PINK POWER!
- kulturschnack
- vor 7 Tagen
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Aktualisiert: vor 6 Tagen
Marianna Martens ist kaum zu bremsen. Als Teil des Permanent Aktiv Kollektivs hat sie in ihrer Heimatstadt Oldenburg einige spektakuläre Veranstaltungen auf die Beine gestellt - wie die Sound- und Lichtinstallation „Lichtung“ oder das „Metropoly Klubfestival“. Ihr Studium verschlug sie zwar nach Leipzig, doch nun besucht sie ihre Heimatstadt - mit einem selbstproduzierten Kinofilm im Gepäck! Wie er entstand, was ihn auszeichnet und warum die Premiere nicht nur in der Berliner Kulturbrauerei, sondern auch im Oldenburger Casablanca gefeiert wird? Das lest ihr hier!

Es gibt Filme, die rauschen einfach so an einem vorbei. Sie sind bunt und laut, manchmal auch anrührend und bewegend, aber in erster Linie sind es fiktive Geschichten, die uns gut unterhalten, anschließend aber auch schnell wieder vergessen sind. All diese Filme haben ihre Existenzberechtigung und sind tief und fest in unserer Feierabend- und Freizeitkultur verankert.
Es gibt aber auch andere. Und zwar jene, die nicht in fernen Universen spielen oder die eine sorgfältig choreographierte Storyline inklusive dramatischem Höhe- und Wendepunkt samt Happy End haben. Sie entspringen nämlich nicht der Fantasie von Autor:innen oder einer KI, sondern dem krassesten Element, das man in einen Film integrieren könnte: Der Realität. Und mit dieser haben wir es bei „Pink Power“ zu tun - einem Film über Zusammenhalt, Zuversicht und Lebensmut. Worum es genau geht, was den Film wichtig macht und warum man ihn unbedingt sehen sollte? Das haben wir uns auch gefragt - und deshalb kurzerhand die Produzentin und gebürtige Oldenburgerin Marianna Martens angerufen. Unser Telefonat wurden zu einem aufschlussreichen Blick hinter die Kulissen des unabhängigen Filmemachens.
PINK POWER
EIN FILM VON CHIARA KEMPERS UND MARIANNA MARTENS
PREMIERE MIT DEM FILMTEAM:
30.09.2005, 19.30 UHR TICKETS
CASABLANCA KINO
26121 OLDENBURG
Kontaktpunkt Küstenkanal
Alles begann auf einer Brücke. Genauer gesagt: Auf der Behelfsbrücke über den Küstenkanal, die seit fünf Jahren den Stadtteil Osternburg mit der Oldenburger Innenstadt verbindet. Dort traf Marianna Martens im Frühjahr 2021 die Mutter eines ehemaligen Mitbewohners - und die erzählte ihr eine Geschichte, die lange nachhallen sollte. Sie handelte vom Wilhelmshavener Drachenboot-Team der „Küsten Pinkies“, das ausschließlich aus Frauen besteht, die an Brustkrebs erkrankt sind oder noch unter den Folgen dieser Erkrankung leiden. (Mehr zu dieser therapeutischen Form des Rudersports lest ihr im Kasten weiter unten.)

Das Team hatte sich gerade für die 13. Drachenboot-WM in Sarasota, Florida qualifiziert. an der es aus finanziellen Gründen allerdings nicht teilnehmen konnte. „Mein erster Gedanke war: Wie krass ist das denn?“, erinnert sich Marianna. „Von Anfang an haben mich die Energie und der Ehrgeiz der Frauen beeindruckt – aber auch ihr Humor. Wie sie über ihre Krankheit scherzten, wie sie es geschafft hatten, sich aus dem tiefen Loch der Diagnose herauszukämpfen und zur gleichen Zeit Mütter, Ehefrauen und starke Persönlichkeiten zu sein.“
Schnell entstand der Wunsch, die Geschichte der „Küsten Pinkies“ mit einem Dokumentarfilm zu erzählen. Zumal der Zeitpunkt günstig war, denn bei der kommenden Europameisterschaft im italienischen Ravenna wollte das Team unbedingt dabei sein. Was Marianna zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Die intuitive Begeisterung sollte sie von diesem Zeitpunkt an über vier Jahre begleiten - und über einige Tiefen tragen.
