Von gesellschaftlichen Krisen ist die Kultur stets in besonderer Weise betroffen. Während der Corona-Pandemie verlor sie plötzlich ihre gesamte Arbeitsgrundlage, die verwaisten Säle und leeren Ränge wurden zum tragischen Symbol der neuen Unmöglichkeiten. Zwar ist die Pandemie vorbei, doch neue Krisen sind an ihre Stelle getreten. Wie geht es den Künsten jetzt?
Plötzlich war sie da: die Diskussion über die Systemrelevanz der Kunst. Erst als sie ab März 2020 nahezu vollständig aus unseren Alltagen verschwand, wurde vielen ihr wahrer Wert bewusst. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihre ökonomische und emotionale Relevanz erstmals in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Eine wichtige Reaktion darauf waren die erfolgreichen „Neustart Kultur“-Förderprogramme des Bundes, mit deren Unterstützung es gelang, Publikum und Szene wieder zusammenzuführen.
Dennoch sollte es nur zwei weitere Jahre dauern, bis alles wieder infrage stand. Die strengen Coronaregeln waren im Frühjahr 2022 noch nicht aufgehoben, als Putins Angriffskrieg auf die Ukraine begann und in der Folge die Inflation zweistellige Werte erreichte. Das hinderte zwar keine:n Künstler:in an der Berufsausübung. Im Gegenteil, es inspirierte sie sogar zu wichtigen Positionen, womit die Szene einmal mehr ihren Wert unterstrich. Jedoch sahen sich in der Folge viele Bürger:innen zum Sparen gezwungen. Und das tun sie dort, wo es zunächst nicht so wehtut - an den Theater- und Konzertsaalkassen. Die bittere Erkenntnis für die Szene: Nach der Krise ist in der Krise,
FILMVORFÜHRUNG & OFFENER AUSTAUSCH
DENNOCH!
ZUR LAGE DER FREIEN KÜNSTE
MIT DENNIS ROHDE (SPD, MITGLIED DES BUNDESTAGS), HOLGER BERGMANN (GESCHÄFTSFÜHRUNG FONDS DARSTELLENDE KÜNSTE), ANDREA HUFELAND (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN OLDENBURG), YLVA JANGSELL (THEATERMACHERIN, SCHAUPSPIELERIN, PERFORMERIN, REGIESSEURIN), WINFRIED WREDE (GESCHÄFTSFÜHRUNG UND KÜNSTLERISCHE LEITUNG FLAUSEN+)
MITTWOCH, 23. AUGUST, 19 UHR
THEATER WREDE +
26122 OLDENBURG
EINTRITT FREI!
Der Finger am Puls
Auf Rosen gebettet war die Kultur nie. Doch die Achterbahnfahrt der letzten drei Jahre - vom Corona-Chaos über die hilfreichen Fördermaßnahmen bis zu den neuen Unsicherheiten - sucht historisch ihresgleichen. Wie fühlt es sich an, wenn man diese Phase nicht von außen betrachtet, sondern von innen miterlebt? Wie geht es den Künsten?
„Regisseurin Janina Möbius zeichnet ein lebendiges Bild der Freien Szene und macht deutlich, wie groß die Bandbreite ihres künstlerischen Schaffens war." (Clemens Claudius, Rheinische Post)
Diese Fragen haben sich auch der Fonds Darstellende Künste gestellt und dafür ein Experiment gewagt. Zwischen Mai und August 2022 förderte und unterstützte er rund 25 Labore - von Figuren-und Objekttheater bis Musiktheater, von Tanz über Performance und Schauspiel bis zu Theater im öffentlichen Raum und Zeitgenössischem Zirkus. Was dabei geschah und entstand, hielt Regisseurin Janina Möbius mit der Kamera fest. Ihr Film „Dennoch!“ dokumentiert das künstlerische Arbeiten und Forschen dieser über die Bundesrepublik verteilten (auch digitalen) Labore in Zeiten gesellschaftlicher Transformation
Inmitten krisenhafter Jahre
Das Ergebnis: ein offener, intimer Einblick in die freien Künste. Ein authentisches Stimmungsbild inmitten krisenhafter Jahre - das einerseits die vielfältigen Schwierigkeiten dokumentiert, andererseits aber auch die unbändige Schaffenskraft der Akteur:innen zeigt. Nicht zuletzt wird auch die Vielfalt der Szene deutlich, bzw. die unendlichen Schattierungen des Theaterbegriffs, die an vielen Stellen große Lust auf den nächsten Besuch machen.
