Die Älteren unter uns erinnern sich: Anfang der Neunziger konnte man dem Hit „Let's talk about sex“ von Salt-N-Pepa nicht entkommen. Akustisch war das eine Zumutung, inhaltlich allerdings nicht. Denn seltsamerweise sind Gespräche über Sex ja offenbar immer noch das komplizierteste Thema der Welt! Deshalb ist es gut, wenn jemand Klartext spricht - wie Mohamed Amjahid, der nun mit seinem aktuellen Buch beim Feministischen Referat der Carl von Ossietzky Universität zu Gast ist.
Es ist ein alter Hut: Wer an Schwarzen Brettern - zum Beispiel in der Uni - ganz sicher Aufmerksamkeit bekommen möchte, schreibt einfach ganz dick SEX!! über sein Anliegen. Selbst wenn es danach um Balkongärtnern oder Rezepte geht, ist ein gewisses Interesse gesichert. Der Köder wirkt.
Solche Methoden hat Mohamed Amjahid freilich nicht nötig. Den Trick könnte der 35-jährige Journalist aber trotzdem anwenden, denn in seinem aktuellen Buch geht es tatsächlich um Sex. Der Titel lautet entsprechend „Let's talk about sex, Habibi“ (Piper Verlag). Und diese fünf Worte sind weit mehr als eine popkulturelle Referenz an die Neunziger. Ihr Aufforderungscharakter impliziert nämlich, dass Sex kein Thema ist, das man hierzulande vollkommen unverklemmt bespricht. Außerdem geben sie einen Hinweis darauf, dass es in dem Buch nicht etwa um den abendländischen Hang zur Missionars-Stellung gehen wird, sondern dass ein anderer Kulturkreis im Mittelpunkt steht.
LESUNG
MOHAMED AMJAHID:
LET'S TALK ABOUT SEX, HABIBI
FREITAG, 19. MAI, 19 UHR
CARL VON OSSIETZKY UNIVERSITÄT BIBLIOTHEKSSAAL
UHLHORNSWEG
26129 OLDENBURG
I. Grenzüberschreitung
Es ist grundsätzlich positiv, wenn man den Blick über Grenzen wandern lässt (bzw. wenn man sie selbst überschreitetI) - und genauso sehr, wenn jemand aus anderen kulturellen Kontexten seine Eindrücke von uns schildert. Der Ausbruch aus der gewohnten Perpektive ist auf beiden Seiten der Grenze ein Gewinn.
Das war bei den früheren Werken des gebürtigen Frankfurters mit marokkanischen Wurzeln nicht anders. Er betrachtete die zentraleuropäischen Gesetzmäßigkeiten und Gepflogenheiten aus dem Blickwinkel eines Menschen, der „anders“ ist. Die Titel „Unter Weißen: Was es heißt, privilegiert zu sein“ (2017) und „Der weiße Fleck: Eine Anleitung zum antirassistischen Denken" (2021) deuten an, in welche Richtung es dabei geht.
In seinem neuesten Werk beschäftigt sich Amjahid aber nicht mit der weißen Mehrheitsgesellschaft, ja nicht einmal mit Zentraleuropa. Der Fokus rückt nach Süden, denn dort hat der Autor überaus spannende Einblicke gewonnen. Für ZEIT, Spiegel, taz und SZ sei er viele Jahre als „rasender Reporter“ in den Maghreb-Staaten unterwegs gewesen, erzählt er, und habe dabei mit unzähligen Menschen gesprochen. Dabei ging es offensichtlich nicht nur um den arabischen Frühling und einen Subkontinent im politisch-gesellschaftlichen Umbruch, sondern eben auch um: Sex.
HABIBI Substantiv, m Worttrennung: Ha·bi·bi, Plural: Ha·bi·bis Aussprache: IPA: [haˈbiːbiː] Bedeutungen: Jargon, Jugendsprache: [1] geliebte männliche Person [2] (vertrauliche Anrede an eine) Person, mit der man in Freundschaft verbunden ist Herkunft: Es handelt sich um eine Entlehnung der arabischen Koseform حَبِيبِي, die zusammengesetzt ist aus dem Substantiv ‚Liebling, Lieber, Freund‘ und dem Possessivsuffix der 1. Person Singular. Im Vulgärarabischen wird die Kose-Anredeform insbesondere für Kinder beziehungsweise nach dem Prinzip der umgekehrten Anrede für die Eltern gebraucht; oft wird die maskuline Form auch für Frauen benutzt, dies gilt insbesondere bei noch ganz kleinen Kindern. Das Wort ist im Deutschen seit mindestens der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sporadisch als Exotismus bezeugt.
