STAATSAKT #9: DER STURM
- kulturschnack
- 23. Sept.
- 12 Min. Lesezeit
Das Oldenburgische Staatstheater ist das Flaggschiff der Oldenburger Kulturlandschaft. Sein Output allein würde unsere Stadt schon zu einer Theatermetropole machen. Um halbwegs den Überblick zu behalten, gibt es nun den Kulturschnack Staatsakt. Hier treffen wir uns mit den Akteur:innen und sprechen mit ihnen über Premieren, Projekte, Persönliches. Das ist Theater - im Rampenlicht und hinter den Kulissen!

„Othello“, „Hamlet“, „Macbeth“: Die Theaterstücke von Willam Shakespeare (1564-1616) gehören zu den berühmtesten aller Zeiten. Seit Jahrhunderten feiern sie auf den kleinen und großen Bühnen dieser Welt große Erfolge, auch wenn (oder gerade weil) das Publikum die Texte inzwischen vielfach mitsprechen kann. Die Stoffe sind sogar so berühmt, dass sie nun schon zum zweiten Mal Thema beim Staatsakt sind - der ultimative Ritterschlag für jede Form von Theater.
In den Aufzählungen bekannter Werke taucht eines allerdings nur selten auf; und zwar ausgerechnet jenes, das im Jahre 1611 als letztes entstanden sein soll. Sein Titel: „Der Sturm“. Mit der Qualität des Materials kann das jedoch nichts zu tun haben: Die Geschichte einer Gruppe von adligen Gestrandeten, die auf einer einsamen Insel sogleich wieder um die Macht kämpfen, überzeugt durch eine ebenso kluge wie kunstvolle Verbindung von Politik und Humor. Regisseurin Ebru Tartici Borchers hat uns im KULTURSCHNACK STAATSAKT NR. 9 verraten, welche Herausforderungen es bei der Inszenierung gab, warum sie die Proben liebt und weshalb Regie mutig sein muss, wenn sie Spaß machen soll.
OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER
DER STURM
VON WILLIAM SHAKESPEARE
SO 28.9. 18:30 UHR KARTEN
MO 29.9. 20:00 UHR KARTEN
SO 5.10. 18:30 UHR KARTEN
MI 8.10. 20:00 UHR KARTEN
MI 15.10. 20:00 UHR KARTEN
FR 24.10. 20:00 UHR KARTEN
FR 31.10. 18:30 UHR KARTEN
FR 7.11. 20:00 UHR KARTEN
SO 9.11. 15:30 UHR KARTEN
MI 12.11. 20:00 UHR KARTEN
FR 14.11. 20:00 UHR KARTEN
SA 27.12. 20:00 UHR KARTEN
DO 15.1. 20:00 UHR KARTEN
SA 17.1. 20:00 UHR KARTEN
DO 22.1. 20:00 UHR KARTEN
SA 7.2. 20:00 UHR KARTEN
SO 22.2. 18:30 UHR KARTEN
SO 1.3. 18:30 UHR KARTEN
KLEINES HAUS
THEATERWALL 28
26122 OLDENBURG
N E U N T E R
S T A A T S A K T
E R S T E R A U F T R I T T
Ein Zimmer im Dachgeschoss eines klassizistischen Gebäudes am Theaterwall in Oldenburg, direkt gegenüber jenem Gebäude, nach dem die Straße benannt wurde. Es ist ein trüber Herbsttag mit starker Bewölkung, draußen weht ein kräftiger Wind. Durch die großen Dachfenster fällt dennoch viel Licht in den Raum. Zwei Kulturredakteure gestalten das funktionale Interieur schnell noch etwas wohnlicher, dann kommt auch schon der Gast.

THORSTEN Schön, dass du es einrichten konntest! Das war bestimmt nicht einfach, zwei Tage vor der Premiere?
EBRU Es gab schon Fälle, da wäre so etwas tatsächlich schwierig gewesen. Aber wir sind jetzt auf einem Stand, wo man sagen kann: Das passt. (lächelt)
THORSTEN Super, das freut uns sehr. Sind die Kameras schon an, Kevin?
