Was hat das kleine theater hof/19 mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, den Münchner Kammerspielen und den Staatstheatern aus Karlsruhe, Braunschweig und Gießen gemeinsam? Sie alle gehören zu insgesamt nur 23 Institutionen, die vom Fonds Zero der Kulturstiftung des Bundes gefördert werden. Wie ist es dem Außenseiter aus Oldenburg gelungen, sich im Konzert der Großen zu behaupten? Darüber haben wir mit Theaterleiterin Frauke Allwardt gesprochen.
Akteuer:innen in der freien Kulturszene lernen früh und oft, mit Enttäuschungen zu leben. Längst nicht jede gute Idee lässt sich auch umsetzen, denn auch die genialsten Einfälle brauchen vor allem eines: Geld. Deshalb gehört das Schreiben von Förderanträgen ebenso zum Alltagsgeschäft von Kulturschaffenden wie die kreative Arbeit.
Allerdings haben längst nicht alle Anträge auch Erfolg. Allzu oft gelingt es nicht, die Mittelgeber:innen von der Qualität der eigenen Idee zu überzeugen. Oder aber: Sie ist eben doch nicht so gut, wie man dachte. Umso schöner ist es, wenn plötzlich eine gute Nachricht eintrifft, die in dieser Form nicht unbedingt zu erwarten war. Genau das war nun beim theater hof/19 der Fall -und davon hat ganz Oldenburg etwas.
THEATER HOF/19
FIETS! - CYCLE & RECYCLE
EIN KLIMANEUTRALES THEATERPROJEKT
GEFÖRDERT VOM FONDS ZER0 DER KULTURSTIFTUNG DES BUNDES
AB HERBST 2025
Im Konzert der Großen
Wenn man darüber nachdenkt, welche Bereiche unserer Gesellschaft beim Thema Klimaneutralität besonders in der Verantwortung stehen, dann landet man schnell bei den üblichen Verdächtigen: Industrie und Produktion, Logistik und Transport, Massentierhaltung. Aber die Kultur? Fällt einem nicht so schnell ein. Und doch hat die Kulturstiftung des Bundes im Jahr 2023 den „Fonds Zer0“ aufgelegt, der Kulturproduktionen fördert, die klimaneutral realisiert werden.
Insgesamt 25 Theater haben bei der Premiere eine Gesamtförderung von 3,04 Mio. Euro erhalten, rechnerisch über 120.000 Euro pro Einrichtung. Eine Entwicklung, die auch Frauke Allwardt vom theater hof/19 registrierte. Zwar waren vor allem große Häuser erfolgreich, zusammen mit Marie-Luise Gunst, die als Schauspielerin und Musikerin seit über zehn Jahren zum „freien ensemble theater hof 19“ gehört, entschied sie sich jedoch, ein Zeichen zu setzen: Mit einer Bewerbung wollte sie einerseits beweisen, dass auch kleine Theater Verantwortung übernehmen können. Andererseits ging es ihr aber auch um das Thema selbst: „Nachhaltigkeit brennt uns seit Langem unter den Nägeln. Und zwar nicht ökologisch, sondern auch kulturell und sozial.“
Die Kultur geht voraus
An dieser Konstellation zeigt sich einmal mehr, dass die Kulturszene bei gesellschaftspolitischen Themen eine Vorreiterrolle übernimmt und sie früher durchdekliniert als große Teile der Wirtschaft. Es scheint der Szene in den Genen zu stecken, die Gesellschaft der Gegenwart genau zu beobachten und sie in einen Zusammenhang mit der Zukunft zu stellen. Wofür andere Task Forces zusammenstellen und Masterpläne entwerfen, folgt die Kultur einfach ihrem „Bauchgefühl“ - und liegt meist richtig damit.
Allerdings sieht Frauke durchaus auch eine Verantwortung: „Die Kultur erzeugt ebenfalls klimaschädliche Emissionen. Vielleicht nicht so sehr durch die Produktionen - aber durch das Publikum, das zu den Veranstaltungen anreist.“ Wenn ein Konzert mit hunderten Besucher:innen stattfindet, zählen zu dessen Klimabilanz nicht nur Strom und Gas, sondern auch die Kraftstoffemissionen der Gäste.
„Dafür braucht es Konzepte. Wir als Veranstalter können uns da nicht rauswinden und behaupten, wir hätten darauf keinen Einfluss'. Wir sind Verursacher, weil wir hier Theater anbieten. Das ist etwas, das uns angeht. Da können wir nicht sagen: 'Keine Ahnung, ist nicht mein Problem.'“
Fietsen for Future
Das theater hof/19 gehört dabei noch zu den geringen Emittenten: „Wir sind ein kleines Haus mit hundert Plätzen und unser Publikum kommt zur Hälfte mit dem Fahrrad“, blickt sie auf die eigene Bilanz. Dennoch spielt das Thema Klimaneutralität eine Rolle: „Bei unser eigenen Klimabilanzierung hat sich deutlich gezeigt, dass mit einem Anteil von 68 Prozent die Mobilität das entscheidende Problem ist.“
Und da ist es bereits gefallen: Das entscheidende Stichwort. Denn passend zur Klimaneutralität der Produktion beschäftigt sich das theater hof/19 auch inhaltlich mit einem wesentlichen Faktor des zukünftigen Stadtverkehrs: Dem Fahrrad. Das noch zu erarbeitende Stück wird nämlich „FIETS!“ heißen. Und wer jemals einen Fuß über unsere westliche Landesgrenze gesetzt hat, weiß vermutlich schon: Es ist das niederländische Wort für Fahrrad.
