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DER CORONA CHECK - TEIL EINS

Es war einmal eine Pandemie. In den Zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts verbreitete sich das Corona-Virus über die gesamte Welt und führte zu zahlreichen Lockdowns. Erst nachdem durch zahlreiche Verhaltensregeln, Impfungen und günstigen Virus-Mutationen die Gesundheitsgefahr immer weiter sank, kehrte die Normalität zurück. Aber: nicht für alle. Die Kultur hat Long Covid. In diesem ersten Teil unseres Double Features lest ihr, warum die Lage nicht so gut ist, wie man vielleicht denken könnte.


Ein leerer Holzstuhl in einem Saal
Bittere Symbolik: Auch in Oldenburg bleiben viele Stühle leer. (Bild: Shutterstock)

Als die Pandemie im Frühjahr 2020 auch in Deutschland das öffentliche Leben lahmlegt, war eines sofort klar: Die Kultur muss schließen. Was nicht explizit gesagt wurde, aber in vielen Wortbeiträgen durchschimmerte: Sie ist verzichtbar. Wir können sie streichen, ohne dass unser Wohlstand gefährdet wird. Ein Irrtum! Unser Wohlstand ist nämlich kein rein materielles Phänomen, sondern auch ein geistiges und emotionales.


Als die Theater, Kinos und Konzertbühnen geschlossen hatten, stellten wir schnell fest: All das ist eben nicht verzichtbar!

Weil es den nötigen Kontrast zu unserer enggetakteten und von Zweckmäßigkeit definierten Arbeitswelt bildet. Weil es unseren Denk- und Gefühlshorizont erweitert. Weil es Themen aufgreift, mit denen wir uns sonst nicht, zu wenig oder ganz anders beschäftigt hätten. Kurzum: Die Abwesenheit von Kultur stellte ihre Systemrelevanz unter Beweis.



Hilfe von ganz oben

Zum Glück drang diese Erkenntnis bis an höchste staatliche Stellen durch. Nicht nur Konzerne wie die Lufthansa wurden unterstützt, sondern auch die Kultur, zumindest wenn sie institutionell organisiert war. Völlig zurecht, denn der Kultursektor ist ja nicht jur eine nette Freizeitbeschäftigung, er ist auch ein enormer Wirtschaftsfaktor: 1,2 Millionen Beschäftigte sind ihm zuzurechnen, seine jährliche Bruttowertschöpfung liegt bei über 100 Milliarden Euro. Das ist mehr als die gesamte chemische Industrie.


Über das Neustart Kultur-Programm wurde die Unterstützung sogar verstetigt. 1,4 Milliarden Euro hat das Kulturstaatsministerium in den vergangenen zwei Jahren bewilligt, um die Folgen der Coronakrise abzumildern, davon wurden bisher über 900 Millionen ausgezahlt. Dazu sind noch einmal 137 Millionen über den Sonderfonds für Kulturveranstaltungen ausgeschüttet. Beinahe hatte man das Gefühl, dass die staatliche Förderung ausgerechnet in der Notlage so war, wie sie immer sein sollte: bemüht, zugewandt, verständnisvoll, kundenorientiert, gestaltend, bejahend, wertschätzend - und ausreichend. Wenn man so will, war der Neustart also das richtige Instrument zur falschen Zeit.



Zurück in die Zukunft?


Alles gut also? Mitnichten. Denn eines ist klar: Weder kann der Staat dauerhaft die gesamte Kultur durchfinanzieren, noch will die Kultur das. Sie hat gar nicht das Ziel, möglichst viel Geld aus den öffentlichen Kassen zu bekommen, es gilt das genaue Gegenteil: Es soll möglichst wenig sein. Weil sie für das Publikum spielt. Weil sie sich die Interaktion und die Reaktion wünscht. Weil Zuschüsse ohne Applaus nur Geld sind: anonym und austauschbar. Zwar wird es immer so sein, dass es Unterstützung von staatlicher Seite braucht, um eine vielfältige, hochwertige Kulturszene zu erhalten und zu entwicklen. Jedoch wird es niemals so sein, dass die Szene nur spielt, um den nächsten Zuschuss zu bekommen.


Wenn also die Kultur wieder auf eigenen Beinen stehen will (und das will sie!), dann braucht es vor allem eins: Eine Rückkehr zur Normalität.

Und zwar in dem Sinne, dass es wieder so normal wird, abends ins Theater, ins Kino oder zum Konzert zu gehen wie vor der Pandemie. Wenn man momentan durch die Innenstadt schlendert, an sonnigen Tagen zum Badesee fährt oder auch ein Fußballstadion besucht, ist man geneigt zu denken: genau das ist bereits eingetreten. Alles ganz normal. Vereinzelt sieht man noch Masken, hier und da hat man vielleicht den Eindruck, es ist weniger los als sonst - aber das früher an manchen Tagen ja auch so. Also: Die Normalität ist zumindest weitgehend zurück. Oder?



