Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Spielzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.
Kultur durch Kinderaugen
Ich kann mich noch gut erinnern. Sehr gut sogar, obwohl mittlerweile etwa vierzig Jahre vergangen sind. Ich ging damals in die Grundschule Großenkneten und war natürlich ein glühender Trio-Fan. Kennt die noch jemand? Anfang der Achtziger hatte man jedenfalls kaum eine andere Wahl, schließlich standen Stephan, Kralle und Peter weltweit an der Spitze der Charts. Die Jungs waren aber auch sehr in Ordnung; man traf sie immer wieder im Ort, meist auf dem Weg zur Bank. Sie konnten die Kontostände wahrscheinlich selbst nicht glauben.
Aber ich schweife ab. Denn ich will hier gar nicht von Trio erzählen, sondern von einem anderen Erlebnis. Beziehungsweise: von zweien. In seltenen Fällen machten wir seinerzeit nämlich mit unserer Klasse Ausflüge nach Oldenburg. Die gingen im November zur Kinder- und Jugendbuchmesse KIBUM, die damals noch in der Cäcilienschule stattfand.
Ich kann die Magie dieser Besuche auch heute noch fühlen. Alles wirkte unglaublich groß und aufregend, voller Eindrücke und Erlebnisse. Es fühlte sich stets so an, als hätten wir eine viel größere Reise gemacht als nur jene in die nächstgelegene Großstadt.
Bis heute frage ich mich, wie die Busfahrer vor der Abfahrt auf dem kleinen Parkplatz rangierten konnten, während unsere rauchenden Köpfe langsam wieder abkühlten.
Könige der Welt
Am Jahresende gab es noch einen zweiten guten Grund für Ausflüge in die Großstadt – und zwar die Kinder- und Familienstücke im Oldenburgischen Staatstheater. Was für eine unglaubliche Erfahrung es war, in das historische Ambiente des Großen Hauses einzutauchen, die weihevolle Atmosphäre aufzusaugen und sich ganz und gar im Geschehen zu verlieren. Bis heute weiß ich noch, dass ich einmal das Glück hatte, mit meinem Kumpel Henning in einer Loge platziert zu werden. Er hatte Mentos Frucht dabei, bei uns zuhause gab es immer nur Pfefferminz. Welches Stück gespielt wurde, weiß ich leider nicht mehr, doch wir fühlten uns wie die Könige der Welt!
Man war sich dessen damals nicht bewusst, aber an diesen Tagen, als es vom kleinen Dorf in die große Stadt ging, wo wir auf unterschiedliche Weise der Kultur begegneten, hat sich etwas verändert. Ich habe meine Kindheit im Dorf mit all ihren Möglichkeiten geliebt und finde sie auch aus heutiger Sicht noch wunderbar. Aber diese Magie, die ich hier beschreibe, brauchte einfach die Kulissen und Kreativität einer Stadt.
Bleibende Erinnerungen
Während ich aufgeregt an Bücherständen entlanglief, mit rastlosen Blicken auf den vielen Titelbildern, immer auf der Suche nach dem nächsten Schatz – oder während ich mit großen Augen von meinem Logenplatz auf die Bühne runterschaute und ein ganz neues Gefühl für Theater bekam - haben meine Synapsen ein kleines Feuerwerk abgebrannt. Egal, ob es gute oder schlechte Bücher waren, für die ich mich entscheid, und egal, ob die Schauspieler:innen mit ihrer Performance zufrieden waren oder nicht: Ich war hin und weg.
Sollten Sie also überlegen, ob Sie mit Ihren Kindern oder Enkelkindern in ein vorweihnachtliches Theaterstück gehen, nehme ich Ihnen die Entscheidung gerne ab: Tun Sie’s! Denn damit erzeugen Sie Erfahrungen, die verändern - und Erinnerungen, die bleiben.
Wie habe ich diese Ausflüge geliebt und das Gefühl, das sie mir gaben. Es war die große weite Welt, direkt vor der Haustür. Klar habe ich auch Trio geliebt und bin zu „Los, Paul“ durchs Kinderzimmer gesprungen und war irgendwie stolz, wenn sie bei der Hitparade im ZDF auftraten, von Dieter Thomas Heck stets mit einer gewissen Fassungslosigkeit anmoderiert. Aber meine wahren Erweckungsmomente fanden auf der KIBUM und im Staatstheater statt. Deshalb denke ich zu dieser Jahreszeit gern daran zurück – und erinnere mich noch gut daran. Sehr gut sogar.
PS: Mein persönlicher Dank geht an alle Lehrer:innen da draußen, die Lust darauf und Freude daran haben, mit ihren Klassen Ausflüge in die Kultur zu machen. Das ist alles andere als einfach, wahrscheinlich sogar anstrengend und stressig, für die Schüler:innen ist es aber unendlich wertvoll. Danke, dass Sie die Mühe auf sich nehmen und viele kleine Köpfe mit bleibenden Erfahrungen füllen.
PPS: Ein Dank auch an die vielen Akteurinnen vor und hinter den Kulissen der KIBUM und der Oldenburger Theater, die der Vorweihnachtszeit besonderen Glanz verleihen, an die Busfahrer:innen, die eine Engelsgeduld aufbringen, wenn sie die kleinen Horden sicher von A nach B bringen, an Henning für die Mentos und an Trio für die Musik!
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