KEVIN Yup, sind alle an!
THORSTEN Okay, dann geht's los!
(Schnell werden noch einige Details zum Format besprochen und die Sitzpositionen leicht angepasst. Dann startet das Gespräch.)
THORSTEN Ebru, Du inszenierst am Oldenburger Staatstheater gerade „Der Sturm“. Kannst du in ein paar Sätzen sagen, worum es geht?
EBRU Es geht um eine Gruppe von Menschen, die auf beiner Insel strandet. Alle stammen aus königlichen Familien, mit Abenteuern haben sie aber kaum Erfahrung. Das wird sehr schnell spürbar. Denn selbst wenn es um eine Insel geht, auf der es kein Volk gibt, ist die wichtigste Frage erst mal: Wer wird hier König? „Der Sturm“ zeigt sehr deutlich, dass Macht und Einfluss für Menschen oft zu den größten, wichtigsten Dingen gehören – auch wenn es nur wenige andere Menschen gibt, auf die man Einfluss nehmen kann. Ich habe das Gefühl, Shakespeare hat das extrem humorvoll - halb tragisch, halb lustig - erzählt.

THORSTEN Das Stück soll ja Shakespeares letztes gewesen sein. Abgesehen davon – was macht es für dich besonders? Warum gehört es auf eine Oldenburger Bühne?
EBRU Es gibt Wind, es gibt Party, es gibt Liebe, es gibt Politik – was will man mehr? (lacht) Es enthält so viele schöne, lustige, aber auch gesellschaftlich relevante Elemente – und das ohne, dass man sich zu sehr auf eine einzige Story fokussieren muss, wie bei „Hamlet“ oder „Macbeth“. „Der Sturm“ hat eine große Leichtigkeit und bietet viel inhaltliches Potenzial. Selbst im schlimmsten Fall kann man immer noch sagen: Das ist einfach nur eine verrückte Geschichte. Man kann Spaß daran haben – auch wenn Shakespeare darin viele wichtige Sätze sprechen lässt.
THORSTEN Da können wir gespannt sein, welche Sätze das sind. Was fandest du bei der Adaption denn besonders schwierig? Gab es eine große Herausforderung?
EBRU. Was die Bilder und die Vorstellungskraft angeht, war vieles herausfordernd – aber ich mag das. Ich hatte durchgehend Spaß an Fragen wie: „Wie machen wir das jetzt?“ Eine der größten Aufgaben war, mit neun tollen Schauspieler:innen auf der Bühne zu arbeiten und insgesamt elf Figuren gut in Beziehung zueinander zu setzen. Wann steht wer im Fokus? Mit welchem Satz gehen wir wie um? Das war etwas, das wir auch während der Produktion erst lernen durften.
THORSTEN Und wenn du zurückblickst – was ist richtig gut gelungen? Worüber freust du dich jedes Mal?
EBRU Ich glaube, dass wir es geschafft haben, diese elf Figuren sehr unterschiedlich, mit eigenen Stärken und emotionalen Farben herauszuarbeiten. Ich habe das Gefühl, dass das Ensemble das richtig gut hinbekommen hat. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz. (lacht) THORSTEN Man kennt den Begriff „Regisseurin“, aber ich glaube, viele wissen gar nicht so genau, was man da eigentlich macht. Was würdest du sagen, ist deine wichtigste Kompetenz?
EBRU (überlegt kurz) Ich glaube, die Fähigkeit, eine Gruppe von sehr kreativen und klugen Menschen – mit eigenen tollen Vorstellungen vom Stück – zusammenzubringen und ihre Stärken nebeneinander zu sortieren. Am Ende sollten wir alle dasselbe Stück erzählen – und im besten Fall sogar ein gemeinsames Ziel haben, was wir damit ausdrücken wollen. Ohne Regie gibt es schon viele tolle Spieler:innen, Ausstatter:innen, Choreograph:innen, Musiker:innen, Dramaturg:innen.
