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STAATSAKT #10: ERZÄHL MIR KEINE MÄRCHEN

  • kulturschnack
  • 17. Okt.
  • 13 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Okt.

Das Oldenburgische Staatstheater ist das Flaggschiff der Oldenburger Kulturlandschaft. Sein Output allein würde unsere Stadt schon zu einer Theatermetropole machen. Um halbwegs den Überblick zu behalten, gibt es nun den Kulturschnack Staatsakt. Hier treffen wir uns mit den Akteur:innen und sprechen mit ihnen über Premieren, Projekte, Persönliches. Das ist Theater - im Rampenlicht und hinter den Kulissen!


Szene aus „Die Kunst der Komödie“ von Eduardo de Filippo, das mit Hagen Bähr am Oldenburgischen Staatstheater zu sehen ist
Wichtiges Thema zur richtigen Zeit: „Erzähl mir keine Märchen“ mit Svantje Stein kritisiert das Patriarchat - und stieß damit auf sehr große Aufmerksamkeit. (Bild: Stephan Walzl)

Was ist eigentlich Jugendtheater? Nur ein großes Experimentierfeld für den Schauspielnachwuchs, der zwischen ersten Gehversuchen und großen Ambitionen versucht, den richtigen Weg zu finden? Und sind die Ergebnisse deswegen zwangsläufig unausgereift und nur eine Annäherung an „echtes“ Theater? Oder ist es nicht vielleicht viel mehr als das und bietet enorme Mehrwerte - für die jungen Protagonist:innen genauso wie für das Publikum?


Eine starke Antwort auf diese Fragen geben die Jugendtheatertage im Oldenburgischen Staatstheater. Dort zeigt sich, wie intensiv, pointiert und thematisch hochaktuell der Nachwuchs bereits agieren kann. Eine andere Antwort gibt Svantje Stein. Wir haben die junge Schauspielerin für den KULTURSCHNACK STAATSAKT NR. 10 getroffen. Dabei hat sie uns verraten, was sie vom Theater fürs Leben mitnimmt, wieso die Bühne genau der richtige Ort für gesellschaftliche Debatten ist - und weshalb sich auch Erwachsene mit Jugendtheater beschäftigen sollten.



OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER

ERZÄHL MIR KEINE MÄRCHEN



MI 19.11. 18 UHR DERZEIT AUSVERKAUFT

FR 21.11. 18 UHR DERZEIT AUSVERKAUFT

DI 25.11. 18 UHR KARTEN

MI 25.11. 18 UHR KARTEN


EXHALLE

26122 OLDENBURG




Z E H N T E R

S T A A T S A K T


E R S T E R A U F T R I T T


Ein kleines Foyer im Probenhaus eines Theaters am späten Nachmittag eines größtenteils trüben Herbsttages. Vor den großen Fenstern wechseln sich vereinzelne Sonnenstrahlen und dunkle Wolken ab, gelegentlich fallen Regentropfen. Zwei Kulturredakteure arrangieren aus einem Sammelsurium alter Sitzmöbel eine Interview-Setup für ein Gespräch mit einer jungen Schauspielerin. Die kommt etwas früher als verabredet - und damit genau zur rechten Zeit.


Thorsten Lange vom Kulturschnack Oldenburg im Interview mit Ebru Tartici Borchers, Hausregisseurin am Oldenburgischen Staatstheater
Wie ein Profi: Mit ihren 18 Jahren wirkt Svantje, als hätte sie schon Dutzende Interviews gegeben. (Bild: Kulturschnack)

THORSTEN Svantje, Du bist Schauspielerin im Jugendclub des Oldenburgischen Staatstheaters. Wie kam es dazu? Was gefällt dir daran?

SVANTJE Das war sogar ein bisschen klischeehaft. Ich habe mir ein Stück von einer guten Freundin angeschaut und habe direkt Lust drauf bekommen. Ich hatte vorher schon Schauspieltraining und Schultheater gemacht und hatte Spaß daran. Als ich dann gesehen habe, was in der Exhalle mit Ton und Licht möglich ist und wie frei man dort mit der Inszenierung umgehen kann, hatte ich einfach richtig Bock mitzumachen.



