DAS GLOW JAZZFESTIVAL
- kulturschnack
- 3. Sept.
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Sept.
Jazz hat es nicht leicht. Früher als Sound der Jungen und Wilden bekannt, gilt er heute eher als Musik der älteren Gebildeten. Dabei ist es natürlich Unsinn, einen Stil oder ein Genre einer bestimmten Gruppe zuzuordnen. Musik ist für alle da - und Jazz bietet für alle was! Den idealen Einstieg in die Materie bietet jetzt das GLOW Nordwest Jazzfestival der Jazzmusiker Initiative Oldenburg. Warum ihr diese Chance nutzen solltet, hat uns Kontrabassist Michael Hagemeister im Interview verraten.

Jazz? Den Bergiff hat jeder schon mal gehört. Viele von uns kennen aber eher die ikonischen Bilder von Miles Davis, Duke Ellington, Charlie Parker oder John Coltrane als deren oft ausufernden Musikstücke. Auf weltberühmten Fotografien sehen wir, wie diese Superhelden der Musikgeschichte an ihren Instrumenten alles geben, eingehüllt von der stimmungsvollen Atmosphäre verrauchter Bars oder Clubs. Diese Ästhetik ist verdammt cool - doch was ist mit der Musik?
Da tun sich viele schon deutlich schwerer. Kein Wunder, schließlich verlangen die meisten Jazz-Stücke etwas mehr Aufmerksamkeit als eine 08/15-Popnummer. Aber ist der Sound wirklich so komplex? Sind die Stücke tatsächlich hektisch und chaotisch? Oder muss man sich einfach nur darauf einlassen und stellt dann fest: Die Musik ist genauso cool wie die berühmten Bilder? Darüber haben wir uns mit Michael Hagemeister unterhalten der zusammen mit Raimund Moritz und Stella Bergmann das GLOW Jazzfestival der Jazzmusiker Initiative organisiert - und damit einen Ort schafft, an dem man ganz einfach und trotzdem ganz tief ins Thema Jazz eintauchen kann.
GLOW - NORDWEST JAZZFESTIVAL
25 BIS 28. SEPTEMBER 2025
KULTURZENTRUM PFL
WILHELM13
CARL-VON-OSSIETZKY-UNIVERSITÄT
Jazz: Die schöne Herausforderung
Zugegeben: Wir haben für unser Gespräch die völlig falsche Uhrzeit gewählt. An einem Donnerstagmittag um kurz vor Zwölf wirkt das Wilhelm13 jedenfalls nicht wie einer jener verrauchten Clubs, in dem der Jazz zuhause ist. Immerhin aber treffen wir mit Michael Hagemeister einen gutgelaunten Vollblutmusiker, der uns mit seinen Worten an der Faszination des Jazz teilhaben lässt. Noch besser ist es natürlich, Ende September zum GLOW Nordwest Jazzfestival zu gehen, aber dieses Interview ist eine ideale Einstimmung - auf den Jazz selbst.

Michael, wir fangen mit der schwersten Fragen an: Kannst du beschreiben, was Jazz eigentlich ist?
Oh, das ist natürlich eine große Frage! (lacht) Jazz ist sehr vielfältig, deswegen gibt es darauf natürlich keine ganz einfache Antwort. Aber vom Grundsatz her ist Jazz immer improvisierte Musik. Es gibt eine Grundlage - einen Song, ein Pattern, eine Melodie, ein kleines Stück Musik eben - worüber man dann improvisiert. Das kann in relativ engen Formen passieren, wo jeder weiß, was der andere macht. Das kann sich bei freier Improvisation aber auch ganz anders anhören. Es gibt allerdings auch alle möglichen Mischformen, wo es dann in Richtung Pop, Funk oder HipHop geht. Das kennen viele aus dem Radio.
Du spielst selbst Jazz. Was magst du persönlich daran?
Ich bin ja vor allem klassischer Musiker, aber ich spiele auch sehr gerne Jazz. Man könnte sagen: Das ist so eine Art geheime Leidenschaft. Das Tolle daran ist, auf sehr enge Art und Weise mit anderen Musiker:innen zusammenzuspielen. Dieses kleine Stück Musik, das man spielt, kennt man ja auswendig. Dadurch ist man einfach viel freier in dem, was man tut. Und es ist natürlich auch sehr kreativ.
Diese Freiheit setzt einen zwar auch mal unter Druck, weil du dir plötzlich etwas ausdenken musst und andere verstehen sollen, was du da tust. Das ist eine Herausforderung - aber eine sehr schöne!
Nun gibt es ja durchaus unterschiedliche Meinungen zum Jazz. Die einen lieben ihn abgöttisch, die anderen können so gar nichts damit anfangen. Was würdest du einer Person antworten, die Jazz als „viel zu hektisch und chaotisch“ beschreibt?
Ich komme auf die Vielfalt zurück: Es kommt immer darauf an, um welche Form des Jazz es geht. Es gibt ja auch sehr ruhige Musik, die überhaupt nicht hektisch ist. Man sollte einfach mal unterschiedliche Varianten des Jazz ausprobieren. Vielleicht fängt man mit etwas an, das einem schon irgendwie gefällt. Ich hab die Mischformen ja schon erwähnt, da gibt es zum Beispiel die Jazzkantine. Auch bei den Fantastischen Vier findet man in etlichen Songs Jazz-Elemente. Ich selbst bin ganz klassisch über Louis Armtsrong zum Jazz gekommen, von ihm habe ich ein „Best Of“ mit 13, 14 Jahren rauf und runter gehört. Ein guter Einstieg ist sicher auch Nils Landgren, der schon einige Male in Oldenburg gespielt hat. Von da aus kann man sich dann „weiterhören“. Aber wenn einem die Musik dann zu hektisch wird, dann muss man das vielleicht auch nicht hören.
Wo du gerade die Mischformen erwähnst: Gibt es da auch kleine Glaubenskriege, was Jazz ist und was nicht?
Die gibt es auf jeden Fall. (lacht) Das ist in der Kunst ja eigentlich immer so, weil die Leute, die wirklich etwas eigenes erstellen, natürlich sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Müssen sie ja auch, weil ja etwas Einzigartiges entstehen soll. Und wenn man dann auf andere blickt, die andere Schwerpunkte setzen, dann kommt schnell der Gedanke: Was machen die denn da? Das ist doch keine Kunst! Oder eben: kein Jazz!“ Aber das bewegt sich alles im Rahmen, wie überall sonst auch.

