KOLUMNE: ERHOLUNG IST TRAINING
- Thorsten Lange
- vor 20 Stunden
- 3 Min. Lesezeit
Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.

Es ist Ewigkeiten her, aber ich bin früher mal ein paar Marathons gelaufen. Nicht schnell, nicht erfolgreich, aber immerhin bis ins Ziel. Spannend waren dabei nicht nur die Läufe selbst, sondern auch das Training. Es war das erste Mal, dass ich Sport nach Plan gemacht habe, also mit Sinn und Verstand. Das hat nicht nur überraschend viel Spaß gemacht, sondern erzeugte Lerneffekte, von denen ich auch heute noch profitiere. Zwar liegen die 42,195 Kilometer inzwischen außerhalb meiner Reichweite, aber die Belastungssteuerung lässt sich durchaus auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Sogar auf die Kultur!
Dosierung statt Dauerbelastung
Wie bitte, fragen Sie jetzt. Im Gegensatz zum Ausdauersport kann man Kultur doch unaufhörlich genießen, ohne an konditionelle Grenzen zu stoßen! Und ich würde Ihnen auch zustimmen – hätte ich nicht schon einige andere Erfahrungen gemacht. Tatsächlich stellt sich auch bei mir ein Übersättigungsgefühl erst sehr spät ein. Aber es geht gar nicht um eine mentale Erschöpfung, die weiteren Konsum unmöglich macht. Es geht um die mentale Lockerheit – oder um die Haltung, mit der man der Kultur begegnet. Da gibt es durchaus Abnutzungs-Erscheinungen, weil die kognitiven Aufnahmekapazitäten einfach begrenzt sind.
Lässt die Kulturkondition - meist zum Sommer hin - langsam nach, tut eine Sache besonders gut: Eine kurze Pause, in der unser Kopf einfach mal nicht stimuliert wird, in der sich Rezeptoren und Synapsen erholen können.
Eine Lehre aus besagtem Marathontraining lautete nämlich: Erholung gehört zum Training. Manche Läufer:innen bekamen nämlich sofort schlechtes Gewisses, sobald sie einen Tag nicht trainierten. Doch die Dauerbelastung half nicht, sie schadete sogar. Die Pausen waren essenziell, damit das Training einen positiven Effekt haben konnte.

Und manchmal denke ich: Dieses Prinzip lässt sich 1:1 auf beinahe alle Lebensbereiche übertragen. Ich stelle jedenfalls fest, dass sich zum Sommer hin der Kulturbedarf ändert. Die Saison in den Theatersälen ist gewissermaßen „durchgespielt“, Kopf und Körper wollen hinaus ins Freie. Ob Festival oder Lesung: Leichtigkeit ist Trumpf.
Die impulsive Neugier
In der Sommerpause hat man zudem endlich die Zeit, all die orts- und zeitunabhängige Kultur genauer unter die Lupe zu nehmen. Sprich: Das gute Buch, die coole Platte, den klugen Podcast. Auch was das angeht, hat Oldenburg einiges zu bieten. Im Sommer haben wir aber zusätzlich die Chance, kulturell mal „fremdzugehen“ und dem Rest der Welt etwas Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht ja sogar ganz persönlich – etwa, wenn man am Urlaubsort um die Ecke biegt, unversehens in ein Nachbarschaftskonzert stolpert und direkt eintaucht, weil man schlicht die Muße dazu hat.
Einen Nebeneffekt hat all das – und der ist nicht zu unterschätzen. Der Erholungseffekt sorgt dafür, dass wir allmählich wieder eine Lust auf Neues in uns spüren. Sie wächst langsam, wird aber immer stärker, bis sie irgendwann einem regelrechten Hunger gleicht.
Ihre Programme für die neue Spielzeit haben uns die Kultureinrichtungen in den letzten Wochen schon vorgestellt, Jetzt bekommen wir endlich die Gelegenheit, sie zu sehen und zu erleben. Ich liebe dieses Gefühl der impulsiven Neugier! Und ich habe Zweifel, dass es sich in dieser Form einstellen würde, wenn wir uns kulturell dauerbeschallen würden. Nein, die Mischung aus Hochbetrieb und Ruhephasen ist genau richtig - auch wenn wir jeder Pause zunächst mit Wehmut entgegensehen.
Entlastende Erkenntnis
Ich denke gerne an das Marathontraining zurück. All die Kilometer um den Woldsee, durchs Eversten Holz oder auf der Laufbahn in Wechloy waren nicht nur für die Leistung, sondern auch für Leben wertvoll. Denn seither weiß ich: Erholung gehört zum Training. Diese Erkenntnis ist mental ungeheuer entlastend – auch in der Kultur. Zwar ist der Sommer keineswegs mehr so ruhig wie er früher einmal war. Kultursommer, Einfach Kultur, Picknickkonzerte und Sommerkino lassen grüßen. Aber dennoch ist das Angebot insgesamt ausgedünnt und erlaubt uns, das neuronale Netzwerk einfach mal etwas ruhiger laufen zu lassen.
Diese Erholung können wir gut gebrauchen. Schließlich gleicht das nun startende Kulturjahr ebenfalls einem Marathon. Man braucht eine gewisse Ausdauer, um all die Höhepunkte der neuen Spielzeit genießen zu können – und dabei profitiert man von den Grundlagen, die man im Sommer gelegt hat. Nach vier Wochen Auszeit im iberischen Outback darf ich persönlich sagen: Ich bin gut erholt, gewissermaßen also top trainiert. Den Kulturmarathon 25/26 traue ich mir zu. Und Sie?