Der Job der Regie fühlt sich für mich an wie der einer Orchesterdirigentin: Man hält alle zusammen, stellt sie in die richtige Reihenfolge und entscheidet, wann welche Töne lauter oder leiser sein sollten.
THORSTEN Sehr schön beschrieben. Ich habe kürzlich mit einer Filmregisseurin gesprochen, die das ähnlich gesehen und ebenfalls die Bedeutung des Zusammenspiels in einer Gruppe betont hat; da gibt es also durchaus Ähnlichkeiten. Was sind denn die schönsten Momente in deinem Beruf? Die Premiere oder etwas anderes?
EBRU Ich genieße die Probenzeit am meisten. Und ich liebe die stressigen Zeiten genauso wie die Momente, in denen man denkt: „Wow, das rockt gerade!“ Am liebsten mag ich es, wenn man nach einer Frage oder nach einem Vorschlag etwas ausprobiert hat und dann diesen besonderen Glanz in den Augen der Spieler:innen sieht – dieses: „Ah, jetzt habe ich’s verstanden!“ Dann spürt man Bestätigung oder sogar Begeisterung und hat das Gefühl, dass alle in einem Boot sind. Solche Momente machen mich sehr glücklich – manchmal die ganze Nacht lang.
STARKES THEATERPROGRAMM
DIE GROßE VIELFALT
Mit dem KULTURSCHNACK STAATSAKT starten wir ein regelmäßiges Interview-Format mit dem Oldenburgischen Staatstheater. Ihr fragt euch, warum wir das tun? Nun: Dafür gibt es genau 188 Gründe.
![]() Das ist nämlich die Zahl der Seiten des aktuellen Spielzeitheftes des Oldenburgischen Staatstheaters. Es ist prall gefüllt mit dem äußerst facetten- und variantenreichen Programm der insgesamt sieben Sparten. So gibt es in der kommenden Spielzeit 3 Uraufführungen und 31 Premieren, dazu 19 Wiederaufnahmen und unzählige weitere Attraktionen. Und selbst das ist noch nicht alles. Zwischen und außerhalb von Oper, Schauspiel oder Konzert finden viele weitere Projekte statt. Das Staatstheater schreibt weiter an seiner eigenen Geschichte - und damit auch jener der Stadt.
Angesichts dieser Opulenz haben wir uns dazu entschieden, dem Staatstheater regelmäßig einen Besuch abzustatten. Gemeinsam suchen wir nach spannenden Gästen, Themen und Geschichten für den KULTURSCHNACK STAATSAKT. Was ihr davon habt? Einen spannenden Einblick in die Theaterwelt und mehr Informationen darüber, was die Menschen dort bewegt.
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THORSTEN Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Genau deswegen arbeitet man: weil man sich diese Momente wünscht. Du bringst ja zusätzlich noch eine Besonderheit mit an deinen Arbeitsplatz: Du bist in der Türkei geboren und dort aufgewachsen. Ist dein Background für dich eigentlich ein Vorteil, ein Nachteil – oder gar nichts davon?
EBRU Im Arbeitskontext hat es für mich nur Vorteile. Ich arbeite mit einem großartigen Regieteam, in dem viele Kolleginnen aus anderen Ländern kommen. Dadurch entstehen ganz unterschiedliche Perspektiven, was die Kreativität enorm bereichert. Auch bei der Textarbeit mit Spieler:innen gibt es dadurch mehr Interpretationsmöglichkeiten.
Natürlich bleibt Deutsch eine Fremdsprache für mich – auch wenn ich sie mittlerweile ganz gut beherrsche. Aber manchmal kann ich mit Körpersprache mehr ausdrücken als mit Worten.
