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UNGENIERT IMPROVISIERT

Mehr Lockerheit! Auf die Frage, was uns Deutschen im Allgemeinen gut tun würde, hören wir häufig diese Antwort. Tatsächlich tun wir uns mit Spontanität und Flexibilität eher schwer. Wie kann man unter diesen Voraussetzungen nur auf die Idee kommen, ein Improtheater-Festival zu realisieren? Das haben wir den künstlerischen Leiter Jürgen Boese gefragt - und er hatte gute Antworten parat.



Zwei Akteurinnen bei der Oldenburger Impro Meisterschaft in den Kulturetage Oldenburg
Das gehört so: Improvisation lebt vom Augenblick - ganz nah dran am echten Leben. (Bild: SpontanOL)

Nein, man kann nicht behaupten, dass die Oldenburger:innen hierzulande eine absolute Ausnahmeerscheinung wären. Wer genau hinschaut, wird in seinem Freundeskreis sicher einige spontane Menschen entdecken; es ist aber nicht so, dass an der Hunte alles sehr viel leichter, flexibler und entspannter wäre als anderswo.


Dass es ausgerechnet hier eine aktive Improtheaterszene gibt und - als deren Kristallisationspunkt - seit 2015 auch eine Festival namens SpontanOL? Das war keine logische Konsequenz, sondern vielmehr eine mutige Entscheidung - oder eher: ein wildes Experiment - einiger Enthusiast:innen. Allerdings eines, das sich immer stärker als gelungen herausstellt, weil das Festival mehr und mehr sein eigenes Versprechen einlöst: „Eine Stadt wird spontan“.


 

SPONTANOL

IMPROTHEATER-FESTIVAL


SHOWS:

6. - 17. MÄRZ 2024


WORKSHOPS: 15.-17. MÄRZ 2024


UNIVERSITÄT, JADE HOCHSCHULE, THEATER LABORATORIUM, ISENSEE, THEATER WREDE+, KULTURETAGE, IGS FLÖTENTEICH



 

Keine Angst vorm Scheitern


Sagen wir wie's ist: Für viele Menschen wäre es ein Alptraum, auf einer Bühne spontan auf etwas Unvorhergesehenes reagieren zu müssen. Nicht umsonst spricht man von der „Kunst des Improvisierens“: Wer das beherrscht, muss von einer Muse geküsst sein, die um die meisten anderen Menschen einen großen Bogen macht.


Vor der Bühne sieht die Sache aber ganz anders aus: Für das Publikum ist es ein Riesenspaß, anderen dabei zuzuschauen, wie sie mit den Überraschungen umgehen. Wie die Künstler:innen aus einem simplen Zuruf ganze Handlungsstränge erfinden, Konstellationen oder Situationen zuspitzen und richtig gute Gags platzieren - das ist allerbeste Unterhaltung und sorgt immer häufiger für ausverkaufte Häuser - was vor allem für die Kulturetage gilt, in der an den SpontanOL-Samstagen traditionell die Oldenburger Impro-Meisterschaft (OIM) läuft.



Improisationskünstler auf einer Bühne beim SpontanOL Festival in Oldenburg
Drunter und drüber: Die Improkünstler:innen spielen mit vollem Kopf- und Körpereinsatz. (Bild: SpontanOL)

Man on a Mission


Trotzdem gibt es noch Aufklärungsbedarf. „Generell versuchen wir, mit diesem Festival alle Facetten abzubilden, die spontane Kunst bietet“, erklärt der Mitbegründer und künstlerische Leiter des Festivals Jürgen Boese. Er ist selbst kein Unbekannter in der Impro-Szene: Als Mitglied verschiedener Impro-Gruppen besitzt er reichlich Bühnenerfahrung und steht am 9. März beim Improkonzert sogar auf der Bühne. Er weiß also, wovon er spricht - und deutet mit seiner Aussage bereits an, dass es mehr gibt, als man denkt.


