Bei Menschen außerhalb der Techno-Szene gab es bisher das Vorurteil, dass diese Musik vor allem eines tut: ballern. Im Club gibt's was auf die Ohren, so viel war immer klar. Das mag hier und da auch so sein (und nichts daran ist verkehrt), doch das ist eben längst nicht alles. Viele aktuelle Veranstaltungen aus diesem Bereich zeigen sich experimentierfreudig und vielfältig, kombinieren Musik mit Kunst und Kontext zur Clubkultur. Ein sehr gutes Beispiel dafür: „Club:Simulation 2“ - vom 4. bis 6. Mai im Metro Club.
Tatsächlich sollte man seine Vorurteile über Techno - sofern vorhanden - größtenteils über Bord werfen, wenn man sich der „Club:Simulation 2“ annähern will. Das fängt bereits mit der Uhrzeit an: Die Eröffnung der dreitätigen Veranstaltung findet nämlich nicht etwa Sonntagmorgen um sieben statt, auch nicht Freitagnacht um drei, sondern - überraschend alltagskompatibel - am Donnerstag um 19 Uhr. Sagen wir mal so: Das entspricht nicht den Zeitplänen einer üblichen Techno-Party.
Aber das ist nur konsequent, denn genau das ist die „Simulation“ ja auch nicht. Sie will viel mehr als nur Raum zum Tanzen und Feiern bieten. Und soweit sich das im Vorfeld sagen lässt, löst sie dieses Versprechen auch ein. Denn neben House- und Techno-Sounds vom DJ-Pult werden auch verschiedene Kunstwerke zu sehen sein und über die Clubkultur als solcher gesprochen.
EXITOCIN KOLLEKTIV:
CLUB:SIMULATION 2
KUNST - CLUBKULTUR - DJS
DONNERSTAG, 4. MAI, 19 UHR
FREITAG, 5. MAI, 19 UHR SAMSTAG, 6. MAI, 21 UHR
METRO CLUB ACHTERNSTRASSE 18 26122 OLDENBURG
Bindung und Ausbruch
Verantwortlich zeichnet dafür das Exitocin Kollektiv. Noch nicht davon gehört? Keine Sorge, das liegt nicht an euch: „Exitocin existiert erst seit etwa anderthalb Jahren“, erklärt Stephan stellvertretend für die Gruppe. „Wir sind ein Zusammenschluss von sechs Personen, teilweise DJs, die aus Oldenburg, Bremen, Osnabrück und Münster kommen.“ Dass sie zusammenfanden, ist aber kein geographischer Zufall, sondern hat eine inhaltliche Ursache: „Uns liegt viel daran, dass der Club ein sicherer, fairer und bildender Ort ist.“ Und in diese gemeinsame Haltung passt das Format „Club:Simulation“ perfekt.
Volles Programm: Wer sich am ersten Maiwochenende im Metro langweilt, möchte das wahrscheinlich auch. (Slides: Exitocin Kollektiv)
Aber wieso eigentlich „Exitocin“? Das klingt einerseits nach einem verschreibungs-pflichtigen Medikament, andererseits nach einem Fluchtweg aus dem Alltag. „Nahe dran“, kommentiert Stephan, muss dann aber doch präzisieren: „Der Name leitet sich vom Bindungshormon Oxytocin ab.“ In der Kombination mit dem Wort Exit gehe es darum, aus Konventionen auszutreten und sich mit anderen Personen zu connecten.
„Wir wollen aber auch nicht alles erklären. Besuchende der Club:Simulation können vielleicht am eigenen Leib spüren, was mit diesem Austreten und sich verbinden gemeint ist.“
Mehr als eine Clubnacht
Und was erwartet euch? Man kann sich das in etwa vorstellen, wie eine Clubnacht plus X. „Die Musik ist weitestgehend im Bereich Techno und House angesiedelt“ beschreibt Stephan die akustische Dimension. „Wir haben wunderbare und talentierte DJs eingeladen, die für sich zu begeistern wissen.“ Ein idealer Einstieg in die Materie sei die Eröffnung am Donnerstag, bei der es auch einiges 80s Sounds zu hören gäbe - und die übrigens gratis ist.
