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JAZZ ABER LOS

Gut, für Wortspiele mit Jetzt und Jazz bekommt man keinen Originalitätspreis mehr. Aber immerhin passt unsere Variante bestens: Nicht nur findet vom 20. bis zum 27. September das Jazzfest in der Oldenburger Kulturetage statt. Nein, auch die Nachfrage nach Karten ist groß, das erste Konzert bereits ausverkauft. Höchste Zeit also, den Reiz des Jazz auch für sich selbst zu entdecken - und gleich einzutauchen!


Beleuchtetes Jazz-Club-Schild, nicht in Oldenburg
„Stimmungsvoll: Jazz verortet man intuitiv in den Clubs und Bars der Metropolen. Aber auch in der Oldenburger Kulturetage kann er seine Vorzüge ausspielen. (Bild: Shutterstock)

Mit dem Jazz ist es so eine Sache. Einerseits versprüht er mit seiner typischen Baratmosphäre und seiner introvertierten Verspieltheit einen ganz eigenen Reiz und Namen wir Miles Davis, John Coltrane oder Charlie Parker erzeugen eine große Faszination - nicht zuletzt, weil ihre Lebensläufe alles andere als gradlinig waren. Andererseits ist die Musik häufig nicht sofort zugänglich und mitunter sogar schwer verständlich. Anders als etwa Pop muss man sie sich erst erschließen.


Zum Glück muss man aber nicht mit atonalen Klangexperimenten enfangen, die letztlich eher Hardcore-Enthusiasten ansprechen. Es gibt auch Spielarten des Jazz, die deutlich leichter zu konsumieren und erfassen sind - die aber durchaus schon andeuten, worin der Reiz dieser Musik liegt. Und genau diesem Grenzbereich zwischen Pop und Jazz widmet sich nun die Kulturetage mit dem „Jazzfest“. Warum das ein guter, aber kein perfekter Einstieg ist? Das berichtet Booker Andreas Holtz im Gespräch.


 

KULTURETAGE OLDENBURG


JAZZFEST


20. SEPTEMBER, 20 UHR: CURTIS STIGER (TICKETS)

23. SEPTEMBER, 20 UHR: TINGVALL TRIO (AUSVERKAUFT) 27. SEPTEMBER, 20 UHR: COLLOSEUM (TICKETS) 5. NOVEMBER: AVISHAI COHEN TRIO* (TICKETS)


KULTURETAGE

26122 OLDENBURG



* DAS KONZERT DES AVISHAI COHEN TRIOS FINDET IN DER BREMER GLOCKE STATT.
 


Andreas, an Jazz scheiden sich die Geister. Die Fans lieben ihn, viele finden aber keinen Zugang. Warum hat sich die Kulturetage für ein Jazzfest entschieden? Das Jazz-Fest gibt es in der Kulturetage schon seit zehn Jahren; die Musikrichtung ist sogar schon seit 25 Jahren ein fester, wichtiger Bestandteil unseres musikalischen Kulturangebots. Aus der jüngeren Vergangenheit sind vielleicht noch die Auftritte echter Stars wie Gregory Porter oder Jan Garbarek in Erinnerung. Jazz – das ist die moderne Klassik des 21. & 22. Jahrhunderts.


Hier atmet Freiheit, beginnt Genuss – hier hören wir die teils schönsten Melodien & spannendsten Zusammenspiele der Musikgeschichte. Von Künstler:innen aus aller Welt.


Was erwartet das Publikum in diesem Jahr denn ganz konkret? Wir haben drei dynamische Meisterkonzerte mit internationalen Top-Stars in die Kulturetage eingeladen. Davon zwei legendäre Formationen aus dem angloamerikanischen Kultur-Raum, nämlich den US-Amerikaner Curtis Stigers mit seiner Band und - zum allerletzten Mal - Colosseum aus Großbritannien, die sind ein Must-See. Dazu kommt mit dem Tingvall Trio die erfolgreichste Jazz-Combo unserer Zeit mit drei Musikern aus drei Nationen nach Oldenburg. Das Konzert ist allerdings schon ausverkauft. Im November tritt dann noch das Avishai Cohen Trio auf, allerdings in der Bremer Glocke.

Geben die beteiligten Künstler:innen einen guten Überblick über das Genre? Ist das Fest deswegen eventuell die ideale Gelegenheit, um einzutauchen?

Nein, absolut und leider nicht. Diese drei Konzerte können nur einen kleinen Einblick in die große weite Welt der Jazz-Musik offenbaren – aber: Das macht ja nix! Denn hier können unsere Gäste jeden Abend in eine ganz eigene, faszinierend-fantastische Musikwelt eintauchen.




In Oldenburg gibt es den Jazzclub Alluvium, die Jazzmusiker Initiative, dagegen hatte das Ba:rocco Festival in den letzten beiden Jahren mit mangelnder Resonanz zu kämpfen. Ist die Stadt grundsätzlich ein gutes Pflaster für diese Musik?

Natürlich ist Oldenburg ein gutes Pflaster für Jazzmusik, sonst gäbe es ja viele Player gar nicht. Und um den Bogen nochmal etwas weiter zu spannen: In Oldenburg gibt es gute Weinhandlungen, erstaunlich viele klasse Buchhandlungen, zwei Hochschulen und Programmkinos, verdammt viele spannende Theater und Musik-Clubs und vieles mehr. JDeshalb - ja! - ist es hier auch ein gutes Pflaster für den Jazz!