„Rasant geschnittene Performance-, Tanz, und Theaterkunst, mit Drohnen-Kameraflügen opulent in Szene gesetzte Spielstätten, bunte Bilder von begeisterten Zuschauerinnen und Zuschauern.“ (Christoph Zwickel, ZEIT Online)
„Dennoch!“ ist zweifellos ein gut gewählter Titel, steht er doch zum einen für das eigene Bewusstsein für die allzu oft widrigen Umstände - andererseits für die Haltung, sich davon nicht beirren zu lassen. Der Spirit, für den dieses Wort steht, ist an vielen Stellen des Films zu spüren und weiß die Aufgeschlossenen im Publikum mitzureißen.
Mehr als eine Doku
Der Film besitzt nicht nur einen hohen dokumentarischen Wert. Er hat ein Anliegen - und bildet deshalb eine gute Basis, um Debatten wieder aufzunehmen, fortzuführen oder neu auszusteuern. Schließlich gilt die freie Szene als Impulsgeber und Agent provocateur der Kultur: schnell, flexibel, intelligent, innovativ, meinungsstark. Als sie vor drei Jahren ihre Stimme verlor, donnerte das Schweigen durch das ganze Land. Die Diagnose Systemrelevanz war damals überraschend schnell und einhellig gestellt, Doch wie geht es jetzt, nach dem Neustart, weiter?
„Siebzig Minuten freie Szene, siebzig Minuten pralles Leben und satte Kunst." (Dorion Weickmann, tanz)
Dieser Frage soll auch im theater wrede + nachgegangen werden. An jenem Ort also, der als Keimzelle von flausen+ die Unbändigkeit der freien Szene in Oldenburg wahrscheinlich am stärksten repräsentiert. Nach dem etwa siebzigminütigen Film wird es einen offenen Austausch mit Dennis Rohde (SPD MdB), Holger Bergmann (Geschäftsführung Fonds Darstellende Künste), Andrea Hufeland (Bündnis 90/Die Grünen Oldenburg), Ylva Jangsell (Theatermacherin, Schauspielerin, Performerin, Tänzerin, Regisseurin, Theaterpädagogin), Winfried Wrede (Geschäftsführung flausen+) und weiteren über notwendige Schritte für die Zukunft der Freien Szene geben.
Besser jetzt
Ist die freie Kultur systemrelevant oder nicht? Über diese Frage müssen wir inzwischen nicht mehr diskutieren, sie wurde im Corona-Reallabor deutlich beantwortet. Offen ist dagegen, wie sie dauerhaft ihre Rolle ausfüllen kann, denn es bleibt dabei: Von gesellschaftlichen Krisen ist die Kultur stets besonders betroffen. Setzen sich die allgemeinen Preissteigerungen und hohen Inflationsraten fort, wächst die Gefahr struktureller Verwerfungen.
Besser man diskutiert jetzt: offen und fair, konstruktiv und kreativ. Und ihr? Könnt dabei sein! Das würde sich bereits wegen des Films lohnen, das anschließende Gespräch dürfte das Seherlebnis aber nochmals bereichern und dabei auch unsere Oldenburger Szene in den Blickpunkt rücken. Zwar war und ist auch hier eine leidenschaftliche Unbeirrbarkeit festzustellen - „Dennoch!“ sollte die „Lage der Künste“ immer ein Thema sein.
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