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LIEBE ALS BEDROHUNG

Deniz Ohde gehört zu den aufregendsten deutschen Nachwuchsautorinnen. Mit ihrem Debüt „Streulicht“ feierte sie vor drei Jahren große Erfolge. Nun kommt sie mit ihrem zweiten Buch „Ich stelle mich schlafend“ nach Oldenburg - und wird einmal mehr für Furore sorgen, denn das Thema hat es in sich.


Ausschnitt des Titelbildes des zweiten Buchs von Deniz Ohne. Es zeigt Häuser, die sich in einer Pfütze auf Asphalt spiegeln.
Tatort Alltag: Das Perfide an häuslicher Gewalt ist nicht zuletzt, das sie im vertrauten Umfeld passiert. (Bild: Suhrkamp Verlag)

Es gibt Ereignisse im Leben, zu denen man kaum die treffenden Worte finden kann. Zu ihnen gehören ohne Zweifel gewalttätige Übergriffe in partnerschaftlichen Beziehungen. Was die Opfer innerhalb ihrer intimsten Privatsphäre erdulden müssen - Verunsicherung, Verängstigung, Verzweiflung - lässt sich kaum nachempfinden. Wenn der vermeintliche Schutzraum zum Gefängnis und die Liebe zur Bedrohung wird, dann könnte der Kontrast nicht stärker sein.


Deniz Ohde hat für ihr Zweitwerk dennoch genau dieses Szenario gewählt. Und sie findet tatsächlich Worte, die sich dem Geschehen annähern, ohne plump oder plakativ zu sein. Ist das nun eine kaum auszuhaltende Konfrontation? Oder ist es starke Literatur, die wir - trotz des Settings - positiv erleben können? Die Antwort darauf gibt nun eine Lesung des Literaturhauses Oldenburg im Wilhelm13..


 

LITERATURHAUS OLDENBURG


DENIZ OHDE:

„ICH STELLE MICH SCHLAFEND"


DIENSTAG, 16. APRIL 2024

19.30 UHR


WILHELM13

LEO-TREPP-STRAßE 13

26121 OLDENBURG


 

Furchtlos und feinsinnig


Deniz Ohde hat keine Angst. Sie ist sich bewusst: Wenn ich ganz genau hinschaue - in die tief verschatteten Nischen unserer Gesellschaft - dann gefällt mir nicht zwangsläufig, was ich entdecke. Doch man sieht dabei das echte Leben - roh und rau, vielfältig und widersprüchlich. Mit ihrer Haltung gelingen Deniz bemerkenswerte Nahaufnahmen aus unseren Nachbarschaften - allerdings von Motiven, die viele von uns nicht bemerken, weil sie eben nicht so genau hinschauen.


Die Frankfurter Autorin Deniz Ohde, die in Oldenburg ihr zweites Buch vorstellt.
Furchtlos: Autorin Deniz Ohde schaut genau hin. (Bild: Börge Meyn)

Genau das können sie nun aber zumindest mittelbar nachholen. Ihre feinsinnigen Beobachtungen hat Deniz in zwei Romanen veröffentlicht, die beide für große Aufmerksamkeit in der Literaturszene gesorgt haben. Nicht nur, weil die Frankfurter Autorin Themen findet, die nicht längst auserzählt sind und die ideale Szenarien für menschliche Dramen bieten. Sondern auch, weil sie eine ganz eigene Sprache findet, die auf eine schroffe Art kunstvoll ist, die aber auch ohne Germanistikstudium gut lesbar bleibt.


Das war bereits bei ihrem Debüt „Streulicht“ der Fall, für das sie u.a. auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand und den aspekte Literatur-Preis erhielt. Hier gelang ihr ein intensiver, oftmals schmerzhafter Blick auf ein Leben in einem eher bildungsfernen Arbeiter-Milieu. Jedoch nicht, ohne eine gewisse Spannung zu erzeugen und - ja - auch Unterhaltung zu bieten. Es ist nicht zuletzt dieser Spagat zwischen Anspruch und Zugänglichkeit, die Deniz' Bücher so lesenswert macht.