THORSTEN Manche sagen ja: Dafür braucht man Mut, das kostet Überwindung. Wie empfindest du das? Musst du eine Schwelle überschreiten, wenn du auf die Bühne gehst? Oder zieht sie dich magisch an?


SVANTJE Ich habe das Gefühl, ich muss mich in den Proben mehr überwinden als in den Aufführungen selbst. Dort hat man ja alles festgelegt – den Text, die Aktionen – und das macht man dann. Zudem sieht man das Publikum meistens gar nicht, weil das Licht zu hell ist. Schwieriger ist es, Sachen zu machen, die freier und individueller sind, weil man da Angst haben könnte, negativ bewertet zu werden. Das passiert eher in den Proben, vor allem bei Improvisationen. Da muss man sich wirklich überwinden. Das hängt aber extrem vom Umfeld ab: Es gibt Gruppen, in denen traut man sich mehr, in anderen weniger. Theaterübungen mit Schulklassen finde ich zum Beispiel immer etwas schwierig, weil man sich in der Klassengemeinschaft oft nicht so traut. Deshalb ist es wichtig, mit welchen Leuten man Theater spielt. Und je individueller das Spiel, desto schwieriger wird es.


THORSTEN Merkt man eigentlich, ob man an einem Tag gut in Form ist und richtig performen kann, oder ist das eher unklar?


SVANTJE Doch, total. Man merkt direkt bei den Aufführungen: Ich bin gerade total in dem Stück, ich weiß genau, was ich mache, und tue das aus Überzeugung – nicht nur, weil ich es auswendig gelernt habe. Oder man merkt eben: Ich ratter das gerade einfach runter. Das kann sich aber auch von der Außenwirkung unterscheiden. Ich hatte schon Aufführungen, bei denen ich dachte: Das war katastrophal! Und dann hieß es hinterher, es war die beste Vorstellung. Man spürt aber auf jeden Fall, ob man selbst mit der Performance zufrieden ist oder nicht.



Licht in den Nebel: Das Patriarchat wird auf deutschen Bühnen nicht unbedingt täglich thematisiert. Der Jugendclub des Staatstheaters hat sich rangetraut. (Bild: Stephan Walzl)
Licht in den Nebel: Das Patriarchat wird auf deutschen Bühnen nicht unbedingt täglich thematisiert. Der Jugendclub des Staatstheaters hat sich rangetraut. (Bild: Stephan Walzl)

THORSTEN Hat man da eigentlich zwei Personen im Kopf? Einmal die Figur, die man darstellt, und einmal sich selbst, die das alles reflektiert?


SVANTJE Ich glaube, man muss da ein gesundes Maß finden, damit man das nicht zu sehr auf sich selbst bezieht. Gerade im Amateurschauspiel ist es natürlich einfacher, persönliche Dinge mit reinzubringen. In meinem ersten Stück musste ich zum Beispiel in einer Szene weinen, und da ist es leichter, sich an Erfahrungen zu erinnern, die man selbst gemacht hat. Aber es ist wichtig, die eigene Persönlichkeit und die gespielte Figur nicht komplett miteinander zu vermischen.


Beim Jugendclub im Staatstheater wird man nicht gezwungen, jemand komplett anderes zu sein. Das macht zwar auch den Reiz des Theaters aus, aber für den Anfang ist es schön, wenn man auch ein bisschen man selbst sein darf. Es ist alles einfach noch nicht so streng – das ist gut.


Kurzer Einblick:: In dieser Zusammenstellung sind auch einige Momente aus „Erzähl mir keine Märchen“ zu sehen. (Video: Staatstheater)

THORSTEN Lernt man im Jugendclub eigentlich nur Schauspielern oder nimmst du auch etwas fürs Leben mit?


