Es gibt höchste Türme, schiefste Türme, sogar tanzende Türme. Aber sprechende Türme? Die zudem auch noch weise sind? Das ist neu! Und dieses Talent verleiht ihnen neben der optischen erstmals auch eine inhaltliche Dimension. Hat Oldenburg nun also eine neue Sehenswürdigkeit, um die uns alle anderen Städte beneiden? Ja, in gewisser Weise schon. Aber nur kurz: Am 13. November ist bereits alles vorbei!
Seien wir mal kurz ehrlich: Die Türme der Cäcilienbrücke waren nie herausragende architektonische Glanzlichter. Nur ganz selten standen Menschen vor ihnen und bestaunten mit offenen Mündern ihre anmutige Konstruktion. Im Grunde sind sie relative plumpe industrielle Funktionsgebäude, die dazu dienten, eine Brücke hoch- und runterzufahren. Punkt. Trotzdem wurden sie im Laufe der letzten fast einhundert Jahre zu Identifikationspunkten und Wahrzeichen Oldenburgs. Warum nur?
Dafür gibt es eine ganze Reihe an Gründen. Einer davon ist sicher die Symbolik: Für weite Teile Osternburgs (und jenseits davon) war die Brücke das Einfallstor zur Stadt, ein oftmals täglich passierter Wegpunkt. Er war weder besonders schön, noch sorgte er für einen reibungslosen Verkehrsfluss (ganz im Gegenteil), aber beides verlieh ihm Charakter. Man musste die vier stoischen Gewichtheber am Küstenkanal einfach lieb gewinnen - eben weil sie einfach ihre Arbeit machten, ohne mehr zu wollen. Und weil sie damit tagtäglich tausenden Menschen das Tor zur Stadt öffneten.
DIE LOGE: DIE VIER WEISEN
17. OKTOBER - 13. NOVEMBER 2022
RUND UM DIE UHR
GRATIS
26135 OLDENBURG
Ein anderer Grund ist natürlich die Geschichte. Die Cäcilienbrücke gehörte gemeinsam mit ihrer längst abgerissenen Schwesterbrücke gleicher Bauart (Amalie) zu den Schmuckstücken deutscher Ingenieurskunst in den 1920er Jahren. Technisch war Oldenburg damit also voll auf der Höhe der Zeit. Auch wenn man das Äußere irgendwie liebgewann, lag der wahre Reiz der Brücke also im Inneren. Die Brücke hob und senkte sich in atemberaubender Verlässlichkeit - zu Zeiten des Freistaats, während der Nazidiktatur, im geteilten und im wiedervereinten Deutschland. Was auch immer passierte, sie funktionierte. Und das hatte irgendwie auch immer etwas beruhigendes, beinahe tröstliches.
Arbeitslos und Sinn dabei
Und so ist es auch jetzt, nachdem den vier Türmen mit dem Brückenelement der Sinn bereits genommen wurde. Ausgerechnet in dieser Phase der absoluten Nutzlosigkeit erwachen sie zu neuem Leben und sind vielleicht lebendiger als je zuvor; zumindest aber seit der Zeit, als der letzte Brückenwärter seinen Arbeitsplatz über dem Wasser verließ.
Denn „Die Loge“ war mal wieder aktiv und hat eine weitere schlummernde Immobilie Oldenburgs für ein Kunstprojekt erweckt. Das Kollektiv um Clara Kaiser und Mathilda Kochan - das wir im Podcast und Portrait ausführlich vorgestellt haben - setzt auf sehr individuelle Erfahrungen: In der Regel nehmen die Betrachter:innen die Projekte isoliert als Einzelpersonen war. Und so ist es auch hier: Die Lichtinstallation „Die vier Weisen“ hat keinen Saal und keine Sitzplätze. Sie bespielt den öffentlichen Raum - und in dem bewegen sich die meisten von uns ohne Begleitung. Der beste Platz für eine Beobachtung - sozusagen: die Loge - ist eine Behelfsbrücke südlich der vier Protagonisten. Weniger Glamour geht eigentlich gar nicht.
Kontrolliertes Entgleisen
Und doch verfehlt die Installation ihre Wirkung nicht. Sie läuft auch tagsüber, ist dann aber naturgemäß schwer zu erkennen. Das Herbstwetter war bisher einfach zu gut. Erst im Abendlicht - oder bei Nacht - entfaltet sie ihren ganzen Reiz. Wobei auch der schwer zu definieren ist. Im ersten Moment handelt es sich bestenfalls um ein Flackern, das uns im Vorbeifahren kurz irritiert. Aber genau in diesem Moment - der kurzen, intuitiven Reaktion - beginnt die Kunst der Loge. Denn hier entgleisen wir bereits aus unseren festgelegten Bahnen, aus unserer Alltäglichkeit, aus unseren Wegen von A nach B, und setzen uns mit etwas auseinander, das wir nicht erwartet haben.
Und wir sind dabei - typisch Loge - zunächst mal allein. Wie müssen selbst die Frage klären, ob das nur ein Flackern war oder doch vielleicht mehr. Schnell bekommen wir heraus, dass die Lichter regelmäßig aufleuchten und dass es sich dabei um einen Morsecode handeln muss. Und etwas später stellen wir vielleicht fest, dass es nicht nur Aussagen gibt, sondern ein regelrechtes Gespräch - zwischen diesen vier Türmen. Aber worum geht es denn? Und warum sprechen die Türme überhaupt?
