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KRIEG IN OLDENBURG!?

Im Ernst, wer hätte das gedacht? Das ein geisteskranker Despot im Europa des 21. Jahrhunderts einen Krieg anfängt? Und dass er sicher ein Jahr dauern wird, bevor es überhaupt Ansätze zu dessen Beendigung gibt? Es ist so unfassbar und deshalb schwer zu begreifen. Doch nun gibt es dafür einen Ansatz: „14 Tage Krieg - Eine Momentaufnahme“ im Technical Ballroom. Näher als hier kommt uns Krieg hoffentlich nicht mehr - aber diese Konfrontation lohnt sich sehr!


Nur 1.748 Kilometer oder knapp 20 Autostunden östlich von hier: Zerstörtes Leben in Kiew (Bild: Shutterstock)

Wir sind eine glückliche Generation. Wer nach 1945 in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, und das sind alle unter 77 Jahren, hat keine Ahnung davon, was Krieg ist. Gut, die Älteren haben noch die Entbehrungen der Nachkriegszeit kennen gelernt. Aber trotzdem gehören auch sie zu den Glücklichen - verglichen mit all jenen, die in den Jahren davor an der Front kämpfen oder sich in Kellern verkriechen mussten. Und verglichen mit all jenen, die in anderen Teilen der Welt auch heute noch unter bewaffneten Konflikten zu leiden haben (die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung zählte Ende 2021 insgesamt 28 von ihnen).


Unser Glück war und ist, dass wir uns Krieg kaum vorstellen mussten, jedenfalls nicht in seiner akuten Gestalt. Der Kalte Krieg war zwar über Jahrzehnte allgegenwärtig, die atomare Apokalypse lag immer im Bereich des Möglichen. Aber es beeinflusste eben nicht unser alltägliches Leben, sondern gab ihm durch seinen abstrakten Irrsinn sogar einen gewissen Halt. Gleichgewicht der Abschreckung? Auf so eine kuriose Ideen von Frieden kann wohl nur der Mensch kommen! Im Ergebnis war Krieg für uns eine Lektion aus den Geschichtsbüchern. Doch das ist jetzt anders - wie sich auch im Gespräch mit Regisseur Lukasz Lawicki, Schauspielerin Veronique Coubard und Sparte 7-Leiterin Gesine Geppert zeigen sollte.


 

14 TAGE KRIEG

EINE MOMENTAUFNAHME

VON LUKASZ LAWICKI

MIT VERONIQUE COUBARD


DO 05.01. 20.00 UHR (KARTEN)

SO 08.01. 18.00 UHR (KARTEN)

FR 13.01. 20.00 UHR (KARTEN)

DO 19.01. 20.00 UHR (KARTEN)

SA 21.01. 20.00 UHR (KARTEN)

DI 14.02. 20.00 UHR (KARTEN)


OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER

THEATERWALL 28

26122 OLDENBURG

Achtung: Dieses dokumentarische Theaterstück thematisiert indirekt und direkt verschiedene Formen von Gewalt, Krieg und Tod. Der Inhalt kann (re-)traumatisierend sein. Fall dir diese Themen sehr nahe gehen, oder du selbst Erfahrungen mit Krieg und damit einhergehend Gewalt und Tod gemacht hast, überleg dir, ob du dich mit den Themen auseinander setzten möchtest oder suche dir eine vertraute Person als Begleitung.
 


Aktuell, intensiv, relevant


Das Theaterprojekt „14 Tage Krieg“ ist in fast jeder Hinsicht ungewöhnlich. Zunächst einmal führte die Vorarbeit Regisseur Lukasz Lawicki nicht nur raus aus dem Theater, sondern auch raus aus Deutschland. Noch dazu ging es nicht etwa in ein beschauliches Nachbarland, sondern direkt in ein Kriegsgebiet. Und der Konflikt, der Gegenstand des Stücks ist, wurde nicht längst beendet, sondern wird mit unverminderter Härte fortgesetzt. Aktueller, intensiver und relevanter kann Theater eigentlich gar nicht sein!

Da passt es perfekt, dass dieses Stück von der ebenso innovativen wie aufmerksamen Sparte 7 des Oldenburgischen Staatstheaters initiiert wurde und im Technical Ballroom, dem Theater der Digital Natives, realisiert wird. Wenn ein Projekt schon so sehr mit den üblichen Regeln bricht und - in tragischsten Sinne des Wortes - tatsächlich dahin geht, wo's wehtut, dann verlangt das geradezu eine besondere Berücksichtigung bei der Inszenierung. Und die ist hier gewissermaßen garantiert.