Odyssee mit Happy End
Für die Regie konnte Marianna zwar schnell Chiara Kempers begeistern, die hauptberuflich für das „Aspekte“-Team des ZDF arbeitet. Deutlich komplizierter verliefen aber die Gespräche mit potenziellen Geldgeber:innen: „Das war die reinste Odyssee“, blickt Marianna heute zurück auf eine Zeit voller Rückschläge. Die beiden seien mit dem Stoff anderthalb Jahre durch unzählige Redaktionen Deutschlands getingelt, doch keine habe das Projekt mit ihnen realisieren wollen. „An vielen Stellen hätte das Thema ideal gepasst. Aber wir waren zwei junge Filmemacherinnen, beide gerade 26 Jahre alt. Offenbar hat man uns das nicht zugetraut“, kommentiert Marianna. Ans Aufgeben dachten die beiden trotzdem nicht:
„Wenn man sich von einer Absage entmutigen lässt, kann man keine Filme machen. Man muss einen extrem langen Atem haben und manchmal mit dem Kopf durch die Wand wollen, sonst wird das nichts. Diese Denkweise zieht sich durch die gesamte Filmbranche.“
Irgendwann jedoch drohte die Zeit knapp zu werden, weil jene Drachenboot-Europameisterschaft anstand, die den Kern der Erzählung bilden sollte. „Wir hatten Angst, dass uns die Geschichte davonpaddelt“, kann die Filmemacherin heute zumindest etwas über diese schwierige Phase schmunzeln. Deutlich zu spüren ist dabei aber auch der Frust darüber, dass kaum eine Redaktion bereit war, ins Risiko zu gehen. Ein generelles Problem in der Filmindustrie, findet die junge Filmemacherin:
„Ein Sequel hiervon, ein Prequel davon und dann noch ein Remake. Das ist nichts Neues und das ist auch nichts, was eine Gesellschaft bewegt. Man muss sich auch mal mit originalen Geschichten auseinandersetzen, damit man im Kopf weiterkommt.“
Für „Pink Power“ sollte sich das Blatt aber schließlich im Frühjahr 2023 wenden: Nach dem Einstieg der Produktionsfirma Junifilm aus Hannover konnte auch die nordmedia für eine Förderung gewonnen werden. Ab diesem Moment war auch klar, dass der Film letztlich nicht im TV, sondern in den Kinos anlaufen würde. Durchaus ein zweischneidiges Schwert, wie Marianna einordnet. „Kino bedeutet mehr Aufwand und mehr Kosten, bietet aber natürlich das ultimative Seherlebnis.“ Doch das Risiko sollte sich lohnen: „Wir haben mit imFilm einen tollen Verleih gefunden und starten nun am 2. Oktober 2025 in 25 deutschen Kinos. Für einen Debüt-Dokumentarfilm ist das eine starke Zahl.“ Nebenbei hat sich die 29-Jährige damit einen Traum erfüllt: Nämlich ihren ersten Langfilm fertigzustellen, bevor sie noch in diesem Jahr 30 Jahre alt wird. Wir gratulieren!
PROPHYLAXE UND THERAPIE
PINK PADDLING
Eine Krebsdiagnose erschüttert die Leben der Betroffenen in ihren Grundfesten. Ed ist schwer, diesen Tiefschlag zu vaerbeiten und neuen Lebensmut zu fassen. Umso wichtiger sind Hilfsangebote, die nachweislich wirken.
![]() Zu ihnen gehört das Pink Paddling. Es geht zurück auf den kanadischen Sportmediziner Dr. Don Mckenzie, der nachweisen konnte, dass Frauen nach einer Brustkrebs-Erkrankung mit dem Paddling mobil bleiben und dabei Lymphabflusswege, Muskulatur und vor allem ihre Seele trainieren, denn das gemeinsame Training bringt Lebensfreude und macht Spaß.
Körperliche Veränderungen, wie zum Beispiel schmerzhafte Schonhaltung nach Operation oder Konditionsverlust, können durch gezieltes Training verbessert werden. In der Nachsorge einer Brustkrebs-Erkrankung kann Sport in den allermeisten Fällen bei der Genesung helfen. Es geht dabei immer um die maßvolle Bewegung, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.
