In der Kultur gibt es ständig neue Ideen; das ist eines ihrer Wesensmerkmale. Vollkommen neue Veranstaltungs-Formate, die sich außerhalb der bekannten Kategorien bewegen, sind trotzdem selten. Mit einem solchen haben wir es in Oldenburg jetzt aber zu tun: „Annes Kultursalon“ vermischt Elemente von Talkshow, Performance, Musik und Networking zu einem Gesamtkunstwerk mit Unterhaltungswert und Lerneffekt. Im Mittelpunkt dabei: Die einzigartige Gastgeberin Anne-Sophie Zarour.
Es gibt Menschen, die scheinen für die Bühne geboren. Sie bewegen sich dort, wo alle Aufmerksamkeit auf ihnen ruht, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Ängste? Unsicherheiten? Keine Spur. Genau so ist es auch bei Anne-Sophie Zarour. Ob Schauspiel, Gesang oder Moderation - sie scheint im Rampenlicht jederzeit sie selbst zu sein und kann ihre Persönlichkeit und Präsenz frei wirken lassen. Wer sie in Aktion erlebt, hat kaum eine andere Wahl, als sich berühren zu lassen.
So erging es auch Bernt Wach und Mathilda Kochan. Die beiden Führungsköpfe aus dem Kosmos der Kulturetage sahen Anne als (Laien-)Schauspielerin beim letzten Kultursommer in den „Gartenträumen jenseits von Eden“ und hatten denselben Gedanken: Da geht mehr! Und so schrieben sie dem Schauspieltalent ein Format auf den Leib, das es in dieser Form bisher nicht gab - bei dem man sich aber fragt, warum es nicht längst etabliert ist: Annes Kultursalon.
ANNES KULTURSALON
THEMA: JUNGE KULTUR IN OLDENBURG
FREITAG, 31. MAI, 19 UHR
BAHNHOFSTRAßE 11
26122 OLDENBURG
Ärztin auf Abwegen
Geplant hatte Anne das allerdings nicht. Als sie im September 2015 nach Oldenburg kam, ging es nicht etwa um eine Bühnenkarriere. Die Ärztin wechselte nämlich von Leipzig aus an die Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum in Kreyenbrück. Dort absolviert sie parallel zu ihrer Tätigkeit eine Ausbildung zur Fachärztin für Jugendpsychologie. Im Mittelpunkt ihrer vollen Tage stehen also ihre jungen Patient:innen, ihre berufliche Weiterbildung und dazu noch ihre eigene fünfköpfige Familie. Und man fragt sich: Wie passt die Kultur dort eigentlich hinein?
Gar nicht, lautet die objektive Antwort. Doch wo ein Wille ist, ist ein Weg - und wo nicht, hilft der Zufall nach. „Tatsächlich wollte ich mein Leben lang Schauspielerin werden“, erzählt Anne von ihrer großen Leidenschaft. In ihrer Kindheit und Jugend habe sie alles darauf ausgerichtet. Sechs Wochen vor dem Abitur entschied sie sich aber doch für das Medizinstudium: „Ich hatte befürchtet, dass die Kultur letztlich doch eine brotlose Kunst sein könnte.“ Zum Auftritt in der Kultursommer-Produktion wurde sie schließlich von Regisseur Ulf Goerges ermuntert, der ihr Talent schnell erkannt hatte. Dort inspirierte sie dann das Duo Kochan/Wach - und so klingelte etwas später während eines Urlaubs in der Schweiz das Telefon.
Zwischen Markus und Ina
„Der Name Annes Kultursalon war mir anfangs ehrlich gesagt too much“, erinnert sich Anne zurück. Doch Bernt Wach beharrte darauf, schließlich sollte es ausdrücklich ein personenbezogenes Format sein - „irgendwo zwischen Markus Lanz und Inas Nacht“, lacht Anne. Wobei der Kultursalon über diese beiden großen Vorbilder sogar noch hinausgeht. Kernstück ist zwar auch bei Anne eine Talkrunde mit relevanten, teils tagesaktuellen Themen. Das aber nicht in der überbetonten Lanz'schen Nachdenkpose, sondern locker, zugänglich, verständlich. „Wir gehen dort mit Vertrer:innen aus der Kulturszene, der Politik und Verwaltung ins Gespräch“, erzählt das Multitalent. So erhalte das Publikum verschiedene Perspektiven auf das jeweilige Thema.
„Mit unseren Inhalten sind wir immer nah an dem, was gerade passiert“, betont Mathilda Kochan. Dabei profitiere man auch von den vielen Verbindungen des Kooperationspartners Creative Mass (die den Salon einst initiierte) in die Kulturszene. So ergaben sich bisher Themen, die der Szene tatsächlich unter den Näglen brannten wie der Generationenwechsel oder die Kulturfinanzierung. „In Zukunft können wir uns auch kontroverse Stoffe wie ‘Cancel Culture‘ vorstellen“, weckt die Theaterleiterin Vorfreude auf kommende Ausgaben.