„Ich bin sehr dankbar, dass wir das Stück möglich machen konnten“, ist sich Gesine der Besonderheit bewusst. „In Diskursveranstaltungen besprechen wir normalerweise nur die Metaebene mit regionaler Beteiligung.“ Lukasz Lawicki habe nun die Chance eröffnet, nicht nur über den Krieg und die Ukrainer:innen zu reden, sondern gewissermaßen auch mit ihnen. „Eine Recherche in einem Land, in dem Krieg herrscht, birgt selbstverständlich Risiken. Das wir diese tragen konnten und so das Stück in der Sparte und dem Technical Ballroom realisieren können ist richtig und sehr wichtig.“



Den Menschen sehen


Aber wie gelingt es überhaupt, einen so dramatischen und bedrohlichen, gleichzeitig aber kaum begreiflichen Stoff in einen Bühnenprojekt zu verwandeln? „Das war tatsächlich unfassbar schwer“, gibt Lukasz zu. Nach seiner Reise in die Ukraine habe er vier oder fünf Textfassungen geschrieben und musste sich am Ende für eine entscheiden. „Der Text, den ich schließlich gewählt habe, nähert sich auf emotionale Weise den Gesprächen und den Eindrücken vor Ort an.“


Ein so ungewöhnliches Projekt zu realisieren bedeutet manchmal auch, gewisse Grenzen zu akzeptieren. „Ich habe festgestellt, dass mir eine sachliche Auseinandersetzung mit diesen Themen in einem Bühnenraum nicht möglich ist.“ Lukasz war seinen Interviewpartner:innen, sehr nah - und diese Nähe möchte er auf die Bühne übertragen: „Ich finde, dass diese Menschen es verdient haben, abseits von Nachrichten über Kriegshandlungen oder Frontverläufe als Individuen mit ihren Geschichten wahrgenommen zu werden.“


Die Emotionen und Gefühle der einzelnen Menschen sollen gehört und ernst genommen werden, damit wir die Ukrainer:innen nicht nur undefiniert als eine anonymisierte Gruppe von Opfern wahrnehmen. „Die Menschlichkeit, die in der Ukraine durch den Krieg verloren geht, muss thematisiert werden. Und wir als Regieteam haben die Möglichkeit, das auf einer Bühne zu zeigen.“


UNSER TIPP

14 TAGE KRIEG - DIE VORGESCHICHTE



Die Recherchearbeiten zu „14 Tage Krieg“ führten Lukasz Lawicki im vergangenen Sommer bis nach Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Wie es sich anfühlte, damals vor Ort zu sein und mit den Menschen zu sprechen, schilderte Lukasz in einem ausführlichen Videointerview, das er von seinem Hotelzimmer im teilweise zerstörten Kiew mit uns führte. Was er gesagt hat, könnt ihr hier nachlesen.


So weit wie möglich


Man muss nicht Theaterwissenschaften studiert haben, um zu erahnen, dass genau darin die große Herausforderung der Inszenierung liegt. Es ist und bleibt schwierig, die Situation der betroffenen Menschen nachzuempfinden, wenn man in einem sicheren Land voller Freiheiten und Privilegien lebt.

Verwundeter Alltag: Einschusslöcher gehören in der östlichen Ukraine vielfach zum Stadtbild (Bild: Lukasz Lawicki)

Lukasz machte aus dieser Not eine Tugend - indem er die Menschen genau dafür sensibilisiert. „Es ist unmöglich, die Emotionen der Menschen vor Ort nachzuempfinden. Ich konnte das in der Ukraine nicht und unsere Zuschauer:innen werden das auch nicht können“, ist sich der Regisseur bewusst. Was gezeigt werden könne, sei nur ein kleiner Ausschnitt der Realität, wie sie im Sommer 2022 war. „Aktuell ist die Lage für alle Interviewten wieder viel schlimmer.“


Dennoch wird es einen intensive und bewegende Erfahrung. Die Angriffe, die Tage und Nächte in den Luftschutz-Bunkern und die Blackouts sieht das Publikum zwar nicht. Aber: „Die Zuschauer:innen haben die Möglichkeit, sich durch die technischen Möglichkeiten im Technical Ballroom der Realität der Ukrainer:innen anzunähern. Dadurch entsteht die Möglichkeit, einen empathischeren Blick für die Schicksale der einzelnen Menschen zu entwickeln.“ In der Konsequenz könnten sich dadurch vielleicht auch Einstellungen und Verhaltensweisen ändern. Und sei es nur das Bewusstsein für das Glück, das wir im Vergleich zu vielen anderen haben.



