPIELEN
- kulturschnack
- vor 8 Stunden
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Was ist eigentlich Jugendtheater? Nur eine Versuchsanordnung für Schauspielnachwuchs? Oder ist es vielleicht viel mehr? Wer erlebt hat, mit wie viel Enthusiasmus, Herzblut und Talent die jungen Schauspieler:innen agieren, weiß sofort: Jugendtheater ist lebensnah, gefühlsstark und mitreißend. Es ordnet sich dem „erwachsenen“ Theater nicht unter, es steht gleichberechtigt daneben. Warum da so ist, könnt ihr vom 23. bis 29. Juni selbst überprüfen - bei den Jugendtheatertagen 2025.

Immer dann, wenn sich die reguläre Theatersaison dem Ende zuneigt, sollte man konterintuitiv handeln: Nicht etwa abschalten, sondern aufhorchen. Die Spielzeit trudelt nämlich nicht etwa aus wie ein belangloser Sommerkick, der längst entschieden ist. Ganz im Gegenteil, es bietet einen weiteren Höhepunkt, auf den nicht wenige besonders gewartet haben und auf den alle Beteiligten sogar richtiggehend hinfiebern: die Jugendtheatertage Oldenburg - das Festival für junges Theater!
Realisiert wird es auch in diesem Jahr vom Theaterpädagogischen Netzwerk, dem das Oldenburgische Staatstheater, die Jugendkulturarbeit und das Ev. Bildungshaus Rastede angehören. Gespielt wird vor allem in der Exhalle am Pferdemarkt, aber auch im Theater k der Kulturetage und im Oldenburger Computermuseum. Über allem steht jedoch eine Frage: Ist das nur ein Pflichttermin für Schulklassen in Vorfreude auf die Sommerferien? Oder sollte man auch dann einen Blick riskieren, wenn man im letzten Jahrtausend geboren ist? Die Antwort auf diese Frage ist überraschend eindeutig.
JUGENDTHEATERTAGE 2025
FESTIVAL FÜR JUNGES THEATER!
23 BIS 29. JUNI 2025
EXHALLE
26121 OLDENBURG
Theater der Generation Netflix
Starten wir mit einem kleinen Selbstexperiment: Was denkst du, wenn du den Begriff Jugendtheater hörst? Was erwartest du? Um es vorwegzunehmen: Viele rechnen mit normalen Theaterstücken, bei denen alles etwas einfacher und unausgereifter ist, als wenn Erwachsene auf der Bühne stünden. Das mag hier und da auch so sein. Aber darum geht es nicht. Denn Jugendtheater ist eben nicht die abgeschwächte Version eines großen Vorbildes. Es ist eigenständig - mit eigenen Themen, eigener Sprache und eigenen Stärken.

„Natürlich geht das Weltgeschehen nicht an den Jugendlichen vorbei“, berichtet Hanna Puka, die am Staatstheater die Theatervermittlung leitet. Dementsprechend fände man in den Stücken viele aktuelle Themen wieder. Aber: „Die Gruppen haben ihre Stücke in den meisten Fällen selbst entwickelt, also in ihre Gedanken und ihre Sprache verpackt.“ Dadurch sei das Geschehen auf der Bühne sehr nah dran an den Lebensrealitäten der jungen Schauspieler:innen.
Welches Potenzial Stoffe von und für junge Leute haben, war schon mehrfach Thema beim Kulturschnack. Immer wieder haben wir dabei festgestellt, dass diese Formate sich zwar von dem unterscheiden, was erwachsene Ensembles auf die Bühne bringen. Aber: in einem positiven Sinne. Nicht ist besser oder schlechter, es ist einfach anders.
