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KOLUMNE: BÜHNENLUFT IST RÜCKENWIND

  • Thorsten Lange
  • vor 3 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.


Szene aus „Hoffmanns Erzählungen“, das im Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg zu sehen ist.
Doppelt wertvoll: Die Bühne lässt ein Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten entstehen und ist gleichzeitig der richtige Ort, um sie auszuleben - wie hier bei der Oper „Hoffmanns Erzählungen“. (Bild: Stephan Walzl)

Ich habe großes Glück. Zu meinem Job gehört es, dass ich viele spannende Gespräche mit Menschen führen darf, die besonders klug und kreativ, engagiert und leidenschaftlich oder ein kleines bisschen verrückt sind – oft genug aber alles gleichzeitig. Wenn mir an manchen Tagen mal wieder alles zu viel wird, weil nichts zusammenpassen will und die Klammer der Routine den Alltag nicht mehr zusammenhält, dann sage ich mir immer wieder: Diese Gespräche sind es wert!

 

Gerade durfte ich wieder zwei von ihnen führen, die theoretisch höchst unterschiedlich hätten ausfallen können, letztlich aber große Schnittmengen aufwiesen. Zunächst habe ich ausführlich mit der wunderbaren Annie Heger gesprochen, die ihre Karriere einst am Staatstheater begann, die aber längst auf allen Bühnen Deutschlands zuhause ist. Die Sängerin, Schauspielerin, Kabarettistin und Moderatorin hat – trotz ihrer erst 42 Lebensjahre - beinahe alles erlebt, was man im Showgeschäft erleben kann. Niemand würde es ihr übelnehmen, wenn sie ein Interview routiniert abspulen würde. Aber das Gegenteil war der Fall: Authentisch enthusiastisch erzählte sie davon, was die Bühne ihr bedeutet und wie sie von ihr geprägt wurde.


Das Theater sei für sie Raum zur Entfaltung gewesen, es habe ihr Möglichkeiten eröffnet, die andere Lebensbereiche nicht geboten hatten. Das klang so mitreißend und schön, dass ich die ganze Zeit nur dachte: Wieso nur habe ich es damals nicht zum Theater geschafft? Da habe ich was verpasst.

 

 

Erstaunliche Überschneidungen

 

Nur einen Tag danach saß mir Svantje Stein gegenüber. Die 18-Jährige ist Teil des Jugendclubs am Oldenburgischen Staatstheater und im November mit „Erzähl mir keine Märchen“ in der Exhalle zu sehen. Das gesellschaftskritische Stück über das Patriarchat wurde deutschlandweit bekannt, nachdem die Feministin Nicole Zacharias ein kurzes Video davon auf ihrem Instagram-Kanal veröffentlichte. Es wurde über eine Million Mal aufgerufen und bekam fast 200.000 Likes, vor allem aber löste es wichtige Debatten aus.


Die Seite mit der Kulturschnack-Kolumne aus der Theater-Zeitung des Oldenburgischen Staatstheaters
Keine Märchen: In der Kolumne geht es um das reale (Bühnen-)Leben. (Screenshot: Kulturschnack/NWZ)

Svantje ist nicht einmal halb so alt wie Annie und hat nur einen Bruchteil ihrer Bühnenerfahrung gesammelt. Theoretisch müsste sie also etwas ganz anderes über das Theater erzählen als die bekannte Entertainerin. Das aber war nicht der Fall. Auch sie hat festgestellt, wie wertvoll ihre Theatererfahrungen sind, wie sehr die Bühne ihr Leben bereichert und wie wichtig ihr es ist, dort ihre Gedanken und Gefühle einzubringen. Das klang so mitreißend und schön, dass ich die ganze Zeit nur dachte: Wieso nur habe ich es damals nicht zum Theater geschafft? Da habe ich was verpasst.

 

Aber jetzt frage ich mich: Stimmt das eigentlich? Und die Antwort lautet: Jein. Verpasst habe ich zwar die Gelegenheit, im jungen Alter Theatererfahrungen zu sammeln. Schade! Aber: Auch für Erwachsene gibt es in Oldenburg viele Möglichkeiten, als Spätberufene die Bühne zu entern. Da sind zum Beispiel die Erwachsenclubs oder das Stadt:Ensemble des Staatstheaters, die unter professioneller Anleitung erstaunlich elaborierte Ergebnisse liefern. Auch die Niederdeutsche Bühne bietet gute Einstiegsmöglichkeiten für Menschen, die noch keine großen Vorkenntnisse im Schauspiel haben. Darüber hinaus bietet auch das Theater k eine Bürger:innenbühne an, bei der die Beteiligten intensiv in die Stückentwicklung eingebunden sind und die in dieser Spielzeit sogar das Theater verlässt und einen Raum am Bahnhof bespielt. Man könnte also sagen: Die Zahl der Angebote ist größer als die Zahl der Ausreden.

 

 

Keine Garantien, aber eine Sicherheit

 

Wie gesagt: Ich habe großes Glück. Ich darf Theaterluft schnuppern, obwohl ich mein Schauspieltalent seit der 4.Klasse nicht mehr unter Beweis gestellt habe (und vielleicht auch keines besitze). Und immer wieder erlebe ich, was die Bühne mit Menschen macht, wie sie von ihr tief bewegt oder gar verändert werden – manchmal sogar zweimal innerhalb kürzester Zeit. Das wirkt auf mich jedes Mal inspirierend, erst Recht, weil die Theaterliebe vollkommen altersunabhängig ist.

 

Es gibt zwar keine Garantie, dass Bühnenluft das Leben zum Besseren verändert – ganz sicher aber nicht zum Schlechteren.

Denn auch wenn Annie oder Svantje durchaus mal Stressmomente erleben, habe ich in den Gesprächen eines nicht von ihnen gehört: etwas Negatives. Wer also Mitreißendes und Schönes erleben möchte, anstatt damit zu hadern, etwas nicht geschafft zu haben, sollte vielleicht einfach Theater spielen und selbst die Freiheit der Bühne spüren. Möglicherweise sitzen wir uns dann eines Tages gegenüber und sprechen über ein neues Stück. Und ich denke wieder einmal: Diese Gespräche sind es wert!

 

 
 
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