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VOM WERDEN DER KUNST

  • kulturschnack
  • 2. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Der kreative Prozess. Das ist die stetige Auseinandersetzung mit einer Vielzahl an Fragestellungen und der Suche nach Antworten auf diese. Wann ist ein Werk wirklich beendet? Welche Abzweigung nehmen Künstlerinnen und Künstler auf dem Weg der Entstehung? Eine Ausstellung ist somit letztlich meist die Bündelung all dieser Antworten, versammelt an einem Ort. Hinterfragen tun wir dies meist nicht. Mit seiner aktuellen, thematischen Sammelausstellung "Notes on Becoming" dreht der Oldenburger Kunstverein nun jedoch den Spieß um!


Credit: Anna Vogel, Ignifer XIII, 2020, Pigment Print, 30 x 42 cm, Auflage 3/5 + 2 AP, Courtesy the artist & Sammlung Stadler.
Credit: Anna Vogel, Ignifer XIII, 2020, Pigment Print, 30 x 42 cm, Auflage 3/5 + 2 AP, Courtesy the artist & Sammlung Stadler.

NOTES ON BECOMING


NOCH BIS 09. NOVEMBER '25


OLDENBURGER KUNSTVEREIN DI. - FR. 14:00 - 18:00 UHR

SA., SO., FEIERTAGE 11:00 - 18:00 UHR WEITERE INFORMATIONEN UNTER: WWW.OLDENBURGER-KUNSTVEREIN.DE


Das verstehe man bitte nicht falsch. Niemanden erwarten dort bei einem Besuch unvollendete Arbeiten, ganz im Gegenteil. Durch die umfangreiche Unterstützung der Münchner Sammlung Stadler war es dem Kunstverein diesmal jedoch möglich, eine thematische Ausstellung zu kuratieren, die eine Vielzahl an künstlerischen Positionen (15 insgesamt!) gegenüberstellt und hierdurch unterschiedliche Ebenen der Entstehung von Kunst offensichtlich werden lässt. Denn für gewöhnlich bleibt uns - so meint man zumindest - nur die letzte, die finale Schicht eines Kunstwerkes vorbehalten während all die Skizzen, Versuche und Entwürfe eine Existenz im Verborgenen fristen. Wer jedoch genauer hinsieht, der wird letztlich, gerade auch durch die Gegenüberstellung, die Spuren entdecken, die der Akt der Entstehung auf den Arbeiten hinterlassen hat.


Für den Oldenburger Kunstverein kristallisierten sich dabei drei konkrete Ansätze heraus, unter denen die Arbeiten eingruppiert wurden. Wie der Verein jedoch selbst festhält, sei diese Einteilung weder als starre Ordnung zu verstehen, noch als zwingender Versuch einer Systematisierung, sondern eine Einladung zum Sehen und den Blick nicht nur auf das fertige Objekt, sondern auf das zu richten, was ihm vorausgehe - das Denken, Formen, Zweifeln, Verwerfen und Beginnen.



Prozess als Konzept


Credit: Karin Sander, Mailed Painting 61. Berlin – New York – München – Siegen – Berlin – Köln – München - Berlin - Wien - Berlin - Köln - München, 2007, Baumwollgewebe auf Keilrahmen in Standardgröße, weiße Universalgrundierung, 50 x 60 cm, Courtesy the artist & Sammlung Stadler. Foto: Studio Karin Sander © VG Bild-Kunst, 2025.
Credit: Karin Sander, Mailed Painting 61. Berlin – New York – München – Siegen – Berlin – Köln – München - Berlin - Wien - Berlin - Köln - München, 2007, Baumwollgewebe auf Keilrahmen in Standardgröße, weiße Universalgrundierung, 50 x 60 cm, Courtesy the artist & Sammlung Stadler. Foto: Studio Karin Sander © VG Bild-Kunst, 2025.

