Im öffentlichen Kultursektor gibt es eine alte Frage, die nie eindeutig oder endgültig geklärt wurde: Gehören Clubs eigentlich zur Kultur? Kann man sie in eine Reihe stellen mit Museen und Theatern? Darf man Live-DJ-Sets behandeln wie ein Konzert des Staatsorchesters? Wer sich eingehender mit dieser Frage auseinandersetzen will, sollte an diesem Wochenende auf dem Kulturplatz hinter der Kulturetage vorbeischauen. Das wird nice!
Die doppelte Verwendung dieses Anglizismus ist natürlich kein Zufall. „N!CE - Access all areas“ ist der Titel einer Veranstaltungsreihe des kreativ:LABORS, das seit Sommer 2015 an die Kulturetage angedockt ist. Dort ist neben Office-Nutzung und Co-Working viel Raum für Möglichkeiten, Denkanstöße, Empowerment. Jetzt auch umsonst und draußen, über mehrere Wochen im Juni und Juli hinweg. Ziel ist es, möglichst viele bzw. alle Menschen an wichtigsten gesellschaftlichen Themen und Prozessen zu beteiligen und sie idealerweise auch aktiv werden zu lassen. In den kommenden Wochen geht es dabei vor allem um: die Kultur.
Im Fokus stehen zeitgemäße bzw. zeitgeistige Kunstformen, neben Clubkultur z.B. auch Slam Poetry und Graffiti. Das Beste daran: in allen Fällen gibt es nicht nur Veranstaltungen, sondern auch Workshops zum jeweiligen Thema. Das heißt: Du kannst direkt von den Profis erfahren, wie DJs die Leute auf die Tanzfläche kriegen, wie Sprayer:innen ihre Bilder an die Wand bringen und wie Wortakrobaten:innen aus Gedanken Geschichten machen. Und wer weiß? Vielleicht fängst du Feuer. Und irgendwann stehst du dann an deren Stelle und bringst anderen was bei.
The Platz to be
Stattfinden wird das Ganze auf dem Kulturplatz hinter der Kulturetage. Den kennst du noch gar nicht? Kein Wunder. Er ist erst in den letzten (Corona-)Jahren aus einem langen Dornröschen-Schlaf erwacht. Das Potenzial war immer da, ideale Nutzungsformate waren jedoch rar. Das hat sich geändert, seitdem das Cine k den Platz mit einem Open Air Kino bespielt und sich daran weitere Veranstaltungen andockten. Inzwischen ist das versteckte Areal ebenso etabliert wir gleich nebenan das Einfach Kultur-Gelände.
Die Idee zu N!CE entstand aus der Plattform fem:POWER heraus. Dabei handelt es sich um eine Gruppe engagierter Frauen* aus unterschiedlichen Professionen, Alters- und Lebensphasen, die sich für Empowerment, Vernetzung und Austausch einsetzen. Die feministische Perspektive ist dabei nicht etwa einschränkend, sondern das genau Gegenteil: sie öffnet unsere Sichtweise und ermöglicht neue, andere Perspektiven, wie uns Susan Mertineit im Gespräch berichtet hat.
DREI FRAGEN AN SUSAN MERTINEIT LEITERIN DES KREATIV:LABORS
Susan, wer dich ein wenig kennt, weiß sofort, dass „N!CE“ eine Veranstaltung ganz nach deinem Geschmack ist. Wie kam es dazu?
Bei unseren Open Air Veranstaltungen auf dem Kulturplatz im letzten Jahr gab es immer wieder spannende Diskussionen unter den Künster*innen und Besucher*innen. Unter anderem darüber, dass Frauen und Flinta* Personen wenig Raum auf Bühnen einnehmen/bekommen und Kultur schaffende Frauen wenig sichtbar sind in unserer Stadt.
Es entstand die Idee und Initiative von sechs ganz unterschiedlichen Personen aus den Bereichen Clubkultur, Graffiti, Literatur, Poetry Slam, bürgerschaftliches Engagement und Veranstaltungsorganisation, ein diverses Programm zu entwickeln. Ziel war es, einen offenen und geschützten Space für empowernde Workshops, spannenden Diskussionen und ein genüssliches Bühnenprogramm zu entwickeln. So startete „N!CE – access all areas“: Zugriff auf alle Bereiche, Zugang zu allen Räumen - und zwar für alle.
