FÄRBERGÄRTEN: FARBE IN DIE STADT
- kulturschnack
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Aktualisiert: vor 3 Stunden
Wer malen will, braucht Farben. Doch woher kommen die eigentlich? Und woraus bestehen sie? Einfache Frage, komplizierte Antwort - denn so unterschiedlich die Materialien sind, so verschieden sind auch ihre Wege zu uns. Es gibt aber eine einfache Alternative: Die Farben selber herstellen und die Entstehung in das Gesamterlebnis mit einbinden. Genau das ermöglicht das Färbergärten-Netzwerk Oldenburg - seit mittlerweile 10 Jahren!

Alles begann mit Peter Reichenbach. Der Essener Künstler beschäftigte sich schon zur Jahrtausendwende mit der Nachhaltigkeit in der Kunst. Dabei stellte er die Frage, wie man statt industrieller und umweltbelastender Farben natürliche Alternativen verwenden könnte. Seiner Überzeugung nach brauchte es dafür Wissen, das durch die Industrialisierung verloren gegangen war und das wieder urbar gemacht werden müsste.
Was das mit Oldenburg zu tun hat? Einiges. Denn aus diesen Gedanken heraus entwickelte Reichenbach die sevengardens: ein inzwischen weltweit agierendes Netzwerk, das „die Menschen befähigt, sich selbst und die Gesellschaft zu verändern und einen Wandel für eine nachhaltigere Welt herbeizuführen.“ Dreh- und Angelpunkt sind dabei die sogenannten Färbergärten: Sie werden gemeinsam angelegt, aus den Pflanzen werden Farben gewonnen und mit ihnen anschließend künstlerisch gearbeitet. Seit zehn Jahren gibt es diese Gelegenheit auch in Oldenburg - Zeit für eine Jubiläumsfeier!
COLOUR IN THE CITY
10 JAHRE FÄRBERGÄRTEN OLDENBURG
10. MAI BIS 17. AUGUST 2025
BAUMGARTENSTRAßE 6
26122 OLDENBURG
Über Berlin nach Oldenburg
Auf dem Weg von Essen nach Oldenburg nahm die Idee der Färbergärten einen Umweg über Berlin. In der Bundeshauptstadt - genauer gesagt: auf dem Tempelhofer Feld - veranstaltete das KinderKünsteZentrum in Kooperation mit sevengardens vom Februar bis Mai 2014 die Mitmach-Ausstellung „Färbergärten! Kunst mit Pflanzenfarben“. Über viele Wochen hinweg lernten Kinder, aus welchen Pflanzen man Farben herstellen kann und mit welchen Tricks man sie verändert und variiert - und darüber hinaus, wie von Reichenbach beabsichtigt, auch etwas über ihre Selbstwirksamkeit in der Welt. Ein voller Erfolg!

Etwa 450 Kilometer westlich stieß das Projekt in Oldenburg auf großes Interesse. Kurzerhand wurde das KinderKünsteZentrum vom städtischen Kulturbüro im Herbst 2015 an die Hunte eingeladen, um hier einen Impuls zu geben, der möglichst lange nachhallen sollte. Genau das gelang: Die Resonanz bei den Kitas und Schulen war von Anfang groß - und gleiches galt auch für die Begeisterung der über 300 jungen Teilnehmer:innen der ersten Mitmach-Ausstellung. Tatsächlich konnten die Färbergärten das Bewusstsein für die Umwelt und Nachhaltigkeit erhöhen - und machten abgesehen davon ganz einfach Spaß. Entscheidend sei dabei der niedrigschwellige Ansatz, weiß Sophie Arenhövel, die sich im Kulturbüro um kulturelle Bildung und Teilhabe kümmert: „Schon mit dem Kennenlernen und Sammeln von Färber-Pflanzen und -Früchten beginnt die Auseinandersetzung mit der Natur. Die Herstellung von Farben ist ein lustvoller Prozess, der das Experimentieren in den Mittelpunkt stellt.“
Zum krönenden Abschluss der Auftaktwochen begab sich schließlich auch der Initiator höchstselbst nach Oldenburg: Im Februar 2016 erklärte Peter Reichenbach in zwei Workshops die Philosophie der Färbergärten. Diesem gelungenen Auftakt sollten im Laufe der folgenden Jahre viele weitere Projekte folgen. Welche das waren, könnt ihr auf dieser Seite nachlesen. Inzwischen haben bereits über hundert Akteur:innen aus Krippe, Kita, Schule, Kultur und Umwelt an Färbergärten-Workshops teilgenommen und das Wissen in ihre Arbeitsfelder weitergetragen. Und so lässt sich nicht nur für Berlin, sondern auch für Oldenburg feststellen: ein voller Erfolg!