Die meisten Menschen denken bei Improtheater eher an kurze Lacher, wie sie auch bei der OIM üblich sind - nicht an längere, ernstere Formate“, stellt er fest. Doch beide Varianten existieren und dazu noch einige mehr. Ein Ziel von SpontanOL sei es, diese Bandbreite zu zeigen. „Einerseits möchte ich den Künstler:innenn eine attraktive Plattform bieten“, erklärt Jürgen den Ansatz. „Andererseits will ich aber den Menschen in Oldenburg zeigen, wie facettenreich improvisierte Kunst ist. Und ich sage bewusst: Kunst - weil es eben nicht nur um Theater geht, sondern auch um Musik, Poesie und vieles mehr.“



Jürgen in Aktion: Wenn bei SpontanOL nach den wichtigen Dingen im Leben gefragt wird, lautet die Antwort manchmal eben: Grünkohl.


Improtheater hat Jürgen schon immer fasziniert: „Ich finde es toll, mich selbst zu überraschen“, erzählt er. „Es gibt immer die Chance, dass ein Magic Moment entsteht - wenn man bereit ist, ein gewisses Risiko einzugehen.“ Er habe zudem festgestellt, dass es durchaus Vorteile haben könne, wenn man unvorbereitet und unvoreingenommen in Situationen hineingehe: „Wenn man nicht so viele Pläne macht, ist man viel freier - und damit auch kreativer.“ Eine Stärke sei zudem die große Realitätsnähe: „Unser ganzes Leben ist improvisiert. Wir wissen doch auch nie im Voraus, was wir sagen oder wie wir auf etwas reagieren.“

Genauso attraktiv sei das Format aber für das Publikum, schließlich könne es über Zurufe selbst bestimmen, was es sehen wird. Gleichzeitig gehe es um mehr als das, findet Jürgen: „Man kann den Findungsprozess der Spielenden auf der Bühne genau beobachten. Die forschen ja sozusagen live on stage - und manchmal sieht man dann den Moment der Erkenntnis. Daran teilzuhaben - das ist etwas Besonderes.“



Den Alltag neu entdecken

Ein Beispiel für die große Vielfalt ist die Kooperation mit der Sparte 7 des Oldenburgischen Staatstheaters zum Auftakt am 6. März. Dort existiert das Slam-Format „It's not the Medium, it's the Slam“, das ganz unterschiedliche Inspirationsquellen wie z.B. Präsentationen oder Tagebücher benutzt. Bei SpontanOL gibt es nun ein Extra: Als weiteren Partner holte man die World Press Photo Ausstellung an Bord, die Slammer:innen müssen auf Bilder reagieren, die derzeit im Schloss zu sehen sind. „Sie können sich aussuchen, ob sie ein Lied singen, ein Gedicht vortragen oder Theater spielen“, erklärt Jürgen. „Alles ist erlaubt, Hauptsache es ist improvisiert!“



Nichts nach Plan: Was für die VWG ein Alptraum wäre, ist für die Impro-Gruppen der Idealfall - wie hier in einem Linienbus. (Bild: SpontanOL)


Fest zum Konzept gehört - jeweils am Donnerstag - auch ein ungewöhnlicher Spielort. „Wir waren schon im Linienbus, Möbelhaus oder im Museum“, erinnert sich Jürgen. Dieses Mal gehe es in eine Buchhandlung: „Warum? Weil Bücher viele Inspirationen liefern“, freut sich der Kulturreferent des Studierendenwerks. „Man nimmt sich eins aus dem Regal, schaut auf den Titel - und schon ist es auf der Bühne.“ Von diesem Ansatz ließen sich allerdings schon so viele Neugierige überzeugen, dass die Show bereits ausverkauft ist.



Import aus Israel


Ein besonderes Highlight ist in diesem Jahr ein Gast aus Nahost: Mit Inbal Lori ist ein richtiger Star der Szene in Oldenburg zu Gast. Sie ist nicht nur in ihrem Heimatland bekannt, sondern durch Touren und Gastspiele auch in Zentraleuropa. „Ich bin ganz begeistert, dass sie zu uns kommt“, kann Jürgen sein Freude kaum verbergen. Die vielfach ausgezeichnete Künstlerin sei erst der dritte Gast aus dem Ausland, das sei für das Festival etwas sehr besonderes - aber auch fürs Publikum: „Inbal ist einfach sensationell, das muss man sich eigentlich anschauen!“