SVANTJE Man lernt auf jeden Fall mehr als nur Schauspiel - vor allem, wie man aus sich herauskommt. Und was ich auch total gelernt habe: Wie sehr intensive Arbeit Menschen zusammenschweißt. In der Schule ist man oft auf sich allein gestellt, aber bei den Theaterfahrten, die wir gemacht haben, war ich jedes Mal erstaunt, wie sehr man als Team zurückkommt – auch wenn man sich vorher gar nicht so gut kannte. Man sieht sich ja sonst nur einmal pro Woche. Und nach so einer intensiven Zeit ist eine ganz andere Dynamik da.


Beim Theater merkt man richtig, wie sich etwas verändert, wenn alle für dieselbe Sache brennen. Das ist wirklich motivierend.

THORSTEN Denkst du, es würde jungen Menschen generell guttun, ihre Komfortzone zu verlassen und sich was zu trauen? Entweder im Theater oder ganz generell?

SVANTJE Ich glaube, es ist auf jeden Fall wichtig, aus dem Alltag auszubrechen – gerade im Jugendalter, wo er durch Schule oft sehr vorgegeben ist. Aber man muss sich nicht unbedingt exponieren. Für manche ist der Gedanke, auf einer Bühne zu stehen, einfach abschreckend. Es gibt viele individuelle Wege, aus der Komfortzone zu kommen und sich weiterzuentwickeln – auch ohne im Rampenlicht zu stehen. Ein bisschen aus der Komfortzone rauszugehen, ja – aber man sollte auch auf sich selbst hören. Wer nie das Bedürfnis hatte, auf eine Bühne zu gehen, muss das auch nicht erzwingen.



Kontraststark: Das gilt nicht nur für Kostüme und Bühnenbild, sondern auch für die zwei sehr unterschiedlichen Teile des Stücks. (Bild: Stephan Walzl)
Kontraststark: Das gilt nicht nur für Kostüme und Bühnenbild, sondern auch für die zwei sehr unterschiedlichen Teile des Stücks. (Bild: Stephan Walzl)

THORSTEN Du bist zurzeit in „Erzähl mir keine Märchen zu sehen. Worum geht es in dem Stück?

SVANTJE In „Erzähl mir keine Märchen geht es um das Patriarchat. Wir zeigen zunächst in einem spielerisch-märchenhaften Teil Probleme, die mit patriarchalen Strukturen zusammenhängen. Dann gibt es einen starken Bruch, der das Stück auch prägt. Danach geht es um die harte Realität, der Frauen – und auch Männer – in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind. Wir bringen eine große Bandbreite an Themen auf die Bühne: von kleinen Alltagssituationen bis hin zu systemischer Unterdrückung. Es geht darum, Dinge beim Namen zu nennen.


THORSTEN Welche Rolle oder welche Aufgabe übernimmst du in dem Stück?


SVANTJE Wir haben alle keine festen Rollen, die durch das ganze Stück führen. Ich spiele am Anfang die Königin, weil wir ein Märchen erzählen, aber diese Rolle teile ich mir mit anderen. Es gibt viele Chortexte, Szenen, Monologe – also eher Haltungen als Figuren. Im ersten Teil ist die Stimmung märchenhaft, im zweiten Teil dann ernster und realer. Meine Aufgabe ist es eher, eine emotionale und faktenbasierte Haltung zu transportieren.


STARKES THEATERPROGRAMM DIE GROßE VIELFALT Mit dem KULTURSCHNACK STAATSAKT starten wir ein regelmäßiges Interview-Format mit dem Oldenburgischen Staatstheater. Ihr fragt euch, warum wir das tun? Nun: Dafür gibt es genau 188 Gründe.

Das Spielzeit-Heft des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg
Viel drin: Das Spielzeitheft 25/26 des Oldenburgischen Staatstheaters.

