LUCIA KEIDEL: NATUR UND MENSCH
- kulturschnack
- 7. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Sept.
Nein, mit den Kolleg:innen vom Damm hat die neue Ausstellung im Landesmuseum Kunst & Kultur nichts zu tun. Doch das Metier von Lucia Keidel ist eben jenes, um das sich auch das andere Landesmuseum kümmert: Natur und Mensch. Die im Januar mit dem Förderpreis der Kulturstiftung der Öffentlichen ausgezeichnete Künstlerin präsentiert filigrane und philosophische Arbeiten - die ihr euch bis zum 10. August 2025 unbedingt ansehen solltet.

Es gibt Begegnungen mit der Kunst, an die erinnert man sich lange zurück. So war es auch im Oktober 2024, als die Oldenburger Kunstschule ihr 40-jähriges Jubiläum feierte und anlässlich dessen Arbeiten von Absolvent:innen im Oldenburger Schloss zeigte. In einer Nische der Ausstellungsfläche im Dachgeschoss begegnete man plötzlich einigen säuberlich portionierten Erdhäufchen. Hinter ihnen flackerten Bewegtbilder mit Aufnahmen von Wäldern, aber auch von Fabriken. Diese Kombination war auf eine dezente Weise spektakulär. Auch wenn in der Nähe Exponate von Genregrößen wie Michael Beutler standen, konnte man nicht anders, als eine Beziehung zu diesem Werk aufzubauen - zwischen Irritation, Faszination und Inspiration. Schließlich ist man Mensch - und blickt auf die Natur.
Verantwortlich für diesen besonderen Moment war die in Oldenburg aufgewachsene Künstlerin Lucia Keidel. Die 32-Jährige wusste die Kunstschule als Sprungbrett zu nutzen. Sie studierte Kunst an verschiedenen Hochschulen in Amsterdam, Groningen und Maastricht. Immer stärker kristallisierte sich dabei ihr Fokus auf die Natur heraus. Und das in doppeltem Sinne: Als Gegenstand der künstlerischen Betrachtung - aber auch als Werkstoff und Kunstobjekt. Das Ergebnis: Man fühlt sich Lucias Kunstwerken als Mensch sehr nah, taucht in sie ein, begegnet der Natur visuell und emotional. Es entstehen wunderbare Momente der Bewusstwerdung. Und genau dazu haben wir jetzt ausführlich Gelegenheit - denn im Schloss ist Lucia nun mit einer Einzelausstellung zu sehen.
LUCIA KEIDEL:
WALDARBEITEN. WONDERING MITWELTEN
SONDERAUSSTELLUNG ANLÄSSLICH DER VERLEIHUNG DES FÖRDERPREISES DER KULTURSTIFTUNG DER ÖFFENTLICHEN OLDENBURG
19 JUNI BIS 10. AUGUST 2025
DIENSTAG-SONNTAG 10-18 UHR LANDESMUSEUM KUNST & KULTUR
DACHGESCHOSS
26122 OLDENBURG
Der Wald im Schloss
Innehalten. Das war es, was als erstes passierte, nachdem wir die Ausstellung im Dachgeschoss des Schlosses betraten. Es ist ein gänzlich anderes Gefühl als etwa bei der World Press Photo Exhibition, die ebenfalls an diesem Ort stattfindet. Dort konkurrieren mitunter geradezu aufdringliche Motive um die Blicke der Gäste. Bei den „Waldarbeiten“ von Lucia Keidel verhält es sich anders. Sie sind nicht aufmerksamkeitsheischend. Im Gegenteil, sie wirken nur zurückhaltend auf die Betrachter:innen. Und dennoch entfalten sie sogleich einen eigentümlichen Reiz, den man genauer ergründen möchte - nachdem man zunächst innegehalten hat.

Vielleicht hat diese kurze gedankliche Pause auch damit zu tun, dass die Räume im Dachgeschoss verdunkelt und sogar bei 31 Grad Außentemperatur angenehm kühl sind. Das erinnert... beinahe an einem Wald. Zwar gibt es im Schloss keine natürliche Verdunstung. Jedoch rücken uns die ausgestellten Kunstwerke ganz in die Nähe dieser Erfahrung. Dazu gehört übrigens auch die Akustik, denn überall scheint es zu flüstern, zu plätschern, zu rascheln und zu tropfen. Man wird gewissermaßen mit allen Sinnen eingesogen in diese andere Welt.
Beim Gang durch die Ausstellung fällt schnell auf, dass sich Lucia Keidels Arbeiten grob in zwei Varianten aufteilen lassen: Zum einen in die gegenständlichen Skulpturen, die fast ausschließlich aus natürlichen Materialien bestehen, und zudem an Formen und Farben von realen Vorbildern erinnern. Ihnen gelingt es, die Natur zwar bis zu einem gewissen Grad nachzuahmen, dabei jedoch eine ganz neue Wirkung zu erzielen.