Dann hat man auch die Gelegenheit, sich mit Kunst und Kontext zu beschäftigen. Und die haben für das Exitocin Kollektiv eben eine besondere Relevanz: „Die Inhalte sind für jede Person interessant“, deutet Stephan eine gesamtgesellschaftliche Tragweite an. „Die Missstände, die wir aufzeigen, sind strukturelle Probleme, die auch außerhalb des Clubs gelten. Wir freuen uns über jede Person die kommt und für die Inhalte offen ist.“ Die ausgestellte Kunst ist also keineswegs nur Dekoration, sondern viel mehr: Denkanstoß und Diskussionsgrundlage.
Aber warum dieser Ansatz? Was hat den Ausschlag gegeben? Die Antwort ist ebenso einfach wie einleuchtend:
„Sich im Club-Kontext zu reflektieren ist genauso wichtig wie in anderen Teilen des Lebens. Wir versuchen, für ersteres Denkanstöße zu geben.“
WER ODER WAS IST EXITOCIN? EINE SELBSTBESCHREIBUNG „Unser Kollektiv geht in der Namensgebung auf einen Neologismus, aus den Worten Oxytocin und Exit, zurück. Für uns spiegelt das den Wunsch wider, sensible, offene Räume im Nachtleben zu schaffen, die einen Ausgleich zur heteronormativen Gesellschaft und ihren Problematiken bieten. Wir wollen durch unsere Veranstaltungen Künstler*innen die Chance geben, sich in einem sicheren Rahmen auszudrücken. Neben unseren Radiobesuchen bei 647 FM in Köln, setzen wir uns auch auf unseren Veranstaltungen kritisch mit aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen in Bezug auf das Nachtleben und die Techno-Szene auseinander. Es ist uns besonders wichtig, dass Menschen, die weniger Sichtbarkeit erfahren und stärker an Unterdrückungsmechanismen zu leiden haben, einen Raum der Akzeptanz erfahren. Deshalb positionieren wir uns klar gegen jegliches menschenverachtendes Gedankengut, wie Queerfeinlichkeit, Rassismus, Sexismus und allen weiteren Ismen.“
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Ernsthaftigkeit und Ekstase
Nun würde das wenig nutzen, wenn der Funke nicht überspringt, sprich: Kunst und Konzept nicht überzeugen können. Doch diese Befürchtung lässt sich leicht zerstreuen: Die beteiligten Künstler:innen besitzen hohes Niveau, bieten neue Blickwinkel und regen zum Nachdenken an.
Sie sind aber nicht etwa - wie man vermuten könnte - durch ein aufwändiges Bewerbungsverfahren entdeckt worden, sondern stammen allesamt aus dem Freund:innen- und Bekanntenkreis des Kollektivs. „Wir wollen damit eine vertraute Atmosphäre auf unseren Veranstaltungen schaffen“, erklärt Stephan den Ansatz. Kein Problem - wenn man so kreative und talentierte Menschen um sich hat.
Shout out: Genau wie der Kulturschnack hat auch das Exitocin Kollektiv einen Podcast am Start. Der gibt gleichzeitig einen guten Überblick, was euch musikalisch erwartet.
Glücksfall Corona
Wunderbar ist zudem, dass sie sich auch alle vor Ort treffen können. Das war bei den ersten Ideen für das Konzept keineswegs sicher: Die Club:Simulation war zunächst nämlich auf die Pandemie zugeschnitten. „Wir wollten den Raum Club unter den Bedingungen der Corona-Restriktionen auf eine neue Weise zugänglich machen. Dabei sollte der Fokus auf Kunst und Reflexion liegen.“ Der Aspekt der Musik, aufgelegt durch DJs, sei erst mit der Zeit, aufgrund der fallenden Restriktionen zustandekommen. Zum Glück! Denn so lässt sich die Veranstaltung in diesen wunderbaren Sätzen zusammenfassen:
„Die Club:Simulation ist Zusammenspiel aus drei Elementen: Musik, Kunst und Reflexion. Sie ist ein Ort der Ernsthaftigkeit, der Freude, der Ekstase und vor allem des Austausches.“
Ein Grund mehr, sich über das Ende der Pandemie zu freuen. Und auch wenn unser Alltag längst wieder alltäglich erscheint, sollte man das vielleicht sogar feiern. Zum Beispiel am 4., 5. und 6. Mai im Metro Club. Dort gibt es nicht nur etwas auf die Ohren, sondern auf alle Sinne!
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