Deutschlands Filmtheater feiern das erste bundesweite KINOFEST. Am 10. und 11. September gibt es das Erlebnis auf der großen Leinwand zum kleinen Preis. Das ist viel mehr als nur ein Lockmittel. Das ist eine konzertierte Erinnerung daran, welche Magie das Medium Film entwickeln kann - und wie sehr er ein Erlebnis ist, wenn er richtig inszeniert wird. So wie an diesem Wochenende.

Unter der Pandemie haben alle gelitten, aber die Kinos gehörten sicherlich zu den am stärksten betroffenen Gesellschaftsbereichen. Als Teil der Kultur waren sie ebenso von den Lockdowns, Regeln und Vorschriften betroffen wie alle anderen Spielarten der Kultur. Gleichzeitig aber stehen die Kinobetreiber selten so sehr im Rampenlicht wie Akteure aus den Theatern oder der Musikszene. Dem Drama um die Kinos fehlte daher ein wenig die menschliche Komponente. Und noch dazu verstärkte sich während der Pandemie der Trend zum Streaming. Das Kinoerlebnis schien man deutlich besser ersetzen zu können als eine Theateraufführung oder ein Live-Konzert. Eine hoffnungslos Situation?
Ganz und gar nicht! Diese Erkenntnis war bereits Gegenstand unseres Podcasts mit Torsten Neumann, Leiter des Internationalen Filmfestes Oldenburg. Denn Kino ist etwas anderes als Fernsehen mit einer maximalen Bildschirmdiagonale. Kino ist einen ganzheitliche sinnliche Erfahrung. Audiovisuell bietet es natürlich allerhöchste Qualität, aber das ist noch mehr. Die spezielle Atmosphäre, die absolute Konzentration, die emotionale Dichte. Film kann erst dann so wirken, wie er gedacht ist, wenn die Ablenkung auf ein Minimum reduziert ist. Und Hand aufs Herz: Wer würde das von seinem eigenen Zuhause behaupten, zwischen Second Screen und Bügelbrett?
DAS KINOFEST IN OLDENBURG
Keine Überraschung: In Oldenburg nehmen die Programmkinos Casablanca und Cine k am bundesweiten KINOFEST teil. Beide zeigen exklusive Vorpremieren von Filmen, die regulär erst in den kommenden Wochen in den Kinos anlaufen - und zwar allesamt für nur 5 Euro! Hier das Programm der beiden Häuser im einzelnen. CASABLANCA
SAMSTAG, 10.09., 20 UHR - LIEBER KURT
Von Til Schweiger mit Franziska Machens, Levi Wolter, Jasmin Gerat, Heiner Lauterbach, Marie Burchard u.a, D 2022 Kurt (Til Schweiger) und Lena (Franziska Machens) ziehen gemeinsam in ein altes, renovierungsbedürftiges Haus außerhalb der Stadt, um näher bei Kurts sechsjährigem Sohn, dem kleinen Kurt (Levi Wolter), und Exfrau Jana (Jasmin Gerat) zu sein. Doch bevor ihr Patchwork- Familienglück so richtig beginnen kann, kommt der kleine Kurt bei einem Unfall ums Leben - und lässt drei Erwachsene zurück, die nicht wissen, wie sie mit diesem tragischen Verlust weiterleben sollen. Während der große Kurt sich völlig zurückzieht und - wenn überhaupt - fast nur noch mit Kurtis Mutter spricht, versucht Lena, gefangen zwischen ihrer eigenen Trauer und dem Wunsch Kurt zu trösten, ihre Rolle in dieser nicht mehr existenten Familie zu finden. Mithilfe ihrer Erinnerungen an die schönsten, komischsten und bedeutendsten Momente mit ihrem Kind versuchen die drei Erwachsenen - Jeder für sich und alle gemeinsam - auf ihre eigene Art und Weise mit dieser Situation umzugehen.