Viele Jazz-Stücke dauern relativ lang, manche durchbrechen die Zehn-Minuten-Marke. Die Hörgewohnheiten der Leute gehen aber dahin, dass die Songs immer kürzer sein müssen und der Refrain am besten nach zehn Sekunden schon kommt. Passt Jazz noch in diese Zeit?
Wir haben eine vielfältige Gesellschaft und ich glaube, es wird immer Leute geben, die sich für längere Musikstücke interessieren und die es mögen, dass sie mal richtig eintauchen können und auf eine musikalische Reise geschickt werden. Gerade das ist ja das Tolle: dass man aus dem Alltag rauskommt und gedanklich ganz woanders hingehen kann. Bei einer Autofahrt würde ich mir vielleicht nicht zwingend ein neues Album anhören, weil ich dann nicht die richtige Aufmerksamkeit dafür habe. Aber wenn ich auf ein Konzert gehe, dann kann es auch gerne mal länger gehen. Ich glaube schon, dass es immer Leute geben wird, die das mögen und ich glaube auch, dass es noch mehr sein würden, wenn die Hemmschwellen weg wären.
Gut aufgelegt: Michael erzählt mitreißend von Jazz-Konzerten. Letztlich hilft aber nur eines: Selber erleben - auf dem GLOW Nordwest Jazzfestival. (Bilder: Kulturschnack)
Apropos Konzert: Muss man Jazz live gesehen haben, um den richtig zu verstehen?
Live ist es schon ein besonderes Erlebnis. Nicht zuletzt, weil die Musik flüchtig ist. Die Stücke sind in dieser Form nur kurz da und es gibt sie wegen der Improvisation nur dieses einzige Mal. Danach sind sie unwiederbringlich vergangen. Eine Aufnahme dagegen kann ich mir ja immer wieder anhören.
Zudem ist die Energie auf der Bühne natürlich eine ganz andere als im Studio. Ein starkes Solo reißt die Leute förmlich von den Sitzen. Insofern ist es tatsächlich was Besonderes, Jazz live zu hören.

Du hast jetzt mehrfach die Improvisation erwähnt. Da fragen sich ja viele: Wie funktioniert das? Spürt man als Musiker untereinander, wer gerade dran ist? Oder gibt es geheime Zeichen?
Das hängt ein bisschen von der Art der Musik ab, aber auch davon, wie die Musiker:innen miteinander spielen. In einem klassischen Trio gibt es meist geheime Zeichen vom Bandleader, der siganlisiert: Jetzt bist du dran. In anderen Formationen ist es wirklich so, dass es sich ergibt und dass man das tatsächlich spürt. Aber im Grunde ist es schon so, dass man sich ein bisschen verständigt oder es von vornherein im Arrangement festgelegt wurde, wer wann und wie dran ist.
Spielt dabei eigentlich auch das Publikum eine Rolle. Oder agiert man eher in erster Linie für sich?
Es macht schon einen großen Unterschied aus, ob da Leute sitzen und vielleicht auch mitgehen. Die Musiker:innen auf der Bühne spüren die Stimmung im Raum und manche brauchen sie vielleicht auch, um außergewöhnlich aufzuspielen.
Viele Solos sind wie ein eigenes kleines Stück. Und wenn das vorbei ist, dann wird auch extra applaudiert, während das Stück eigentlich noch läuft. Und das ist schon was, wo das Publikum auch eine wichtige Rolle einnimmt. Man spürt ja, wie die Leute dann mitgehen.