„Oldenburg rühmt sich ja damit, die Fahrradstadt schlechthin zu sein“, weiß Frauke. Allerdings bedeute das nicht, dass bereits alles perfekt sei. „Für uns steht fest: Das Fahrrad ist das städtische Verkehrsmittel der Zukunft. Und da zeigen Städte wie Utrecht und Kopenhagen, dass noch viel mehr möglich ist.“ Aus diesen Sätzen wird bereits deutlich, dass sich das kleine Theater nicht damit begnügen wird, eine bunte Fahrrad-Show auf die Bühne zu bringen. Vielmehr wird es darum gehen, das Thema mit künstlerischen Mitteln zu betrachten und dabei auch neue Perspektiven zu entdecken.
Bedeutungsvoll aber ausbaufähig: Das Thema Rad bewegt die Menschen, die Qualität der Infrastruktur kann mit dieser Wertschätzung aber nicht mithalten. Oldenburg kam beim ADFC-Fahrradranking 2022 übrigens auf Rang 4 bei Großstädten zwischen 100.000 und 200.000 Einwohner:innen - allerdings mit einer ausbaufähigen Durchschnittsnote von 3,61. (Grafiken: ADFC)
Klimaneutral durch Kreativität
Dass sich die Produktion des theater hof/19 auch inhaltlich mit der Klimafrage auseinandersetzt, ist übrigens nicht die Regel. „Andere beschäftigen sich ebenfalls mit spannenden Fragen, das Staatstheater Braunschweig etwa mit einem nachhaltigen Werkstoff für den Bühnenbau“, berichtet Frauke. „Uns war aber die inhaltliche Auseinandersetzung wichtig, weil uns das Thema schon so lange bewegt.“ Nun macht es verkehrspolitisch natürlich viel Sinn, sich mit der Radnutzung auseinanderzusetzen. Was hat das aber mit Kultur - und genauer gesagt: Theater - zu tun? Die Antwort ist klar: Mehr als man zunächst denkt.
„Wir wollen schauen, wie Kultur positiven Einfluss haben kann auf das Verhalten und auf das Bewusstsein der Menschen, damit diese Stadt eine Chance hat klimaneutral zu werden.“
KULTURSTIFTUNG DES BUNDES
DAS ENGAGEMENT FÜRS KLIMA
Das theater hof/19 war bei der zweiten Runde des „Fonds Zer0“ erfolgreich. Dieses Format ist aber nicht der einzige Akzent der Kulturstiftung des Bundes in diesem Bereich. Es gibt noch einige mehr.
Zunächst einmal bearbeitet der Fonds Zer0 das Thema in drei Schritten: Erstens in der antragsoffenen Projektförderung, zweitens mit Fortbildungs- und Qualifizierungs-Maßnahmen im Rahmen der „Akademie Zer0“ und drittens mit einem Wissenstransfer in regionalen Netzwerktreffen für das gesamte Bundesgebiet („Netzwerk Zer0“). Das heißt also: Es soll und wird Multiplikatoreneffekte geben, die Erkenntnisse in ein neues Selbstverständnis bei Kulturproduktionen übertragen. Die geförderten Projekte darf man in diesem Zusammenhang auch als Best Practices verstehen, die anderen als Vorbild dienen können.
Dazu passen andere Aktivitäten der Kulturstiftung. So veröffentlichte sie im Jahr 2023 den Leitfaden „Veranstaltungen klimabewusst planen und umsetzen“ (Download). Er versetzt Akteur:innen auf sehr einfache Weise - nämlich auf gerade mal 10 Seiten - in die Lage, ihr Projekt möglichst ressourcenschonend und emissionsarm zu realisieren.
Die hohe Zugänglichkeit ist dabei der Schlüssel. Denn wir kennen keine Kulturakteur:innen, die sich danach sehnen, möglichst noch mehr kryptisch-komplexe Formulare auszufüllen. Einfachheit ist Trumpf - und die wird hier erreicht, ohne Substanz dafür zu opfern.