Das ist nämlich die Zahl der Seiten des aktuellen Spielzeitheftes des Oldenburgischen Staatstheaters. Es ist prall gefüllt mit dem äußerst facetten- und variantenreichen Programm der insgesamt sieben Sparten. So gibt es in der kommenden Spielzeit 3 Uraufführungen und 31 Premieren, dazu 19 Wiederaufnahmen und unzählige weitere Attraktionen. Und selbst das ist noch nicht alles. Zwischen und außerhalb von Oper, Schauspiel oder Konzert finden viele weitere Projekte statt. Das Staatstheater schreibt weiter an seiner eigenen Geschichte - und damit auch jener der Stadt. Angesichts dieser Opulenz haben wir uns dazu entschieden, dem Staatstheater regelmäßig einen Besuch abzustatten. Gemeinsam suchen wir nach spannenden Gästen, Themen und Geschichten für den KULTURSCHNACK STAATSAKT. Was ihr davon habt? Einen spannenden Einblick in die Theaterwelt und mehr Informationen darüber, was die Menschen dort bewegt. 


THORSTEN Gehst du an solche gesellschaftlich relevanten Themen anders heran als an andere Rollen?


SVANTJE Tatsächlich waren bisher fast alle Stücke, in denen ich mitgewirkt habe, gesellschaftlich relevant – häusliche Gewalt, Social Media usw. Aber ich glaube, bei diesem Stück war es nochmal besonders, weil wir uns vorher so intensiv damit beschäftigt haben. Wir haben viel recherchiert, diskutiert, uns ausgetauscht. Das hat eine Verbindung zum Thema geschaffen und mir ermöglicht, da sehr investiert dranzugehen. Ich denke, das ist die Voraussetzung fürs Schauspiel: sich mit einer Rolle oder einem Thema wirklich auseinandersetzen.



Viraler Hit: „Erzähl mir keine Märchen“ schlug via Instagram hohe Wellen in ganz Deutschland. (Bild: Stephan Walzl)
Viraler Hit: „Erzähl mir keine Märchen“ schlug via Instagram hohe Wellen in ganz Deutschland. (Bild: Stephan Walzl)

THORSTEN Ist es dir persönlich wichtig, zu solchen Themen Position zu beziehen?


SVANTJE Ja, auf jeden Fall. Ich bin sehr stolz auf das Stück und darauf, dass es Diskussionen angestoßen hat.


Für mich persönlich war die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema sehr bereichernd. Es hat mein Bewusstsein verändert und mir die Dringlichkeit noch mal ganz anders vor Augen geführt.

THORSTEN Gibt es ein Element im Stück, das du besonders gelungen findest?


SVANTJE Ja, definitiv der Bruch zwischen dem märchenhaften ersten Teil und dem realistischen zweiten Teil. Viele Zuschauer:innen lachen erst viel und werden dann völlig überrascht von der Wendung. Das ist emotional sehr herausfordernd – aber genau das macht es so wirkungsvoll.



Vielseitig: Trotz einiger ernster Themen lernen wir Svantje von ganz unterschiedlichen Seiten kennen (Bilder: Kulturschnack)


THORSTEN Ihr habt Texte von Nicole Zacharias verwendet. Die Feministin hat dann zusammen mit Wiebke Schenter ein Video von einer euer Proben auf Instagram gepostet, das millionenfach angesehen wurde und knapp 200.000 Likes bekam. Was hast du gedacht, als du das mitbekommen hast?


SVANTJE Erst war ich ein bisschen überrascht, weil ich die Szene aus dem Video, die sie genommen hat, gar nicht so eindrücklich fand. Das ist sie zwar inhaltlich, aber sie wirkte ein bisschen verwackelt und der Ton war nicht so gut. Deshalb habe ich gedacht: Wow, vielleicht hat das wirklich nochmal eine Wirkung, die man als Beteiligte gar nicht mehr so bemerkt.


Und dann hat mich einfach total berührt, was die Leute gesagt oder kommentiert haben, warum sie das Stück so bewegend finden. Es waren nicht nur Likes, die Leute haben sich wirklich damit auseinandergesetzt. Und es scheint die Menschen richtig bewegt zu haben.