DENIZ OHDE IN OLDENBURG DER ZWEITE VERSUCH

Das Titelbild des ersten Romans von Deniz Ohne, die nun im Wilhelm13 in Oldenburg  ihr zweites Buch vorstellt.
Industriecharme? In ihrem Debüt schildert Deniz Ohde ein Leben in rauem Umfeld. (Bild: Suhrkamp Verlag)

Ursprünglich hätte Deniz Ohde bereits im Frühjahr 2021 im Literaturhaus zu Gast sein sollen, um ihren vielfach ausgezeichneten Debütroman „Streulicht“ vorzustellen. Seinerzeit machte jedoch die Corona-Pandemie einen Strich durch diese Rechnung: Die Veranstaltung konnte nicht stattfinden und musste ersatzlos entfallen. Ersatzlos? Nein, nicht ganz. Damals musste man notgedrungen erfinderisch sein - und das war auch das Literaturhaus Oldenburg. Statt des geplanten Gesprächs mit Literaturkritiker Thomas Schaefer auf der Bühne fand ein schriftlicher Austausch zwischen ihm und der Autorin statt. Der konnte zwar das Live-Erlebnis im Wilhelm13 nicht ganz ersetzen, hatte aber einen entscheidenen Vorteil: Man musste nicht vor Ort sein, um ihn mitzuerleben. Und so ist dies auch heute noch möglich - und zwar hier.


Emotionale Extremsituation


Deniz erzählt die Geschichte von Yasemin und Vito, die bis in ihre Jugend zurückreicht. Beide wachsen im selben Hochhauskomplex auf, mit dreizehn verliebt sich Yasemin in den drei Jahre älteren Nachbarn. Nachdem das Mädchen infolge einer Erkrankung auf Distanz geht, verlieren die beiden sich jedoch aus den Augen. Zwanzig Jahre später treffen sie sich wieder - und Yasemin hält dieses späte Aufflammen der Jugendliebe für Schicksal. Aber dann zeigt Vito sein Inneres, das bedrohlich ist und leer.


Schon der Titel des Buchs spricht Bände. „Ich stelle mich schlafend“ erzählt viel mehr als man zunächst glaubt - über wachsende Ängste und der Suche nach Schutz, über Hoffnung auf Unversehrtheit und die bange Frage nach dem weiteren Verlauf des Moments. Dieser schlichte Satz transportiert bereits sehr viel über die emotionale Extremsituation von Yasemin - schließlich gehört zu dieser Vortäuschung eine Motivlage und deren Entstehungsgeschichte.


Reden über Literatur: Wie spannend und unterhaltsam das sein kann, zeigt u.a. der Suhrkamp-Podcast „Dichtung & Wahrheit“, bei dem Deniz Ohde im März zu Gast war.

Dennoch ist das Buch nicht durchweg beklemmend. Yasemin ist mehr als nur ein Opfer und mit dem Täter verbindet sie weit mehr als nur eine dramatische Situation. Deniz' Erzählung holt weiter aus und lässt uns dadurch tiefer mitfühlen als es bei einer dramatischen Zuspitzung der Fall gewesen wäre. Und diese Tiefe ist ein positiver Effekt.



Kontext und Konfrontation


Einmal mehr belässt es das Literaturhaus nicht dabei, einfach nur eine Autorin auf die Bühne zu setzen und zu hoffen, dass sie überdurchschnittliche Entertainer-Qualitäten besitzt. Deniz wird - wie schon 2021 geplant - mit dem Literaturkritiker Thomas Schaefer über ihr Buch sprechen. Das heißt: Es bleibt nicht bei Passagen aus „Ich stelle mich schlafend“, es gibt Kontexte und Reflektionen dazu - und die stehen dem literarischen Werk häufig in nichts nach.


Dabei wird spannend zu hören sein, welche Bezugspunkte Deniz selbst zum Thema hat, was es in ihr auslöst und wie ihr Entschluss reifte, es zum Gegenstand ihres zweiten Romans zu machen. Immerhin stand sie dadurch vor der Aufgabe, das eigentlich Unbeschreibliche auszudrücken - das zudem auch für die Leserschaft eine Herausforderung sein könnte. Allein deshalb wäre „Ich stelle mich schlafend“ bereits ein mutiges Buch. Das ist es aber auch, weil Deniz eine Sprache findet, die auf eigentümliche Weise „richtig“ erscheint, weil sie weder die Opferperspektive überbetont, noch Verständnis für den Täter weckt. Ihr gelingt eine erstaunlich sichere Gratwanderung. Zu Recht gilt Deniz Ohde deshalb als eines des großen deutschen Literaturtalente. Dass wir sie in Oldenburg erleben dürfen - und das gewissermaßen bereits zum zweiten Mal - unterstreicht Bedeutung und Qualität des Literaturhauses.


Ja, eine Konfrontation ist das neue Buch von Deniz Ohde durchaus. Jedoch ist sie keineswegs unaushaltbar, obwohl die Autorin uns Leser:innen sehr nah ranlässt an ihre Protagonistin und ihre beklemmende Situation. Das liegt auch daran, dass Deniz ein Kunststück gelingt: Sie findet treffende Worte, wo man eigentlich keine finden kann. Deshalb ist das Buch ein starkes Stück Literatur, das wir positiv erleben können. Die Liebe mag also zur Bedrohung werden - für die Lesung gilt das aber nicht.

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