Neben der therapeutischen Wirkung gibt es auch eine prophylaktische: Regelmäßige körperliche Aktivität kann das persönliche Risiko, an bestimmten Krebsarten wie Brustkrebs zu erkranken, deutlich reduzieren.
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Wichtiges Thema zur richtigen Zeit
Insgesamt viereinhalb Jahre liegen zwischen jener Begegnung auf der Behelfsbrücke über den Küstenkanal und dem bundesweiten Kinostart am 2. Oktober 2025. Allein zwei Jahre hat das kleine Team um Marianna und Chiara konkret am Film gearbeitet, also gedreht, geschnitten und postproduziert. Das Ergebnis hilft nun aber nicht nur die beiden Filmemacherinnen, sondern auch - bzw. vor allem - dem Thema Brustkrebs. „Wir haben in Deutschland jedes Jahr rund 75.000 neue Erkrankungen. 18.000 Frauen versterben daran“, weiß Marianna. Krebs sei eine Gesellschaftskrankheit, von der unzählige Menschen mittelbar oder unmittelbar betroffen seien. Daran ändere der Film zwar nichts, er wirke jedoch auf einer anderen Ebene: „Es ist ein Film, der Mut macht“, findet die Produzentin. Nach einer Krebsdiagnose werde den Betroffenen zwar erst einmal der Boden unter den Füßen weggezogen, aber:
„Es gibt aber auch ein Leben nach der Diagnose. Das ist natürlich grundlegend verändert. Aber es muss nicht nur zum Schlechten sein, es kann auch etwas Posiitives entstehen. Dafür steht der Film.“

Wer sich entscheidet, „Pink Power“ im Kino zu sehen, wird ein besonderes Erlebnis haben. Zum einen visueller Art, denn „Pink Power“ bietet wunderschöne Aufnahmen unserer norddeutschen Heimat. Zum anderen ist es aber die Erzählung, die gleichzeitig interessant, lehrreich, spannend, bewegend und motivierend ist. „Es ist schön zu sehen, dass die Menschen nach einem Screening in Gespräche miteinander kommen“, nennt Marianna eine Qualität von „Pink Power“. „Im Film geht es darum, dass man gemeinsam stärker ist und ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft genau jetzt diese Inhalte braucht.“ Dieser feste Glaube an das gemeinschaftliche Handeln sei es gewesen, der sie neben dem persönlichen Interesse auch politisch motiviert habe, an diesem großen Filmprojekt festzuhalten.
Verdientes Lob für harte Arbeit
Mit dem Ergebnis ist die durchaus selbstkritische Produzentin mehr als zufrieden: „Das Gesamtprodukt ist zehnmal besser geworden, als ich mir das hätte vorstellen können. Ich bin vom ganzen Team wirklich sehr begeistert. Alle haben alles gegeben - und das sieht man auch.“ Mit der Kamera seien sie oft sehr nah an die Protagonistinnen herangekommen. Es habe viele intime Momente gegeben, immer wieder sei aber auch der wunderbar trockene norddeutsche Humor aufgeblitzt.
„Ich hab den Film über hundert Mal gesehen. Trotzdem gibt immer noch Momente, in denen ich gespannt bin, die mich berühren oder in denen ich eine Träne verdrücke. Das schafft der Film selbst nach so vielen Wiederholungen und das beeindruckt mich. Ich bin extrem stolz auf unsere Leistung, weil ich nie gedacht habe, dass wir es soweit bringen.“

Tatsächlich erzeugt „Pink Power“ bereits im Vorfeld des Kinostarts ein hohes mediales Interesse: Die beiden Protagonistinnen Jasmin und Konni haben dem Glow Magazin und FÜR SIE große Interviews gegeben und sind am 24. Oktober zu Gast in der NDR Talk Show. Auf den Bildschirmen in den Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe leuchtet das Filmplakat auf, immer mehr Redaktionen werden auf das Paddling und das Filmprojekt aufmerksam.
