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DAS HEIMLICHE MEGA-EVENT

Als wir vor einigen Monaten erstmals davon hörten, dass das Bundesfinale des Musikwettbewerbs "Jugend musiziert“ in diesem Jahr in Oldenburg stattfindet, hielt sich unsere Aufregung zunächst noch in Grenzen. Einige Musikschüler*innen kommen zum Vorspielen, das kann ja nicht so dramatisch sein. Schnell stellte sich jedoch heraus: Falscher hätten wir gar nicht liegen können.


Zwei Musikschüler:innen gehen eine Treppe zum Bundeswettbewerb hinauf
Hoch hinaus: Der Weg bis zum Bundeswettbewerb ist nicht leicht, aber er lohnt sich in vielerlei Hinsicht (Bild: Markus Kaesler)

Vielleicht lag diese fundamentale Fehleinschätzung am Titel „Jugend musiziert“. Er klingt sehr nach der Zeit, in der dieser Wettbewerb erdacht wurde, nämlich nach den 1960er Jahren. Würde er heute einen Namen bekommen, hätte er vermutlich einen anderen Sound. „Young Sounds - Clash of the Best“ oder etwas in der Art. Man kann diesen Umstand aber auch anders interpretieren: Der Wettbewerb hat es nicht nötig, sich zu verbiegen. Sein Kern ist zeitlos stark - und das schließt den Namen eben mit ein.


Sämtliche Vermutungen, der Wettbewerb könnte verstaubt sein, sind sowieso sofort weggewischt, wenn man sich mit Ulrike Lehmann, der zuständigen Projektleiterin des Deutschen Musikrats, und Holger Denckmann, dem Leiter der Musikschule Oldenburg, unterhält. Beide sprühen vor Begeisterung und Faszination, schwelgen als ehemalige Teilnehmer:innen aber auch in Erinnerungen. Keine Frage: Hier sprechen zwei, die den Wettbewerb sehr genau kennen - und die wissen, welche Wirkung er hat. Nicht nur für die Teilnehmer:innen, sondern auch für die Standorte.



Ungeahnte Ausmaße


Besonders deutlich wird das anhand einer Anekdote, die Holger erzählt. „Ich war damals in Villingen-Schwenningen dabei. Als wir in der Mittagspause was essen gehen wollten, stellten wir fest: Es gab nichts mehr. Sämtliche Restaurants waren ausverkauft, selbst die Fast Food-Ketten!“ Die lokalen Gastronomen hatten schlicht nicht mit dem enormen Andrang durch „Jugend musiziert“ gerechnet. Seitdem werden sie vom Organisationsteam rechtzeitig vorgewarnt, damit die Lager zum Start des Wettbewerbs gut gefüllt sind.


Wo bitte geht's zum Core? „Jugend musiziert“ dominiert. (Bild: Kulturschnack)

Aber wie ist das möglich, fragt ihr euch? Wie können ein paar Musikschüler:innen es schaffen, dass selbst die Systemgastronomie kapituliert? Ganz einfach: Weil es sich eben nicht um „ein paar“ Musikschüler:innen handelt. Insgesamt 2.300 Teilnehmer:innen sind in diesen Tagen in Oldenburg. Mit ihnen kommen in der Regel noch einige Begleitpersonen, so dass insgesamt rund 10.000 Gäste zu erwarten sind. Viele werden auch in Oldenburg übernachten, so dass die Hotelkapazitäten schnell ausgereizt waren.


Zeit für eine weitere Anekdote: „Die Mutter eines Teilnehmers hat vor einigen Wochen bei uns angerufen“, erzählt Ulrike schmunzelnd. „Sie berichtete, dass zum Zeitpunkt des Wettbewerbs in Oldenburg irgendetwas Großes los sein müsse, sie finde nämlich kein Hotelzimmer. Dabei war der Bundeswettbewerb der Grund dafür. Wir sind das ‘Große‘!"



>>> 1.500 WERTUNGSSPIELE

>>> 2.300 TEILNEHMER:INNEN

>>> 10.000 GÄSTE



Letztlich ließ Holger Denckmann seine Kontakte vor Ort spielen, die Stadtverwaltung rief zudem dazu auf, Teilnehmer:innen in Privatunterkünften aufzunehmen, so dass am Ende niemand auf dem Rasen vor dem PFL kampieren musste.


