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STAATSAKT #1: FREISCHÜTZ

Das Oldenburgische Staatstheater ist das Flaggschiff der Oldenburger Kulturlandschaft. Sein Output allein würde unsere Stadt schon zu einer Theatermetropole machen. Um halbwegs den Überblick zu behalten, gibt es nun den Kulturschnack Staatsakt. Hier treffen wir uns mit den Akteur:innen und sprechen mit ihnen über Premieren, Projekte, Persönliches. Das ist Theater - im Rampenlicht und hinter den Kulissen!


Die Säulen des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg, Schauplatz des Kulturschnack Staatsakt
Große Sache: Das Staatstheater ist das wichtigste Haus am Standort. Der Kulturschnack ist jetzt noch regelmäßiger zu Gast. (Bild: Stephan Walzl)

Oldenburg 1921. Das Publikum fiebert der Eröffnung der neuen Opernsparte des Oldenburgischen Landestheaters entgegen. Auf dem Spielplan steht: Carl Maria von Webers „Der Freyschütz“, der genau einhundert Jahre zuvor im Königlichen Schauspielhaus Berlin uraufgeführt wurde. Altmodisch ist der Stoff allerdings nicht: Die Oper über die Verlockungen des Bösen fesselte das Publikum nach wie vor - inhaltlich und musikalisch.


Oldenburg 2024. Das Publikum fiebert der Eröffnungspremiere des neuen Intendanten Georg Heckel am Oldenburgischen Staatstheater entgegen. Auf dem Spielplan steht: Carl Maria von Webers „Freischütz“ in einer Neufassung von Elena Kats-Chernin. Erscheint der Stoff inzwischen doch altmodisch? Oder fesselt er das Publikum noch immer? Darüber haben wir uns in der ersten Folge des KULTURSCHNACK STAATSAKT mit dem Generalintendanten selbst unterhalten. Warum ausgerechnet dieses Stück ausgewählt wurde und warum ihr es nicht verpassen solltet? Das erfahrt ihr hier.


 

OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER


FREISCHÜTZ

EIN TANZ MIT DEM BÖSEN


SA 14. SEPTEMBER 19.30 UHR, MI 18. SEPTEMBER 19.30 UHR, FR 27. SEPTEMBER 19.30 UHR, DI 1. OKTOBER 19.30 UHR, DO 3. OKTOBER 18 UHR, SO 6. OKTOBER 15 UHR, SO 20. OKTOBER 18 UHR, FR 8. NOVEMBER 19.30 UHR, SO 10. NOVEMBER 18 UHR, FR 22. NOVEMBER 19.30 UHR, SA 4. JANUAR 19.30 UHR, SO 5. JANUAR 18 UHR, SO 12. JANUAR 19.30 UHR, FR 17. JANUAR 19,30 UHR, SA 18. JANUAR 19.30 UHR



GROßES HAUS

26122 OLDENBURG


 


E R S T E R S T A A T S A K T


E R S T E R A U F T R I T T


Eine Theaterbar zur Mittagszeit, in spätsommerliches Sonnenlicht getaucht. Zwei Kultur-Redakteure warten auf ihren Gesprächspartner, verschiedene Kameras sind auf Stative montiert, ein Stuhl steht für den Protagonisten bereit.


Georg Heckel, Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg
Auskunftsfreudig: Georg ist ein Vollblut-Theatermann, der gerne und mitreißend von seiner Passion erzählt. (Bild: Kulturschnack)

GEORG (vom rechten Bühnenrand auftretend, in Eile): Da seid ihr ja schon! Habt ihr schon alles aufgebaut? Dann können wir ja gleich loslegen!


KEVIN Wir sind ready!


THORSTEN Von uns aus jederzeit.



Georg setzt sich auf den Stuhl und wird mikrofoniert. An den Kameras werden die Aufnahmen gestartet. Das Gespräch beginnt.



THORSTEN Georg, deine erste Spielzeit in Oldenburg hat gerade begonnen. Bist du schon ein bisschen warm geworden mit der Stadt?


