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MEHR GEHT NICHT

Das Hidden Art Project war noch nie dafür bekannt, die kleinsten Brötchen zu Backen. Mit einem gesunden Selbstbewusstsein plante man immer wieder Großes - und war meistens sehr erfolgreich damit. So entstanden unter der Ägide von Sven Müller, Hauke Beck und Co. in den letzten Jahren einige Höhepunkt der Oldenburger Kulturlandschaft. Nun geht das nächste Projekt an den Start, dieses Mal gemeinsam mit dem Szene-Urgestein Michael Olsen. Was dürfen wir erwarten?


Starkes Line-up: Mehr als dreißig Künstler:innen sind bei „REVERSE“ mit dabei. (Bild: Kulturschnack)

Es muss gar nicht immer die größtmögliche Innovation sein. Nicht immer der „Crazy Shit“, der noch nie da gewesen ist und nie wieder kommt. Manchmal sind es die einfachen, aber klugen Ideen, die den größten Impact haben. Und die deswegen besonders wertvoll sind.


Was diese Dinge angeht, gehört das Hidden Art Project zu den absoluten Experten. Damit wollen wir sicher nicht behaupten, dass die Aktivitäten nicht absolut kreativ und innovativ sind, ganz im Gegenteil. Aber die zugrundeliegende Kernidee ist manchmal erstaunlich simpel. Denn oft geht es darum, etwas Alltägliches einfach mal anders zu interpretieren. Zum Beispiel: ein leerstehendes Ladengeschäft, das man statt mit Artikeln mit einer Ausstellung füllt. Oder: eine öffentliche Werbefläche, auf die man an Stelle von Produkten einfach mal Kunst plakatiert.


 

THE HIDDEN ART PROJECT:

„REVERSE“


ERÖFFNUNG

SAMSTAG, 26. NOVEMBER, 18 UHR


ÖFFNUNGSZEITEN

28. NOVEMBER - 24. DEZEMBER

MONTAG - SAMSTAG, 13 - 20 UHR


26122 OLDENBURG

 

Zurück nach vorn


Auch die neue Ausstellung „REVERSE“ gehört in diese Kategorie - und das ist eine gute Nachricht. Auch hier wird wieder ein Leerstand bespielt. Die Haarenstraße 55 ist inzwischen so eine Art Home Base des Hidden Art Projects geworden, nachdem die Räume im Lambertihof leider nicht mehr länger zur Verfügung standen. Der Vorteil: Hier ist man noch mehr „in the middle of things“ und da gehört die Kultur natürlich auch hin.


Ein anderer roter Faden wird ebenfalls wieder aufgenommen: Der andere Blick auf vermeintlich Bekanntes. In diesem Fall ist es der vorweihnachtliche Konsum. Die Versuchsanordnung ist fast schon genial: In einem leerstehenden Ladengeschäft inmitten der Einkaufsmaschine Innenstadt ausgerechnet das Shoppen kritisch zu reflektieren - dafür braucht man schon gewisse Chuzpe. Aber die gehört ja quasi zur DNS des Kulturbetriebs.


Herrliche ironisch: Die Werke hinterfragen den Konsum. Kaufen kann man sie natürlich trotzdem. (Bild: Dr. Hauke Beck)

Vielfach inspiriert


Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass eine rekordverdächtige Zahl an Künstler:innen sich an „REVERSE“ beteiligt hat. Dr. Hauke Beck, einer der Köpfe hinter dem Projekt, ist mit der Resonanz auf den Open Call und dem Ergebnis sehr zufrieden: „Wir zeigen dieses Mal ca. 50 Kunstwerke von 34 lokalen und nationalen Künstler*innen“, nennt er beeindruckende Zahlen und verspricht auch eine attraktive Umsetzung: „Wir waren vor ein paar Wochen viel in Berlin unterwegs und haben uns dort von wundervollen Ausstellungen inspirieren lassen.“


Inspiration gab es offensichtlich auch bei den beteiligten Künstler:innen zu genüge. Schaut man sich die Werke an, würde man vermutlich kaum darauf kommen, dass es eine gemeinsame inhaltliche Verbindung gibt - geschweige denn, dass diese im weiteren Kontext zu Weihnachten steht. Zu sehen gibt es eine enorme Vielfalt an Stilen und Interpretationen.


„Die Liste ist dieses Mal so lang, weil wir in einer neuen Art kuratiert und gehängt haben“ fährt Hauke fort. In „REVERSE“ gehe es nicht so sehr um das einzelne Bild und dessen Bedeutung, als viel mehr um die Beziehung, die ein Bild zu den sich umgebenden habe. Dadurch entstehe ein Geflecht aus Interpretationsmöglichkeiten.


„Um so auszustellen, bedarf es einer großen Anzahl an Werken von verschiedenen Künstler*innen, die wir glücklicherweise in unserem Netzwerk haben.“



Weihnachten steht vor der Tür.


Und wie jedes Jahr packt uns mit der ersten Weihnachtsbeleuchtung, dem ersten Glühwein und dem ersten Lebkuchen die Weihnachtsstimmung. Ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit und Nächstenliebe macht sich in der Gesellschaft breit.