Verantwortung für die Mitwelt
Die künstlerische Annäherung führt uns größere Kontexte vor Augen, provoziert neue Wahrnehmungen und damit auch Fragen. Dieser Eindruck ist keineswegs ein Zufall, denn Lucias künstlerisches Kernthema ist die Natur, wie sie uns im Gespräch verrät: „In der Natur fühle ich ein ganz starkes Gefühl der Verbundenheit, ein Teil von ihr zu sein. Daher spreche ich auch lieber von 'Mitwelt' statt Umwelt.“
Künstler*innen hätten eine Verantwortung für diese Mitwelt, betont die gebürtige Bremerin. Daher nutze sie selbst von wenigen Ausnahmen abgesehen nur Naturmaterialien, vorwiegend Lehm, Holz, Fruchthülsen, Zapfen und Rinden. „Lehm zum Beispiel ist ein Jahrtausende altes Material, ein unendlich wiederverwertbarer Baustoff, an Nachhaltigkeit also nicht zu überbieten“, schwärmt Lucia. Zudem liebe sie seine Geschmeidigkeit und Formbarkeit. Doch auch die weiteren Elemente bieten ungeahnten Vorteile: „Hülsen, Zapfen und Rinden faszinieren mich wegen ihrer Haptik, ihrer Vielfalt und der Fülle ihres Vorhandenseins. Zudem hat das Sammeln dieser Materialien im Wald etwas sehr Meditatives“, gewährt uns die Künstlerin einen Einblick in ihre Arbeit und ergänzt:
„Mosaikartig angeordnet erzeugen die natürlichen Materialien neue Bilder, Formen und Assoziationen und wecken so den Blick für die Einzigartigkeit der Natur, die wir der Zerstörung preisgeben, statt alles daran zu setzen, sie zu erhalten. Wenn meine Werke ein wenig den Blick dafür öffnen, habe ich schon viel erreicht.“

Tatsächlich erzeugen die kleinen Artefakte, die hier in geradezu ergossenen Landschaften zu kunstvollen Mosaiken zusammengesetzt sind, ganz neue Wirkungen. Es ist paradox, aber gerade ihre Entnahme aus der Natur bewirkt, dass man sich ihrer noch stärker bewusst wird. Hier, in der beinahe sakralen Ruhe des Dachgeschosses im Oldenburger Schloss, erkennt man die Schönheit des Alltäglichen, Übersehenen, Unbeachteten. Ein konkretes Ziel verfolgt Lucia Keidel mit ihrer Kunst allerdings nicht, wie sie verrät. Vielmehr möchte sie für die Schönheit, Einzigartigkeit und die Verletzlichkeit der Natur sensibilisieren - was ihr mit der Ausstellung „Waldarbeiten“ zweifellos gelingt.
Digitale Natur-Erfahrung
Aufmerksame Leser:innen haben nicht vergessen, dass gerade von zwei Varianten die Rede war, in die sich Lucias Kunst einteilen lässt. Neben den mal filigranen, mal raumgreifenden Skulpturen stehen zum Teil großformatige audiovisuelle Installationen, die sich trotz ihrer Dimensionen gut in die Ausstellung integrieren. An dieser Stelle gelingt sogar ein weiteres bemerkenswertes Paradoxon: Obwohl die Sequenzen mittels etlicher Beamer in die Ausstellung eingespielt werden, machen sie die Natur-Erfahrung noch intensiver. Denn sie sind nicht etwa ein Gimmick, der die Kunst einmal durch eine Zeitgeistmaschine dreht. Nein, Lucia versteht es, ihre Botschaften mit diesen Elementen zu akzentuieren und die Ausstellung damit zu bereichern.