SONNTAG, 11.09., 17:30 UHR - MITTAGSSTUNDE
Von Lars Jessen, mit Charly Hübner, Peter Franke, Hildegard Schmahl u.a., D 2022
Ingwer, 47 Jahre alt und Dozent an der Kieler Uni, fragt sich schon länger, wo eigentlich sein Platz im Leben sein könnte. Als seine "Olen" nicht mehr allein klarkommen, beschließt er, dem auf den Grund zu gehen, seinem Lehrstuhl an der Universität und seinem Leben in der Stadt den Rücken zu kehren, um in seinem Heimatdorf Brinkebüll im nordfriesischen Nirgendwo ein Sabbatical zu verbringen. Doch den Ort seiner Kindheit erkennt er kaum wieder: keine Schule, kein Tante-Emma-Laden, keine Dorfkastanie, keine Störche, auf den Feldern wächst nur noch Mais. Als wäre eine ganze Welt versunken. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Knicks und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und seine Eltern mit dem Gasthof sitzen ließ? Wann verschwand die Mittagsruhe mit all ihren Herrlichkeiten und Heimlichkeiten? - Sönke Feddersen, de Ole, hält immer noch stur hinter seinem Tresen im alten Dorfkrug die Stellung, während Ella, seine Frau, mehr und mehr ihren Verstand verliert. Beide lassen Ingwer spüren, dass er sich schon viel zu lange nicht um sie gekümmert hat. Und nur in kleinen Schritten kommen sie sich wieder näher ...
CINE K
SAMSTAG, 10.09., 15 UHR: LASS UNS TANZEN
2022 | 50 Min. / Eintritt frei für Kinder; Erwachsene zahlen 5 Euro.
Gemeinsam schauen, hören, bewegen und tanzen wir zu fünf einzigartigen und lustigen Filmen, die sorgfältig aus der Cinemini Europe Filmsammlung ausgewählt wurden. Das Programm wird von einer Filmvermittlerin begleitet. In "Lass uns tanzen" ist alles in Bewegung. Nichts steht still. Murmeln schaukeln und rollen in alle Richtungen, Tinte und Linien tanzen im Takt der Musik und ein Hund bewegt sich mit seinem besten Freund weiter ... seinem eigenen Schwanz.
Trailer
SAMSTAG, 10.09., 19:30 UHR: EINE SEKUNDE
Regie: Yimou Zhang | China, HKG | 2020 | 104 Min.
China während der Kulturrevolution: Ein Mann flieht aus einem Arbeitslager im trostlosen Nordwesten Chinas, nur um in einem Dorfkino die Wochenschau anschauen zu können, in der seine Tochter – für eine Sekunde – zu sehen sein soll. Doch dort wird er Zeuge, wie eine Vagabundin eine der Filmrollen entwendet. Es beginnt ein Katz- und Maus-Spiel um die rätselhafte Filmkopie, die bald zur Quelle einer unerwarteten Freundschaft wird.Herzerwärmend und voller skurrilem Humor ist Zhang Yimous neuester Film ein bittersüßer Liebesbrief an die Macht des Kinos, sowohl auf persönlicher als auch auf gemeinschaftlicher Ebene.
SAMSTAG, 10.09., 20 UHR: RISE UP
Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel | Deutschland | 2022 | 89 Min.
Es heißt, dass jeder gesellschaftliche Fortschritt von mutigen Menschen erkämpft werden musste – doch wie ist ihnen das gelungen? Können die gewaltigen globalen Krisen der Gegenwart überhaupt noch bewältigt werden? Getrieben von Fragen, Zweifeln und Visionen, streift der Film durch wilde Bilderwelten, durch die Glücksversprechen der Moderne, erstarrt im Angesicht übermächtiger Feinde, durchlebt Widerstand, Scheitern und Neuanfang. Und wir beginnen zu verstehen – dank der inspirierenden Geschichten von fünf Menschen, die an überwältigenden Gesellschaftlichen Umbrüchen beteiligt waren. Gemeinsam ringen sie mit den Autor:innen des Films und dem Publikum um Antworten. Spüren diesem Punkt nach, an dem Menschen beginnen zu kämpfen. Der Punkt, an dem die Entscheidung fällt, Normalität und Sicherheit hinter sich zu lassen, um etwas ganz Neues zu wagen.
SONNTAG, 11.09., 16 UHR: DIE GREGORS
Regie: Alice Agneskirchner | Deutschland | 2022 | 155 Min.
