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HEARTACHE TO HEARTACHE

Nein, an Horst Janssen hat Pat Benatar sicher nicht gedacht, als sie im Jahr 1983 ihren Welthit „Love is a Battlefield“ ins Mikro schmetterte. Und doch ist dies der ideale Titel für eine Ausstellung, die Janssens Werk in einen Kontext zur Erotik stellt. Denn eines wird dabei schnell klar: Liebe ist kompliziert. Auch - oder gerade? - für einen gefeierten Künstler.


Was siehst du? Die Ausstellung zu Erotik in Janssens Bildern bindet das Publikum bewusst mit ein. (Bild: Kulturschnack)

Horst Janssen und die Frauen: Das ist ein Thema, dass sich geradezu aufdrängt, wenn man sich mit dem berühmten Grafiker beschäftigt. Sie waren sein Lebensmittelpunkt: zwischen Muse und Zumutung, Inspiration und Irritation. Deshalb gab es bereits im Jahre 2002 - nur zwei Jahre nach der Gründung - eine Schau im Horst-Janssen-Museum dazu. Dass es dabei nicht nur um intellektuelle Stimulation ging, zeigte spätestens im Jahr 2014 eine andere Ausstellung mit dem Titel „Geile Sybillchen. Erotische Fantasien von Horst Janssen“.


Dennoch ist dieses Thema keineswegs auserzählt - vor allem dann nicht, wenn man es in zeitgeschichtliche Kontexte setzt, sowohl historisch als auch aktuell. Genau das passiert nun im Horst-Janssen-Museum. Ein Anlass für die aktuelle Ausstellung waren nämlich Kommentare im Gästebuch des Hauses die den Namensgeber in ein schlechtes Licht rückten. Die intelligente Reaktion des Museumsteams: Nicht etwa ignorieren, sondern genauer hinsehen. Und dabei seid auch ihr gefragt!

 

HORST-JANSSEN-MUSEUM


LOVE IS A BATTLEFIELD:

WIE EROTISCH IST DIE KUNST VON HORST JANSSEN?


14. OKTOBER 2023 - 28. JANUAR 2024


DIENSTAG-SONNTAG

10 BIS 18 UHR


26121 OLDENBURG

 

Willkommen im Porno-Zirkus


Wenn man in ein Gästebuch schreibt, kann man nie wissen, welche Folgen das hat. In der Regel vermutet man zu Recht: gar keine. Doch manchmal kommt es anders, wie nun im Falle des Horst-Janssen-Museums. Dort habe es über Jahre hinweg zwar kaum auffällige Einträge gegeben, doch das habe sich zuletzt geändert, berichtet Dr. Jutta Moster-Hoos, Leiterin des Hauses und zusammen mit Dr. Sabine Siebel auch Kuratorin der Ausstellung: „In den letzten Monaten gab es Kommentare, Janssen sei 'schwanzgesteuert' und 'übersexualisiert'“, erzählt sie. Ein anderer Gast habe ganz direkt gefragt: „Was soll der Porno-Zirkus?"


Eine derartige Entweihung des namensgebenden Künstlers könnte man durchaus als Affront interpretieren. Doch genau das geschah nicht. Stattdessen ging man offensiv mit den Einträgen um und machte sie zur Keimzelle einer neuen Ausstellung. Un das sogar in doppelter Hinsicht: thematisch und systematisch. Denn nicht nur geht es um Janssens Verhältnis zur Erotik - darüber hinaus werden die Eindrücke des Publikums eingebunden. „Ein Experiment“, gibt Jutta zu. Aber eines, auf das wir gespannt sein dürfen.


Bild einer nackten Frau des Grafikers Horst Janssen, zu sehen im Horst-Janssen-Museum Oldenburg
Erotisch oder nicht? An vielen Motiven dürften sich die Geister scheiden. (Bild: Kulturschnack)

Doppelt ist besser


Eine Gästebuch bietet eine gewisse Interaktivität. Dieses Prinzip wurde bei der Konzeption von „Love is a Battlefield“ wieder aufgegriffen. Das Museum habe zwei Strategien zur Ausstellung entwickelt, berichtet Jutta. Bei der ersten - und das ist ungewöhnlich - handele es sich nicht etwa um einen Kniff in der Präsentation, sondern um eine Umfrage; „In den letzten Monaten haben wir die Menschen in den sozialen Medien und bei uns im Haus gebeten, sich sieben ausgewählte Motive anzusehen. Dazu haben wir gefragt: was seht ihr? Haltet ihr das für Realität, Fiktion? Ist es erotisch, ist es total abtörnend oder verstörend? Was seht ihr überhaupt?“


„You're making me go Then making me stay Why do you hurt me so bad? It would help me to know Do I stand in your way Or am I the best thing you've had? Believe me, believe me I can't tell you why But I'm trapped by your love And I'm chained to your side.“

Einige Antworten kann man bereits in der Ausstellung nachlesen und sie deuten an, wie unterschiedlich man die Werke Janssens wahrnehmen kann. Dabei geht es zum einen darum, was man überhaupt sieht - denn das ist nicht immer eindeutig zu erkennen. Zum anderen geht es um die Frage, was das Gesehene mit den Betrachter:innen macht. Was löst es in uns aus? Und auch hier weisen die Reaktionen eine große Bandbreite auf. Natürlich - denn mit jedem Unterschied in den Persönlichkeiten und den Sehgewohnheiten wächst auch die Zahl der Interpretationsmöglichkeiten.