Und es wird sogar noch besser: Nicht nur wird Inbal Lori im theater wrede+ mit einer Show zu sehen sein, sie teilt sich diesen Abend in einem Gemischten Doppel: Mit Roland Trescher und Björn Harras sind zwei echte Könner zu Gast, die Facetten der Improvisationskunst zeigen, die über kurze Situationskomik weit hinausgehen. Die beiden nehmen ganz alltägliche Vorgänge und schauen genauer hin. Sie zerlegen sie und beladen die Teile mit Geschichten, skurrilen Figuren, aberwitzigen Liedern oder tief schwarzem Humor. „Das ist eine klare Empfehlung von mir, der Abend wird richtig gut“, freut sich Jürgen schon auf diesen Termin.


SPONTANTHEATER LIVE IMPROVISIERT EUCH! Über den Reiz von Theater, das auf Zuruf und Überraschungen basiert, kann man viel schreiben. Richtig spüren lässt es sich nur live vor Ort- dann, wenn man sieht, was plötzliche Wendungen mit Schauspieler:innen und Storyline machen. Bei SpontanOL habt ihr nun die achtfache Gelegenheit dazu!


SpontanOl meets Sparte 7 meets WPP: Anhand von Pressebildern müssen die Teilnehmenden spontan slammen, singen oder spielen. Ein starkes Setup für ganz unterschiedliche Performances! Tickets

Ein Teilnehmer:in-Platz ist bei der Oldenburger Impro-Meisterschaft in der ausverkauften Kulturetage noch frei. Wer ihn bekommt? Entscheidet sich hier! Und wer das bestimmt? Ihr! Gehostet wird dieser Termin von der Gruppe Improduction. Tickets

Musik auf Zuruf? Für unmusikalische Zeigenossen vollkommen unvorstellbar, für die Künstler:innen auf der Bühne aber jedes Mal ein großer Spaß. Und damit auch: fürs Publikum! Tickets

Hier geht SpontanOL neue Wege, denn „City Loop“ setzt nicht auf Zurufe aus dem Publikum. Wie wahre Begebenheiten und Improvisation zusammenpassen und was das Besondere daran ist? Erfahrt ihr hier! Tickets

Ausverkauft Immer am Donnerstag besucht SpontanOL ungewöhnliche Orte, dieses Mal eine Buchhandlung. Mehr und bessere Inspirationsquellen als tausende Bücher kann man sich weder wünschen noch vorstellen!

Ein Doppel in Bestbesetzung! Hier bekommt man die andere Seite der Workshop-Leiter:innen zu sehen, Improvisationskunst vom Feinsten. Eine rare Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Tickets

Ausverkauft Hier kommen die besten Impro-Spieler:innen Deutschlands zusammen, um den jeweils anderen zu zeigen, dass sie am meisten drauf haben. Das ist Improtheater der höchsten Güteklasse - und der perfekte Einstieg in die Materie.

Und, hat's was gebracht? Die Workshop-Teilenehmer:innen geben ihre Antwort auf diese Frage direkt auf der Bühne und zeigen, was sie am Wochenende gelernt haben. Frischer kann Improvisation gar nicht sein! Tickets


Eine andere Empfehlung lautet: City Loop, eine Koproduktion der beiden Oldenburger Gruppen Wat ihr wollt und 12 Meter Hase, die auch die Organisation des Festivals übernehmen. „Das ist ein sehr künstlerisches Stück, eine richtige Collage über das Leben“, erklärt Jürgen den vielleicht ungewöhnlichsten Ansatz dieses Jahres. Es handele über die Herkunft der Menschen, die jetzt in Oldenburg leben. Ungewöhnlich geht es auch weiter, denn Zurufe aus dem Publikum wird es nicht geben: „Die Inspirationen kommen aus der Geschichte der Charaktere und ihrem Weg an den Ort, an dem sie sich nun treffen“, erklärt Jürgen. „Das ist immer noch improvisiert - aber schon nah dran an einer Theatererfahrung.“ Gerade weil sich der Abend so sehr von den anderen unterscheide, solle man ihm unbedingt eine Chance geben, findet der künstlerische Leiter.



