Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Spielzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.
Vorhang auf fürs neue Jahr! Wie eine leere Bühne steht es vor uns und wartet nur darauf, von uns bespielt zu werden... Ach, Sie können diese schiefen Vergleiche nicht mehr hören? Ich kann’s verstehen! Mit einigem Abstand dürfte der Januar derjenige Monat mit der höchsten Floskeldichte sein.
Alljährlich gibt es einen informellen Wettbewerb darum, wer seine Hoffnungen am weihevollsten verbalisiert und wer die beste Strategie kennt, um seine guten Vorsätze tatsächlich in die Tat umsetzen.
Zwischen #deepthoughts und #newyearnewme habe ich mich gefragt, was dran ist – an all diesen Beteuerungen, dass in diesem Jahr wirklich, ernsthaft, bestimmt, sicher, definitiv alles ganz anders und sehr viel besser wird. Sind sie bloß eine eingeübte Routine und ein Reflex auf den Kalender? Oder ist der 1. Januar tatsächlich die ultimative Gelegenheit, seinem Leben einen neuen Vibe zu geben?
Eine seltene Chance
Spoiler: Ja, ist er! Aber nicht so, wie man denkt. Interessant ist weniger die Antwort, als vielmehr der Weg dahin. Ich glaube nämlich nicht an irgendeine magische Kraft des Jahreswechsels und dass dieser Moment tatsächlich all die Neustarts ermöglicht, die wir uns von ihm erhoffen. Jeder Tag ist ein 365stel des Jahres, das sind sie alle gleich. Mir gefällt aber der Gedanke, dass man das neue Jahr erstmal als Tabula rasa begreift, wo zumindest theoretisch ein Wechsel der Gewohnheiten möglich ist. Das reicht ja schon! Denn sobald man anfängt, sich und sein Verhalten zu hinterfragen, hat man die seltene Chance, tatsächlich was zu ändern.
Das aber wird – so viel Realismus muss sein – eher in überschaubarem Umfang passieren. Und das kann man ausgerechnet anhand einer Floskel erklären: Wohin du auch gehst, du nimmst dich mit. Klar können wir uns ändern, aber wir bleiben gleichzeitig, wer wir waren.
Deshalb sollte man eben nicht erwarten, dass man zum 1. Januar der herzensgute, supersmarte, immerfreundliche Topmensch wurde, der man einst ganz sicher war, bevor der Alltag dazwischenkam. Vielleicht ist was anderes besser: Die kleinen Schritte gehen – und sie feiern.
Von der Oper ins Alhambra
Übertragen wir das mal auf die Kultur: Was heißt das? Ganz einfach: Dass man – wenn man die Theater vorher nur vom Vorbeifahren kannte – mit dem letzten Silvesterböller nicht zum Kultur-Connoisseur par excellence mutiert, nur weil man es sich vornimmt. Sinnvoller wäre es vielleicht, sich einfach mal ein Konzert oder Theaterstück rauszusuchen und hinzugehen. Wirklich nur: eins! Dann sollte man versuchen, sich darauf einzulassen. Auf die Gerüche und Geräusche, auf Stimmung und Szenerie. Aber dabei: Erwartungen nicht unter die Decke schrauben. Nicht denken, dass man alles sofort erfassen, verstehen, einordnen kann. Sondern einfach wirken lassen, eigene Gedanken fassen, mögliches Unverständnis eingeschlossen. Es gibt kein richtig oder falsch, sondern nur das eigene Gefühl zum Geschehen. Und wenn man nicht versucht, es gedanklich gnadenlos zu überfrachten, wird man feststellen:E s macht Spaß, sich mit dem zu beschäftigen, was man gerade gesehen hat. Und zwar unabhängig davon, ob es den Erwartungen entsprach oder nicht.
Mein Tipp also: Experimente wagen! Wenn Sie Oper mögen, gehen Sie mal zur Punkband ins Alhambra – die Intensität ist manchmal dieselbe. Wenn Sie fanatischer Fußballfan sind, gehen Sie ruhig Mal zum Ballett – einige Bewegungen dürften Ihnen bekannt vorkommen. Wen Sie tendenziell humorlos sind, besuchen Sie die Kabarett-Tage – die Skurrilität des Alltags ist lustiger als Sie denken. Und wenn Sie der Altersklasse 55+ angehören, schauen Sie mal bei „Saal 600“ im Technical Ballroom vorbei – Digital Natives sind auch nur die Silver Surfer von morgen.
Und wenn Sie mit Kultur so rein gar nichts am Hut haben, dann gehen Sie erst Recht hin. Neugierig. Vorbehaltlos. Damit kommen Sie #newyearnewme näher als mit jedem Instagram-Post.
Einfach mal klein denken
Natürlich können Sie sich weiterhin an Floskeln halten. Also: den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen. Ihr Ziel kennen, damit Sie den Weg finden. Oder die Zukunft voraussagen, indem Sie sie selbst gestalten. Ich schlage aber was anders vor: Einfach mal klein denken und sich entscheiden. In dieser Spielzeitung gibt es genug Vorschläge für einen Kultur-Kickoff, Tickets finden Sie auf Ihrem Smartphone. In diesem Sinne: Vorhang auf fürs neue Jahr!
Comments