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KOLUMNE: DER AKTIVPOSTEN

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Spielzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.


Titelbild der aktuellen Ausgabe der Spielzeitung des Staatstheaters Oldenburg
Die Welt ist bunt: Wer regelmäßig Kulturveranstaltungen besucht, weiß das längst. Alle anderen mögen sich bitte möglichst bald ein Bild davon machen. (Bild: Stephan Walzl)


Was Kultur mit Politik zu tun hat


Ich habe ehrlich gesagt nicht das Gefühl, dass in Deutschland allzu häufig Großes passiert. Jedenfalls nichts, das man mit Freude, vielleicht sogar Begeisterung oder einem diffusen Anflug von Stolz beobachtet. Vor zwei Wochen aber war das eindeutig der Fall: Hunderttausende gingen auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Das war – ja, tatsächlich - ein starker Ausdruck leidenschaftlicher Demokratie mit klarem Signal: Kein Raum für radikal Rechts, auch nicht unter dem Deckmantel einer pseudogemäßigten Bürgerlichkeit. Blicken wir mal kurz zurück:


Vor wenigen Jahren, ach was, vor wenigen Monaten noch hätte ich gedacht, dass so etwas hierzulande niemals wieder nötig sein würde. Jetzt bin ich dankbar und glücklich darüber, dass es dieses Zeichen gab.

Und ich hoffe sehr darauf, dass es eine Wirkung bei jenem Viertel der Bevölkerung entfaltet, das sich mit dem Gedanken trägt, eine erwiesen rechtsextremistische Partei zu wählen. Ich frage mich: Wie kann auch nur eine Sekunde darüber nachdenken? Oder anders ausgedrückt: Wie kann man so sehr verdrängen, was Rechtsextremismus bedeutet? Bitte erinnert euch!






Der Zeit voraus

 

Was das alles mit Kultur zu tun hat? Auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten viel. Denn unter den 17.000 Teilnehmenden der Oldenburger Demo sah man viele Akteur:innen aus der Szene. Bereits im Vorfeld hatten sie zur Teilnahme aufgerufen, vor Ort in der Menge waren sie spürbar präsent. Die wohltuende Erkenntnis: Die Kultur ist ihrer Rolle als gesellschaftlicher Aktivposten einmal mehr gerecht geworden. Das allerdings – und nun komme ich zum Kern – war nicht erst an jenem 20. Januar der Fall, so wichtig die Teilnahme an diesem Tag auch war.


Die Kultur beschäftigte sich mit der schleichenden Rechtsverschiebung unserer Gesellschaft schon weit vor der demaskierenden Correctiv-Recherche, die alles ins Rollen brachte.

Das ist alles andere als ein Zufall, denn die Kultur ist ein gesellschaftlicher Seismograph, der sehr früh erkennt, reflektiert und thematisiert, wenn sich etwas tut in unserem Land. Das kann durchaus positive Entwicklungen treffen, etwa wenn es um Gleichberechtigung oder Toleranz geht. Das ist aber besonders wichtig, wenn negative Tendenzen aufgegriffen werden. Dann erzeugt die Kultur nämlich häufig eine erste Sensibilisierung für ein Thema, das erst viel später auf die Tagesordnung rückt. In der Regel bieten die Inszenierungen auch inhaltlichen Kontext und kritische Reflektion, ohne dass Ergebnisse vorgekaut würden. Es ist eine wahre Kunst, gleichzeitig relevant, anspruchsvoll und unterhaltsam zu sein. Unserer Oldenburger Szene gelingt genau das immer wieder.



Keine Selbstverständlichkeit

 

Wer junge Menschen für die Gefahren des Rechtsextremismus sensibilisieren möchte, wer ihnen also zeigen will, wie leicht man heutzutage die Masse durch Fake News beeinflusst, wie schnell sich eine Demokratie in ein totalitäres Regime verwandeln kann, wie entsetzlich unfrei sich das Leben in einem solchen anfühlt und wie schnell es für bestimmte Menschen aus unserer Mitte lebensgefährlich würde – schickt sie am besten ins Theater. Dort sieht, hört, riecht und fühlt man, was all das bedeutet. Und wer seine emotionalen Rezeptoren noch nicht vollends stummgeschaltet hat, wird sich davon bewegen lassen.


Nichts gegen das Faktenwissen aus dem Politikunterricht an unseren Schulen. Ich bin aber überzeugt davon, dass die Kultur eine äußerst wirkungsvolle Ergänzung dazu bietet.

 

Haben Sie es bemerkt? Ich habe von der Kultur vorhin als „gesellschaftlicher Aktivposten“ gesprochen - und es klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Weil wir gewohnt sind, dass sie vorangeht und Position bezieht. Dabei ist das gar nicht selbstverständlich. Sie ist dazu nicht verpflichtet. Sie tut das, weil es ihr ein Anliegen ist – und demonstriert genau damit ihren Wert für unser Zusammenleben.



Der richtige Nährboden

 

Ich glaube, in Deutschland passiert tatsächlich nicht allzu oft Großes, das für Gänsehaut sorgt. Umso mehr fällt es auf, wenn es – wie vor zwei Wochen - doch der Fall ist. Es war wunderbar, dass 17.000 Oldenburger:innen auf die Straße gegangen sind. Jede einzelne Teilnahme, jeder einzelne Schritt über den Asphalt war wichtig! Danke an alle, die mit dabei waren und dieses Zeichen gesetzt haben! Die Beiträge der Kultur auf den Bühnen mögen im Vergleich dazu optisch weniger imponierend wirken; für mich persönlich sind sie aber ähnlich wichtig. Und wer weiß? Vielleicht existiert in Oldenburger auch deshalb so eine starke demokratische Basis, weil u.a. durch unsere Kulturszene ein Klima geschaffen wird, in dem gesunder Menschenverstand gedeiht.

 

 

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