Ich habe oft Heimweh und wünsche mir manchmal, auf Türkisch proben zu können. Ich gehe oft zu Vorstellungen in der Türkei, übersetze deutsche Stücke ins Türkische – und hoffe, irgendwann wieder häufiger dort zu inszenieren. Aber ich bin auch sehr dankbar: Ich hatte bisher immer großes Glück mit Kolleg:innen im deutschsprachigen Raum. Niemand hat mir je das Gefühl gegeben, dass ich hier nicht hingehöre.
THORSTEN Vielleicht kannst du ja mal ein Stück in türkischer Sprache in Oldenburg inszenieren – mit Übertiteln. Wäre spannend!
EBRU Ja, das wäre wirklich schön. (lacht)
Ansteckende Theaterleidenschaft: Wer mit Ebru Tartici Borchers über ihren Beruf spricht, möchte am liebsten sofort selbst Regie führen. (Bilder: Kulturschnack)
THORSTEN Du hast erst in Ankara Schauspiel und später in Wien Regie studiert. Du kennst also das Leben auf der Bühne und an ihrem Rand. Was gefällt dir denn besser?
EBRU Ganz klar: Regie! Das war immer mein größter Wunsch. Seitdem ich Regie machen darf, bin ich sehr glücklich – und ich vermisse das Schauspiel überhaupt nicht. Ich habe diesen Bereich erst spät entdeckt. Ich dachte lange, Schauspiel sei mein Lebensziel. Aber als ich während des Studiums Regisseur:innen kennengelernt habe, dachte ich: „Oh mein Gott, es gibt so einen Job, der mich noch mehr begeistert als das Schauspiel!“ Das hätte ich nie geglaubt.
Es ist einfach ein Privileg, die Aufgabe zu haben, sich etwas vorstellen und ausdenken zu dürfen - auch wenn die Umsetzung dann natürliche eine große Herausforderung ist. Regie ist mein Herzensberuf.
THORSTEN Ich finde es fast schade, dass man dich nicht mehr auf der Bühne sieht. Aber schön, dass du deine Berufung gefunden hast. Wenn ich richtig gerechnet habe, hast du mit 26 Jahren begonnen, Regie zu führen. Jetzt bist du 35. Bist du noch ein junges Küken oder schon ein alter Hase?
EBRU Ich glaube, keins von beidem – und das ist auch gut so. Nach jeder Produktion steht man woanders als davor. Im Theater lernt man ständig dazu. Ich bin froh, dass ich mich noch wie am Anfang fühle – dann bleibt es spannend. Aber ich fühle mich auch nicht mehr wie ein Neuling, der alles zum ersten Mal machen muss. Das gibt mir auch Sicherheit.
Starkes Ensemble: Gemeinsam mit den Schauspieler:innen konnte Regisseurin Ebru Tartici Borchers ihre Vorsellungen für „Der Sturm“ umsetzen. (Bilder: Stephan Walzl)
THORSTEN Du hast in letzter Zeit nicht nur in Oldenburg gearbeitet, sondern auch an vielen anderen Orten wie Gießen, Mainz, Zürich, Wien. Das ist eine eindrucksvolle Liste. Da fragt man sich: Hat dein Jahr mehr als zwölf Monate?
EBRU Das frage ich mich auch manchmal! (lacht) Wenn wir im Regieteam über unsere Produktionen sprechen, denken wir oft: „War das alles wirklich nur letztes Jahr?“ Die Zeit ist so intensiv. Innerhalb von zwei Monaten passiert im Theater unglaublich viel.
Ich liebe die Probenzeit, und zum Glück geht es meinem ganzen Team genauso – deshalb arbeiten wir so viel.
THORSTEN Und das auch noch sehr erfolgreich! Für deine Inszenierung von „Amsterdam“ hier am Oldenburgischen Staatstheater warst du im Jahr 2023 für den Theaterpreis Faust nominiert. Die Jury lobte ausdrücklich deine mutige Regiearbeit. Muss eine Regisseurin mutig sein?

