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MUTTERERDE

Ein Turm, der normalerweise nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Ein dreiteiliges Kunstwerk, das sich mit den letzten Feldpostbriefen vom Großvater des Künstlers auseinandersetzt. Und Technologien, die uns auch auf dem heimischen Sofa einen so realitätsnahen Besuch der Performance ermöglichen, als seien wir live vor Ort. Aus diesen Elementen setzt sich die Kunstperformance "Muttererde" zusammen, die man nun auf YouTube selbst erleben kann und die einen in ihren Bann zieht.


Aufmerksame Kulturschnack Leserinnen und Leser können sich vielleicht noch daran erinnern. Vor einigen Monaten, es war im Juni des letzten Jahres, da machten wir euch hier bei uns auf einen Wettbewerb der Kulturellen Bildung und Teilhabe des Kulturbüros der Stadt Oldenburg aufmerksam, der darauf abzielte, dass ihr andere an euren geheimen Orten teilhaben lasst und dabei eine Idee einreicht, wie man diesen Ort künstlerisch beleben könnte. Zu Gewinnen gab es dabei die Verewigung eurer Idee in einer 360-Grad-Videoinszenierung.


Verlinkung zu einem älteren Artikel auf kulturschnack.de

Nun können wir euch verkünden: nicht nur gibt es inzwischen einen Gewinner des Wettbewerbs, sondern auch die Umsetzung ist bereits abgeschlossen und das Ergebnis lässt sich bereits begutachten.


The Winner is...


Die Werke des "Geheime Räume"-Wettbewerbgewinners Helmut Feldmann, gehangen in der Lambertikirche Oldenburg
Die Werke des Gewinners Helmut Feldmann. Foto: Yvonne Franke

Aber nun mal konkret - wer hat gewonnen und was steckt hinter der eingereichten Idee:

Das Triptychon (ein dreigeteiltes Gemälde) mit dem Titel "Muttererde" des Oldenburger Künstlers Helmut Feldmann, der die umgesetzte Idee einreichte, steht im Fokus dieser Kunstperformance der besonderen Art. Das Gemälde entstand 2001 aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit den letzten Feldpostbriefen seines Großvaters Johann Feldhoff aus dem Zweiten Weltkrieg. Es zeigt den Menschen in seiner unverhüllten Gestalt, aus Erde kommend und wieder zu Erde werdend.


Dank eines 360 Grad-Videos, umgesetzt vom Team rund um Kammerkultur, bestehend aus Sebastian Netta und Yvonne Franke, ist es euch hierbei möglich, sich eigenständig durch den Südwest-Turm der St. Lamberti-Kirche zu klicken, in dem der Oldenburger Künstler Helmut Feldmann sein Werk inszeniert. So handelt es sich also nicht einfach bloß um ein gewöhnliches YouTube Video aus Vielen, sondern um ein immersives Erlebnis, das man aus der "eigene Augen"-Perspektive erleben kann. Aus welchem Blickwinkel man das Geschehen erleben möchte, das liegt also ganz bei einem selbst. Möchte man sich umschauen, möchte man den Blick durch den gewählten geheimen Raum schweifen lassen oder fokussiert man sich auf das ausgestellte Werk, die schauspielerische Darstellung? Auch auf das realistische Hörerlebnis muss dabei nicht verzichtet werden, denn dank Spatial Audio passt sich das Gehörte immer dem jeweiligen Standort an.


Alte Briefe, schockierende Aktualität


Foto des Dachstuhls des Südwest-Turms der Lambertikirche Oldenburg,
Teile der Lambertikirche, die der Öffentlichkeit vorher verborgen blieben. Foto: Yvonne Franke

Gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine gewinnt das Thema eine erschütternde Aktualität. "Die Auswirkungen von Krieg werden durch Kunst ein Stück weit greifbarer und fühlbar gemacht", erzählt Yvonne Franke. "Bei den Briefen handelt es sich um Dokumente der Zeitgeschichte mit lokalem Bezug zu Oldenburg. Hier kann die Kunst erzählen und die Ausnahmesituation und die damit verbundenen Gefühle und Zustände vermitteln."


In intensiven Gesprächen mit Helmut Feldmann wurde die Intention des Gesamtkunstwerks von Yvonne Franke und Sebastian Netta als Kunstperformance erarbeitet. Die Idee, die Bilder im Südwest-Turm der St.-Lamberti-Kirche in Oldenburg einmalig in einem "geheimen Raum" auszustellen, konnte dann auch dank der freundlichen Genehmigung der Kirchengemeinde tatsächlich in die Realität umgesetzt werden.


Wenn die Präsentation selbst zum Kunstobjekt wird


"Den nicht öffentlich zugänglichen Südwest-Turm haben wir so belassen, wie wir ihn vorgefunden haben", erläutert Sebastian Netta. "Lediglich Licht wurde notwendigerweise zur Inszenierung installiert und auf das Triptychon ausgerichtet." Yvonne Franke fügt hinzu: "Die Präsentation des Kunstwerks ist einzigartig, Vernissage und Finissage in einem Prozess und nicht wiederholbar. Das Kunstwerk fügt sich durch die durchdachte Hängung in den Turm ein, was durch die Farbharmonie des Mauerwerks mit den von Feldmann verwendeten Farben in Einklang steht."



Portraitfoto des Darstellers Jo Schmitt von Yvonne Franke
Jo Schmitt erweckt mit seiner Darstellung der Texte die neu zum Leben. Foto: Yvonne Franke

Für die Lesung der Feldpostbriefe konnte der in Oldenburg lebende Schauspieler Jo Schmitt gewonnen werden. Jo Schmitt als einziger Protagonist im Raum bringt dem Zuschauer die Intimität dieser persönlichen Briefe durch seine Umsetzung berührend nahe. Die Briefe wurden am 7. und 8. September 1942 von Johann Feldhoff nahe Noworossijsk (russische Küstenstadt am Schwarzen Meer) verfasst und per Feldpost an die Familie versendet. Am 9. September 1942 kam Johann Feldhoff ums Leben. Dies wurde der Familie in einem Brief des Kommandanten vom 10. September 1942 mitgeteilt.


Dieser Brief wird, ebenfalls eingesprochen von Schmitt, am Ende der Inszenierung als Audioelement abgespielt und hinterlässt einen - nach vollständigem Verlesen der Nachricht - völlig alleine im ausgewählten Raum, mit den eigenen Gefühlen.


Das Leid, die Trauer, der Schrecken, die ein Krieg mit sich bringt, all das kann man spüren in jedem der verlesenen Worte.

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