In einer assoziativen Montage verbinden sich Filmgeschichte, bundesdeutsche und Berliner Zeitgeschichte mit dem heutigen Leben der Gregors, flankiert von den Aussagen vieler Wegbegleiter. Filmemacher und Filmemacherinnen wie Helke Sander, Jutta Brückner, Wim Wenders, Jim Jarmusch, Rosa von Praunheim, Doris Dörrie, Michael Verhoeven, Edgar Reitz, Alexander Kluge, Gerd Conradt und Volker Schlöndorff erzählen von dem Einfluss, den die Gregors auf sie persönlich hatten und zeichnen so ein lebhaftes Bild der Filmkultur von den 60er- und 70er-Jahren, dem Neuen Deutschen Film bis hin zu internationalen Independent Klassikern.
Mit Archivmaterial und Filmausschnitten aus 40 Filmen wie The Chelsea Girls von Andy Warhol, Das Mädchen aus der Streichholzfabrik von Aki Kaurismäki, Shoah von Claude Lanzmann, Rote Sonne von Rudolf Thome oder Hungerjahre von Jutta Brückner spannt der Film einen weiten Bogen, dessen Zentrum Erika und Ulrich Gregor bilden. Mit ihnen unternehmen wir eine Reise durch 70 Jahre Filmgeschichte und erhalten Einblicke in den Alltag dieses bedeutenden Filmpaares, das seit mehr als 60 Jahren verheiratet ist und immer noch jeden Tag zusammenarbeitet – getreu dem Motto von Bertolt Brecht: „Wer noch lebt, sage nicht niemals“.
Etwas anderes kommt noch hinzu. Das KINOFEST feiert das Kino nämlich als „Ort der Begegnung“ - und das ist tatsächlich etwas, das noch zu wenig thematisiert wird. Denn das gemeinsame Filmerlebnis ist ja mehr als nur das Anschauen des Films, es ist auch die anschließende Diskussion darüber. Dabei entsteht etwas in - und mit - uns, das man sonst kaum kreieren könnte. Das Streaming entzieht dem Sehen diese Form der Reflexion. Jeder schaut etwas anderes - bei Serien ist jeder auf einem anderen Stand - und all das bietet keine Basis für gute Gespräche. Kino ist also auch eine Art Gegenpol zur fortschreitenden Individualisierung.
Gelungene Kampagne: Die Plakate zum KINOFEST überzeugen visuell.
Optimismus? Warum nicht?
Immer wieder stimmt irgendjemand den Abgesang aufs Kino an. Die Streamingportale hätten die Dinosaurier der Unterhaltung längst abgelöst, die Sehgewohnheiten der Menschen hätten sich eben verändert, keine Chance auf ein Comeback, die Zeit sei vorbei. Diese Nachrufe sind allerdings mehr als verfrüht, nämlich grundfalsch. Das beginnt bereits mit der Annahme, dass die heimische Couch den Kinosessel komplett ersetzen könnte. Beides ähnelt sich zwar, sie sind aber nicht identisch. Wäre dem so, dürfte keine einzige Schallplatte verkauft werden, schließlich gibt es MP3. Das Vinyl erfreut sich aber allergrößter Beliebtheit - weil es Musik sinnlicher erzählt als digitale Formate.
Und so dürfen auch die Kinos Hoffnung schöpfen, erst Recht, wenn es sich dabei um cineastische Aktivposten wie das cine k und das Casablanca Kino handelt. Ihr Produkt ist keineswegs altmodisch und outdated. Im Gegenteil: Die Oldenburger Häuser haben früh erkannt, dass Kino mehr ist als das Abspielen von Filmen. Sie zelebrieren eine Kultur, die das Drumherum miterzählt und wichtigen Kontext bietet. So auch an diesem Wochenende.
Feiert den Film!
Gleichzeitig kann man diese Tage als Warm-up für das Internationale Filmfest nutzen, das am Mittwoch, den 14. September ab 19 Uhr mit der großen Eröffnung in der Kongresshalle beginnt. beginnt. Vor Oldenburg liegen also wunderbare Feiertage des Films. Damit kann keine Couch der Welt konkurrieren.
Also: Hoch den Mors! Netflix kann warten, das KINOFEST gibt es aber nur an diesem Wochenende. Zeigt den Kinos, dass wir sie keineswegs vergessen haben - und genießt Filme so, wie sie gedacht sind!