GEORG (begeistert) Total! Ich hab das Gefühl, ich wäre schon ewig hier!


THORSTEN Wow! Das sind ja beste Voraussetzungen für die erste große Premiere: „Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Für alle, die den Stoff nicht kennen: Kannst du kurz erklären, worum es geht?


GEORG Ich sage gleich: Es ist nicht nur der „Freischütz“. Es gibt Ergänzungen der usbekisch-australischen Komponistin Elena Kats-Chernin und der Dramaturgin Susanne Felicitas Wolf, die wir in Oldenburg als Uraufführung zeigen. Es geht in dieser Neufassung um die Frage: Wie ist eigentlich das Böse in die Welt gekommen? Wie entsteht das Böse in uns? Und wie gehen wir mit dem Bösen um? Zur Story: Es ist ein großer Tag für den jungen Jäger Max, der nicht nur eine Erbförsterei versprochen bekommt, sondern auch noch die Tochter des Erbförsters dazu, die er auch liebt. Dafür muss er sich jedoch als würdig erweisen. Er glaubt, mit den teuflischen Kräften seines Freundes Caspar ans Ziel kommen zu können - und scheitert am Ende doch.


Die eigentliche Message ist aber das, was durch die Bearbeitung von Kats-Chernin verstärkt und überhaupt erst herauskristallisiert wird: die Frage, wieviel Böses in uns allen schlummert und welche Seelenfarben wir in uns nähren.

Szene aus “Freischütz“ in der Fassung von Kats-Chernin am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Große Themen und Gefühle: Dem andorranischen Regisseur Joan Anton Rechi gelingt eine mitreißende Inszenierung des „Freischütz“. (Bild: Stephan Walzl)


THORSTEN Warum habt ihr genau dieses Stück ausgewählt?


GEORG Das war eine ganz frühe Idee. Als ich erfuhr, dass die Opernsparte in diesem Theater mit dem „Freischütz“ gegründet wurde, dachte ich mir: Es wäre eine schöne Geste diesem Theater und dieser Stadt gegenüber, mit unserem Neustart eben diese Gründung in Erinnerung zu bringen. Damit verweist man zwar auf die Vergangenheit, durch die Bearbeitung öffnet man den Blick aber gleichzeitig für die Zukunft.


Ich fand es als als Kristallisationspunkt sehr passend, einerseits auf die Geschichte zurückzugreifen, sie andererseits aber auch gleich fortzuschreiben.

THORSTEN Was ist für dich der tollste Ansatz eurer Inszenierung? Worauf oder worüber freust du dich immer wieder?


GEORG Darauf, dass ich immer etwas Neues entdecke! Wenn ich in die Probe gehe, gibt es immer wieder Neuerungen, die das Ergebnis weiter perfektionieren. Die Möglichkeit, immer wieder entdecken zu dürfen, ist ein sehr schöner Aspekt am Theatermachen überhaupt.


STARKES THEATERPROGRAMM DIE GROßE VIELFALT Mit dem KULTURSCNACK STAATSAKT starten wir ein regelmäßiges Interview-Format mit dem Oldenburgischen Staatstheater. Ihr fragt euch, warum wir das tun? Nun: Dafür gibt es genau 164 Gründe.

Das Spielzeit-Heft des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg

Das ist nämlich die Zahl der Seiten des aktuellen Spielzeitheftes des Oldenburgischen Staatstheaters. Es ist prall gefüllt mit dem äußerst facetten- und variantenreichen Programm der insgesamt sieben Sparten. So gibt es in der kommenden Spielzeit 4 Uraufführungen und 32 Premieren, dazu 7 Wiederaufnahmen und unzählige weitere Attraktionen. Und selbst das ist noch nicht alles. Zwischen und außerhalb von Oper, Schauspiel oder Konzert finden viele weitere Projekte statt. Das Staatstheater schreibt weiter an seiner eigenen Geschichte - und damit auch jener der Stadt. Angesichts dieser Opulenz haben wir uns dazu entschieden, dem Staatstheater regeläßig einen Besuch abzustatten. Gemeinsam suchen wir nach spannenden Gästen, Themen und Geschichten für den KULTURSCHNACK STAATSAKT. Was ihr davon habt? Einen spannenden Einblick in die Theaterwelt und mehr Informationen darüber, was die Menschen dort bewegt.