Konsum fühlt sich gut an. Er macht glücklich.


Doch was hat Konsum und die schleichende damit einhergehende Übertreibung für Auswirkungen auf mich, uns, die Gesellschaft, unseren Planeten?

Wer zahlt den Preis für unsere Maßlosigkeit?

Wie kommt es zu diesen Disparitäten?


Konsum hat eine Kehrseite.


Quelle: The Hidden Art Project


Fast wie „Inception“


Etwas anderes käme noch hinzu, erklärt Hauke: „Wir verzichten dieses Mal auf Benennungen oder Erklärungen; wir verzichten auch auf eine thematische Einführung. Die Besucher:innen sind aufgefordert, selbst zu erkennen, worum es geht.“

Under Construction: Während die Aufbauarbeiten für die Ausstellung liefen, wuchs gegenüber der nächste Konsumtempel in die Höhe, wie die Reflexion im Schaufenster zeigt. (Bild: Kulturschnack)

Hauke sieht Parallelen zu Christopher Nolans Film „Inception“ mit Leonardo DiCaprio: „Wenn Du einen Gedanken einpflanzen möchtest, dann wird dieser sich irgendwann aus der Person herausgelöst haben, falls er nicht tief genug verankert wurde. Aber wenn der Gedanke und die Erkenntnis daraus selbst kreiert wird, ist diese/r wesentlich nachhaltiger. Wir möchten dazu die Impulse liefern.“


Offensichtlich bewegt das Thema die kreativen Köpfe. Wobei das natürlich zweierlei Gründe haben kann: Natürlich sind der Black Friday-Wahnsinn und die Autokolonnen Richtung Zentrum absurd, aber auch für Künstler:innen ist die Adventszeit eine, in der man das eine oder andere Werk verkaufen kann. Insofern wird es spannend zu sehen sein, wie man damit umgeht.


„Die Weihnachtszeit wird dieses Jahr für alle mal wieder anders“, ergänzt Hauke. Die letzen Jahre sei es Corona gewesen, dieses Jahr der Krieg in Europa, aber die Klimakrise sei schon länger dabei, ohne das wir sie als solche wahrnehmen würden.


„Weihnachten ist das Kondensat des menschlichen Verhaltens. Alles wird übertrieben. Uns war es daher wichtig, die Gesellschaft nochmals darauf hinzuweisen; nicht überheblich, nicht von oben herab, sondern mit Kunst!“


Dem Namen alle Ehre


Es könnte genau das richtige Timing sein, ausgerechnet in dieser Hochphase des Konsums dieses Zeichen zu setzen - womöglich aber auch genau das falsche. Was ist denn mit echten Weihgnachtrsfans? Sollten die lieber einen Bogen um die Ausstellung machen?

Torn: Künstlerin Rebecca Windler spürt die Zerrissenheit (Bild: Dr. Hauke Beck)

Hauke wehrt ab: „Uns ist es ein Anliegen, mit der Ausstellung nicht vorzuschreiben, was die Menschen denken sollen.“ Kunst sei dafür da, Impulse zu geben, die jede Person selbst in Gedanken umwandele. „Welche das sind, liegt an der eigenen Sichtweise. Weihnachtsfans wird bei uns also nicht vor den Kopf gestoßen, da es eigentlich allgemein um Konsum geht.“


Aber selbst wenn die Ausstellung kein provokant-relevantes Thema hätte und einfach nur als temporäre Galerie mit Shopping-Möglichkeit dienen würde: Es wäre vollkommen okay! Denn bisher haben die Hidden Art-Projekte ihrem Namen immer alle Ehre gemacht: Nämlich Künstler:innen bekannter zu machen, die man sonst niemals entdeckt hätte, weil sie aus der eigenen Perspektive „versteckt“ waren. Insofern darf sich Oldenburg auf einen weiteren Offenbarungsmoment freuen - und das sogar einen ganzen Monat lang.



Kleine Genialitäten


Und das Ganze wird sogar noch besser. Integriert in die Ausstellung ist nämlich das „Freihand“-Projekt von Michael Olsen. Abschließbare Boxen geben die Möglichkeit, die persönlichen Weihnachtseinkäufe in der Haarenstrraße 55 zwischenzulagern, um sich dann - genau, mit freier Hand - wieder ins Getümmel zu stürzen oder Glühwein zu bechern. Das Ganze ist kostenlos, aber Spenden für die Oldenburger Tafel sind gern gesehen. In der Summe ist das schon wieder so eine kleine Genialität: Die Zielgruppe dort abzuholen, wo die Kritik ansetzt - Chapeau!


„REVERSE“ ist vielleicht keine absolute Innovation und kein „Crazy Shit“. Es passiert nichts vollkommen Verrücktes und es droht keine Eskalation. Die Ausstellung ist aber eine starke Momentaufnahme - und nicht zuletzt auch: Position - der Oldenburger Kunstszene. Und im Gegensatz zu fast allem anderen im vorweihnachtlichen Konsumrausch ist das Ganze auch noch vollkommen gratis - und setzt auch noch einen gesellschaftskritischen sowie klimafreundlichen Akzent. Mehr geht nicht!

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