Da wäre die Serie "Mailed Paintings" von Karin Sander, in welchen der Prozess als solcher unumgänglicher Bestandteil der letztlichen Arbeit ist. Alles beginnt mit dem Rohling einer blanken Leinwand, der sich auf einen Weg durch die Hände verschiedenster Transportunternehmen, Zustellerinnen und Zusteller begibt und dabei immer und immer wieder durch Städte und Länder reist und dabei tausende an Kilometers zurücklegt. Was am Ende dieser Reisen steht, lässt sich dann ganz wunderbar an den Leinwänden förmlich als Geschichte ablesen, anhand von Versand- und Hinweisaufklebern, Schmutz, Kratzern und zusätzlichen Verpackungen. Vom Malutensil über das Frachtgut unterlaufen ihre Werke eine Transformation hin zum finalen Zustand eines Kunstwerkes.


Mit diesem Vorgehen wirft die Künstlerin gezielt und vor allem gekonnt die Frage danach auf, wer oder was eigentlich eine Leinwand aus dem Kunstbedarfshandel zu einem Kunstwerk höchster Güte werden lässt. Ist es die Idee der Künstlerin? Sind es die Hände all der Menschen, die über den Sendeweg hinweg Kontakt mit der Leinwand hatten und sind sie in letzter Konsequenz nicht dann auch vielleicht mindestens an der Urheberschaft des künstlerischen Werkes mitbeteiligt? Was wäre passiert, wenn die Sendungen verloren gegangen wären? Wäre es eine Leinwand oder ein Kunstwerk gewesen, das sein Ziel nicht mehr erreicht hätte? Fest steht, die Arbeiten Karin Sanders provozieren und regen zur intensiven Diskussion an. Und ist es nicht gerade das, worum es geht, wenn wir uns schon die Zeit nehmen, eine Ausstellung zu besuchen? Statt gelangweilt von einer Arbeit zur nächsten zu schreiten, berühren Sanders Arbeiten etwas tief in uns und sei es auch nur das Gefühl von Empörung.



Prozess als Materialität


Credit: Installationsansicht, Philipp Modersohn, links: Decor Dance (yellow), 2020, rechts: Decor Dance (red), 2020. Courtesy the artist & Guido W. Baudach. Oldenburger Kunstverein, Notes on Becoming, 29.08. bis 09.11.2025. Foto: Roman März.
Credit: Installationsansicht, Philipp Modersohn, links: Decor Dance (yellow), 2020, rechts: Decor Dance (red), 2020. Courtesy the artist & Guido W. Baudach. Oldenburger Kunstverein, Notes on Becoming, 29.08. bis 09.11.2025. Foto: Roman März.

Glas umgibt uns. Wir blicken durch die Fenster der Räume in denen wir uns befinden, um den Bezug zu unserer Außenwelt nicht zu verlieren. Blicken durch das Glas in unseren Brillengestellen, um die Welt wieder so wahrnehmen zu können wie sie ist. Oder wir werfen einen Blick in den Spiegel, checken unser Outfit, um im nächsten Moment über die Glas-Displays unserer Smartphone zu tickern. Und trotzdem: wer die zwei Arbeiten mit dem Titel "Decor Dance" von Philipp Modersohn entdeckt, würde auf den ersten Blick wohl kaum vermuten, dass der Ursprung der Stücke in eben diesem Material liegt.


Noch viel weniger führt man sich wahrscheinlich im Alltag vor Augen, dass der Weg, um Glas zu erhalten, über Sand führt. Einem Material, das man nun wirklich gar nicht mit Transparenz in Verbindung bringt und sich doch, wie durch Zauberhand, bei enormer Hitze von ca. 1600 Grad Celsius in eine amorphe, flüssig anmutende Substanz verwandelt, ihre Atome neu anordnet und langsam die Gestalt von Glas annimmt, wie wir sie kennen. Modersohn verkehrt diesen Prozess mit seinen Werken nun jedoch wieder ins Gegenteil, wenn er Spiegel einem unkontrollierten Schmelzvorgang aussetzt und dabei mit Steinen verschmilzt. Auch hier steht bei dem Wissen um die Entstehung der Arbeiten unweigerlich die Frage im Raum, inwiefern der Künstler überhaupt in den Prozess der Umwandlung des Materials, das die Kunstwerke entstehen lässt, involviert ist.