Alles ganz normal? Andere Lebensbereiche hatten weniger Anlaufschwierigkeiten (Bilder: Peter Duddek, Kulturschnack)



Der gerissene Faden


Geht man statt in die City, zum See oder ins Stadion in die Einrichtungen der Kultur, ergibt sich leider ein anderes Bild. Immer wieder spielen die Akteure dort vor halbleeren Sälen, manchmal auch nur vor einer Handvoll Hartgesottener. Die Zuschauer kehren deutlich langsamer zur Normalität zurück als in anderen Bereichen des Lebens. „Da ist ein Faden gerissen“ stellte Christian Firmbach, Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters, bei der Vorstellung des Programms für die Spielzeit 22/23 fest. Und man spürte bei diesem Termin, wie sehr zwar die Spartenleiter für ihre Sache brennen - wie aber auch Zweifel an ihnen nagten, ob alles so kommt, wie sie sich erhoffen.


GRÜNDE FÜR DIE ZURÜCKHALTUNG

  • Anhaltendes Infektionsgeschehen

Zwar ist Omikron deutlich weniger gefährlich für weite Teile der Bevölkerung als frühere Varianten des Virus, viele - vor allem: ältere - Menschen bleiben aber dennoch lieber vorsichtig und vermeiden Ansammlungen und Nähe.


  • Finanzielle Verunsicherung

Nach Jahrzehnten von Inflationsraten unterhalb von zwei Prozent liegt sie nun schon längere Zeit bei ca. 8 Prozent. Die Preise ziehen spürbar an, das Leben wird teurer. Durch den Ukraine-Krieg sind zudem die Energiekosten explodiert und der Herbst steht vor der Tür.


  • Aktuelles Überangebot

Viele Veranstaltungen mussten in den letzten jähren immer wieder verschoben werden. Erst in diesem Sommer wurden sie möglich. Zudem wurden durch as Neustart Kultur Programm v viele neue Formate kreiert, die jetzt ihre Premiere feiern. Alles zusammen ergibt einen prall gefüllten Kulturkalender.


  • Fehlende Durchdringung

Nicht zuletzt wegen des letzten Punktes fällt es den Institutionen und Akteuren immer schwerer, mit ihren Angeboten zu ihrer Zielgruppe durchzudringen und sie darüber zu informieren. Dabei investieren einzelne deutliche größere Summen in Marketing, um das Publikum zurückzugewinnen. Das hat aber auch damit zu tun, dass manche Medien weniger über Kultur berichten und andere ihren Betrieb sogar eingestellt haben. Das bedeutet: Weniger Raum für mehr Angebote.


Der Unterschied zur prä-pandemischen Zeit ist so groß, dass mittlerweile alle großen Medien ausführlich darüber berichten. Ob Spiegel, Süddeutsche, FAZ, WDR oder NDR: Alle haben festgestellt, dass die Kultur - im Gegensatz zu vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen - weiterhin stark unter den Folgen der Pandemie leidet. Das beliebteste und vielleicht auch treffendste Bild dafür, haben alle Redaktionen im Sortiment: „Die Kultur hat Long Covid.“



Oldenburg ist keine Insel


Ist das auch bei uns so? Die kurze Antwortet lautet: Ja. Aber eine kurze Antwort wird der Sache natürlich nicht gerecht, wie geben deshalb eine lange. Dafür haben wir uns stellvertretend umgehört bei den Oldenburger Theatern: Nicht nur bei den Flaggschiffen wie Staatstheater und Laboratorium, sondern auch bei hof/19 und wrede +, beim Theater k und dem Unikum. Und auch wenn die Antworten auf unsere Fragen durchaus unterschiedlich ausfallen, lassen sich zwei rote Fäden klar definieren: Erstens: Nichts ist wie zuvor. Und zweitens.: Nie war die Unsicherheit größer.



Letzteres bekommt derzeit zusätzlichen Antrieb. Denn nicht nur ist ungewiss, was der Corona-Herbst bringt. Darüber hinaus steigen über die Inflation und vor allem die galoppierenden Energiekosten die Ausgaben der privaten Haushalte immens. Früher oder später werden die Menschen ihre Sparpotenziale ausloten. Und auf was verzichtet man am ehesten: Das warme Wohnzimmer, das vollwertige Mittagessen - oder den Abend im Theater? Die Einfachheit, mit der sich die Frage für die meisten beantwortet, ist für die Kultur eine brutale Erkenntnis: Trotz der erwiesenen Systemrelevanz (s.o.) steht sie schon wieder vor einer ungewissen Zukunft.


Wie die Lage in Oldenburg ganz genau ist? Das haben wir diejenigen gefragt, die es am besten wissen: Die Theatermacher:innen. Wie sie die Lage einschätzen, ob Hoffnung oder Frust überwiegt und was sie von der Zukunft erwarten - das lest ihr im zweiten Teil unseres Double Features!



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