Die Dimensionen werden aber auch anhand der Belegungen deutlich. „Jugend musiziert“ ist in beinahe allen Veranstaltungsräumen der Stadt präsent. "Wir sind eigentlich überall“, lacht Ulrike, „Es gibt kein Entkommen.“ Der Kern befindet sich im Kulturzentrum PFL, das vollständig vom Bundeswettbewerb belegt ist. Daneben werden aber auch Räumlichkeiten im Alten Landtag, dem Oldenburgischen Staatstheater, der Carl von Ossietzky Universität, der Kulturetage, dem Theater Hof/19, den Weser-Ems-Hallen sowie in etlichen Schulen genutzt. Sogar im Co-Working-Space CORE ist „Jugend musiziert“ präsent: Das Orga-Team hat hier sein temporäres Office gebucht und für ordentlich Betriebe gesorgt.



Keine verschlossenen Türen


Wenn hier ständig von einem Wettbewerb die Rede ist, dann ist das zwar völlig korrekt, aber gleichzeitig irreführend. Zwar geht es darum, dass eine Jury die Leistungen der jungen Musiker:innen bewertet. Aber: Das passiert nicht hinter verschlossenen Türen. „Jedes Wertungsspiel ist öffentlich - und das Oldenburger Publikum ist ganz herzlich eingeladen“, erklärt Ulrike.


Nun fragt ihr euch vielleicht: wieso soll ich mir die schiefen Klänge von Jugendlichen anhören? Die Antwort lautet: weil es keine schiefen Klänge geben wird! Beim Finale des Bundeswettbewerbs spielt die Creme de la Creme des deutschen Musiknachwuchses. Alle Teilnehmer:innen haben sich über Regional- und Länderentscheide für Oldenburg qualifiziert und werden hier allerhöchstes Niveau bieten, das von vielen Profis kaum zu unterscheiden ist. Um es einmal auf das Wesentliche zu reduzieren: Hier gibt großartige Musikerlebnisse - und das völlig gratis.

Detailliert: Online und im Programmbuch erfährt man genau, was wann vom wem und womit gespielt wird.

Sämtliche 1.500 Wertungsspiele sind öffentlich und kosten keinen Eintritt. Vielfältiger und günstiger wird es vermutlich nicht mehr, musikalische Exzellenz live zu erleben.


Wer an dieser Stelle noch etwas überfordert von der Frage ist, was wann wo zu sehen ist, muss nicht verzweifeln. Die Website von Jugend musiziert bietet nützliche Übersichten mit praktischen Filter-Möglichkeiten. Du interessierst dich für Oboe, kannst aber nur am Wochenende in der Nähe der Innenstadt? Kein Problem, dann sei am 5. Juni um 12:30 Uhr in der Aula der Graf Anton Günther Schule. Der Rest ist Genuss.


Das gilt auch für das umfangreiche Rahmenprogramm. Man kann nicht nur tagsüber einen minutiös getakteten Musikfahrplan nach persönlichem Geschmack orchestrieren, nein, man kann auch noch Workshops und Konzerte besuchen. Letztere kosten dann zwar Eintritt - aber der ist mit 15,- Euro moderat und bietet einen ausführlicheren Musikgenuss als die vergleichsweise kurzen Häppchen in den Wertungsspielen.

BEGRÜßUNGSKONZERT Trio Noema

Naoka Aoki (Violine), Laura Moinian (Violoncello), Alexander Vorontsov (Klavier) Samstag, 4. Juni, 18 Uhr, Weser-Ems-Hallen

 

MATINEE „AUSGEZEICHNET!“ Drei Ensembles des Deutschen Kammermusikkurses Jugend musiziert und der Wochenenden der Sonderpreise (WESPE) 2021 teilen sich die Bühne mit einem Duo der European Union of Music Competitions for Youth (EMCY). Sonntag, 5. Juni, 11 Uhr, Oldenburgisches Staatstheater

 

PREISTRÄGER:INNEN KONZERT I

Es konzertieren Bundespreisträger*innen des laufenden Wettbewerbs solistisch und im Ensemble Montag, 6. Juni, 20 Uhr, Weser-Ems-Hallen

