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KOLUMNE: ENDGEGNER SCHWEINEHUND

  • Thorsten Lange
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.


Szene aus „Die Schöne und das Biest“, das im Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg zu sehen ist.
Dafür lohnt es sich, den Schweinehund zu überwinden: Das Familienstück zum Jahresende ist ein Klassiker im Spielplan des Staatstheaters. In diesem Jahr ist „Die Schöne und das Biest“ zu sehen. (Bild: Stephan Walzl)

Das Wetter ist gut, während ich diese Kolumne schreibe. Naja, zumindest für einen norddeutschen November. Das Thermometer ist auf geradezu subtropische 9 Grad geklettert und statt des tagelang anhaltenden Nieselregens ist die Luft einfach nur nass und neblig. Wie gesagt: Gutes Wetter. Da kann man nicht meckern.

 

Aber man tut es doch, zumindest innerlich. Wenn sich die Tage nach der Zeitumstellung immer weiter verkürzen und gleichzeitig nur noch wenige Sonnenstrahlen durch den milchig-trüben Himmel dringen, während die allgegenwärtige Feuchtigkeit in jede Fuge unserer Häuser und jede Lücke unserer Kleidung kriecht, möchte man eigentlich nur noch eins: sich einkapseln und erst im Frühjahr wieder rausgehen. Einen schönen Winterschlaf? Warum eigentlich nicht!



Duell mit dem Superschurken


Screenshot der Theater-Zeitung des Oldenburgischen Staatstheaters
Erst Schweinehund, dann Slam: Thorsten gibt Tipps für den Kampf gegen sich selbst. (Screenshot: Kulturschnack)

Schreibe ich an dieser Stelle tatsächlich über das Wetter? Ja, allerdings! Denn seien wir mal ehrlich: Das Wetter ist durchaus ein Faktor, der beeinflusst, wie wir unsere Tage gestalten und wie viel Lust wir haben, etwas zu unternehmen, das außerhalb der eigenen vier Wände stattfindet. Und genau dort, an der Tür zur Außenwelt, lauert im Winter der ultimative Endgegner, ein waschechter Superschurke der allerfiesesten Sorte: Der innere Schweinehund.

 

Je kürzer der Tag, je schlechter das Wetter, desto größer ist seine Macht. Was die Sache noch schlimmer macht: Er ist dann am stärksten, wenn wir am schwächsten sind. Sobald wir nach der Arbeit überlegen, wie wir den Abend gestalten, ist er plötzlich da, um allzu ambitionierten Planungen gleich einen Riegel vorzuschieben. Und selbst wenn wir stark bleiben, wird zeitgleich unsere bessere Hälfte vom Schweinehund besiegt und lockt uns zu sich auf die Couch. Ach, es gibt eine neue Staffel von X oder eine Doku über Y? Auch nicht schlecht.

 

Niemand ist vor dem Schweinehund sicher, auch mich besiegt er immer wieder. Aber: Als unverdrossener Don Quichote nehme den oft aussichtslosen Kampf immer wieder auf. Ich scanne Programme, mache Pläne, kaufe Tickets. Meine Erfahrung: Je konkreter die Vorhaben, desto stärker mein Wille.

Klar, den Schweinehund interessiert das nicht, er wartet trotzdem auf einen Moment der Schwäche. Der kommt aber seltener, wenn man sich in seinen Entscheidungen bewusst etwas unfreier macht. Ich kann nur jedem raten, tagsüber an Termine und Tickets zu denken und am besten gleich Nägel mit Köpfen zu machen. Denn wenn man damit bis zum Abend wartet, dann steht man schließlich als tapferer David dem mächtigen Goliath gegenüber – nur dass uns beim besten Willen kein Trick einfallen will, um ihn zu überlisten. Ach, es gibt noch Chips und Schoki? Und einen Drink dazu? Auch nicht schlecht.


 

Bühnenlicht ins Gemütsdunkel

 

Ich erwähne all das nicht, weil mir nichts Besseres einfiele. Auch nicht, um möglicherweise verwaiste Plätze vor den Oldenburger Bühnen zu füllen – obwohl das ein netter Nebeneffekt wäre. Ich erwähne das, weil ich überzeugt davon bin, dass man sich gerade in den dunklen Wintermonaten eben nicht an die eigene Couch fesseln sollte. Natürlich kann uns auch ein Streamingdienst unterhalten, und zwar mehrere Leben lang. Aber es geht mir nicht um reines Entertainment.


Wenn schon die Sonne und Wärme fehlen und mit ihnen - neben Vitamin D - auch die Leichtigkeit des Sommers, dann sollten wir dafür sorgen, dass etwas Licht ins Gemütsdunkel fällt. Und das strahlt von den Bühnen deutlich stärker und wärmer als von einem LED-Screen.

 

Wer auf dem Weg ins Theater, Konzert oder Kino durch Nässe, Kälte und Dunkelheit gestiefelt ist, erlebt die Aufführung oft als eine Offenbarung. Die Rezeptoren öffnen sich besonders weit, die Freude ist maximal groß. Vielleicht ist das Bild zu extrem, aber es fühlt sich manchmal an, als stürzt man als emotional Verdurstender in ein Meer voller Gefühle und Eindrücke. Und im Anschluss denkt man tatsächlich jedes Mal: „Mensch, das hat sich jetzt aber gelohnt!“ Doch beim nächsten Mal fällt unser Blick sicher wieder auf diese gemütliche Couch im Wohnzimmer. Ach, ich könnte mich da jetzt einfach hinfläzen und chillen? Auch nicht schlecht.

 

Seien wir nochmal ehrlich: Gute Vorsätze sind verdammt schwer umzusetzen. Jede Ausgehsituation ist neu, der Schweinehund bleibt unser listiger Endgegner. Aber wir sollten diese stets wiederkehrende Erkenntnis, dass es sich eben doch lohnt, den winterlichen Bedingungen zu trotzen, unbedingt im Kopf behalten. Das könnte nämlich dabei helfen, uns selbst Brücken zu bauen und Teppiche auszurollen. Und wenn wir es schließlich zum Kulturereignis unserer Wahl schaffen, spenden wir uns verdientermaßen inneren Applaus. Schließlich haben wir den Endgegner besiegt.

 

 
 
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