Für das ultimative Live-Erlebnis gibt es ja jetzt demnächst GLOW. Also erzähl mal ein bisschen. Was genau ist das?
GLOW, das Nordwest Jazz Festival, findet dieses Jahr zum ersten Mal in dieser Form und unter diesem Namen statt. Das Line-Up reicht von jungen Musikerinnen und Musikern aus der Region bis zu international bekannten Jazzgrößen aus Deutschland. Die übliche Besetzung besteht aus Schlagzeug, Kontrabass und Klavier als Begleitsektion. Oft kommt dann noch ein Bläser dazu oder ein Sängerin bzw. Sänger. Von der Musik ist es schon viel „Modern Jazz“, also sehr zugängliche Varianten. Vor allem die jungen Bands machen gerne Fusion-Sounds, die stark in Richtung Popklänge gehen. Eine Besonderheit wird es übrigens am Freitag- und Samstagabend im Wilhlem13 geben: Dort wird jeweils ab 22:30 Uhr eine Clubnacht mit einer Live Band stattfinden, wo man dann auch tanzen darf und soll und wahrscheinlich auch muss, weil es gar nicht anders geht.
Der Fokus liegt also auf Oldenburg, es gibt aber durchaus auch bekannte Jazzgrößen zu sehen und zu hören?
Das kann man so sagen. Und das Besondere daran ist, dass auch diese Jazzgrößen alle eine Verbindung nach Oldenburg haben. Wir haben also nicht einfach irgendwelche Leute „eingekauft“, wir haben auf diese Connections zur Oldenburger Szene geachtet. Wie zum Beispiel bei Bertram Lehmann, der zwar aus den Boston, Massachusetts hierher kommt, aber ursprünglich aus Oldenburg stammt und kurz auch in den Niederlanden studiert hat - wie übrigens viele Musiker:innen von hier.
Und wieso der Name GLOW? Was glüht denn da?
Da glüht natürlich unser Herz für die Musik. (lacht) Es war schon fast eine spontane Eingebung, diesen Titel zu wählen. Und wenn man jetzt das Plakat sieht, dann ist die Wirkung schon sehr stark. Ich hoffe, damit können wir für das Festival eine große Aufmerksamkeit erreichen.
Wie ist denn die Idee fürs Festival entstanden? Warum gab es gerade hier in Oldenburg den passenden Nährboden?
Ich bin nicht der größte Experte, aber ich würde sagen, die Grundlagen für die Jazz-Szene wurden schon in den späten Siebziger Jahren in der alten Musikschule gelegt. Ein wichtiger Faktor war und ist aber auch die Uni. Da unterrichten viele tolle Musiker:innen - darunter früher auch Klaus Ignatzek, der als Jazzpianist nicht nur in Deutschland eine Größe ist. Einige, die nun auch beim Festival spielen, haben eine ähnliche Vita: Die habe einst hier an der Uni studiert und dann noch ein richtiges Jazzstudium drangehängt. Dafür mussten sie weg, aber nun kommen sie zurück. Andere sind hier geblieben oder - wie ich - hergekommen und haben sich in der Jazzmusiker Initiative Oldenburg zusammengefunden. Alles befruchtet sich gegenseitig und aus dem ständigen Austausch entstand auch die Idee fürs GLOW.

Ist das GLOW Nordwest Jazzfestival vielleicht der perfekte Einstieg für alle, die bis jetzt noch nicht mit Jazz warm geworden sind?
Ich denke ja. Jazz ist eine sehr lebendige Musik, wenn man sie live hört. Natürlich sind die Aufnahmen auf ihre Weise faszinierend, aber live bietet Jazz eine ganz besondere Atmosphäre. Zudem ist er sehr vielfältig, da ist für jeden was dabei. Die Clubnächte im Wilhelm13 sind ein guter Einstieg, aber auch das Schuljazz-Meeting in der Uni-Aula. Da kriegt man auch eine ziemliche Bandbreite geboten und zudem ist es immer was Besonderes, wenn Jugendliche zusammen Musik machen. Aber auch die anderen Konzerte sind sehr zugänglich,
Man sollte keine Hemmungen haben und einfach mal reinschnuppern, zumal auch die Preise moderat sind. Vielleicht ist GLOW also tatsächlich - wie du sagst - der perfekte Einstieg.

Let's GLOW, Oldenburg!
Ob perfekt oder nicht: Für alle Oldenburger:innen ist GLOW in jedem Fall ein starkes Angebot direkt vor der Haustür. Die Clubnächte unter dem Titel „Latenight Jazz“ werden garantiert gut, dem Jazz-Feeling kommt man bei den Konzerten aber wohl noch näher. Zwar wird keiner der Veranstaltungsorte in ein qualmvernebeltes Zwielicht getaucht sein. Dafür wird sich aber zeigen, dass Jazz auch jenseits der Foto-Klischess rund um die Ikonen dieser Musikrichting wunderbar funktioniert.
Oldenburg ist nicht New York, die Peterstraße nicht die 52nd Street. Trotzdem sollte man das GLOW Nordwest Jazzfestival keinesfalls verpassen. Schließlich ist es niemals zu spät, sich von etwas begeistern zu lassen. Und sollte das bei euch passieren, dann habt ihr in Zukunft nicht mehr nur Bilder im Kopf, wenn ihr den Begriff Jazz hört, sondern coole Sounds und unvergessliche Abende. Let's glow!