Entscheidend ist vermutlich wohl eher die völlig bewusste Handlung, sich sehenden Auges der persönlichen Kontrolle zu entziehen. Vor allem bei einem Gegenstand wie dem Spiegel, mit dessen Hilfe wir uns und unseren Zustand für gewöhnlich in steter Regelmäßigkeit kontrollieren. Die Aufmerksamkeit gehört nun nicht mehr der Reflexion, die der Spiegel ermöglichte, sondern wieder ganz dem Objekt selbst. Weg von einer Fokussierung auf das Ich.



Prozess als Narration


Credit: Jürgen Krause, Bleistifte 3601-3636, 2015, Graphit, Zedernholz, je 17,5 x 0,7 x 0,7 cm. Courtesy the artist & Sammlung Stadler. Foto: Wolfgang Günzel.
Credit: Jürgen Krause, Bleistifte 3601-3636, 2015, Graphit, Zedernholz, je 17,5 x 0,7 x 0,7 cm. Courtesy the artist & Sammlung Stadler. Foto: Wolfgang Günzel.

Muss ein künstlerisches Werk oder sein Wert immer zwangsläufig in dem Objekt verborgen liegen, das sich vor uns als Betrachtenden präsentiert? Kann nicht viel mehr auch die Erzählung oder die Handlung hin zu dem am Ende vor uns liegenden Gegenstand zum eigentlichen Kunstwerk werden und somit als die physische Repräsentation dessen dienen? Dieser Eindruck drängt sich zumindest bei der Arbeit "Bleistifte" von Jürgen Krause auf. Was man im ersten Moment und aus der Distanz in den Ausstellungsräumen des Kunstvereins als eine Art Harfe oder Xylophon verwechseln könnte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als eine präzise Anordnung einer besonderen Art von Bleistiften. Während für gewöhnlich das Holz die Mine umhüllt und nur ein kleines Stück dieser freiliegt, wurde in diesem Fall in präzisester Detailarbeit von Krause das Holz mühevoll bis auf einen winzigen Stumpft abgeschabt. Als sei das Konzept des Bleistifts auf den Kopf gestellt worden. Was vorher ein verlässliches und nützliches Utensil für Zeichnung und Notizen war, ist nun vor allem von Unhandlichkeit und Fragilität geprägt.


Während die Stifte vielleicht ihrer Stabilität beraubt wurden, mag man sich kaum das unglaubliche Durchhaltevermögen ebenso wie die unzähligen Stunden ausmalen, die es benötigte all diese Stifte, auf exakt die gleiche Art und Weise zu bearbeiten. Mit dem Wissen um die Entstehung seiner Arbeiten, ist es nicht das Ergebnis sondern der Weg und das Handeln selbst, den Krause zum Kunstobjekt erklärt. Die meditative Geduld und Präzision bildet dabei letztlich auch einen ungemeinen Kontrast und lässt sich als klares Statement zu einer Welt wie der unseren verstehen, die von einer steten Reizüberflutung, dem Gefühl immer etwas verpassen zu können und immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen geprägt ist.



Der Reiz, eine Ausstellung zu besuchen, liegt also - das wird in "Notes on Becoming" mehr als deutlich - nicht bloß darin, das Ausgestellte zu betrachten, sondern sich ebenso mit seiner Entstehung zu befassen, sie zu hinterfragen und sich ganz persönlich, eigene Gedanken zu machen, inwiefern sich die eigenen Gefühle des Gesehenen gegenüber in den möglichen Intentionen der Künstlerinnen und Künstler in Einklang bringen lassen oder auch eben nicht. Probiert es aus!

 
 
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