Zurzeit kommen viele Geflüchtete aus der Ukraine in Oldenburg an. Über 600 Menschen waren in der 12. KW bereits registriert. Zunächst geht es darum, ihnen eine Unterkunft zu stellen und sie in unsere Versorgungsstrukturen aufzunehmen. Doch was kommt dann? Wie gelingt das Ankommen? Eine wichtige Rolle spielt dabei die kulturelle Bildung.
Normalerweise findet kulturelle Bildung in Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen statt. Dort leistet sie unverzichtbare Beiträge für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Im Brennpunkt des Tagesgeschehens befindet sie sich eher selten. Doch nun ist sie ausgerechnet dort angekommen: durch ihre aktive Rolle bei der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine.
Das hat viel zu tun mit Vivien Ritter. Die 34-jährige Abenteuer- und Erlebnispädagogin koordiniert das Engagement des Kulturbüros: „Momentan fahre ich dreigleisig," berichtet sie vom enormen Aufwand, mit dem sie es aktuell zu tun hat. „Vor allem versuche ich, Kontakte zu verschiedenen Kooperationspartnern zu knüpfen und ein gutes Angebot daraus zu stricken.“
Das erste Gleis: Koordination
Seit kurzem unterstützt Vivien die städtische Koordinierungsgruppe auf der Arbeitsebene. Für das kleine Kernteam um Stadträtin Dagmar Sachse - zu dem Vivien nicht direkt gehört - gibt es viel zu tun: Unterkünfte müssen vorbereitet, Gastfamilien kontaktiert und Dolmetscher für Ukrainisch gefunden werden. Vivien kümmert sich in der Folge darum, die Angebote von Künstler*innen und Bildungspartner*innen rund um die kulturelle Bildung für Geflüchtete zu koordinieren. Einige Akteure haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sich zu engagieren. Weitere dürfen gerne folgen.
„Unser Ziel ist es, so vielen Menschen wie möglich ein Angebot zu machen“, beschreibt die 34-jährige die Anspruchshaltung. Es gehe dabei um die Frage, wie man die Menschen gut erreicht und wie man ihnen bedarfsgerechte Angebote zur Verfügung stellt. Dabei spielen auch Begegnungen eine wichtige Rolle: „Wir wollen die Kinder und Jugendlichen in Oldenburg zusammen bringen. Wir wollen Gemeinschaft fördern und Erlebtes gemeinsam verarbeiten.“
WAS IST KULTURELLE BILDUNG? Wenn sich junge Menschen mit kulturellen Ausdrucksformen, Spiel und Kunst beschäftigen und dabei ihre Sichtweisen und Haltungen zeigen, dann sprechen wir von Kultureller Bildung. Der Begriff bezeichnet auch einen Prozess der Selbstbildung. Sie vollzieht sich,
Angebote der Kulturellen Bildung haben einen spielerischen Charakter. Es geht darum, freiwillig und gemeinsam mit anderen etwas zu tun,
Kulturelle Bildung geht von Stärken und Interessen aus und fragt: Was kannst du schon und was möchtest du noch entdecken oder dazulernen? Quelle: BKJ |
Das zweite Gleis: Kreation
Zum einem zentralen Angebot führt auch das zweite Gleis, das Vivien zurzeit befährt. Die Tanzschule „Maniac Dance Center“ ist an sie herangetreten. Die Schule ist bereit, eine Teil ihrer Räumlichkeiten an der Emsstraße für Angebote der kulturellen Bildung zugunsten von Geflüchteten aus der Ukraine zur Verfügung zu stellen. “Wir möchten in Oldenburg kreativ etwas bewegen“ erklärt die Leiterin Natalie Baron ihre Initiative. „Kunst spricht eine universelle Sprache und genau diese soll Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine in der ungewissen und traumatischen Zeit helfen und wieder etwas Licht ins Dunkel bringen.“
Der Clou: im Team der Tanzschule sprechen einige Russisch oder Ukrainisch. Wäre die Lage nicht so ernst, würde man diese Konstellation wahrscheinlich als Idealfall bejubeln.
Gemeinsam mit dem Dance Center stellt Vivien einen Projektantrag bei der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) - und bereits positive Signale erhalten. Dort gibt es ein positives Beispiel bundesdeutscher Bürokratiekultur: Das Förderprogramm „Startklar in die Zukunft“ war ursprünglich als Reaktion auf die Corona-Krise gedacht. Nun dürften die Mittel aber auch für Maßnahmen für Geflüchtete aus der Ukraine eingesetzt werden, solange auch andere Kinder teilnehmen können.
„Wir entwickeln gerade einen Wochenplan: Was bieten wir an? Und wann?“, berichtet Vivien aus ihrem Alltag. Für den Antrag brauche es eine Basis, ansonsten sei das Programm aber flexibel: „Die Angebote hängen ja auch vom Alter und Interessen der Kinder ab", weiß sie. Sprachkurse gehörten ebenso dazu wie Theater, Musik oder Tanz. Ein ganz besonderer Programmpunkt stehe aber bereits fest: „Unter den Geflüchteten war eine Yoga-Trainerin und Sprachlehrerin. Sie war sofort bereit, bei unserem Angebot mitzumachen und wird dort Kurse geben", freut sich die Pädagogin.
Auch für die Eltern - bisher ausschließlich Mütter - soll das Angebot eine Wirkung entfalten. „Wegen einer Altersbegrenzung können sie leider nicht selber mitmachen“, erklärt Vivien. „Aber wenn sie die Zeit für eine kleine Verschnaufpause nutzen, ist das auch ein wichtiger Effekt.“ Was es bedeute, allein mit zwei oder drei Kindern vor einem Krieg im Heimatland zu flüchten, könne niemand ermessen. An Erholung werde dabei oft nicht gedacht. Doch auch dies gehöre zum Ankommen dazu.
Das Programm wird bereits zum Beginn der Osterferien am 11. April starten. Ob der ehrgeizige Zeitplan aufgeht, welche Angebote gemacht werden und wie viele Teilnehmer*innen möglich sind: all das lässt sich bald beantworten. Wie bei fast allen Aufgaben der Koordinierungsstelle handelt es sich auch hier um „Work in Progress“: Die Reaktionen auf bestimmte Aufgaben werden nicht ausführlich geplant, sie ergeben sich beim Handeln selbst.
Das dritte Gleis: Kommunikation
Neben der Arbeit in der Koordinierungsgruppe und dem Aufbau des Projekts in der Tanzschule spielen für Vivien auch Kontakte zu privaten Initiativen wie „Oldenburg hilft der Ukraine“ eine wichtige Rolle. Angesichts ihres Programms kommt dies aktuell aber noch zu kurz, wie sie zugibt. „Wir sind aber schon in Kontakt“, betont sie und blickt nach vorn:
„Wir wollen schauen, ob wir gemeinsam etwas gestalten können. Schließlich wollen alle dasselbe: das Beste für die Menschen aus der Ukraine.“
Bei der Unterstützung der Geflüchteten aus der Ukraine sind Spontanität, Kreativität, und Flexibilität gefragt, vor allem aber: Engagement. Das zeigt sich tagtäglich in der Koordinierungsstelle der Stadt Oldenburg - und bei vielen anderen Akteuren, sie sich für die Geflüchteten aus der Ukraine einsetzen. Auch die Kulturszene lässt keinen Zweifel, wie wichtig ihr dieses Thema ist. Sie gibt sich nicht damit zufrieden, „nur“ Anteil zu nehmen und Mitgefühl zu zeigen. Sie will aktiv sein, etwas bewegen und bewirken. Und das gilt in diesem Fall: für fast die ganze Stadt.
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