Jugendtheater zeichnet sich dabei durch eine hohe Zugänglichkeit aus, die Theater für Zielgruppen attraktiv machte die sonst schwer zu erreichen sind. Denn die jungen Akteure sind Teil der Generation Netflix, sprechen die Sprache und denken die Gedanken der Binge-Watcher. Das bedeutet nicht, dass sie Streamingportale kopieren. Das bedeutet aber, dass sie die Gesetzmäßigkeiten der Gegenwart kennen und in ihre Inszenierungen einfließen lassen können. Und sowieso: wer sich von einer schauspielerischen Wucht mitreißen lassen möchte, der ist hier richtig. Denn der rote Faden ist die Leidenschaft. Sie ist fast immer zu spüren, bei leisem Flüstern ebenso wie bei lautem Gebrüll.
Erwähnenswert ist zudem die große Vielfalt der Jugendtheatertage: „Wir werden insgesamt 16 Gruppen mit etwa 250 Beteiligten sehen“, nennt Hanna Zahlen. Die Gruppen stammten zudem aus unterschiedlichen Beichen. So gebe es sowohl Schultheatergruppen als auch Freie Gruppen und die Clubs des Staatstheaters.
„Das sind drei unterschiedliche Rahmenbedingungen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten und Herangehensweisen. Damit bilden wir hier die geamte Bandbreite dessen ab, was in Schule und Freizeit aktuell möglich ist.“
Das große Missverständnis
Verbreitet ist zudem der Gedanke, Jugendtheater sei Theater von Jugendlichen für Jugendliche. Davon stimmt aber nur die Hälfte. Richtig ist, dass die Akteure vergleichsweise jung sind. Aber das heißt ja nicht, dass ihre Darbietungen automatisch nur für Gleichaltrige interessant wären. Ganz im Gegenteil: Gerade für Ältere bedeuten sie faszinierende Einblicke in andere Lebensrealitäten. Beziehungswiese: In die eigene Vergangenheit. Denn die meisten Älteren waren früher selbst mal jung. Der Blick zurück auf die großen Fragen, die großen Sorgen, die großen Hoffnungen ist eine Reise zurück in die eigene Gedankenwelt von damals - angedockt an die Kontexte der Gegenwart.

Kein Wunder, dass es immer wieder Jugendbücher und Jugendfilme gibt, die auch auf Erwachsene eine magische Anziehungskraft ausüben. Oder: Gerade auf sie? Es ist eine Mischung aus Unschuld, Romantik und Philosophie, die uns unwiderstehlich anzieht. Wer fühlt sich etwa bei „Stand by me“ nicht sofort in eine Zeit zurückversetzt, in der Alltag noch Abenteuer war?
Immer wieder ist es besonders faszinierend, wenn nicht ein Superheld, sondern ein junger Mensch einer großen Herausforderung gegenübersteht. Er bewegt sich nicht in ausdefinierten Korridoren aus Wissen, Erfahrung und Verpflichtung. Er ist gezwungenermaßen freier - und so ist auch das Jugendtheater.
Es feiert diese Freiheit, die zu gleichen Teilen aus Unwissenheit, Gefühlschaos, Neugier und Abenteuerlust besteht. Sie ermöglicht Geschichten, die Erwachsene nicht glaubwürdig erzählen könnten. Sie dringen zum Kern eines Themas vor, legen ihn gewissermaßen frei, ohne vom Ballast des „Been there, done that“ erdrückt zu werden.
JUGENDTHEATERTAGE 2025 LAUTER PREMIEREN Was wir im regulären Theaterbetrieb herbeisehnen - nämlich die Premieren - gibt es bei den Jugendtheatertagen 2025 beinahe täglich. So feiern die Jugendclubs des Staatstheaters ihre Premieren allesamt im Rahmen des Festivals. Eine Übersicht findet ihr hier, das Programmheft könnt ihr hier runterladen. ![]() Neben den Theateraufführungen zeichnet sich das Festival auch durch Workshops für junge Schauspieler:innen aus. Es geht also einerseits darum, die eigenen Fähigkeiten auf der Bühne unter Beweis zu stellen. Andererseits bieten sich auch viele Möglichkeiten, sie weiter zu verbessern.