EBRU Ich weiß nicht, ob sie es muss – aber anders macht es keinen Spaß. Als Zuschauerin will ich überrascht werden. Und um zu überraschen, muss man etwas wagen – auch wenn es schiefgehen kann. Ich hatte großes Glück mit dem Ensemble in Oldenburg, mit allen künstlerischen Abteilungen. Selbst wenn etwas nicht perfekt klappt, war die Qualität da. Und in der Corona-Zeit (in der das Stück entstand, Anm. d. Red.), mit halber Probenzeit und ständig wechselnden Konstellationen, war das besonders wertvoll.
THORSTEN Für Stücke wie „Antigone / Schwester von“ oder „Mascha K. (Tourist Status)“ hast du ebenfalls viel Aufmerksamkeit bekommen. Entsteht durch Erfolg eigentlich auch Druck? Hast du das Gefühl, dass du jetzt immer etwas ganz Besonderes machen musst?
EBRU Der Druck entsteht eher dadurch, dass ich niemanden enttäuschen will – vor allem das Team. Sie stecken so viel Herzblut hinein. Ich will nicht, dass jemand mit etwas leben muss, mit dem sie oder er nicht einverstanden ist.
Natürlich – alles, was gut oder schlecht läuft, fällt auf die Regisseurin zurück. Aber wenn ich mich vom Druck bremsen lasse, macht der Beruf keinen Spaß mehr.
Intensive Theatererlebnisse: Mit „Antigone / Schwester von“ (links) oder „Mascha K. (Tourist Status)“ feierte Ebru in Oldenburg beriets große Erfolge. Wird es mit „Der Sturm“ so weitergehen? (Bilder: Stephan Walzl)
THORSTEN Ich habe das Gefühl, du bist eine wirklich leidenschaftliche Theatermacherin. Aber wenn jetzt jemand um die Ecke käme und sagen würde, du sollst den nächsten „Tatort“ inszenieren, was würdest du antworten? „Oh ja“ oder „Bloß nicht“?
EBRU (voller Überzeugung) Bloß nicht! Ich würde sagen, da hat man mich wahrscheinlich mit einer anderen Ebru verwechselt. Das bin ich auf keinen Fall. Ich bin auch eine sehr bescheidene Film- und Fernsehzuschauerin – ich bin dort leider nur selten unterwegs. Es wäre schön, das etwas öfter zu tun, aber ich gehe stattdessen sehr oft ins Theater. Auch als Zuschauerin sehe ich mir monatlich mindestens vier, fünf Produktionen an.
Ich genieße das Theater nicht nur als Macherin, ich liebe es einfach. Ich schaue mir auch unglaublich gerne an, was andere Kolleginnen und Kollegen gemacht haben. Diese Leidenschaft hätte ich nie auch nur ansatzweise für Film oder Fernsehen.
THORSTEN Das beruhigt natürlich alle Theaterfans in Oldenburg. Gibt es denn einen Stoff oder ein Stück, das du liebend gern mal inszenieren würdest, wozu es aber bisher noch nicht gekommen ist?
EBRU Oh ja, ich weiß nur nicht, ob man so etwas verraten darf. Aber ja, es gibt tatsächlich zwei Stücke. Ich warte nur auf den richtigen Zeitpunkt.
THORSTEN Du verrätst sie aber nicht?
EBRU Okay, vielleicht verrate ich sie doch. Hoffentlich bereue ich das später nicht. Eins davon ist „Zement“, die Theateradaption von Heiner Müller, die auf einem großartigen Roman basiert. Und das andere ist „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada. Das sind zwei Herzensprojekte von mir, die irgendwo auf mich warten – wenn ich ein bisschen weiter bin.

THORSTEN Wir warten mal ab und schauen, was passiert. Vielleicht ist es eines Tages so weit! Wo wir gerade schon bei Herzensprojekten sind, würde mich noch etwas anderes interessieren. Wenn du eine berühmte Bühnenfigur sein dürftest – welche wärst du gern?