Progressiver Pazifismus


Auf bleibende Effekte hofft auch Schauspielerin Veronique Coubard. Die gebürtige Hamburgerin gehört seit der Spielzeit 2020/21 zum Ensemble des Staatstheaters. Sie hat sich im Vorfeld intensiv mit der Materie auseinandergesetzt - und zum ersten Mal mit der Frage beschäftigt, was Pazifismus eigentlich für sie eigentlich bedeutet.


Intensive Erfahrung: Das gilt nicht hat nur für das Publikum, sondern auch für Schauspielerin Veronique Coubard (Foto: Sasha Ilushina)

„Ursprünglich war ich - ähnlich wie Lukasz - der Meinung, Waffen sind ein NoGo, Krieg ist ein NoGo“. Als die 27-Jährige aber begann, sich mit den Schicksalen der Menschen aus den Interviews auseinanderzusetzen und die Dringlichkeit verstanden habe, habe sie begonnen, ihre Meinung zu Thema Pazifismus zu ändern. „Das ist ein fortwährender Prozess, der kompliziert und schwer ist, aber ich fange an nachzuvollziehen, warum Pazifismus auch falsch sein kann.“


Einen wichtigen Beitrag dazu wird auch der Technical Ballroom leisten, ist Veronique überzeugt: „Er verstärkt die Eindrücke der Gespräche, die Lukasz vor Ort erlebt hat.“ Es sei eine große Bereicherung, dass die Möglichkeit bestehe, die Menschen auf durch die LED-Wand in den Fokus zu rücken und sie selber zum sprechen zu bringen. „Das ist etwas anderes, als etwas nur nebenbei anzuspielen oder einen Text zu rezitieren“, weiß die Schauspielerin, die ab dem kommenden Jahr auch im Fernsehen zu sehen sein wird. „Die Menschen kommen so selber zur Sprache und zwar auf eine sehr eindrucksvolle Art. Das wird ihren Geschichten viel gerechter.“ Durch die technischen Möglichkeiten des Raums erlebe man die Aussagen so authentisch wie möglich.


UNSER TIPP

SCHAUSPIELEREI IM DIGITALZEITALTER


Für die Schauspielerei bedeuten die neuen Möglichkeiten des Trechnical Ballroom tatsächlich gewisse Veränderungen. Anderes hingegen unterscheidet sich gar nicht so sehr vom traditionellen Theater, wie man es seit Jahrhunderten kennt.


Über diese Dinge haben wir uns ausführlich mit Veroniques Schauspielkollegin Anna Seeberger unterhalten. Was sie zum Zusammenspiel mit dem Technical Ballroom berichten konnte und wie ihre Haltung dazu ist? Lest ihr hier!

Die Position der anderen


Authentizität ist ein Leitmotiv von „14 Tage Krieg“ - und eine Herausforderung für die Schauspielerin. Während sie spielt, leiden oder sterben weiterhin Menschen in der Ukraine. Kann man das ausblenden? Oder muss man das sogar? „Das ist immer eine Herausforderung, auch wenn ich in den Nachrichten davon höre. Ich würde sagen, dass der Krieg und das Schicksal der Ukrainer:innen näher an mich herangerückt.“


In den Nachrichten sei immer vom „Krieg in der Ukraine“ die Rede, durch die Interviews habe der jetzt aber reale Gesichter bekommen. „Ich möchte gerne – wenn ich die Geschichten erzähle oder die Positionen anderer auf der Bühne einnehme – dass ich das mit einer gewissen Anteilnahme tue und nah bei den Menschen bin“, stellt Veronique hohe Ansprüche an sich selbst. „Das klappt nicht immer, weil das natürlich viel Kraft und Energie kostet, aber das ist schon der Anspruch, den ich bei diesen realen Geschichten habe.“ Genau das - diese hohe Emotionalität - ist auch zu spüren, wenn man Veronique auf der Bühne erlebt. Und dieses Verb ist bewusst gewählt, denn es handelt sich tatsächlich um ein Erlebnis.