THORSTEN Ihr habt wichtige gesellschaftliche Themen, ihr spielt mit viel Herzblut und ihr stoßt auch auf große Resonanz. Aber was würdest du sagen: Wird Jugendtheater insgesamt ernst genug genommen?


SVANTJE Es kommt total darauf an. Hier am Staatstheater habe ich das Gefühl, die Stücke werden sehr ernst genommen. Es gibt bei den Jugendtheatertagen aber nicht nur die Clubs vom Staatstheater, sondern auch Gruppen von Schulen, also AGs oder sowas. Und die werden vielleicht manchmal unterschätzt, weil sie nicht die gleichen Möglichkeit haben. Sie können nicht mit professionellen Schauspieler:innen arbeiten und haben vielleicht auch nicht solche Probenräume wie wir. Ich glaube, dass diese Gruppen zum Teil nicht so richtig ernst genommen werden, obwohl da genau so große Talente sind wie überall sonst auch. Aber das ist wie in jeder anderen Branche: Es gibt Diskrepanzen. Trotzdem glaube ich, dass es wirklich toll ist, wie viele junge Leute begeistert sind fürs Theater.



Unerfahren? Natürlich sind die Schauspieler:innen beim Jugendtheater relativ jung. Statt Alter und Erfahrung werfen sie aber andere Qualitäten in die Waagschale. (Bild: Stephan Walz)
Unerfahren? Natürlich sind die Schauspieler:innen beim Jugendtheater relativ jung. Statt Alter und Erfahrung werfen sie aber andere Qualitäten in die Waagschale. (Bild: Stephan Walz)

THORSTEN Es gibt ja immer mal wieder vergiftetes Lob, so nach dem Motto: „Das war schon ganz gut – dafür, dass ihr nur Jugendliche seid.“ Aber ich habe mich gefragt, ob es nicht auch Themen gibt, die ihr viel besser darstellen könnt als alle anderen?


SVANTJE Auf jeden Fall – wenn es darum geht, Jugendliche anzusprechen. Ich war letztes Jahr oder vorletztes Jahr in einem Stück dabei, in dem es um Social Media ging und wie man das an sich ranlässt. Und ich glaube, dass es von Jugendlichen gespielt wurde, war deutlich wirksamer, als wenn das eine Generation gespielt hätte, die nicht mit Social Media aufgewachsen ist. Beim aktuellen Stück sieht man, dass man nicht erst im Berufsleben als Frau mit Diskriminierung konfrontiert wird.


Das ist das Spannende daran: zu sehen, dass es keine Altersgruppe gibt, die davon ausgeschlossen ist, von dieser Unterdrückung. Und genau deswegen war es auch gut, dass das junge Menschen gespielt haben – damit man sieht: Das Bewusstsein ist überall da, oder wird überall geweckt.

THORSTEN Das Jugendtheater ist also ein richtiger Zeitpunkt, um mit wichtigen gesellschaftlichen Themen konfrontiert zu werden?


SVANTJE Genau. Es ist nicht „zu früh“, weil man ja auch in der Kindheit nicht geschont wird, was solche Themen angeht. Und ich finde, sobald jemand alt genug ist, mit Sexismus konfrontiert zu werden, sollte diese Person auch alt genug sein, sich dazu zu äußern. Es gibt natürlich auch Menschen, denen passieren Dinge, bevor sie überhaupt sprechen können. Aber ich glaube, sobald jemand von etwas betroffen ist, sollte er oder sie auch darüber sprechen dürfen. Und deshalb finde ich es sehr gut, dass das in unserem Alter thematisiert wird – und man nicht sagt: „Wir hören euch erst zu, wenn ihr den Ernst des Lebens erfahren habt.“



Motivierend: „Beim Theater merkt man richtig, wie sich etwas verändert, wenn alle für dieselbe Sache brennen“, erzählt Svantje. (Bild: Staatstheater)
Motivierend: „Beim Theater merkt man richtig, wie sich etwas verändert, wenn alle für dieselbe Sache brennen“, erzählt Svantje. (Bild: Staatstheater)

THORSTEN Aber wenn euch ein Erwachsener sagt: „Jugendtheater ist nix für mich. Dafür bin schon viel zu alt“, was entgegnest du?