Geradezu logisch erscheint in Anbetracht dieser Entwicklungen der nächste Schritt: „Wir haben 'Pink Power' für den deutschen Filmpreis eingereicht“, verkündet Marianna, schätzt ihre Chancen aber realistisch ein: „Das war eine Art Napoleon-Komplex: Wir haben groß gedacht und schauen jetzt einfach mal, was passiert.“ Wobei etwaige Hoffnungen auch nicht völlig unberechtigt sind. Gerade erst wurde „Pink Power“ nämlich auf dem Stavanger International Film Festival als beste Dokumentation und für die beste Filmmusik (von Robin Albering) ausgezeichnet. Und das ist längst nicht alles, wie Marianna ergänzt: „Wir sind auch auf das Kolkata International Film Festival nach Indien eingeladen worden, das ist eines der größten Filmfestivals der Welt. Außerdem wurden wir fürs Toronto International Women Film Festival nominiert.“ Die Küstenpinkies mögen es einst nicht nach Sarasota, Florida geschafft haben, auf der Leinewand erobern sie nun aber die ganze Welt.

Auch ein Heimatfilm
Für all jene, die im Nordwesten zuhause sind, bietet der Film neben seinen inhaltlichen Botschaften und dem sehr gelungenen Spannungsbogen nämlich noch eine weitere Qualität, wie Marianna verrät:
„Für mich ist 'Pink Power' ein absoluter Heimat-Film. Wir fahren durch meine Region, wir sind an der Nordseeküste, wir schnacken einen norddeutschen Schnack. Ich fühle mich einfach zuhause, wenn ich den Film sehe. Und das ist eine Sache, von der ich nicht gedacht hätte, dass sie so intensiv sein kann.“
Zu den positiven Eigenschaften ihrer Heimat gehört für die 29-Jährige auch der Mach|Werk-Fonds für innovative Kulturprojekte, von dem auch „Pink Power“ gefördert wurde. Vom Volumen her macht der Zuschuss zwar nur drei Prozent des Budgets aus, das Signal war jedoch umso wichtiger: „Dass man aus seiner Heimatstadt den Rückenwind bekommt, den man irgendwo anders nicht bekommen würde, war ein ganz starkes Zeichen - vor allen Dingen nach den ganzen Niederlagen, die wir mit dem Stoff hatten. Dann war da plötzlich dieses Vertrauen aus Oldenburg: Das ist ein gutes Projekt, ihr macht das schon. Das war eine ganz wichtige Bestätigung.“
Sympathische Randnotiz: Mit Finn Fredeweß hat ein Oldenburger das Color Grading (also die Farbkorrektur) für den Film übernommen und dazu beigetragen, dass er so hervorragend aussieht.

Pink Power für alle
Keine Frage: Marianna Martens ist nach wie vor „permanent aktiv“ - und „Pink Power“ ist ein überaus sehenswertes Ergebnis ihres stetigen Schaffensdrangs. Die wundervolle Dokumentation widmet sich einem wichtigen gesellschaftlichen Thema, das trotz seiner Verbreitung und Bedeutung viel zu wenig besprochen wird; schon gar nicht auf eine zugängliche, sogar unterhaltsame und humorvolle Art. Dem Film gelingt es, starke Persönlichkeiten vor die Kamera zu holen, die man gerne begleitet und die einem ans Herz wachsen. An ihrer Seite erlebt das Publikum, wie sich Wege aus einem persönlichen Tief finden lassen, wie Aktivität und Gemeinschaft neue Perspektiven erzeugen. Das ist inspirierend und lässt sich gut übertragen auf das eigene Leben. Denn selbst wenn man bisher von erschütternden Diagnosen verschont geblieben sein sollte, versuchen viele von uns doch auch, neue Wege zu finden und/oder sich selbst wiederzuentdecken. Unter erschwerten Bedingungen machen die „Küsten Pinkies“ vor, wie so etwas gelingen kann.
Allen, die nicht nur den bunten und lauten Geschichten von Hollywoods Drehbuchautor:innen etwas abgewinnen können, sondern sich gerne auch mit der Realität auseinandersetzen, sei diese Dokumentation wärmstens ans Herz gelegt. Besser kann man etwa 70 Minuten gar nicht verbringen. Zumal über den Filmgenuss hinaus ein großer Mehrwert entstehen könnte: Wenn wir alle uns etwas von der Pink Power abschauen würden, dann wäre das für uns sowohl individuell als auch gesellschaftlich ein großer Gewinn. Also: Let's go pinkl!!