THORSTEN Die Uraufführung vom Freischütz fand bereits 1821 statt, die Handlung ist angesiedelt zur Zeit des 30-jährigen Krieges, also in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Warum ist das für uns noch interessant und relevant?


GEORG: Musikalisch ist der „Freischütz“ ein Repertoireklassiker und ein großartiges musikalisches Werk, das sich auch als Ensemblestück gut anbietet. Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, was den Stoff heute noch spielbar macht. Und da haben wir gesagt: Wir konzentrieren uns auf die erwähnten Ergänzungen. Das heißt: Wir beziehen uns auf die Figur des Samiel, die als verspielt-verführerische Schauspielfigur angelegt ist, die aber auch musikalische Sequenzen hat. Das hat uns die Möglichkeit eröffnet, ihn in das Stück hineinzubauen und trotzdem den Weber nicht zu verraten.


Das ist eine ganz wichtige Sache: Dass man zwar mit dem Weber umgeht, ihn aber nicht verrät.

Georg Heckel, Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg
Wichtige Botschaft: Georg Heckel erklärt, warum die Wahl für die Eröffnungspremiere auf den „Freischütz“ fiel und was das Besondere an der Inszenierung ist. (Bild: Kulturschnack)


THORSTEN Der brave Max geht ja einen Pakt mit dem Bösen ein, um zum Ziel zu kommen und seine Agathe zu gewinnen. Für wen oder was würdest du selbst denn einen Pakt mit dem Bösen eingehen?


GEORG (lacht) Also im Kontext des Stückes gehen wir alle einen Pakt mit dem Bösen ein. Das erläutere ich jetzt aber nicht tiefer, sonst müsste ja keiner mehr reingehen. (zögert kurz) Die Frage ist wirklich vielschichtig. Das hat ja auch etwas mit Selbstbetrug oder mit Selbstwahrnehmung zu tun. Tatsächlich eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, ich würde keinen Pakt mit dem Bösen eingehen. Ich versuche, so etwas immer zu vermeiden.

Alter Stoff, neue Bearbeitung: Die Ergänzungen des Duos Kats-Chemin/Wolf kitzeln neue Facetten aus dem Klassiker. Nun ist diese Fassung erstmals überhaupt zu sehen. (Bilder: Stephan Walzl)

THORSTEN  Auch nicht für fünf Jahre ausverkaufte Häuser?


GEORG (schmunzelnd) Nee!


THORSTEN Stellen wir uns vor, ich hätte noch nie eine Oper gesehen. Wäre der „Freischütz“ ein gutes erstes Mal?


GEORG Ich glaube, es ist immer der Moment, der uns in eine Oper reinlenkt oder eben nicht. An meinem vorherigen Theater hatten wir einige Open Air-Veranstaltungen und es waren so viele Menschen dort, die noch nie in der Oper waren. Und der beste Satz, den ich gehört habe, war: „Ich war ja noch nie in der Oper, aber das gefällt mir.“ Ich glaube, man sollte sich einfach mal zufällig reinspülen lassen und dann merkt man: Gefällt es oder gefällt es nicht? Und selbst wenn es einem nicht gefallen hat, kommt man nochmal wieder und denkt sich: „Irgendwas daran war aber schon interessant.“ Oder: „Warum gehen denn all die anderen da rein?“


THORSTEN Was glaubst du, warum spüren manche Menschen eine gedankliche Hemmschwelle, wenn es darum geht, in eine Oper zu gehen?