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Ohne Jugendliche keine Erwachsenen
Und obwohl alles tief berührend, brüllend komisch oder einfach nur schön anzusehen ist, geht es nicht nur darum. Jugendtheater ist zwar immer auch das Spiel für das Publikum. Es ist aber natürlich auch eine Form der Ausbildung. Und die ist in diesen Zeiten vielleicht wichtiger denn je. Denn die Kultur übernimmt schon seit längerem - und immer mehr - die Aufgabe eines gesellschaftlichen Seismographen. Wie sich unser Zusammenleben entwickelt, welche Schwingungen es erzeugt und welche Störgeräusche es gibt - das ist häufig viel früher auf den Bühnen des Landes zu erleben, als es für uns im Alltag spürbar wird. Das Theater sollte deshalb eine - nennen wir es mal einfach so - realistische Karriereoption sein. Denn jeder Kulturschaffende hat eine Außenwirkung und bereichert andere mit seiner Arbeit. Auch deshalb sollte man sich die Jugendtheatertage nicht entgehen lassen. Wir können dort ein Zeichen geben, wie wichtig uns ist, was die jungen Menschen dort tun.
Dreifache Premiere: Die Jugendclubs des Staatstheaters zeigen (vlnr) „Erzähl mir keine Märchen“, „Schleife“ und „Ich hab Puls“. Die ersten Aufführungen sind bereits am 21. und 22. Juni zu sehen. (Bilder: Stephan Walzl)
Wie schnell es mit einer Karriere gehen kann, zeigen die aktuellen Beispiele Marie Louise Albertine Becker und Emma Luisa Falck. Die beiden ehemaligen Mitglieder des Jugendclubs am Oldenburgischen Staatstheater studieren derzeit an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin bzw. der Filmuniversität Konrad Wolf Babelsberg. Marie haben wir einst schon für „Die neuen vier Jahreszeiten“ im Technical Ballroom gefeiert, nun hat sie gerade Dreharbeiten für die vierte Staffel der ZDF-Erfolgsserie „Ku'damm '77“ abgeschlossen, Emma war kürzlich im Kinofilm „Die Vorkosterinnen“ von Silvio Soldini zu sehen. „Oldenburg ist tatsächlich überproportional stark an deutschen Schauspielschulen vertreten“, weiß Hanna. „Ich könnte noch einige weitere Beispiele nennen.“ Und wer weiß: Vielleicht hängt dieder Umstand unmittelbar mit den Jugendtheatertagen zusammen.
Das haben wir davon
Die Jugendtheatertage sind ein Etikettenschwindel, aber vielleicht der angenehmste, den es gibt. Ja, es ist Theater von Jugendlichen. Aber nein, es richtet sich nicht nur an sie. Alle haben etwas davon: Die jungen Schauspieler:innen selbst natürlich, weil das Agieren auf der Bühne niemanden unverändert lässt. Das Publikum, weil es starke Performances von großartigen Talenten erleben darf. Die Standorte, weil hoffentlich viele junge Akteure eine längerfristige Karriere im Schauspiel anstreben und später die Theater bereichern. Und sogar die Wirtschaft, falls jemand unbedingt eine ökonomische Dimension braucht. Denn die Kultur ist eine eigener Wirtschaftszweig mit einer Bruttowertschöpfung im Volumen von über 100 Milliarden Euro. Das ist mehr als in der chemischen Industrie oder der Energieversorgung.

Unser Eindruck: Jugendtheater ist die Essenz des Schauspiels. Es mag hier und da weniger elaboriert sein und vielleicht fehlt die eine oder andere Reflexionsbene. Dafür ist es emotional, eindringlich, authentisch, unverfälscht. Im Grunde ist es so, wie man sich Theater wünscht: Echt, nah und stark. Die Jugendlichen liefern echte Schauspielkunst ab und sie verdienen dafür Resonanz und Applaus. Klar: die wollen nur spielen. Aber das ist so aufregend und spektakulär, dass man dabei unbedingt dabei sein sollte. Auch, wenn man längst erwachsen ist. Beziehungsweise: Gerade dann.