Die Färbergärten feiern
Mathematisch versierten Personen dürfte aufgefallen sein, dass der erwähnte Auftakt der Färbergärten inzwischen genau zehn Jahre zurückliegt. Es ist also höchste Zeit, das erste runde Jubiläum zu feiern! Und das geschieht auf besondere Weise - nämlich indem sich das Netzwerk unter dem Titel „Colour in the City“ an den beliebten Stadtgärten der OTM beteiligt. Projektkoordinatorin Melanie Jauken freut sich über die Neuerung in der Baumgartenstraße: „Der Stadtgarten ‚Colour in the City‘ soll den Besuchenden ein farbenfrohes und niedrigschwelliges Angebot bieten, um sie für die Vielfalt der Pflanzenfarben zu begeistern“, beschreibt sie die besondere Rolle. Gleichzeitig sei der Garten ein Ort des lebendigen Austauschs, der zum Entdecken, Experimentieren und zur aktiven Auseinandersetzung mit der Natur einlade. „Die Verbindung von Kunst, Bildung und Nachhaltigkeit passt perfekt in unser Konzept, und wir freuen uns, dass wir das zehnjährige Bestehen des Färbergärten-Netzwerks nutzen können, um diesen Beitrag zur Wissensvermittlung im Herzen Oldenburgs zu schaffen.“
Doch damit nicht genug: Das Färbergärten-Netzwerk bespielt nicht nur die Hochbeete in der gesamten Baumgartenstraße, dank der Vermittlungsagentur Raum auf Zeit kann es zudem ein leerstehendes Gebäude - das zuvor noch ein spektakuläres Kunstprojekt beherbergt hatte - als Werkstatt und Atelier nutzen. Um diese Möglichkeiten bestens zu nutzen, haben sich für „Colour in the City“ verschiedene Akteure zusammengetan, die vor allem eines eint: Das Bewusstsein für die Bedeutung und Potenziale der Färbergärten. Trotz vieler Gemeinsamkeiten beschreiben die Vertreter:innen der beteiligten Organisationen ihre Beweggründe jeweils mit ganz eigenen Worten - und lassen dadurch ein Portrait der Färbergärten Oldenburg entstehen.

Netzwerk für Naturfarben
Für die Oldenburger Kunstschule ist die Arbeit mit Pflanzenfarben in mehrfacher Hinsicht von großem Interesse: „Färbergärten fördern ökologische Kreisläufe, sensibilisieren für die Rhythmen der Natur und laden zu sinnlichen, traditionellen und handwerklichen Erlebnissen ein“, beschreibt Annekathrin Scheer die vielfältigen Wirkungen. Im Prozess erfahre man, welche Pflanzen und Pflanzenteile sich zum Färben eigneten, wie Farbstoffe extrahiert und welche Färbetechniken können angewendet werden können. „Wir lernen, wie Farben ohne Umweltbelastung entstehen können und entwickeln ein Gespür für natürliche Farbtöne, denn im Unterschied zu synthetischen haben Naturfarben eine unnachahmlich sinnliche, lebendige und leuchtende Wirkung.“ Wie sehr der Oldenburger Kunstschule das Projekt am Herzen liegt, erkennt man auch am Engagement von Annekathrins Kollegen Sebastian Neubert. Als Technischer Leiter der Kunstschule hat er den Stadt-Färbergarten „Colour in the City“ geplant und seine vielfältige Expertise und viel Herzblut in die Realisierung eingebracht.
Auch für Petra Eller vom Institut für Materielle Kultur der Carl von Ossietzky Universität haben die Färbergärten eine hohe Bedeutung: „Das Färben mit Pflanzen ist schon allein deshalb Teil der experimentellen Textilpraxis in unserem Labor, weil es kulturgeschichtlich für die Bedeutung von Textilien nicht wegzudenken ist“, ordnet sie ein. Aktuell gewinne das Thema sogar noch an Wichtigkeit, da aus ökologischen Gründen nach umweltfreundlicheren Alternativen zu synthetischen Farbstoffen geforscht werde. „Unsere Studierenden untersuchen das Färbe- und Gestaltungspotenzial von Naturfarbstoffen, die direkt in der Baumgartenstraße geerntet werden können. Die experimentelle Arbeit erstreckt sich vom systematischen Erproben bis hin zum gestalterischen Einsatz von Effekten und Musterungen.“ Das Beste: Interessierte können den Studierenden dabei freitags vom 10 bis 14 Uhr über die Schulter schauen - oder sogar selbst mitmachen.