Titelbilder von Illustrierten aus den 1970er Jahren in der Ausstellung Love ia a Battlefield im Horst Janssen Museum Oldenburg
Viel nackte Haut: Die Person Horst Janssen und ihr Verhalten lässt sich kaum vom zeitgeschichtlichen Kontext trennen. (Bild: Kulturschnack)

Neue Freiheiten


Die zweite Strategie der Ausstellung ist die Einbindung der Werke in den zeitgeschichtlichen Kontext ihrer Entstehung. Dieser Blick zurück ist nicht unwichtig, schließlich verändern aktuelle Strömungen unseren Blick auf die Dinge. Seit „Me Too“ sieht man das Verhalten alter, weißer Männer jedenfalls kritischer als zuvor - und Janssen war zweifellos einer von ihnen. Die Erinnerung an den historischen Kontext dient dabei nicht als Rechtfertigung, sondern hilft bei der Einordnung.


„When I'm losing control Will you turn me away Or touch me deep inside? And when all this gets old Will it still feel the same There's no way this will die But if we get much closer I could lose control And if your heart surrenders You'll need me to hold.“

„Was war eigentlich los in den 60er, 70er, 80er Jahren, als Janssen gearbeitet hat? Was konnte er sehen? Was konnten alle sehen?“ nennt Jutta eine ganze Reihe an Fragen, die sich zwangsläufig stellen. Zur Orientierung: In dieser Zeit war die sexuelle Revolution in vollem Gange, nach den maximalkonservativen Wirtschaftswunderjahren entdeckte die bundesdeutsche Bevölkerung neue Freiheiten.


DEINE MEINUNG ZÄHLT

MITMACHEN IST ANGESAGT


Bereits seit einigen Monaten hat das Horst-Janssen-Museum Stimmen zu den Bildern des Künstlers eingefangen. Sie bilden bereits eine große Bandbreite an Meinungen und Stimmungen ab - doch da geht noch mehr. Das Museums ist an weiteren Eindrücken interessiert, unter anderem an deinen!



Du kannst entweder im Museum mitmachen, während du dir die Ausstellung anschaust - oder du nimmst einfach online teil. Unter diesem Link kannst du dir die ausgewählten Werke Janssens selbst anschauen und deine Eindrücke dazu mitteilen. Alle Reaktionen werden gesammelt und ausgewertet - und so wirst auch du Teil des gegenwärtigen Blicks auf Horst Janssen.



Eine Art Höhepunkt dieser Entwicklung war im Januar 1975 die Legalisierung von Pornographie, die zusammen mit der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit neue Spielfelder eröffnete: „Alles, was künstlerisch durchdrungen wurde, war okay“, erklärt Jutta und erinnert sich: „Es gab da eine interessante Formulierung: Der künstlerische Anspruch steht über den Sitten und dem Gefühl des Normalmenschen.“ Janssen nahm diese Entwicklung offensichtlich auf, in vielen Werken spiegelt sich eine neue Freizügigkeit.



Keine Gefälligkeiten


Nun fallen die Antworten auf die Fragen, was erotisch ist und was nicht, höchst unterschiedlich aus. Was die einen anregt, lässt die anderen kalt. Das ist bei den Werken von Horst Janssen nicht anders - beziehungsweise gilt dieses Prinzip hier ganz besonders. Denn wenn ihm eines immer fremd war, dann ist es eine Weichzeichnung der Realität im Sinne einer gefälligen Ästhetisierung, Vielmehr hat er gezeichnet, was er mit seinem Auge fühlte - und das war beinahe immer überlagert von Gedanken und Gefühlen, die über das objektiv Sichtbare weit hinausgingen.


„We are young Heartache to heartache We stand No promises No demands Love is a battlefield We are strong No one can tell us we're wrong Searching our hearts for so long Both of us knowing Love is a battlefield.“

Wer durch die Ausstellung läuft, wird deshalb zwar durchaus nackte Haut sehen und Motiven begegnen, die prüde Zeitgenossen:innen vor gewisse Herausforderungen stellen. Zweifellos aber haben wir es hier mit Kunstwerken zu tun, denen es nicht um möglichst detailgetreue Darstellungen oder die Abbildung expliziter Handlungen geht, sondern viele Interpretationen zulässt. Wie man sich persönlich dazu verhält? Das weiß man erst, wenn man selbst vor den Bildern steht. Und man bleibt mit seinen Gefühlen letztlich nicht allein, sondern kann sie in Worte fassen und teilen.