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II. Völkerverständigung
Amjahid ist ein versierter, sensibler Gesprächspartner. Ihm gelingen unvoreingenommene, interessierte, klischeefreie Einblicke in eine andere Sexualkultur. Und noch mehr: Er schlägt die Brücke von erotischen Klischees aus tausendundeiner Nacht bis zur „Kölner Silvesternacht“ von 2015, als zahlreiche Übergriffe vorwiegend Menschen aus jenem Kulturkreis zugeordnet wurden, den Amjahid hier betrachtet. Seine Erzählungen sind also einerseits informativ, andererseits aber auch relevant. Diese Kombination macht das Buch unterhaltsam, lehrreich, lesenswert. Wenn man so will, ist dies eine körperliche Form der Völkerverständigung.
Wie die damaligen Gespräche überhaupt auf das Thema Sex kamen? Was den jungen Journalisten daran interessierte? Ob er dabei als Deutscher wahrgenommen wurde? Oder ob ihm seine marokkanischen Wurzeln als eine Art genetische Zugangsberechtigung dienten? Das alles wird Mohamed Amjahid - hoffentlich - im Rahmen seiner Lesung berichten.
Wirkt aus heutiger Sicht etwas silly, aber die Botschaft hat nach wie vor Substanz: Das offizielle Video zu „Let's talk about sex“ von Salt-N-Pepa.
Doch selbst wenn er es nicht täte, wäre das Thema allein spannend genug für einen inspirierenden Abend - und das ausdrücklich nicht aus einer voyeuristischen Perspektive. Wer sich von der Lesung einen Lustgewinn erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Amjahids Buch beschränkt sich nämlich nicht nur auf Nacherzählungen und Schilderungen, sondern bietet auch gesellschaftlichen und kulturellen Kontext. Es entsteht ein ganzheitliches Bild. Unser Dank dafür geht an das FemRef der Universität, das dem vielfach preisgekrönten Amjahid hier in Oldenburg ein Podium bietet - und uns die Gelegenheit, seine Eindrücke nachzuempfinden.
LUST AUF MEHR?
FLINTA+ EDITION:
LET'S TALK ABOUT SEX
MIT DER AIDS-HILFE OLDENBURG
MONTAG, 22. MAI
16:30 BIS 19:30 UHR
„Jenseits von Heteronormativität und binären Vorstellungen, wollen wir mit Euch einen offenen Raum schaffen, in dem du dich entspannt über queeren Sex austauschen & informieren kannst. Wir wollen mit euch über die gesamte Bandbreite von FLINTA+ Körpern sprechen, über Anatomien, sexuelle Gesundheit und Konsens. Gern zeigen wir euch auch Safer Sex Möglichkeiten und was welche Risiken minimieren kann.“
ANMELDUNGEN: FEMREF@UOL.DE
III. Annäherung
Warum wir beim Thema Sex überhaupt nach Nordafrika blicken sollten und nicht in die eigenen Betten? Gute Frage, aber falsch gestellt.
Es geht hier nämlich nicht um ein Entweder-Oder. Der Blick in die Maghreb-Staaten ist nah genug dran und weit genug weg, um sich dem vermutlich meistbeschwiegenen Thema der Gegenwart entspannt anzunähern - und diese Haltung dann ins nächste Gespräch darüber mitzunehmen, das in der nordwestdeutschen Tiefebene angesiedelt ist.
Man kann einen silly Hip Hop Song schreiben und Millionen Platten verkaufen, um für das Thema Sex zu sensibilisieren. Man kann das Wort auch in dicken Lettern auf Schwarze Bretter schreiben, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Am besten ist jedoch, man spricht mit Menschen darüber, lässt sie direkt zu Wort kommen und erzählt anderen davon - so wie es Mohamed Amjahid tut. Das lohnt sich zu lesen und das lohnt sich live anzuhören. Schließlich geht es um: Sex.
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