Die Oldenburger Uni ist aber nicht nur über das Institut für Materielle Kultur mit den Färbergärten verbunden, sondern auch über den Botanischen Garten - seit jeher ein Ort, an dem es nicht nur um das Naturerlebnis, sondern auch um die Wissensvermittlung geht. Das passe gut mit den Färbergärten zusammen, erklärt Kurator Dr. Bernhard von Hagen: „Im Botanischen Garten beleuchten wir die Nützlichkeit, den Wert und die Geschichte von Pflanzen in möglichst vielen Dimensionen. Eine Dimension sind Farben aus Pflanzen und wir zeigen selbst eine wichtige Auswahl von Färbepflanzen in einem permanenten eigenen Beet.“ Zum eigentlichen Färben nutze der Bontanische Garten die Pflanzen aber nur sehr selten. Das Beet erlaube vielmehr, sich über die Biologie, die Chemie und die geschichtliche Bedeutung der Färbepflanzen zu informieren.
Um mehr Verständnis geht es auch Sandrine Teuber, allerdings unter anderen Vorzeichen. Sie kümmert sich u.a. im Horst-Janssen-Museum um Wissensvermittlung - und sieht auch dort Verbindungen zu den Färbergärten: „Wir haben beim ersten Workshop mit Peter Reichenbach teilgenommen. Für uns passt das gut zu Horst Janssen, weil er künstlerische Aufmerksamkeiten aus recycelten Materialien herstellte.“ Der Aspekt der Pflanzenfarben erweitere diese Arbeitsweise und bringe den Aspekt der Nachhaltigkeit ins Museum. „Mit der Ausstellung 'Natur schöpfen' haben wir den Gedanken weitergeführt und sowohl mit Peter Reichenbach als auch mit Matthias Schwethelm tolle Partner für das offene Atelier im Museum im Boot gehabt.“ Zur aktuellen Ausstellung „Janssen tischt auf“ stellen Kinder und Jugendliche Pflanzenfarben aus Gemüse her und colorieren damit ihre Zeichnungen. So bleibt das Herstellen von Tinten und Pflanzenfarben sowie Papier auch weiterhin Teil des Horst-Janssen-Museums. Das Färbergärten-Jubiläum in der Innenstadt habe zudem einen weiteren Pluspunkt, findet Sandrine: „Die Kooperation mit so tollen Partner:innen im Rahmen der Stadtgärten ermöglicht es dem Museum, aktiv auf Menschen im Stadtraum zuzugehen, die den Weg ins Museum sonst vielleicht nicht finden würden.“

Zu diesen „tollen Partner:innen“ gehört nicht zuletzt auch die Oldenburger Jugendwerkstatt der Volkshochschule. Für Teamleiterin Frauke Sterwerf hat die Beteiligung verschiedene Vorteile: „Durch die Zusammenarbeit im Projekt der Färbergärten lernen die Teilnehmenden der Oldenburger Jugendwerkstatt nicht nur etwas über die ungeahnten Möglichkeiten der Pflanzenfarben. Sie lernen auch, sich unbekannten Menschen gegenüber zu öffnen und soziale Befangenheit abzubauen.“ Positive Rückmeldungen und Anerkennung ihrer Arbeit würden ihre Selbstwirksamkeit stärken und Mut für neue Herausforderungen machen. „Einer unserer Grundgedanken in der VHS Oldenburg: Bildung ist mehr als die Vermittlung von Inhalten – Menschen wachsen und erweitern ihren Horizont im Kontakt mit anderen, in der Zusammenarbeit, im Miteinander.“ Und genau das wird bei den beliebten Stadtgärten - und bei „Colours in the City“ - auf der Tagesordnung stehen.
Die ungeahnten Möglichkeiten
In der Augsburger Puppenkiste gab es einst die Figur des Tur Tur: Ein Scheinriese, der nur von weitem groß aussah, aber immer kleiner wurde, wenn man sich annäherte. Bei den Färbergärten ist es genau andersherum. Auf den ersten Blick scheinen sie kaum mehr zu sein als eine nette Idee. Je genauer man sich aber mit ihnen beschäftigt, desto deutlicher werden die vielen Ebenen - und mit ihnen: die vielen Potenziale - dieser wunderbaren Idee. Die Färbergärten vereinen ökologische, handwerkliche, emotionale und künstlerische Facetten zu einem Gesamterlebnis, das vor allem für Kinder und Jugendliche wichtige gedankliche Weichenstellungen ermöglicht.

„Die Kunst mit Pflanzenfarben hat uns seit dem Autakt vor zehn Jahren nicht mehr los gelassen. Die Resonanz von Fachkräften aus Bildung, Kultur und Umwelt auf dieses Thema war einfach zu groß!“, schmunzelt Sophie Arenhövel. Aber auch für sie selbst sind die Färbergärten ein Herzensprojekt geworden: „Die Arbeit macht viel Spaß, weil der Ansatz so sinnlich ist und weil er Sinn macht angesichts der Klimakrise.“ Außerdem setze er als Gegenpol zur Schnelllebigkeit und Digitalisierung eher auf Langsamkeit, Unfertigkeit und Kollaboration. Ihr Dank dafür geht an dejneigen, mit dem einst alles begann: den Essener Künstler Peter Reichenbach, der inzwischen schon mehrfach in Oldenburg war und mit dem das Netzwerk nach wie vor in Kontakt steht. Die Antwort auf seine einstige Frage, ob man Farben nicht auch auf natürliche Weise herstellen könne, hat er längst selbst gegeben. Wie viel Freude es bereiten kann, diese Erfahrung selbst zu machen, könnt ihr nun in der Baumgartenstraße erleben - denn dort bringen die Färbergärten Farbe in die Stadt!