EBRU Ich weiß nicht, ob ich gerne jemand Bestimmtes wäre, aber wenn ich mich noch einmal mit einer Figur beschäftigen dürfte – sei es inszenieren oder spielen – dann gäbe es zwei Charaktere, die ich unglaublich spannend und beeindruckend finde. Einer davon ist auf jeden Fall Kreon. Den hat bei uns Caroline Nagel großartig gespielt – ich bin auch ein großer Fan von Caro. Der andere ist Ismene, die bei uns Tobias Schaumann gespielt hat – ebenfalls großartig. Ich glaube, besser geht es nicht nach meinem Geschmack.
Aber diese beiden Figuren lassen mich einfach nicht los. Manchmal führe ich nachts im Kopf Gespräche mit ihnen. Sie begleiten mich gedanklich immer wieder.
Tatsächlich war es eine große Überraschung, dass ich mich in der letzten Spielzeit bei „Antigone / Schwester von“ mit genau diesen beiden Figuren an einem Abend beschäftigen durfte. Deshalb wird diese Produktion für mich immer eine meiner Lieblingsproduktionen bleiben.

THORSTEN Sehr schön. Jetzt kommt schon die letzte Frage – oder eher eine Bitte: Vervollständige folgenden Satz: „Oldenburg ist für mich...
EBRU ...mein Zuhause in Deutschland.“ Ja, mein Theater-Zuhause. Absolut. Ich fühle mich hier unglaublich wohl und bin wirklich sehr glücklich. Ich hatte bisher in Deutschland überall Glück – nicht, dass es irgendwo nicht schön gewesen wäre. Aber in Oldenburg ist es besonders: Wenn ich am Bahnhof ankomme, fühlt sich alles sofort vertraut an. Ich bin hier gerne unterwegs, gerne draußen auf den Straßen. Und sobald ich das Theatergebäude betrete, kenne ich alle Gesichter und spreche gerne mit allen Kolleg:innen. Das ist ein wunderbares Gefühl. Ich wohne aktuell in Wien, aber falls ich irgendwann in Deutschland mal länger bleiben sollte, dann stünde Oldenburg auf Platz eins meiner Liste.
THORSTEN Das ist ein richtig schönes Kompliment. Ein Zuhause bietet man schließlich besonders gern. Vielen Dank – das waren tolle Antworten, du hast wunderbare Geschichten erzählt.
EBRU Ich hoffe, die Vorstellung gefällt euch genau so gut!
THORSTEN Die Latte liegt hoch, aber wir prüfen das nach! (beide lachen)
(Alle: ab)
In den Sturm segeln
Es kommt nicht allzu häufig vor, dass man Stücke aus der Feder William Shakespeares erleben darf, die man nicht schon von irgendwoher kennt. Im Falle von „Der Sturm“ geht es vielen von euch womöglich nicht anders als uns: Dieses Stück war uns vollkommen unbekannt, bevor es nun auf den Spielplan des Oldenburgisches Staatstheaters rückte. Das allein macht den Gang ins Theater beinahe schon zu einer Pflichtveranstaltung. Aber da ist noch mehr.

Wer mit Ebru Tartici Borchers über Theater spricht, über Regie und Inszenierung oder die Arbeit mit dem Ensemble, hat keine andere Wahl: man muss sich förmlich mitreißen und begeistern lassen. Die 35-Jährige brennt fürs Theater und sie vermag es, ihre Leidenschaft auf andere zu übertragen. Bei wem also der Name Shakespeare allein noch ausreicht, hat damit ein zusätzliches Argument, sich eine Vorstellung von „Der Sturm“ anzusehen.
Was sich Ebru für den vierhundert Jahre alten Stoff ausgedacht hat? Wer unter den Gestrandeten letztlich das Rennen um die Macht gewinnt? Und welche Paralleln zur Gegenwart wie (vielleicht) ziehen können? Das erfahrt ihr erst, wenn ihr im Theatersessel sitzt. Und eines ist bei Ebru Tartici Borchers sicher: ihr werdet überrascht sein - und das ist gut so!

