SVANTJE Ich muss sagen, das habe ich bisher selten von Erwachsenen gehört. Ich höre das eher von Gleichaltrigen, die sagen, es sei ihnen ein bisschen unangenehm, oder die Fremdscham empfinden. Viele Menschen haben ja das Gefühl, Schauspieler:innen halten sehr viel von sich – weil auf der Bühne eben wichtige Themen verhandelt werden. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man sich darauf einlassen muss.


Wenn jemand – zum Beispiel als ältere Person – nicht bereit ist, sich auf Jugendtheater einzulassen, zeigt das für mich eine gewisse Haltung gegenüber der Jugend. Denn wir präsentieren hier wirklich unsere eigenen Gedanken. Und zu sagen: „Dafür bin ich zu alt“, impliziert für mich nicht nur: „Ich bin zu alt für dieses Theater“, sondern auch: „Ich bin zu alt, mir deine Gedanken anzuhören.“ Und ich glaube, man ist nie zu alt, um sich Gedanken anderer anzuhören.

Deshalb würde ich sagen: Du musst dich darauf einlassen, dass es dich auch interessieren kann, was wir zu sagen haben – und dass es dich genauso betrifft. Und die Diskussion ist ja nicht ausgeschlossen, nur weil du zuschaust und nicht mitspielst. Im Gegenteil: Du bist eingeladen.


Gute Laune: Svantje sagt während unseres Gesprächs viele kluge Sätze, bleibt aber trotzdem ganz entspannt. (bild: Kulturschnack)
Gute Laune: Svantje sagt während unseres Gesprächs viele kluge Sätze, bleibt aber trotzdem ganz entspannt. (bild: Kulturschnack)

THORSTEN Du bist jetzt 18 Jahre alt und seit, drei Jahren beim Jugendclub des Staatstheaters dabei. Da stellt sich ja die Frage: Wohin geht die Reise? Hast du jemals darüber nachgedacht, Schauspiel auch als Karriere anzustreben – oder bleibt das einfach ein schönes Hobby?


SVANTJE Wenn es um Traumjobs ging, hab ich schon immer relativ schnell gesagt: Schauspiel! Wenn ich es mir aussuchen könnte – wenn Geld keine Rolle spielen würde – dann hätte ich extrem große Lust darauf. Aber selbst wenn sich für mich keine Tür öffnet, das hauptberuflich zu machen, werde ich das auf jeden Fall beibehalten - wo auch immer man lebt. Ich würde darauf nur sehr ungern verzichten. Auch wenn ich weiß, dass die Chance, das hauptberuflich zu machen, natürlich nicht riesig ist – wie in vielen anderen Branchen auch.


Starker Charakter: Yelena Belova ist die Schwester von „Black Widow“. (Bild: Marvel Studios)
Starker Charakter: Yelena Belova ist die Schwester von „Black Widow“. (Bild: Marvel Studios)

THORSTEN Man braucht Glück - aber wer weiß? Gibt es eigentlich eine Rolle, die du liebend gerne mal spielen würdest? Für die du dann auch alles stehen und liegen lassen würdest, wenn du die Chance hättest?

SVANTJE Oh, darüber hab ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. (überlegt) Als ich Black Widow geguckt habe, fand ich die Rolle von der Schwester richtig stark – da hätte ich richtig Lust drauf gehabt, weil das dieser typische Marvel-Humor ist. Gleichzeitig hätte ich aber auch echt Lust auf Rollen mit richtigem Tiefgang. Immer wenn ich Filme gucke, wo Leute emotional spielen müssen, denke ich: „Boah, da hätte ich richtig Bock drauf!“ (lacht) Dann überlege ich: Wie würde ich das jetzt machen? Wie würde ich diese Zwickmühle nur mit Mimik darstellen?