Spannendes Gespräch: Im April haben wir mit Clara und Mathilda geschnackt. (Video: Kulturschnack)
Emotionen statt Erklärungen
Das kann man nun für Nonsens halten oder für eine technische Spielerei, aber tatsächlich ist es mehr als das. Es geht nämlich nicht nur darum, dass die Türme etwas sagen, sondern auch darum, was sie sagen. Und das ist eine Menge. Denn was die Augen sehen und der Kopf zu entschlüsseln versucht, wird online fortgesetzt bzw. aufgeklärt. Morse-Expert:innen könnten dem Gespräch natürlich vor Ort vollständig lauschen. „Das würde etwa vier Stunden dauern“, wie Mathilda lachend erklärt. „Dabei dauert das Gespräch eigentlich nur 15 Minuten.“ Alle anderen können über einen QR-Code einfach nachhören, worum es geht. Und dabei gelangt man nicht etwa zu profanen Erklärungen, sondern zu einem Drama über unsere Stadt, beobachtet durch die Augen von vier steinalten Malochern mit krummen Rücken.
Wie kreiert man denn sowas? „Wir haben versucht, uns in die Türme einzufühlen“, beginnt Clara eine Erklärung, wohl wissend, dass sie wie eine leicht esoterische Stein-Versteherin wirken könnte. „Das sind dann Charaktere, die intellektuell vielleicht nicht ganz oben anzusiedeln sind, weil sie eben aus Stein bestehen.“ Dennoch habe jeder Turm eine eigene Persönlichkeit bekommen und somit einen ganz eigenen Blick auf die Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts. „Die führen eine ziemlich absurde Diskussion“, ergänzt Mathilda. „Teilweise hat man das Gefühl, dass sie Selbstgespräche führen oder sich nur zum Teil verstehen, weil die Verbindung zwischen ihnen eben gekappt ist.“
DAS IST ERST DER ANFANG Die Lichtinstallation (plus X) „Die vier Weisen“ wirkt wie ein eigenständiges Projekt, es ist aber nur der erste Teil einer Serie. Es bildet den Auftakt zu den „Short Stories“, die insgesamt vier oder fünf Kapitel beinhalten werden. Ihr werdet also sehr bald noch mehr von der „Loge“ hören. Und das kann eigentlich nur gut sein.
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Das klingt herrlich absurd, gleichzeitig aber auch hoch interessant. Doch eine Frage drängt sich auf: Warum ausgerechnet dieses Projekt? Warum vier alte, arbeitslose Türme als Protagonisten? „Wir sind beide große Fans von Altbauten“ erklärt Mathilda. „Wir lieben den Charakter und die Atmosphäre dieser normalerweise stummen Zeitzeugen.“ Deshalb sei es ihnen ein Anliegen, für den Erhalt historischer Baukultur zu sensibilisieren. „Das war auch bei der Baumgartenstraße 6 nicht anders (wo das Projekt „Fürchtet euch nicht“ realisiert wurde, Anm. d. Red.)“, berichtet Clara. „Das Haus war alt und kaputt, aber es hatte gerade deswegen eine ungeheure Ausstrahlung.“ Belehren wollen man niemanden, betont Mathilda, aber wenn man in Zukunft etwas früher und gründlicher darüber nachdenke, ob ein Abriss tatsächlich sein müsse, wäre schon viel gewonnen.
Tage gezählt, Geschichte erzählt
Der Cäcilienbrücke nutzt all das freilich nichts mehr. Ihr Abriss ist längst besiegelt und es ist lediglich dem Arbeitstempo der beteiligten Behörden zu verdanken, dass sie noch steht. An ihrer Stelle soll ein Neubau entstehen, der an die Originale erinnert, aber irgendwie auch ein bisschen modern wirken will. Das mag sogar architektonisch gelungen sein und dem reibungslosen Verkehrsfluss dienen. Eine Aufwertung bedeutet das in den Augen der meisten Oldenburger:innen aber trotzdem nicht - weil sie die Cäci lieb gewonnen haben. Und weil sie ein Identifikationspunkt und Wahrzeichen ist.
Die Loge hat der Brücke nun ein immaterielles Denkmal gesetzt; und wie immer sitzt, steht oder fährt das Publikum dabei in der ersten Reihe. Das mag zunächst nur wirken wie ein flüchtiges Flimmern am Abendhimmel. Letztlich ist das einfache Konzept aber genial: Denn wer Gebäude als Personen wahrnimmt, wird auch ihrer historischen Bedeutung viel eher gerecht als wenn man nur Stein und Mörtel sieht. Oldenburg kann nur davon profitieren, den Kulturbegriff auch auf seine Gemäuer auszuweiten und sie enstprechend wertzuschätzen.
Wir haben weder die höchsten noch die schiefsten Türme und der Lappen tanzt nicht. Auch die sprechenden Türme haben wir nur kurz. Eine dauerhafte Touristenattraktion werden sie also nicht. Aber sie bedeuten dennoch eine große Bereicherung. Weil sie in unseren Köpfen eine Wirkung erzielen, die über den Moment hinausgeht. So wie es sich für Weise eben gehört - selbst wenn sie aus Stein sind.
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