Wo geht's zum Schotter?


Damit SpontanOL sein großes Ziel - „Eine Stadt wird spontan“ - eines Tages auch tatsächlich erreicht, sind acht Shows eine gute Basis, aber noch nicht alles. Fest zu SpontanOL gehören nämlich auch Workshops, in denen man selbst Impro-Skills aufbauen oder sein Know-how bei verwandten Themen vertiefen kann. Die Angebote richten sich auch an Einsteiger, mehrheitlich aber an Fortgeschrittene und echte Exper:tinnen. Praktisch: Der Schwierigkeitsgrad ist gleich mit angegeben





Und auch hier zeigen die letzten Jahren ihre Wirkung: Sechs der sieben Workshops waren schon Wochen vor dem Start restlos ausverkauft. Wächst da etwa die nächste Generation Improvisations-Künstler:innen heran? „Noch ist unsere Szene klein“, schätzt Jürgen die Lage ein. „Dafür ist sie aber sehr kooperativ - und sie wächst in der Tat.“ Nicht zuletzt deswegen kämen alle Gäste immer gern nach Oldenburg: „Es ist ein Community-Event. Alle machen was gemeinsam. Das ist in Bremen oder Berlin nicht so.“


Für alle, die keinen Platz mehr ergattern konnten, gibt es aber gute Nachrichten: „Wir werden in Oldenburg eine Impro-Schule gründen“, verkündet der Festivalmacher. Für Studierende und auch Senior:innen gäbe es zwar Angebote, für Menschen zwischen 30 und 60 Jahren sei es aber schwierig. Und da der Bedarf stetig wachse, sei das eine logische Entwicklung. „Stattfinden soll es möglichst in den Räumen der Creative Mass in der Baumgartenstraße", hofft Jürgen. Die seien wegen der Innenstadtlage ideal. Starten soll die Schule, die von der Gruppe Wat ihr wollt gehostet wird, dann sehr bald: im April oder Mai.

Aber Halt, nicht so schnell. Wie war das? Sechs Workshops sind ausverkauft. Das heißt: Für einen gibt es noch Tickets? Ja, und zwar genau: zwei. Die lohnen sich insbesondere für Menschen, die bereits in Improtheater aktiv sind, denn der Workshop von Frederik Malsy dreht sich um die Frage, ob und wie man damit Geld verdienen kann. Der Titel deshalb: „Money, Money, Money“. Oder wie Rod Tidwell sagen würde: „Führ mich zum Schotter, Frederik!“



Inschrift über dem Eingang zum Alten Rathaus in Oldenburg
Oldenburg, die spontane Stadt? Die Inschrift aus dem Jahr 1887 spricht nicht unbedingt dafür. (Bild: Kulturschnack)

Wäg's nicht, wag's einfach


Es war tatsächlich ein wildes Experiment, ausgerechnet in Oldenburg ein Festival des Improvisationstheaters zu starten. Eine Stadt, die „Erst wäg's, dann wag's“ über ihre Rathaustür schreibt, wirkt jedenfalls nicht wie die Hauptstadt des Laisser-faire. Aber das ist ja schon etwas her - und es war ja von Anfang an klar, dass der Ort nicht bereits spontan sein muss, sondern genau das erst werden soll. Und bei dieser Mission ist SpontanOL auf einem guten Weg.


Damit es weitergeht? Seid ihr dran! So wie sich damals der Mut der Initiator:innen ausgezahlt hat, so ist es heute der „Mut“, sich die Improshows anzusehen. Egal, welche der acht ihr wählt - ihr werdet ein besonderes Ereignis erleben. Dazu gehört etwa die Erfahrung, dass man tatsächlich vor Publikum scheitern kann - dass dies aber gar nicht schlimm und bei Improvisation schlicht unvermeidbar ist. Dazu gehört aber auch die Erkenntnis, dass es solch ein Setting einfach braucht, um besonders geniale Momente zu ermöglichen. Mit Blick darauf kann man sich für uns alle nur eines wünschen: Mehr Lockerheit!

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