GAR NICHT SO EINFACH

DER WEG ZU HORST JANSSEN




Kein Durchkommen: Wer den üblichen Weg vom Lappan kommend am Stadtmuseum vorbei zum Horst-Janssen-Museum gehen will, kommt schnell nicht mehr weiter. Selbst für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen ist kein Durchkommen.



​Kurzer Umweg: Wer den Blick aber nur etwas nach rechts schweifen lässt, bekommt eine Alternative geboten: Einmal um den Pudding geht es zur neuen Ausstellung "Love is a Battlefield“. Das heißt: über die Raiffeisenstraße und den Bundesbahnweg kann man die Sperrung umgehen.



​Praktisch: Auf dem Boden befinden sich Hinweise, die euch in die richtige Richtung lenken. Verlaufen ist quasi unmöglich - wobei es bei der Marschroute „Einmal um den Pudding“ eine Kunst für sich wäre, das Ziel nicht zu finden. Bonus: Man kommt auf diesem kurzen Weg an imposanten Straßenkunstwerken vorbei.



Nur Mut: Wenn man sich an den MEMUR-Murals sattgesehen hat, biegt man am Ende einfach wieder links in die Straße Am Stadtmuseum. Zwar warten dort auch nochmal Hindernissen - aber keine die man nicht umgehen könnte.

Wer nun befürchtet, mit der Ausstellung eine Art verkapptes Pornokino zu betreten, kann sich entspannen: Dem ist keineswegs so. Dennoch eigent sich „Love is a Battlefield“ weniger gut für sonntägliche Familienausflüge als andere Janssen-Ausstellungen. „Das eine oder andere Werk könnte durchaus ein Schamgefühl verletzen. Es gibt auch gewaltvolle Handlungen“, ist sich Jutta bewusst, vertraut aber auf das Gespür der Besucher:innen: „Da muss jeder ein bisschen selbst entscheiden, ob man diese Konfrontation will oder nicht.“


Keine Frage: Wir wollten sie - und es hat sich gelohnt. Beide Schwerpunkte der Ausstellung - die Interaktion und die historische Einordnung - bereichern die reine Werkschau ungemein. Insbesondere die Möglichkeit, die Bilder nicht nur im inneren Monolog mit sich selbst zu besprechen, sondern seine Meinung auch kundzutun, erweist sich als Gewinn. Aber auch das Hineinversetzen in die zeitlichen Kontexte der Entstehung sorgt für vollständigere Eindrücke.


Blick in die Ausstellung „Love is a Battlefield" im Horst-Janssen-Museum in Oldenburg
Aufgeräumt: Die Ausstellung bietet genug Platz zur intensiven Auseinandersetzung mit der Frage, ob Horst Janssens Kunst erotisch ist oder nicht. (Bild: Kulturschnack)

Blick aus der Zukunft


Und was ist Janssen jetzt? Tatsächlich „schwanzgesteuert“, „übersexualisiert“ und Direktor eines „Porno-Zirkus"? Oder von den Kritiker:innen grandios missverstanden und nur ein Opfer übergroßer Emotionen und mangelnder Impulskontrolle? Antworten wird diese Ausstellung nicht liefern, aber sie begibt sich auf die Suche nach ihnen - und das gemeinsam mit den Besucher:innen. Mit dem Blick auf die jeweiligen Kontexte von Gegenwart und Vergangenheit mag zwar kein gestochen scharfes Porträt des Künstlers entstehen, aber immerhin ein Annäherung an eine schillernde Persönlichkeit zwischen Schatten und Licht.


Liebe als Kampfzone: Pat Benatar hast sicher nicht Horst Janssen im Kopf, die Lyrics bieten aber einige universelle Erkenntnisse über das Wesen der Liebe.

Eines ist sicher: Für Janssen galt der Satz „Love is a Battlefield“, er bewegte sich tatsächlich von „Heartache to Heartache“. Wir sind jetzt in der vergleichsweise günstigen Situation, sein Lieben und Leiden (lassen) mit persönlicher und zeitlicher Distanz zu beobachten und ihn quasi aus seiner Zukunft beurteilen zu können. Ob es etwas an der Rezeption seiner Kunst verändert? Das sei dahingestellt. Eine Interessante Erfahrung ist es allemal - und sie hält wahrscheinlich für alle Betrachter:innen überraschende Erkenntnisse bereit, unabhängig davon, welche Ansichten man vorher dazu hatte.

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