WAS IST FLINTA*? Der Begriff ist eine Abkürzung und steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen. Der angehängte Asterisk dient dabei als Platzhalter, um alle nicht-binären Geschlechtsidentitäten mit einzubeziehen. Der Begriff FLINTA*, oder Variationen davon, wird häufig genutzt, um bei Veranstaltungen einen Schutzraum für Menschen zu schaffen, die von den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen auf Grund ihrer Geschlechtsidentität Diskriminierung erfahren. Es geht hier also nicht - wie bei der LGTBQ+-Community - um die sexuelle Orientierung, sondern um die sexuelle Identität. FLINTA* sind Personen, die eine andere Geschlechtsidentität als „cis hetero männlich“ und deshalb häufig Nachteile erfahren. Das macht Schutzräume wie N!CE so wichtig.
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Die Themen sind grundsätzlich interessant und relevant. Ihr betrachtet sie aber aus feministischer Perspektive. Warum ist das nötig?
Die Frage müsste eigentlich lauten, warum häufig kein feministischer Ansatz gewählt wird! Wr wollen gemeinsam mit allen darüber nachdenken wie wir unsere Kulturszene zu einem sicheren Ort und Safespace für alle machen können. Ein feministischer Ansatz beinhaltet eine Perspektiv-Erweiterung, will Impulse setzen zum Aufbau nachhaltiger, gerechter, inklusiver Strukturen und setzt sich für Empowerment, Gleichberechtigung und Berücksichtigung sowie Freiheit für alle ein. Das ist so gut wie nötig!
Und als Mann? Ist man da außen vor?
Nein, überhaupt nicht. Die Veranstaltungen und die Themen gehen alle an. Alle sind alle! Wer sich für die Themen interessiert, kann gerne etwas beitragen und etwas mitnehmen. Nachdenken und Weltverbessern schadet schließlich niemandem. Was dagegen nicht toleriert wird, sind Trans-, Homofeindlichkeit, Sexismus und Rassismus sowie andere Diskriminierungsformen!
Schutzraum für Selbstversuche
Den Anfang von N!CE macht nun die „DJ- und Clubkultur“. Und das Setting könnte gar nicht besser sein: für das Wochenende ist die erste Hitzeperiode des Jahres angekündigt. Perfekt, um Open Air zu elektronischer Musik zu tanzen. Das hat letztes Jahr schließlich auch schon hervorragend funktioniert. Für alle, die damit auf Anhieb nichts anfangen können, ist es die ideale Einladung zum Selbstexperiment. Einfach mal eintauchen, sich voll drauf einlassen, die Musik im Körper spüren und die Gedanken schweifen lassen. Das ergibt etwas und dabei entsteht etwas, für das man in anderen Kontexten einen bestimmten Begriff benutzen würde: Kultur.
Mindestens genauso spannend sind tagsüber die Workshops mit den DJs Frie und Vareli. Mal ehrlich: wer wollte nicht schon mal - irgendwann im Leben - Platten auflegen? Jeder weiß ja, dass der eigene Geschmack der weltbeste ist. Andere damit zu beglücken, ist ein geheimer Wunsch vieler Musikfans. Letztlich waren es allerdings so viele, dass die Workshops bereits im Vorfeld ausgebucht waren. Das ist schade. Aber keine Sorge: Erstens folgen bei „N!CE“ noch weitere Spielarten der Urban Culture wie Slam Poetry und Graffiti inklusive entsprechender Workshops. Und zweitens gibt es ja auch noch eine spannende Diskussion mit dem Titel „Make Clubbing n!ce again“, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
DJ- UND CLUBKULTUR FREITAG, 17. JUNI 2022 17 - 21 UHR FLINTA* DJ WORKSHOP - AUSGEBUCHT SAMSTAG, 18. JUNI 2022 13 -17 UHR FLINTA* DJ WORKSHOP - AUSGEBUCHT 18 - 20 UHR DISKUSSION: MAKE CLUBBING N!CE AGAIN 20 - 24 UHR FLINTA* DJ NIGHT KULTURPLATZ HINTER DER KULTURETAGE BAHNHOFSTRAßE 11 26122 OLDENBURG DAS VOLLE PROGRAMM KÖNNT IHR HIER RUNTERLADEN.
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Es heißt nicht umsonst Clubkultur
Für uns ist die Sache klar: Wir können zwar verstehen, weshalb die eingangs erwähnte Frage nicht eindeutig und endgültig geklärt wurde. Für den Kulturschnack gehören DJ- und Clubkultur aber fest zur Kulturszene. Wer mal dabei war, wenn DJ und Publikum verschmelzen und die Musik die Menschen bewegt - körperlich und emotional -, kann daran kaum einen Zweifel haben. Auf dem Kulturplatz könnt ihr an diesem Wochenende gleich drei Dinge tun: Lernen wie man auflegt, über Clubbing diskutieren und - natürlich - hart abfeiern. Ach, und etwas viertes gibt es auch noch: Eure persönliche Antwort auf die Frage finden, ob DJ Sets und Clubbing Kultur sind oder nicht. Nice!
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