Ich glaube, es geht vielen bei uns im Club so: Wenn man einen emotionalen Monolog bekommt, freut man sich. Weil man weiß: Ich kann mich zuhause hinsetzen, annotieren, was das für mich bedeutet, und das dann wirklich fühlen. Das ist für die meisten Schauspielenden richtig cool.

THORSTEN Da kann man nur hoffen, dass du eine passende Rolle findest. Guckt man als Schauspielerin eigentlich Theaterstücke oder Filme anders – also mit der Frage: Wie würde ich das machen?


SVANTJE Ich glaube, das kommt aufs Level an. Wenn ich im Staatstheater Stücke anschaue, denke ich das eher selten – weil ich weiß, dass das eine ganz andere Ebene ist als das, was ich spiele. Ich traue mich nicht, mich damit zu vergleichen. In den eigenen vier Wänden kommt es aber immer wieder vor, dass man sich denkt: Das hätte ich aber so oder so gemacht. Ich habe noch nie vor Kameras gespielt, deshalb kann man das schwer vergleichen. Trotzdem – wenn man Interesse am Spielen hat und es auch ausprobiert hat, sieht man das auf jeden Fall mit einer anderen Linse, ja.


THORSTEN Letzte und schwerste Frage: Wenn dein Leben als Theaterstück inszeniert werden sollte – wer müsste dich spielen?


SVANTJE Ich weiß tatsächlich gar nicht, ob es Schauspielerinnen gibt, die aussehen wie ich (lacht). Aber es wäre für mich eine Ehre, wenn Jennifer Lawrence das machen würde. Die finde ich toll, und die mag ich auch als Person einfach sehr gern. Da hätte ich große Lust, das zu sehen.


THORSTEN Ich würde sagen: Da fragen wir mal an!


(Alle: ab)




Ort des Geschehens: In der Exhalle  entfachte sich Svantjes Theaterleidenschaft endgültig - und wird sie vielleicht ihr Leben lang begleiten. (Bild: Stephan Walzl)
Ort des Geschehens: In der Exhalle entfachte sich Svantjes Theaterleidenschaft endgültig - und wird sie vielleicht ihr Leben lang begleiten. (Bild: Stephan Walzl)


Zurecht selbstbewusst


Was ist Jugendtheater? Diese Frage ist nur schwer in wenigen Sätzen zu beantworten. Das Gespräch mit Svantje Stein aber hat uns einen hervorragenden Eindruck davon gegeben, was es leisten kann - für die Akteur:innen auf der Bühne, aber auch für die Besucher:innen im Publikum. Manches mag tatsächlich weniger ausgereift sein als bei den Erwachsenen. Das kann man allerdings auch als Vorteil lesen, weil Authentizität beim Jugendtheater eine sehr große Rolle spielt. Wir begegnen hier nicht nur Stücken und Schauspieler:innen, wir begegnen gleichzeitig den Lebensrealitäten dieser Altersgruppe und - hinter den Rollen - .auch echten Menschen, die immer auch etwas von sich selbst auf die Bühne bringen. Nicht zuletzt das ist es, was Jugendtheater so mitreißend macht: Es bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Fiktion und Realität und vermischt beides zu einem spannenden Blick ins Leben jüngerer Menschen.


„Erzähl mir keine Märchen“ ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass Jugendtheater einerseits die Sprache seiner jungen Protagonist:innen spricht, andererseits aber trotzdem - oder gerade deswegen - den Nerv des Publikums besser treffen kann als große Projekte professioneller Akteuer:innen. Wer Svantje auf der Bühne sehen und live erleben will, was im Netz schon Hunderttausende bewegt hat, sollte eine der vier Gelegenheiten nutzen, die sich im November - sozusagen als Zugabe - bieten. Und zwar auch dann, wenn man sich bisher nie mit Jugendtheater beschäftigt hat. Denn: „Man ist nie zu alt, die Gedanken anderer anzuhören.“ Danke, Svantje!


 
 
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