Keine Angst anzuecken


Keine Frage: „14 Tage Krieg“ wird niemand unberührt und unbewegt lassen. Zu nah geht das Stück an ein Thema heran, das wir am liebsten ausblenden, zumindest aber nicht in voller Härte wahrnehmen möchten. Was hat die Sparte 7 dazu bewegt, ausgerechnet diese Materie auszuwählen? „Für mich hat Theater immer eine politische Komponente und auch eine gewisse Verantwortung sich zu positionieren und Teil eines Diskurses zu sein“, ordnet Gesine die Entscheidung ein. „Nicht ohne Grund ist der Untertitel der Sparte 7 die ‘Demokratisierung des Theaters'. Mit dem dokumentarischen Arbeitsansatz ist ein Stück entstanden, dass aktuell und politisch ist und einen Blick dorthin ermöglicht, wo er uns sonst verwehrt bleibt.“


Der Krieg ist weit weg? Das war nicht immer so, wie die NWZ vom 22. Dezember 1983 zeigt. (Bild: Nordwest Zeitung)

Dass die Aufführungen eine intensive Erfahrung werden, liegt nahe. Aber wie sieht es mit einer Langzeitwirkung aus? Die wäre ja wünschenswert, denn das Thema Krieg scheint mit unverhoffter Dringlichkeit wieder Teil unseres Alltags zu werden. „Die Medien berichten über Länder, Angriffe, Kriegsverläufe“, erklärt die Leiterin der Sparte 7. „Aber nur selten über einzelne Menschen und was der Krieg für sie bedeutet.“ Genau diese Perspektive werde es aber brauchen, um eine Vorstellung zu bekommen, mit welcher Gewalt der Krieg jeden Menschen eines Landes treffe, egal wie nah er einer Front oder den eigentlichen Kriegshandlungen sei.


„Ich hoffe, dass wir mit den Vorstellungen vielen Menschen diesen Einblick geben können und in den jeweils anschließenden Nachgesprächen einen guten Austausch zu dem Gesehenen finden“ blickt Gesine voraus. Das bedeute natürlich noch keine aktive Veränderung, aber die brauche es ja vielleicht auch nicht. „Es geht ja eher darum, ein Bewusstsein zu schaffen oder zu erinnern. Je länger ein Krieg oder eine Krise dauert, desto seltener schauen wir genau hin.“


Die schlimmen Nachrichten würden dabei zu einer Art Grundrauschen. Dass die Meldungen aus der Ukraine aber Millionen von Menschen mit einem individuellen Schicksal bedeuten, bliebe dabei häufig ausgeblendet. „Ich glaube, dass unser Stück und die Interviews uns sehr eindrücklich darauf stoßen und uns so vielleicht auch die Chance geben, empathischer über Nachrichten nachzudenken, klarere Positionen zu beziehen und diese vor allem auch bewusst zu äußern. Denn eines tun wir alle zu oft: Schweigen.“

Kaum Hoffnung, viel Glück


Die dritte Premiere des Technical Ballroom ist ein mutiges Projekt: Gleich zum Jahresauftakt konfrontiert uns das Team um Gesine, Veronique und Lukasz mit der knallharten Realität eines europäischen Krieges. Dass der Konflikt bei der Premiere im Januar 2023 noch andauern würde, hatte Lukasz schon bei seiner Reise im letzten Sommer geahnt: „Mit dem erneuten Einmarsch der russischen Armee auf das ukrainische Staatsgebiet war für mich klar, dass das der Anfang eines langen Konfliktes sein wird.“ Viel Hoffnung auf ein baldiges Ende hat er ebenfalls nicht: „Russland scheint kein Interesse an Frieden zu haben. Es scheint darum zu gehen, die Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu zermürben, um die politischen Ziele, die der Kreml zu haben scheint, durchzusetzen.“


Aber wenn dem schon ist, wenn also die Menschen in der Ukraine das Unaushaltbare weiter ertragen müssen, dann können wir uns zumindest mit ihrer Situation auseinandersetzen. Dafür bietet das Theater die allerbesten Möglichkeiten. Und auch wenn uns das Hineinversetzen in diesem Fall nicht vollends gelingen mag, ist die intensive Erfahrung bei „14 Tage Krieg - Eine Momentaufnahme“ jede Minute wert. Weil sie uns spüren lässt, dass jede „Meldung“ letztlich aus Menschen besteht, die sehen, schmecken, riechen, fühlen, hoffen, bangen, leiden, sterben. Nur wer das nachempfindet, kann den Frieden wertschätzen und bewahren. Das ist unsere Aufgabe - als eine glückliche Generation.



 


Du hast immer noch nicht genug vom Technical Ballroom? Super! Denn wir haben noch viel mehr in petto. Schon vor der Eröffnung sprachen wir mit den beiden Masterminds Kevin Barz und Jonas Hennicke über dieses spannende Projekt. Auch wenn die erste und einzige Regel des Technical Ballrooms lautet „Sprich nicht über den Technical Ballroom“, haben sie uns einiges verraten. Was genau? Hört ihr hier:



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