In Oldenburg leben und arbeiten so manche coole Typen. Wir haben gewiss auch weiter das Potential für eine Übermorgenstadt. Gute Musik abseits der Formate, mit Herz und Schwung gemacht – das wird weiter für Oldenburg wichtig bleiben.

GUTE FRAGE

WAS IST EIGENTLICH JAZZ?

Zwei der Allergrößten: Der legendäre Charlie Parker (2.v.l.) mit dem ebenso legendären Miles Davis (2.v.r.) im Jahre 1947 im Three Deuces Club New York. (Bild: William P. Gottlieb)
Zwei der Allergrößten: Der legendäre Charlie Parker (2.v.l.) mit dem ebenso legendären Miles Davis (2.v.r.) im Jahre 1947 im Three Deuces Club New York. (Bild: William P. Gottlieb)

Die Entstehungsgeschichte des Jazz geht bis ins Jahr 1917 zurück. Dieser Musikstil ist dem Blues und der Musik der damaligen Sklavenarbeiter entlehnt. Folgende charakteristische Merkmale zeichnen sich ab:

  1. Die Persönlichkeit des Musikers steht im Vordergrund; der Interpret äußert mittels Stimme oder Instrument das, was er selbst erlebte und erfuhr.

  2. Die Improvisation, entweder frei oder nach musikalischer Vorgabe, und entweder von einem oder mehreren Instrumenten, quasi kollegial, ausgeführt, wird als Ausdrucksmittel verwendet.

  3. Die spontanen, unvermittelten, gefühlsgeladenen Interaktionen sorgen für einen spannenden, abwechlungs- und erlebnisreichen musikalischen Verlauf der Session.

  4. Die faszinierende Einmaligkeit der jeweiligen musikalischen Darbietung ist ein einzigartiges, in dieser speziellen Form nicht wieder zu erlangendes musikalisches Ereignis.

  5. Die Rhythmik ist der zentrale Aspekt, dem eine besondere Ausdruckskraft innewohnt. Der Pulsschlag der ehemals in Gefangenschaft geratenen Sklaven tritt hervor, der nunmehr frei zur Entfaltung gebracht wird.

  6. Der raue Stimmklang der Sänger bzw. der gefühlsgeladene Schrei nach Gerechtigkeit, nach der die Seele lechzt, tritt hervor.

  7. Die Tongebung orientiert sich am offenen Vokal.


Nehmen wir an, ich kenne Jazz-Legenden wie Duke Ellington, Dizzy Gillespie oder Charlie Parker nicht und höre privat gerne Metal oder Schlager. Warum soll ich kommen?

Man muss die ikonischen Wegbereiter des Jazz nicht kennen. Aber schade wäre es schon, da nicht mal reingehört bzw. geschaut zu haben. Und sooo viel anders als sagen wir die schlageraffinen deutschen Pendants, Max Greger und Conny Froboess, sind ja Duke Ellington und Ella Fitzgerald nun auch nicht. Es hat halt nur einige Jahrzehnte gedauert, bis die Deutschen nach dem Nationalsozialismus wieder zu sich kamen und sich wieder getraut haben, von der US-Avantgarde zu lernen – und wieder, wie zuvor in der Weimarer Republik, am Puls der Zeit zu performen.


Als Kind habe ich noch wöchentlich jeden Schlager mit meinem Opa beim Dieter Thomas Heck mitgeträllert – und einige Songs von Udo Jürgens oder Reinhard Mey haben unbestreitbare zeitlose Singer-Songwriter-Qualitäten. Als Jugendlicher habe ich zwar nicht Metal, aber um so mehr Hard-Rock vergöttert, z.B. Led Zeppelin oder Deep Purple. Und wo haben diese großen Bands bereits um 1970 herum gespielt? Genau: auf dem Montreux-JAZZ-Festival!

Vieles hat seine Berechtigung bzw. seinen Platz. Weder Jazz, Schlager, Metal noch Rock, World, Electronics sind per se gut oder schlecht. Seid offen, freudvoll und mutig – es gibt nichts zu befürchten – AMEN!


 

Größtmögliche Offenheit


Dem ist auch aus unserer Sicht wenig hinzuzufügen. Andreas Plädoyer für eine größtmögliche Offenheit gegenüber Muskstilern, die man nicht tagein, tagaus hört, findet unsere volle Zustimmung. Denn es ist, wie er beschreibt: Oft ähneln die verschiedenen Stile einander mehr als man vermuten wäre - weil es eben nicht nur die reine Lehre gibt, sondern viele Mischformen und -töne. Die Kulturetage legt die Latte hier bewusst niedrig: Mit Curtis Stigers werden auch Singer/Songwriter- und Popfans bestens bedient, Rockfans kommen bei Colosseum auf ihre Kosten.


Das Tingvall Trio dagegen ist deutlich näher am Jazz, wie man sich ihn als Laie vorstellt - was zweierlei zeigt: 1. Oldenburg scheint tatsächlich ein gutes Plflaster für Jazz zu sein. Und 2. Wenn man die freie Auswahl haben möchte, muss man sich sputen. Wenn ihr noch Tickets wollt, heißt es deshalb: Jazz aber los!


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