Mit 30 Seiten deutlich komplexer, aber trotzdem mit klarer Hands-on-Mentalität ist eine weitere Publikation: „Einfach machen - Ein Kompass für ökologisch nachhaltiges Produzieren im Kulturbereich“. (Download) In einfachen Schritten („Vorsorgen“, „Besorgen“, „Entsorgen“) gibt der locker aufbereitete Leitfaden viele Anregungen, Tipps und Links, um das eigenen Kulturformat möglichst umweltschonend durchzuführen. Obwohl dabei vieles zu beachten ist, wirkt die Aufgabe dank dieser Orientierung eher spielerisch als anstrengend. |
Lust auf Veränderung
Tatsächlich macht es Sinn, an dieser Stelle keine weitere Tagung mit renommierten Fachleuten durchzuführen, sondern stattdessen mit kreativen Mitteln zu agieren. „Der Kultur gelingt es mehr als anderen - wie etwa der Politik - ein Thema positiv zu betrachten“, weiß Frauke aus Erfahrung. Sie nähere sich dem Thema nämlich über sinnliche Erfahrungen an, biete neue Blickwinkel und appelliere nicht ausschließlich an Intellekt und Vernunft. „In der ästhetischen Praxis geht es auch nicht darum, Antworten zu finden, sondern vielleicht neue Fragen zu stellen, sich neu zu sortieren und Begegnungen mit anderen zu haben.“ Gerade letzteres sei eine Stärke der Kultur und spiele auch bei „FIETS!“ eine große Rolle.
Wenn das Stück im Herbst 2025 Premiere feiern wird, dann wird es zwar große Substanz haben, etwas anderes wird man aber vergeblich suchen: einen erhobenen Zeigefinger. „Es wird einerseits eine tiefgründige, andererseits aber auch eine humorvoll-positive Inszenierung“, erklärt Frauke. Es ginge nicht etwa darum, ein bestimmtes Verhalten anzumahnen, sondern bestenfalls Lust darauf zu machen.
Nachhaltig nachhaltig
An den konkreten Inhalten arbeitet das theater hof/19-Team derzeit noch. Fest steht aber bereits, dass später sechs Künstler:innen auf der Bühne stehen werden. „Es wird viel mit Musik, Bewegung und Tanz passieren. Und wer uns als Theater kennt, weiß dass der Spaß nicht zu kurz kommt und dass wir neue Blickwinkel auf ein altes Problem werfen.“ Dabei werden auch Situationen eine Rolle spielen, die wir alle aus dem Alltag kennen - und die Gefühle, die damit einhergehen: „Im Auto bist du eigentlich immer allein. Jeder sitzt in seiner Blechkiste, fährt vor sich hin, hat keinen Kontakt nach außen.“ Mit dem Fahrrad sei das ganz anders. „Auf dem Rad bist du voll dabei, nimmst Eindrücke direkt auf, kannst besser interagieren.“ Deshalb diene das Rad auch als Symbol und als Startpunkt für viel abstraktere Denkweisen.
Auch wenn das Ensemble des theater hof/19 nun mit großer Begeisterung die performativen Elemente von „FIETS!“ entwickelt, wird es dabei nicht bleiben. Die Förderung durch die Kulturstiftung sei ein willkommener Anlass, größer zu denken als sonst - also auch über den Bühnenrand und die Haustür des Theaters hinaus. „Ich kann mir vorstellen, dass es Diskussionsrunden geben wird, dass es vielleicht auch außerhalb dieses Theaters Aktionen gibt, die in die Stadt reinstrahlen und auch wieder zurückkommen können“, gewährt Frauke einen Einblick in aktuelle Überlegungen. Geplant sei auf jeden Fall, ein Netzwerk mit anderen städtischen Akteur:innen entstehen zu lassen, das im Rahmen des Projekts zusammenfindet - und idealerweise danach bestehen bleibt. Eben: nachhaltig.
Emissionsfrei zum Erfolg
Man muss das Ganze loben: Sowohl die Tatsache, dass die Kulturstiftung des Bundes mit „Zer0“ ein Programm aufgelegt hat, das die Klimaneutralität in der Kultur thematisch verankert - als auch den erfolgreichen Antrag des theater hof/19. Es hat durchaus Chuzpe verlangt, sich als kleines freies Theater gegen die Szenegrößen behaupten zu wollen. Doch der Erfolg zeigt: Der Jury war das gerade recht. Schließlich sendet der Erfolg ein starkes Signal aus: Wenn es auch die Kleinen schaffen - welche Ausreden haben dann noch die Großen?
Natürlich wird jetzt nicht plötzlich jede Kulturveranstaltung klimaneutral sein. Aber dass die Szene - anders als andere Bereiche der Gesellschaft - gedanklich bereits auf dem Weg dorthin ist, darf man durchaus mit einem gewissen Stolz beobachten. Freuen wir uns darüber, dass Oldenburg mit dem theater hof/19 einen Aktivposten in diesem Bereich hat und dass der Antrag für den „Fonds Zer0“ eben keine Enttäuschung bedeutete, sondern Erfolg hatte. Denn diese Förderung der Kulturstiftung des Bundes bedeutet für das Theater und für die Stadt: höchste Weihen.
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