GEORG  Ich glaube tatsächlich, dass die Oper der härteste Punkt ist. In Oldenburg gilt das noch am wenigsten, die Stadt ist wirklich sehr, sehr offen. Allgemein gilt die Oper aber oft noch als elitär. Das hat sich leider über die letzten Jahrzehnte noch ein bisschen verstärkt. In der Zeit, als ich Theater kennengelernt habe, gab es ja noch jede Menge Radiosender. Die Leute haben das gehört, sie kannten die Melodien. Das ist einfach schöne Musik. Von welchem Klangkörper sie produziert wird oder mit welchem Bühnenaufwand das assoziiert ist, war weniger wichtig. Es gibt theoretisch also einiges, was die Oper fern erscheinen lässt. Das heißt aber nicht, dass sie einem nicht gefällt. Warum singen Menschen? Das ist ja so eine große Frage.


Warum singen Menschen? Das beantwortet die Oper: Weil sie in einem Ausnahmezustand sind. Und in dem Ausnahmezustand hilft unsere normale Sprache nur begrenzt.

Szene aus “Freischütz“ in der Fassung von Kats-Chernin am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Auf den Punkt: Szene aus den Proben für „Freischütz“ - noch ohne Kostüme und Kulisse. Seid gespannt auf die fertige Version dieses Moments. (Bild: Stephan Walzl)

THORSTEN Die Eröffnungspremiere einer neuen Intendanz ist ja ein sehr besonderer Moment. Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie nervös bist du gerade - kurz bevor sich der Vorhang hebt?


GEORG (lacht auf): Zwischen acht und neun?


THORSTEN Und wenn du dem Probentrubel mal kurz entkommen willst: Hast du dafür schon einen Lieblingsplatz, an dem du Entspannung findest?


GEORG (kurz abwägend)  Ich habe zwischendrin diverse Orte besucht, zum Beispiel ein wunderschönes Café in der Bergstraße, in einem Hinterhof. Die ganze Ecke ist sehr schön. Ich merke, dass die Straßen der Stadt für mich immer mehr Form annehmen und ich stelle fest, dass es gerade viel Bewegung in der Innenstadt gibt. Das finde ich immer ganz interessant, wenn ich da vorbeifahre - natürlich mit dem Fahrrad. Aber tatsächlich habe ich noch keine absoluten Lieblingsplätze. Ich hab eingangs die Frage zwar mit „ewig“ beantwortet, aber das ist ja die Gefühlsseite und nicht die örtliche Seite.


Georg Heckel, Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg
Gut lachen: Vor der Eröffnungspremiere ist Georg zwar angemessen angespannt, aber voller Vorfreude. (Bild: Kulturschnack)

THORSTEN Und wenn du gerade kein Theater machst: Wofür brennst du dann?


GEORG (ohne zu zögern) Für meine Familie! Wenn gerade kein Theater ist, dann ist die Zeit erstmal reserviert für meine Frau und meine Kinder. Aber das heißt nicht, dass es da nicht auch andere Sachen gibt.


THORSTEN Welche das sind, erfahren wir dann irgendwann in Zukunft...


GEORG Genau!


Alle: ab


 


Fünfzehn Gelegenheiten


Der großen Eröffnungspremiere der Intendanz von Georg Heckel gelingt ein doppelter Jahrhundertsprung: Sie schlägt eine Brücke vom Jahr 1821 über 1921 bis in die Gegenwart. Große Opernfans lassen sich die Uraufführung der Neufassung des „Freischütz“ am 14. September um 19. 30 Uhr deshalb keinesfalls entgehen. Alle anderen haben aber vierzehn weitere Gelegenheiten, sich die romantische Oper anzusehen.


Genau das sollten sie auch tun. Musikalisch ist „Freischütz“ ein Genuss - erst Recht, wenn Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann verantwortlich ist. Die Neufassung bietet aber noch mehr: Sie ergänzt den historischen Stoff mit schauspielerischen Elementen und holt ihn in die Gegenwart. Die Frage nach der Existenz des Bösen und unserem Umgang mit ihm ist angesichts vieler zeitgeschichtlicher Entwicklungen vielleicht aktueller denn je. Ihr könnt also ein intensives Musikerlebnis mit einer aktuellen philosophischen Fragestellung kombinieren. Und anders als Max müsst ihr dafür keinen Pakt mit dem Teufel schließen.


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