LOST IN TRANSITION
- kulturschnack
- 29. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Diese Gleichung konnte nur aufgehen. Ein Gebäude, das sich mitten im Übergang befindet - zwischen strikter Verwaltung und zukünftig kultureller Institution - trifft auf 33 Studierende, die sowohl durch Fotografie als auch skulpturales Arbeiten eben genau diese Zwischenwelten künstlerisch erforschen und dabei sowohl auf gesellschaftliche, als auch ganz persönliche Antworten stoßen.

LOST IN TRANSITION
Künstlerische Annäherungen an ein Leben im Übergang
NOCH BIS 13. NOVEMBER DO 18 - 21 Uhr / SA & SO 13 - 17 Uhr
DAMM 46
26135 OLDENBURG
EINGANG AUF DER HINTERSEITE DES GEBÄUDES
Der Putz bröckelt von den Wänden, es riecht förmlich nach Leerstand, aber ebenso liegt da dieser gewisse Duft der Veränderung in der Luft. Die ehemaligen Räumlichkeiten des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit am Damm 46 in Oldenburg stecken mitten in einem unsanierten Zwischenzustand aus Vergangenem und "Noch-nicht-Seiendem". Denn in Zukunft wird hier der Geist der Kultur durch die Flure gespült werden, in Form des unmittelbar angrenzenden Landesmuseums Natur & Mensch, das das Gebäude übernahm und einen Wandlungsprozess in die Wege leitete, der nun bevorzustehen scheint. Doch auch schon in dieser besagten Zwischenphase ermöglichte das Landesmuseum bereits zahlreichen Akteuren den Leerstand mit Aktionen und Ausstellungen zu bespielen. Dass das Natur & Mensch dabei für genau solche Möglichkeiten den richtigen Riecher hat, wissen wir nicht erst seitdem sie auch dem Team rund um Pelle die Chance boten, den Platz neben ihrem Haus mit ihrem Kultur-Späti und den zugehörigen Veranstaltungen, wie beispielsweise Comedy-Open Mics oder Lesungen, zu beleben.

Diese (vielleicht vorerst letzte?) Ausstellung in diesem bisherigen Zustand des Gebäudes hätte, wie der Zufall es will, vermutlich nicht passender sein können, weil sie sowohl den Raum als auch die gezeigte Kunst auf inhaltlicher Ebene miteinander verschmelzen lässt. "Lost in Transition" - ein Projekt der Lehrgebiete Skulptur und Fotografie am Institut für Kunst und visuelle Kultur der Carl von Ossietzky Universität, versammelt die Arbeiten von insgesamt 33 Studierenden, die sich allesamt in einen fluiden Raum begeben, der brüchig wird, ohne dass das Neue schon festen Boden gefunden hat. Einen Raum, mit dem wir uns eigentlich alltäglich konfrontiert sehen - sei es im großen Ganzen, oder im "KleinKlein" des Alltags. Das kann flüchtig, widersprüchlich - ja, auch schmerzhaft sein - ist aber vor allem eines: absolut empfehlenswert!
DIE WELT & DAS ICH
Denn auch unsere Welt als solche befindet sich inmitten einer solchen allumfassenden Wandlung, die die sicher geglaubten Grundfesten unserer Gesellschaft aufrüttelt. Kriege rücken an die Ränder Europas, ganze geopolitische Machtachsen verschieben sich und setzen zunehmend Demokratien unter Druck. Gleichzeitig wird es eine Bedrohung wie die Klimakrise zwangsläufig erfordern, unser Handeln und unser Verhältnis zur Natur völlig neu zu ordnen. Diese Umwälzungen spüren wir alle als Verunsicherungen unmittelbar im eigenen Alltag, direkt vor unseren Haustüren und fühlen uns im wahrsten Sinne "lost" und suchen nach Halt. Und so schweben wir zwischen Gewissheiten, die vor unser aller Augen zerbröckeln und Szenarien einer Zukunft, getrieben durch künstliche Intelligenz, die sich erst noch ausformen muss und dabei ebenfalls einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess unterliegt.