 

PREISTRÄGER:INNEN KONZERT II

Es konzertieren Bundespreisträger*innen des laufenden Wettbewerbs solistisch und im Ensemble Dienstag, 7. Juni, 20 Uhr, Weser-Ems-Hallen

 

PREISTRÄGER:INNEN KONZERT III

Es konzertieren Bundespreisträger*innen des laufenden Wettbewerbs solistisch und im Ensemble Mittwoch, 8. Juni, 20 Uhr, Weser-Ems-Hallen

 

MATINEE DER SONDERPREISTRÄGER:INNEN Für besondere Leistungen werden im Bundeswettbewerb Förderprämien und Sonderpreise zur Verfügung gestellt. In dieser Matinee begegnen erfolgreiche Teilnehmende am Bundeswettbewerb Jugend musiziert den Stifter*innen. Donnerstag, 9. Juni, 11 Uhr, Kulturzentrum PFL



Endlich wieder live


Nachdem der Wettbewerb 2020 ausfallen musste und 2021 größtenteils online stattfand, sind alle Beteiligten besonders froh, den Bundeswettbewerb endlich wieder so durchführen zu können, wie er gedacht war: persönlich, nahbar, live. Man spürt bei allen Beteiligten eine Mischung aus Erleichterung, Freude und Feuereifer - eine mitreißende Kombination.


„Dass der Bundeswettbewerb hier in Oldenburg stattfindet, ist wirklich was Besonderes“, resümiert Holger. „Für die Teilnehmer:innen bietet er einen Vergleich mit den Besten und die Möglichkeit, sich was abzuschauen und dazuzulernen.“ Und sogar noch mehr: „Auch für die persönliche Entwicklung bringt die Teilnahme enorm viel. Ich hab damals extrem viel mitgenommen - und habe heute noch Kontakte aus der Zeit.“



2020 >>> ABSAGE

2021 >>> ONLINE

2022 >>> OLDENBURG



Ulrike erging es ebenso: „Als ich zum ersten Mal teilgenommen habe, dachte ich noch: an der Blockflöte macht mir niemand was vor. Ich hab dann aber ganz schnell festgestellt, dass andere noch viel besser sind.“ Das habe geholfen, den eigenen Weg zu finden und zu gehen - und der führte sie letztlich zurück zum Wettbewerb.


Typisches Bild in diesen Tagen: Junge Menschen mit Instrumentenkoffern (Bild: dpa)

Aber auch der Standort Oldenburg profitiert von der Durchführung des Bundeswettbewerbs. Acht Tage lang wird die Stadt mit noch mehr Leben gefüllt sein als sonst und förmlich pulsieren vor lauter Musikalität. Junge Menschen mit Instrumentenkoffern werden das Stadtbild prägen - mal voller Aufregung, weil ihr Wertungsspiel ansteht, mal ganz ausgelassen, weil eben jenes erfolgreich absolviert ist. So oder so wird es eine besondere Stimmung sein, in die man am besten eintaucht, indem man möglichst viele der Wertungsspiele und Konzerte besucht.


Mittendrin im Ausnahmezustand


Seit fast sechzig Jahren gibt es den Bundeswettbewerb. Und, ja, der Titel „Jugend musiziert“ kann nicht verbergen, dass er aus einer anderen Zeit stammt. Aber warum sollte er? So lange die Inhalte so viel Substanz haben, der Wettbewerb weiterhin Qualitätsmaßstäbe setzt und die Organisation mit so viel Herzblut durchgeführt wird, kann alles bleiben, wie es ist. Zumal alles andere sowieso auf der Höhe der Zeit ist. Deswegen sollten die Oldenburger:innen die Gelegenheit nutzen und den jungen Musiker:innen so oft wie möglich zuhören . Wenn die Stadt schon im Ausnahmezustand ist, dann gibt es nur einen sinnvollen Ort, an dem man sich befinden sollte: Mittendrin.



 


Wenn ihr (noch) mehr über den Bundeswettbewerb, seine Hintergründe, die Geschichte(n) von Ulrike und Holger oder das ganze Drumherum wissen wollt, dann hört unbedingt unseren Podcast zu diesem Thema an. Dort sorgen wir für lückenlose Aufklärung.



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