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KOLUMNE: GELEBTE VIELFALT

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.


Szene  aus „VIBE(S)-LICH(T)“, das im Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg zu sehen ist.
International: Die Französin Garance Vignes (Mitte) mit der Italienerin Nicol Omezzolli und dem US-Amerikaner Ryan Drober in „VIBE(S)-LICH(T)“. (Bild: Stephan Walzl)

Beim Kulturschnack gibt es ein Format namens „Staatsakt“. Das Konzept in aller Kürze: Wir sprechen hinter den Kulissen mit Akteur:innen des Staatstheaters – menschlich, verständlich, authentisch. Die kurzen Gespräche werden als dreiminütige Videos auf Instagram sowie als ausführliche Artikel auf unserer Website veröffentlicht. Bisher wurden fünf Folgen produziert – und an dieser Stelle soll es um eine von ihnen gehen.

 

Mitte November sprachen wir mit der Ballettmeisterin Carolina Francisco Sorg über das Stück „wild & leise“. Im Gespräch mit der charismatischen Brasilianerin ging es unter anderem um die Besetzung der insgesamt vier Choreographien. Die vierzehn Tänzer:innen tragen klangvolle Namen wie Martina Di Giulio, Garance Vignes oder Lester René González Alvarez. Und sie stammen aus Ländern wie Italien, Estland, Frankreich, Kroatien, Spanien, USA, Kanada, Kuba und Südkorea. Mit Johannes Nolden hat nur ein Akteur einen deutschen Pass – und der ist in Neuseeland geboren.


Ich habe Carolina damals gefragt, ob diese globale Konstellation vielleicht ein Zufall sei, aber das ist nicht der Fall. Tatsächlich erhält das Staatstheater nur wenige Bewerbungen von deutschen Tänzer:innen. Ein vollständiges Ensemble ließe sich daraus nicht ansatzweise bilden. Das heißt: Ohne die vielen internationalen Einflüsse gäbe es die hochkarätige Ballettsparte in Oldenburg gar nicht. Zumal auch deren hochgelobter Leiter Antoine Jully nicht etwa in Wildeshausen oder Cloppenburg geboren ist, sondern in Paris.

 

Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters aus Oldenburg
Vielfalt gewinnt: Im Staatstheater wird Plattdeutsch ebenso gesprochen wie Portugiesisch. (Bild: Staatstheater)

Geplatzte Träume

 

Warum erwähne ich all das? Ganz einfach: Aus gegebenem Anlass. Immerhin glauben ja manche, unser Land würde wie gewohnt funktionieren, wenn eine größere Bevölkerungsgruppe plötzlich nicht mehr zur Verfügung stünde. Zum Beispiel, weil Menschen aus dem Ausland aufgrund politischer Beschlüsse dorthin wieder zurückkehren müssten. Ich lasse ungern Träume platzen, aber: Nein, es würde dann nicht weitergehen wie zuvor. Wer sich den Medizinsektor anschaut, erkennt sehr schnell, dass ohne Fachkräfte aus anderen Ländern gar nichts mehr ginge. Und in der Kultur? Ist es ganz ähnlich.

 

Das ist glücklicherweise selten ein Thema. Es ist schlicht und einfach normal, dass Menschen aus anderen Ländern auf deutschen Bühnen stehen. Das Ballett habe ich schon erwähnt, aber auch in der Opernsparte des Staatstheaters stammen die Ensemblemitglieder aus Ländern wie Schottland, Georgien, Armenien, Irland, USA und Südkorea. Und sogar im Schauspiel – das sich ja stark über Sprache definiert – ist die Haus-Regisseurin Ebru Tartıcı Borchers in der Türkei geboren.


 

Die große Bandbreite

 

Eigentlich ist alles gut, wie es ist. Die Frage ist nur, ob es so bleibt. Deshalb sollte man sich in diesen Tagen vielleicht einmal vergegenwärtigen, was man verlöre, wenn es in unseren Theatern ausschließlich „biodeutsche“ Akteur:innen gäbe, um einmal das Unwort des Jahres zu verwenden. Sie besitzen natürlich ebenso wunderbare Fähigkeiten und Talente wie ihre internationalen Kolleg:innen. Dennoch wäre der Verlust nicht in Worte zu fassen. Anders als im Medizinbereich ginge es zwar nicht gleich um Leben und Tod, aber immerhin um Lebensqualität. Und die ist es doch, die wir uns alle sehnlichst wünschen.

 

Sollte es in diesem Monat also irgendwann einen Moment geben, in denen Sie ein Zeichen dafür setzen können, dass Sie diese Weltoffenheit schätzen und nicht mehr darauf verzichten möchten – dann tun Sie das gern. Die Kultur braucht diese gelebte Vielfalt und ich persönlich denke: Wir als Gesellschaft brauchen sie auch. Erst dadurch entsteht die große, bunte Bandbreite unserer Bevölkerung - von wild bis leise. Und nur deshalb treffen wir beim „Staatsakt“ so spannende Gesprächspartnerinnen wie Carolina Francisco Sorg.

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