Reden ist nur der Anfang
Ergänzt wird der Talk durch schauspielerische Elemente, die in enger Verbindung zu Annes Profession stehen, „Ich behandle die beiden Urgesteine der Kulturetage - Ralf Selmer und Uwe Bergeest“, erzählt Anne. „Das ist auf eine lustige Art therapeutisch.“ Tatsächlich gelingt ihr die Gratwanderung gut: Gekonnt vermischt sie ihre Erfahrungen als Ärztin mit ihrem Talent für die Bühne, beides zusammen verleiht ernsten Themen eine erfrischende Lockerheit - und umgekehrt. Und als wäre das nicht genug der Abwechslung, gibt es im Verlauf des Abends auch noch musikalische Intermezzi. Wer dort singt, dürfte nicht schwer zu erraten sein. Natürlich: Anne.
Kein offizieller Programmpunkt, aber dennoch von Bedeutung ist auch die Zeit nach der Vorstellung. Es ist ausdrücklich erwünscht, dass Publikum und Akteur:innen sich im Anschluss noch austauschen und netzwerken - ganz wie in einem historischen Pariser Salon als Ort des gesellschaftlichen Diskurses. „Ich wünsche mir, dass die Leute einfach vorbeikommen und partizipieren“, erklärt Mathilda. Ihr sei bewusst, dass dieses Fornat erstmal schwerer zu erklären sei als ein Konzert oder eine Lesung. „Wir sind weder Fisch noch Fleisch“, schmunzelt sie. „Es ist aber gerade die Mischung aus verschiedenen Elementen, die uns im Kopf locker macht.“
Kultur findet ihren Weg
Obwohl - oder gerade weil? - ihr ein kulturwissenschaftlicher Hintergrund fehlt, fühlt sich Anne merklich wohl in ihrer Rolle. „Das Schöne ist ja, dass alle Gäste letztlich dasselbe wollen: Eine lebendige Oldenburger Kulturszene“, erklärt die 40-Jährige. „Nur steckt man immer auch ein bisschen fest in seinen Ansichten.“ Deshalb gebe es immer wieder gegensätzliche Positionen: Die einen sähen eher die Probleme, die anderen die Möglichkeiten. Doch das wenigste sei unüberbrückbar. „Ich finde es schön, wenn ich vermittelnd dazwischenstehen kann“, betont Anne mit einem Schmunzeln, denn „das ist schon ein bisschen wie meine psychiatrische Arbeit.“
Eine Behandlung oder Therapie sei das aber natürlich nicht, betont die Moderatorin. „Es geht darum, ins Gespräch zu kommen und Möglichkeiten zu entdecken.“ Dabei gehe es häufig um ganz simple Fragen: Wie funktioniert Kultur? Was läuft hinter den Kulissen? Wie findet Kultur überhaupt einen Weg? Ihr sei es ein Anliegen, die Szene der Stadt gemeinsam mit ihren Gästen weiter zu entwickeln. „Im Vergleich zu Leipzig bietet Oldenburg etwas mehr Sicherheit und Struktur“, stellt sie fest. Das sei grundsätzlich gut, allzu große Zufriedenheit berge aber auch Gefahren. „Man braucht kreative Köpfe, die einen Schritt weitergehen, die über den Tellerrand hinausdenken. Die gibt es hier in Oldenburg - und man muss schauen, wie man ihnen die passenden Möglichkeiten bietet.“
Die Mischung macht's
Wer mit Anne-Sohpie Zarour spricht, hat danach keine Zweifel mehr: Es gibt Menschen, die sind für die Bühne geboren - und sie ist eine davon. Dass sie letztlich davor zurückscheute, ihr berufliches Glück in der Kultur zu suchen, ist für Oldenburg heute ein Segen. Durch ihren professionellen Hintergrund als Psychologin bringt die leidenschaftliche Schauspielerin ein ganz neues Skillset in den Kulturbetrieb, der ihm druchaus nutzen kann.
Dem Duo Mathilda Kochan und Bernt Wach ist mit dem Kultursalon ein Format gelungen, dessen Reiz nicht einfach zu erklären sein mag, das durch seine Mischung aber zu überzeugen weiß. Die Kombination substanzieller Inhalte und Positionen mit lockerer Unterhaltung schafft jene Offenheit, die für Veränderung nötig ist. Nicht denkbar ist all das allerdings ohne Moderatorin / Schauspielerin /Sängerin / Namensgeberin Anne-Sophie Zarour. Mit ihrer Persönlichkeit prägt und trägt sie das Format. Und auch wenn sie viel zu bescheiden ist, um den Wunsch zu haben, dass eine Veranstaltung nach ihr benannt sein sollte, hat diese doch genau den richtigen Namen: Annes Kultursalon.
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