Genau in diese Gefühlswelten hinein arbeiten die Studierenden für sich auf ganz persönlichen und oftmals wunderbar greifbaren Ebenen. "Für mich ist der Übergang tatsächlich ein Grenzübergang. Ich bin die dritte Generation mit Migrationshintergrund, also genau die, die sich sehr an das, wo sie nicht lebt klammert", erzählt Leon Branko Čolić, einer der ausstellenden Studierenden. "Ich gehe hier mit meiner Arbeit der Frage nach, inwiefern mein Großvater diesen Übergang anders gespürt hat [...] als meine Generation, die sich immer ein bisschen verloren und unsicher fühlt, wozu sie nun eigentlich gehört." Die eigene Identität wird zum fragilen Raum zwischen Herkunft und Zugehörigkeit, die nie wirklich fixiert sondern immer in Bewegung zu bleiben scheint.
Doch diese Fragen verhallen nicht im luftleeren Raum, sondern werden auch an die Betrachtenden zur Selbstreflexion weitergegeben. "Ich habe explizit den Aufruf in meiner Arbeit: 'Schau' in den Spiegel!' und für mich ist das als Einladung zu verstehen in sich selbst hineinzublicken und zu überlegen, welche Überschneidungen man vielleicht mit diesem Thema hat. Wo verbirgt sich die "Transition" und auch "Lostsein" im eigenen Leben?", führt Čolić weiter aus.
KUNSTFORMEN VERSCHMELZEN
Andere Studierende, wie Sarah Kaltofen, lenken den Blick auf unseren Umgang, den wir als Menschen wählen, wenn wir uns mit solchen Situationen konfrontiert sehen. "Was machen wir, wenn wir das Gefühl haben, irgendetwas stimmt nicht? Da gibt eine total starke Normalisierung zum Rausch oder Konsum zu greifen", stellt sie dabei fest. Eskapismus wie er im Buche steht. "Ich habe mich dann mit Beratungsstellen und generell Krisen verschiedener Art auseinandergesetzt, bevor ich das Thema dann sehr auf mich zurück bezogen und es total persönlich gemacht habe. Ich habe mich in meiner Arbeit sehr viel mit meiner eigenen Biografie beschäftigt und dem, was sich im Endeffekt in meinem digitalen Archiv finden ließ", blickt Kaltofen auf den Entstehungsprozess zurück. So entstand eine vielschichtige Arbeit rund um das Thema Alkoholkonsum auf Basis zahlreicher Fotografien, die zeigt wie eng das Private mit dem Strukturellen verbunden sein kann.
Inwiefern ausgerechnet Skulptur und Fotografie als Bereiche für die Ausstellung zusammenpassen, erschließt sich einem dabei erst umfänglich, wenn man selbst durch die Räume schreitet. "Ich glaube, viele Arbeiten haben eine installative Natur bekommen, schon allein dadurch, dass sie mit dem Raum arbeiten", erklärt Kaltofen, wobei auch das Gebäude und sein aktueller Zustand diese Arbeitsweise befürworte und neue Möglichkeiten schaffe. „Wenn wir jetzt von einem White Cube sprechen würden, dann könnte mit dem Gebäude gar nicht so gearbeitet werden. Hier ist es jetzt aber wirklich so gewesen: Erst streiche ich etwas, dann tapeziere ich alles (mit Fotodrucken Anm. d. Red.) voll, als nächstes hänge eine Lampe ab oder baue etwas Neues hinein. Das wäre in einem musealen Kontext nicht in der Form möglich.“
EIN BERUHIGENDER GEDANKE
Vielleicht liegt das Tröstliche von "Lost in Transition" gerade darin, dass uns die Ausstellung aus unterschiedlichsten Blickwinkeln einen bestimmten Gedanken mit auf den Weg gibt, den wir sonst nur zu gerne immer wieder vergessen: nämlich, dass der Wandel kein Ausnahmezustand, sondern unser stetiger Begleiter und Grundtenor ist. Nichts ist je so geblieben, wie es schon immer war - und vermutlich ist das auch gut so. Der Wandel, die Veränderung und das Ungewisse mögen aufregend, aufreibend und manches mal auch wehtun, doch wenn wir sie akzeptieren und uns der Ungewissheit mutig stellen, liegt darin vielleicht ebenso das Potenzial vergraben daran zu wachsen - sei es ganz persönlich oder als Gesellschaft.
Der unentwegte Versuch an etwas festzuhalten, das wir ohnehin nicht aufhalten können, wird uns jedenfalls nur Kraft rauben, die wir anderweitig allesamt gut gebrauchen könnten für die guten Dinge im Leben. Wenn wir also die Räumlichkeiten am Damm 46 nach dem Besuch der Ausstellung wieder verlassen, sollten wir ihr künstlerisches Angebot als eine Einladung zum Perspektivwechsel begreifen. Dass wir dem Unbekannten zukünftig lieber mit Neugier statt sorgenvoller Mine begegnen. Finden statt Verlorengehen.