Ob es nun sphärische Eindrücke sind oder aufwändige Filmsequenzen wie „Step One“: Die Videoformate vertiefen die Eindrücke, die zunächst durch die Skulpturen erweckt wurden. Für Lucia gehören beides sowieso eng zusammen: „Das Verständnis für den Klimawandel ist schwer zu erfahren in einer digitalen Ära, in der viele Umgebungen nicht mehr durch physische Präsenz definiert werden und fast alles online erfasst und über Bildschirme wahrgenommen wird“, ordnet die Künstlerin ein. Dieser Wandel beeinflusse auch die Interaktion mit der Mitwelt.
„Ich glaube, dass wir der sensorischen Wahrnehmung und ihrer Bedeutung zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Doch genau sie spielt eine entscheidende Rolle darin, wie wir uns selbst und die Erde wahrnehmen – und schließlich, wie wir uns um sie kümmern.“
Deshalb sucht Lucia nach verschiedenen Wegen, ihr Anliegen zu transportieren. Ihre Videoarbeiten seien daher tatsächlich häufig eher eine Erweiterung des physischen Werkes, die zwar die digitalen Sehgewohnheiten aufgreifen, den Blick jedoch zurück in die Natur lenken. Die Förderpreisträgerin trickst uns also gewissermaßen aus, indem sie unseren intuitiven (oder antrainierten?) Blick auf alles, was flackert, strahlt und sich bewegt, in die analoge Welt zurückführt. Ein kluger Mechanismus - der darüber hinaus aber überaus sehenswert ist.

Fragile Ökosysteme, fragile Kunst
Apropos Förderpreis: Für Lucia Keidel schloss sich mit der Auszeichnung im Januar 2025 ein Kreis. „Ich verfolge den Preis der Kulturstiftung der Öffentlichen Versicherung schon seit meiner Jugend und ich hatte immer das Ziel mich auch einmal zu bewerben“, erzählt sie. Eine Auszeichnung habe sie nie erwartet, insgeheim aber vielleicht erhofft. Entsprechend groß war die Freude: „Ich war sehr überrascht, auch weil der Anruf so früh Anfang des Jahres kam. Ich habe mich sehr über diese Chance und auch Wertschätzung meiner Arbeit gefreut.“
Was diese Wertschätzung betrifft, bezieht sich die Jury klar auf die Themen, die Lucia in unserem Gespräch als ihre Schwerpunkte genannt hat. In der Begründung heißt es: „Lucia Keidel konzentriert sich auf die intersensorischen Beziehungen ökologischer Materialien sowie auf ihre transformative Kraft in der digitalen und physischen Welt. Sie lenkt somit die Aufmerksamkeit der Betrachter auf die Schönheit und Fragilität unserer Ökosysteme, um die Art und Weise, wie wir mit unserem Planeten umgehen, zu verändern.“

Wer in diesen Wochen Lucia Keidels Einzelausstellung „Waldarbeiten“ im Oldenburger Schloss besucht, wird genau diesen Effekt spüren: Dass der persönliche Blick beinahe unweigerlich auf die Schönheit und Fragilität der Ökosysteme fällt und man dadurch auch seine Position dazu überdenkt. Lucia beschreibt den Effekt so:
„Die Arbeiten sind aus dem Wald heraus entstanden. Die Haut des Waldes, verletzt, zerbrochen und wieder zusammengesetzt. Dafür nehme ich die Betrachter:innen mit auf eine Reise durch die verschiedenen Räume der Ausstellung, um genau hinzuspüren, was die Erde uns sagt. Denn die Beziehung zur Haut der Erde, zu unserer Mitwelt formen wir mit.“
Für uns Besucher:innen entsteht dadurch eine mehrfach positive Erfahrung, denn alle Ebenen der Ausstellung funktionieren hervorragend: Die Skulpturen sind in ihrer filigranen Ästhetik absolut sehenswert, die Filmsequenzen sind in jedem Einzelfall viel mehr als nur Beiwerk, sondern visuell eindrucksvolle Kunstwerke. Am wichtigsten ist aber vielleicht die Reflektion. Wir wagen jedenfalls die Behauptung, dass niemand von der Ausstellung unberührt bleibt - und das kann in diesem Fall nur gut für uns sein.
Es gibt Begegnungen mit der Kunst, an die erinnert man sich lange zurück. Und wenn der kleine Einblick in Lucia Keidels Arbeiten im Oktober 2024 bereits eine war, dann gilt dies für die „Waldarbeiten“ erst Recht. Unser Tipp: Nehmt euch Zeit, schaut euch die Ausstellung in aller Ruhe an, genießt eure persönliche Begegnungen von Natur und Mensch - und wer weiß, vielleicht beginnt auch ihr mit einem Innehalten.